L 3 U 153/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 41 U 285/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 153/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Feststellung der Kausalität nach der Theorie der wesentlichen Bedingung bei einem organischen Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma und einer organischen Wesensänderung als weitere Unfallfolgen.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. Dezember 2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Feststellung eines organischen Psychosyndroms nach Schädel-Hirn-Trauma und einer organischen Wesensänderung als Folgen des Arbeitsunfalls vom 18.10.2005.

Der 1959 im Kosovo geborene Kläger erlitt am 18.10.2005 im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung einen Arbeitsunfall, als ihm als PKW-Fahrer ein anderes Fahrzeug von links die Vorfahrt nahm und in die Fahrerseite fuhr. Der Kläger prallte mit dem Kopf gegen die linke Seite.

Der Durchgangsarzt Prof. Dr. K., Städtisches Klinikum B-Stadt, diagnostizierte am Unfalltag eine Schädelprellung links sowie eine Halswirbelsäulen-(HWS-)Distorsion. Er stellte eine links hochtemporal leichte Schwellung und Rötung durch Prellung fest, ansonsten keine objektivierbaren Auffälligkeiten, kein Anhalt für eine Commotio oder eine Fraktur.

Durchgeführte neurologische Untersuchungen, insbesondere durch Dr. S., Fachärztin für Neurologie (Bericht vom 21.11.2005), und des Dr. K., Facharzt für Neurologie (Bericht vom 08.11.2005), sowie ein durchgeführtes Kernspintomogramm des Gehirnschädels vom 21.10.2005 ergaben keine Hinweise auf höhergradige Verletzungen.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte ein Vorerkrankungsverzeichnis der AOK Bayern vom 17.01.2006, Befundberichte der behandelnden Ärzte, insbesondere des Dr. R., Facharzt für Augenheilkunde, vom 17.01.2006 und des Prof. Dr. B./Prof. Dr. B./Prof. Dr. W., Fachärzte für Chirurgie, Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M., vom 20.02.2006 bei und lehnte darauf gestützt mit Bescheid vom 11.04.2006 einen Zusammenhang der Beschwerden ab dem 14.11.2005 mit dem Arbeitsunfall ab.

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.04.2007 als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 16.05.2007 Klage beim Sozialgericht München (SG) erhoben und beantragt, unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 11.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2007 festzustellen, dass folgende Gesundheitsstörungen Folgen des Arbeitsunfalls vom 18.10.2005 sind: Organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma (ICD-10: F 07.0); organische Wesensänderung (ICD-10: F 07.2).

Zur Aufklärung des Sachverhalts hat das SG Befundberichte der behandelnden Ärzte, insbesondere des Dr. G., Facharzt für Allgemeinmedizin, vom 21.09.2007 und des Dr. N., Facharzt für Innere Medizin, vom 21.09.2007 beigezogen. Der Kläger hat den Entlassungsbericht der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik R. hinsichtlich der stationären Behandlung dort vom 21.12.2006 bis 23.01.2007, Befundberichte des Dr. P., Arzt für Neurologie, des Dr. K., Facharzt für Neurologie und psychologische Atteste des Dipl.-Psych. F. N. (Attest vom 19.09.2006) sowie ein Gutachten des Dr. P., Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, vom 20.07.2006 vorgelegt.

Die Beklagte hat eine Stellungnahme des Dr. K. vom 17.07.2007 eingeholt.

Das SG hat Gutachten des Prof. Dr. P., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 20.01.2009 und der Dr. M., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 14.09.2011 mit testpsychologischem Zusatzgutachten des Dr. S., Psychologischer Psychotherapeut sowie auf Antrag des Klägers ein Gutachten gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) des Prof. Dr. S., Facharzt für Neurologie, vom 23.12.2009 mit ergänzender Stellungnahme vom 14.04.2010 eingeholt.

Prof. Dr. P. hat ausgeführt, bleibende Unfallfolgen seien aufgrund des Arbeitsunfalls vom 18.10.2005 nicht gegeben. Es ließen sich keine organischen Gesundheitsschäden auf neurologischem, orthopädischem, HNO-ärztlichem und augenärztlichem Gebiet nachweisen, die auf den Unfall zurückgeführt werden könnten. Der Unfall stelle eine Gelegenheitsursache dar, auf deren Basis sich ein chronisches Kopfschmerzsyndrom entwickelt habe. Der Unfall sei insoweit beliebig austauschbar. Er habe sich zudem zu einem Zeitpunkt ereignet, als sich der Kläger in einer Neuorientierungsphase seiner beruflichen Tätigkeit befunden habe. Er sei bemüht gewesen, eine Anstellung in einem Taxibetrieb zu finden, nachdem er zuvor als Lehrer für Kosovo-Schüler gekündigt worden sei. Der Unfall habe allenfalls zu einem leichten Schleudertrauma und einer Schädelprellung links geführt. Neurologische Ausfälle hätten zu keinem Zeitpunkt objektiviert werden können. Auch die bildgebenden Verfahren hätten keine pathologisch-traumatischen Ausfälle gezeigt. Die Unfallfolgen seien innerhalb von drei bis vier Wochen abgeheilt. Beim Kläger seien verstärkt auftretende demonstrative Verhaltensweisen an der Grenze der bewussten Simulation gegeben.

Dr. M. hat dargelegt, der Kläger habe durch den Unfall ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma (ICD-10: S 06.1), ein akutes posttraumatisches Syndrom mit Kopfschmerz, Nackenschmerz, vegetativem Syndrom mit Übelkeit, Schwindel, innerer Unruhe, Gereiztheit, kognitiven Defiziten (ICD-10: G 44.3) sowie eine HWS-Distorsion (ICD-10: S 13.4) erlitten. Außerdem habe der Unfall auf psychiatrischem Fachgebiet ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma (ICD-10: F 07.0) und eine organische Wesensänderung (ICD-10: F 07.2) verursacht. Das organische Psychosyndrom habe sich zunächst als akuter posttraumatischer Kopfschmerz sowie als akutes postcommotionelles Syndrom mit Beginn in den Abendstunden des Unfalltages und massiver Verschlechterung ab dem ca. vierten Tag nach dem Unfall gezeigt. Es hätten sich deutliche Hinweise auf einen Contre-Coup-Mechanismus und erhebliche Schmerzen auf der Gegenseite der Prellmarke ergeben. Im Gefolge habe sich ein organisches Psychosyndrom mit massiven Konzentrationsstörungen, Störungen des Gedächtnisses, der Aufmerksamkeitsfunktionen, des Antriebes und der psychomotorischen Geschwindigkeit entwickelt. Es seien eine Therapieresistenz und eine Chronifizierung eingetreten. Die Chronifizierung sei als krankheitsimmanent zu werten, da es sich um eine organische psychische Störung handele und nicht um eine psychoreaktive Störung. Die testpsychologische Untersuchung und präzise Verifizierung der kognitiven Defizite sei aufgrund der entstandenen organischen Wesensänderung und den hiermit verbundenen Verhaltensauffälligkeiten wie Affektlabilität, Impulskontrollstörung und Affektdurchbrüchen erheblich erschwert, werde jedoch in der Verhaltensbeobachtung bestätigt. Zwar seien depressive Episoden als klar abgegrenzte Phasen vorbeschrieben, ebenso eine Commotio cerebri mit posttraumatischem Kopfschmerz. Diese Krankheitsanlagen bezögen sich jedoch auf Jahre zurückliegende Zustandsbilder und seien zum Unfallzeitpunkt in keiner Weise symptomatisch gewesen. Die MdE sei auf psychiatrischem Fachgebiet mit 50 v.H. einzuschätzen.

Prof. Dr. S. hat dargelegt, der Unfall habe zu einer Schädelprellung und einer HWS-Distorsion Grad I geführt ohne Nachweis einer ligamentären oder knöchernen Instabilität. Grundsätzlich sei daher von einem leichtgradigen Schädel-Hirn-Trauma auszugehen. Erfahrungsgemäß führten solche Traumata zu Kopfschmerzen, die relativ zeitnah innerhalb der ersten Stunden nach dem Unfall aufträten und im Durchschnitt nicht länger als sechs Wochen anhielten. Das relativ symptomfreie Intervall von zwei bis drei Tagen spreche eindeutig gegen ein schweres Schädel-Hirn-Trauma bzw. eine schwere HWS-Distorsion, so dass mit einem länger bestehenden Kopfschmerz als Folge des Unfalls nicht zu rechnen sei. Damit sei insgesamt von einem Abklingen der Kopfschmerzen in spätestens drei Monaten nach den Unfall auszugehen. Alle darüber hinaus bestehenden Beschwerden seien nicht als unmittelbare Unfallfolge anzusehen. Als unfallunabhängige Faktoren sei die zur gleichen Zeit erzwungenermaßen erfolgte berufliche Umorientierung zu nennen. Der Verlust der Anstellung als Lehrer sei vor dem Hintergrund zu bewerten, dass der Kläger auf seine Ausbildung als Lehrer und das damit verbundene Studium unter Berücksichtigung seiner familiären Herkunft stolz sei. Unzweifelhaft sei das Vorliegen einer Somatisierungsstörung gegeben, die aber nicht aus dem Unfallablauf erklärlich, sondern durch unfallunabhängige Umstände (Persönlichkeitszüge und unfallunabhängige psychosoziale Faktoren) bedingt sei.

Das SG hat mit Urteil vom 21.12.2011 unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 11.04.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2007 festgestellt, dass folgende Gesundheitsstörungen Folgen des Arbeitsunfalls vom 18.10.2005 sind: Organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma (ICD-10: F 07.0); organische Wesensänderung (ICD-10: F 07.2). Es hat sich dabei auf das Gutachten der Dr. M. gestützt.

Dagegen hat die Beklagte am 13.04.2012 Berufung eingelegt. Der Senat hat die einschlägigen Röntgen- und Kernspinaufnahmen beigezogen und hat ein Gutachten der Dr. E., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, vom 12.02.2013 eingeholt.

Der Kläger hat den Entlassungsbericht der Dr. S., Max-Planck-Institut für Psychiatrie, über eine stationäre psychiatrische Behandlung in der Zeit vom 15.03.2011 bis zum 10.06.2011 vorgelegt, ein ärztliches Attest der Dr. O., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, vom 15.07.2010 sowie ein Gutachten des Dr. M., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 17.05.2010, das in einem Rechtsstreit wegen Erwerbsminderungsrente (Az.: L 6 R 940/09) eingeholt worden ist.

Dr. E. hat dargelegt, der Kläger habe ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma mit Schädelprellung und HWS-Distorsion sowie möglicherweise eine Commotio aufgrund des Unfalls vom 18.10.2005 erlitten. Diese Leiden seien folgenlos abgeklungen. Im Vordergrund der Beschwerden und des psychiatrischen Krankheitsbildes stehe eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung in Form des chronischen Kopfschmerzes. Dieses Krankheitsbild sei nicht wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Bereits in den 90-er Jahren habe beim Kläger eine manifeste somatoforme Schmerzstörung bestanden. Deren erneute Aktualisierung im Oktober 2005 hätte durch jede austauschbare Gelegenheitsursache in Gang gebracht werden können. Der Kläger habe neben anderen Problemen der Migration eine erhebliche Belastung und auch Bedrohung des Selbstwertgefühls erlitten, indem er über Jahre hinweg immer wieder einfachste schwere Tätigkeiten ausüben musste, obwohl dies seiner Ausbildung mit Studium und der früheren Tätigkeit als Lehrer nicht entsprochen habe. Es verwundere insoweit nicht, dass er zwischen 1994 und 1998 sehr häufige Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Schmerzzuständen im Bereich von Kopf und Bewegungsapparat aufweise und bereits damals im Anschluss an einen leichteren Unfall mit Commotio eine chronische Kopfschmerzerkrankung entwickelt habe. Der Verlust des Besitzes in der Heimat sei möglicherweise ein weiterer Grund für die Entwicklung einer schweren krankheitswertigen Depression gewesen, die sogar zu einer vierwöchigen stationären Behandlung geführt habe, was sich aus dem Gutachten des Dr. M. ergeben habe. Zu einer mehrjährigen Stabilisierungsphase sei es erst gekommen, als der Kläger wieder die gewünschte Tätigkeit als Lehrer habe ausüben können. Mit dem Verlust dieser Tätigkeit durch die Kündigung seitens der Regierung von Oberbayern im Herbst 2005 seien die früheren diesbezüglichen Ängste vor inadäquater Belastung und die Kränkung durch den Verlust dieser qualifizierten Tätigkeit aktualisiert worden. In dieser Situation habe in Übereinstimmung mit den Gutachten des Prof. Dr. P. und des Prof. Dr. S. der Unfall lediglich eine Gelegenheitsursache dargestellt, um eine bereits vorher erheblich manifeste somatoforme Erkrankung wieder zu aktualisieren. Ob die beim Kläger vorliegenden massiv-demonstrativen Verhaltensweisen im Rahmen einer schon vorbestehenden histrionischen Persönlichkeitsakzentuierung zu sehen seien oder sich erst im Lauf der 90-er Jahre unter den damaligen Belastungsfaktoren entwickelt hätten, könne dahingestellt bleiben. Ein nicht authentisches Antwortverhalten werde auch in der psychologischen Zusatzbegutachtung des Dr. S. zum Gutachten der Dr. M. beschrieben, wie auch bei der aktuellen Untersuchung im Rahmen der durchgeführten Testung (Verfahren SFSS). Das Gutachten der Dr. M. berücksichtige nicht, dass nach der geltenden Begutachtungsliteratur zwar die Möglichkeit einer diffusen axonalen Schädigung bzw. Mikrotraumatisierungen diskutiert würde, bei Fehlen anderweitiger eindeutigerer Symptome aber damit nicht der notwendige Vollbeweis einer traumatischen Hirnschädigung erbracht sei. Die geklagten Symptome seien insoweit völlig unspezifisch und ließen sich auch durch eine somatoforme und/oder affektive Störung erklären. Beim Kläger seien keine klinischen Befunde im Vollbeweis festzustellen gewesen, die auf eine traumatische Hirnschädigung hingewiesen hätten. Weder eine organische Persönlichkeitsstörung noch der chronische Kopfschmerz könnten daher mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 18.10.2005 zurückgeführt werden.

Der Kläger ist der Auffassung, das Gutachten der Dr. E. sei nicht überzeugend, da darin seine Lebensgeschichte, Vorerkrankungen und seine berufliche Situation zu Unrecht in den Vordergrund gerückt werde. Außerdem sei die Zuziehung eines Dolmetschers erforderlich gewesen. Zu folgen sei dem Gutachten der Dr. M., die den Unfallzusammenhang umfassend und begründet darlege.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgericht München vom 21.12.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.12.2011 als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme der Frau Dr. M. zu ihrem Gutachten.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Gerichtsakten sowie der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144 und 151 SGG zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines organischen Psychosyndroms nach Schädel-Hirn-Trauma (ICD-10: F 07.0) und einer organischen Wesensänderung (ICD-10: F 07.2) als Folgen des Arbeitsunfalls vom 18.10.2005. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.12.2011 ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Gesundheits- oder Körperschäden sind Folgen eines Arbeitsunfalls, wenn sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. Dabei müssen die Gesundheits- und Körperschäden "voll", das heißt mit an Sicherheit grenzender, vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Dagegen gilt die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie zwischen dem Unfall und der maßgebenden Erkrankung. Nach dem in der Unfallversicherung geltenden Prinzip der wesentlichen Mitverursachung ist nur diejenige Bedingung als ursächlich für einen Unfall anzusehen, die im Verhältnis zu anderen Umständen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, BSGE 96, 196 ff). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannten(n) Ursache(n) "wesentlich" und Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als Auslöser bezeichnet werden (vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.). Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62, 220, 222 f = SozR 2200 § 589 Nr. 10, BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R, BSGE 94, 269).

Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung im Unterschied zu der an der generellen Geeignetheit einer ursachenorientierten Adäquanztheorie auf den Einzelfall abstellt, bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang bei der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht zu berücksichtigen oder bei ihr entbehrlich wären. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Die Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge muss auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R Rdnr.17 m.w.N.).

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen positiv festgestellt werden muss. Es gibt keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSG, a.a.O. Rdnr.20).

Der Kläger hat am 18.10.2005 einen Arbeitsunfall erlitten, der zu einem leichten Schädel-Hirn-Trauma mit Schädelprellung und HWS-Distorsion geführt hat. Diese Leiden sind folgenlos abgeklungen. Die beim Kläger heute bestehenden Beschwerden und Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet, insbesondere die bei ihm vorliegende anhaltende somatoforme Schmerzstörung in Form des chronischen Kopfschmerzes ist nicht mit Wahrscheinlichkeit wesentlich auf den Arbeitsunfall vom 18.10.2005 zurückzuführen. Der Senat stützt sich dabei auf das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten der Dr. E ... Dies steht in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Prof. Dr. P ... Auch der nach § 109 SGG gehörte Gutachter Prof. Dr. S. hat dies bestätigt. Dem Gutachten der Dr. M. hat sich der Senat nicht angeschlossen.

Das Erstschadensbild ergibt das Vorliegen eines leichten Schädel-Hirn-Traumas und einer HWS-Distorsion. Weitere Gesundheitsstörungen sind nicht im Vollbeweis nachgewiesen. Dies gilt insbesondere für eine Commotio cerebri, ein organisches Psychosyndrom oder eine organische Wesensänderung. Die zeitnah durchgeführten Kernspinaufnahmen und die wiederholten neurologischen Untersuchungen ergaben keine Auffälligkeiten. Organische Gesundheitsschäden auf neurologischem Fachgebiet waren nicht festzustellen. Die bildgebenden Verfahren zeigten keine höhergradigen Verletzungen, insbesondere keine discoligamentären Verletzungen. Es waren zudem keine klinischen Befunde gegeben, die auf eine traumatische Hirnschädigung hingewiesen hätten. Dr. E. hat überzeugend dargelegt, dass nach der derzeitigen Begutachtungsliteratur für den Vollbeweis einer erlittenen Hirnschädigung bei leichteren Schädel-Hirn-Traumen zumindest das Vorliegen einer längeren Bewusstlosigkeit als eine Stunde, eine Erinnerungslücke länger als acht Stunden, Verwirrtheit länger als 24 Stunden, fokalzentralneurologische Ausfälle, eine bildgebende Darstellung von Substanzschäden oder EEG-Veränderungen erforderlich sind. Beim Kläger waren keine dieser Symptome festzustellen. Allein das Vorliegen neuropsychologischer Auffälligkeiten ermöglicht nach derzeitiger wissenschaftlicher Lehrmeinung nicht den Vollbeweis für eine Hirnschädigung. Soweit Dr. M. eine organisch-bedingte Erkrankung als Folgewirkung der Unfallverletzung annimmt, kann sie dies nicht ausreichend belegen. Allein die erlittene Kontusion des Kopfes linksseitig und die vom Kläger unmittelbar vorgebrachten Beschwerden rechtfertigen jdenfalls nicht den Schluss auf eine entsprechende organische Verletzung. Entgegen ihrer Darlegung sind die vom Kläger geschilderten Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Erschöpfung, Reizbarkeit, Schwierigkeiten bei Konzentration und geistigen Leistungen nicht ausreichend, um daraus ein organisches Psychosyndrom oder eine organische Wesensänderung zu schließen. Die vom Kläger vorgebrachten Symptome sind unspezifisch und lassen sich entsprechend dem Gutachten der Dr. E., des Prof. Dr. P. und des Prof. Dr. S. auch durch eine somatoforme und/affektive Störung erklären, die beim Kläger unfallunabhängig vorliegt. Nach einer HWS-Distorsion bildet sich insbesondere der akute Kopfschmerz nach der Begutachtungsliteratur innerhalb von wenigen Wochen bis maximal zwei Monaten wieder zurück. Danach sind hartnäckige Kopfschmerzen überwiegend durch psychologische Faktoren mitbedingt. Chronische Kopfschmerzen sind allenfalls dann auf den Unfall zu beziehen, wenn discoligamentäre Verletzungen mit bildgebenden Verfahren nachweisbar sind.

Die von Dr. M. angegebene organische Persönlichkeitsstörung bzw. Wesensänderung ist somit nicht nachgewiesen. Soweit der Kläger vorträgt, bei ihm habe eine Verwirrtheit bestanden, die zu Unrecht nicht festgestellt worden sei, ist dem entgegen zu halten, dass weder die behandelnden Neurologen noch der Orthopäde entsprechende Auffälligkeiten festgestellt hat, die krankheitswertig sind.

Dr. M. hat zudem die Vorerkrankungen des Klägers nicht ausreichend gewürdigt. Beim Kläger hat bereits in den 90iger Jahren eine manifeste somatoforme Schmerzstörung bestanden. Arbeitsunfähigkeitszeiten zwischen 1994 und 1998 wegen Schmerzzuständen im Bereich von Kopf und Bewegungsapparat sind dokumentiert. Bereits damals erlitt der Kläger im Anschluss an einen leichteren Unfall eine chronische Kopfschmerzerkrankung. Auch ein vierwöchiger stationärer Krankenhausaufenthalt wegen einer schweren Depression ist bereits vor dem Unfall dokumentiert. Zudem besteht nach dem überzeugenden Gutachten der Dr. E. eine histrionische Persönlichkeitsakzentuierung.

Soweit der Kläger gegen das Gutachten der Dr. E. vorbringt, die von ihr genannten möglichen Ursachen hinsichtlich der Entstehung der somatoformen Schmerzstörungen seien nicht plausibel, weil er durch die Ereignisse im Kosovo tatsächlich nicht schwerwiegend beeinträchtigt gewesen sei, die Arbeit als Taxifahrer nicht als beruflichen Abstieg empfunden habe und tatsächlich in der Zeit vom 22. bis 24.05.1994 nicht arbeitsunfähig gewesen sei, mag dies zutreffen. Für den Senat kann es dahinstehen, ob die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen sich aufgrund seiner Biographie und den langjährigen Anspannungssituationen entwickelt haben. Das Gleiche gilt für die massiv demonstrativen Verhaltensweisen, die persönlichkeitsbedingt gewertet werden können. Entscheidend ist, dass wesentliche Ursache der beim Kläger vorliegenden somatoformen Erkrankung und der bei ihm gegebenen histrionischen Persönlichkeitsakzentuierung nicht der Unfall vom 18.10.2005 ist. Dieser war lediglich der Anlass bzw. ein austauschbares Ereignis für die Entwicklung und der erneuten Aktualisierung der bereits vorher bestehenden Erkrankung.

Beim Kläger liegt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weder ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma noch eine organische Wesensänderung vor, so dass bereits aus diesem Grund das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.12.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen war.

Die vom Kläger beantragte Einholung einer ergänzenden Stellungnahme der Dr. M. war nicht angezeigt. Dr. M. hat ihre Auffassung umfassend dargelegt. Der Sachverhalt ist ausreichend aufgeklärt.

Die Zuziehung eines Dolmetschers bei der Begutachtung wurde von keinem der beauftragten Sachverständigen für erforderlich erachtet. Insbesondere Dr. E. besitzt eine jahrzehntelange Erfahrung bei der Begutachtung auch fremdsprachiger Kläger und hätte dies entsprechend geltend gemacht.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved