L 22 R 188/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 7 R 5635/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 R 188/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 R 1/16 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
BSG: Revision unzulässig verworfen
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 3. März 2014 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Aufhebung eines Bescheides über die Befreiung von der Versicherungspflicht.

Die im September 1959 geborene Klägerin war bis Februar 1991 im Beitrittsgebiet versicherungspflichtig beschäftigt. Zum 01. März 1991 nahm sie eine selbständige Tätigkeit als Kauffrau auf, die sie bis Oktober 1993 ausübte.

Auf ihren im August 1991 gestellten Antrag, in dem sie angegeben hatte, von dem Merkblatt "Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 20 SVG" Kenntnis genommen zu haben, und dem eine Bestätigung der D AG über einen Versicherungsvertrag mit Versicherungsbeginn zum 01. September 1991 beigefügt war, war die Klägerin mit Bescheid vom 19. November 1991 von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung ab 01. September 1991 nach § 20 Gesetz über die Sozialversicherung (SVG) befreit worden.

Nachdem wegen einer Beschäftigung der Klägerin ab November 1993 als Verkäuferin bei der K AG, weswegen bereits 1998 zur Klärung der Versicherungspflicht bei der Klägerin ermittelt worden war, von diesem Arbeitgeber im April 2000 erneut Pflichtbeiträge sowie anschließend für die Zeit vom 01. August bis 31. Dezember 2000 Pflichtbeiträge von der Bundesagentur für Arbeit gemeldet worden waren, stellte die K AG nach Hinweis der Beklagten auf die Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht Antrag auf Beitragserstattung für die Zeit vom 01. November 1993 bis 07. Mai 2000.

Mit Bescheid vom 04. Oktober 2001 beanstandete die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (nachfolgend ebenfalls Beklagte genannt) gegenüber der Klägerin die für die Zeit vom 01. November 1993 bis 07. Mai 2000 entrichteten Pflichtbeiträge wegen Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als zu Unrecht gezahlt und rechtsunwirksam.

Auf den im April 2002 gestellten Antrag auf Feststellung der Rentenversicherungspflicht, den die Klägerin damit begründete, die Beklagte habe sie 1993 bei Aufnahme ihrer Beschäftigung als Verkäuferin nicht darüber informiert, dass sie spätestens im Dezember 1994 auf die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht habe verzichten können, erteilte die Beklagte den Bescheid vom 17. Mai 2002, mit dem sie die Rücknahme des Bescheides vom 19. November 1991 nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ablehnte: Im Zeitraum 1993/94 habe kein konkreter Anlass zur Beratung bzw. Aufklärung bestanden, da kein Verwaltungsverfahren vorgelegen habe. Damit bleibe die Klägerin nach § 231 a SGB VI in jeder Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit von der Versicherungspflicht befreit.

Daraufhin stellte auch die Klägerin einen Antrag auf Beitragserstattung, worauf die für den 01. November 1993 bis 07. Mai 2000 gezahlten Pflichtbeiträge erstattet wurden. Wegen einer weiteren Beschäftigung als Verkäuferin vom 01. April bis 31. Juli 2001 zahlte die B die entrichteten Pflichtbeiträge zurück.

Nach weiteren Beschäftigungen (nach Angaben der Klägerin von Oktober 2001 bis Januar 2002 und vom Juni 2002 bis Juni 2006 und von Juli 2007 bis Februar 2009) ohne Zahlung von Pflichtbeiträgen bezieht die Klägerin zwischenzeitlich Arbeitslosengeld II, weswegen von Oktober 2009 bis Dezember 2010 Pflichtbeiträge gezahlt wurden.

Den im Oktober 2011 wegen Funktionsbehinderung der Wirbelsäule infolge einer im Februar 2009 stattgefundenen Bandscheibenoperation gestellten Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Oktober 2011 ab: Bei einem angenommenen möglichen Eintritt der Erwerbsminderung am 04. Oktober 2011 (Rentenantrag) seien die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Im maßgebenden Zeitraum von fünf Jahren vom 01. Januar 2006 bis 31. Oktober 2011 seien nur 15 Monate statt den erforderlichen 36 Monaten mit Pflichtbeiträgen vorhanden.

Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin unter Vorlage ärztlicher Unterlagen geltend, sie sei im September 2005 an der Halswirbelsäule mit Einbau einer Prothese, im April 2006 an der Lendenwirbelsäule und im Oktober 2010 wegen Verrutschens der Prothese erneut an der Halswirbelsäule operiert worden. Die Beklagte habe aus fadenscheinigen Gründen die Rentenversicherung gekündigt gehabt. Zugleich beantragte die Klägerin, den Bescheid über die Ablehnung der Rentenversicherung zu überprüfen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Gerichtsbescheid vom 7. Januar 2013 – S 32 R 1784/12 abgewiesen, gegen den die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt hat. Dieses Berufungsverfahren (L 12 R 106/13) ruht.

Mit Bescheid vom 13. Januar 2012 lehnte die Beklagte erneut die Rücknahme des Bescheides vom 19. November 1991 nach § 44 SGB X ab.

Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch trug die Klägerin vor, sie sei 1991 vor vollendete Tatsachen gestellt worden.

Am 4. Oktober 2013 hat die Klägerin beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben und die Bescheidung ihres Widerspruches begehrt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Der Bescheid vom 19. November 1991 sei rechtmäßig. Eine Verletzung der Informationspflicht der Rentenversicherung liege auch insoweit nicht vor, als in diesem Befreiungsbescheid nicht auf einen möglichen Verzicht der Befreiung nach § 231 a Sätze 2 und 3 SGB VI hingewiesen worden sei. Mit dem Abschluss des Lebensversicherungsvertrages sei davon auszugehen gewesen, dass die Risiken Erwerbsminderung, Alter und Tod auf Dauer anderweitig abgesichert seien. Es sei daher nicht naheliegend gewesen, dass die Klägerin jemals in den Kreis der gesetzlich Pflichtversicherten habe zurückkehren wollen. Ferner seien ihr weiterer beruflicher Werdegang und damit einhergehende Veränderungen nicht absehbar gewesen. Vielmehr müsse die Klägerin gegen sich gelten lassen, dass sie weder den Arbeitgeber noch die Krankenkasse bei der Aufnahme ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung am 1. November 1993 von ihrer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht unterrichtet habe oder alternativ mit dem Rentenversicherungsträger in Kontakt getreten sei. Eine individuelle Auskunft zu ihrem Versicherungsstatus habe sie erst im April 2002 vom Rentenversicherungsträger erbeten. Diesen Schritt hätte sie bereits im April 1993 machen können. Ungeachtet dessen hätten Gesetzgeber und Rentenversicherungsträger über das Ende der Ausschlussfrist auf Beendigung der Befreiung von der Versicherungspflicht zum 31. Dezember 1994 in den Medien hinreichend informiert.

Nachdem das Sozialgericht der Klägerin mit Schreiben vom 6. Dezember 2013 unter Übermittlung dieses Widerspruchsbescheides, der nach zunächst erfolgloser Zustellung der Klägerin erst am 9. Januar 2014 mittels Postzustellungsurkunde zugestellt wurde, mitgeteilt hatte, dass sich das zulässige Rechtsschutzziel der Untätigkeitsklage mit diesem Widerspruchsbescheid erledigt habe, hat die Klägerin am 7. Januar 2014 Klage gegen diesen Widerspruchsbescheid erhoben.

Sie hat darauf hingewiesen, dass dieser Widerspruchsbescheid sie nicht zufriedenstelle. Sie sei im Jahr 1991 davon ausgegangen, jederzeit in die gesetzliche Rentenversicherung zurückkehren zu können. Von einer Gesetzesänderung habe sie nichts gewusst. Die Rentenversicherung hätte sie darüber informieren müssen.

Mit Gerichtsbescheid vom 3. März 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die Klägerin habe ihre Untätigkeitsklage nach Vorliegen des Widerspruchsbescheides innerhalb der Klagefrist auf eine Anfechtungsklage umgestellt, die unbegründet sei. Das Gericht folge der Begründung des Widerspruchsbescheides und sehe insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Im Übrigen habe das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg im Beschluss vom 25. September 2012 – L 22 R 689/12 B PKH anschaulich dargelegt, dass auf den Bescheid vom 19. November 1991 das Recht richtig angewandt worden sei und kein Beratungsmangel der Beklagten vorliege. Den von der Klägerin vorgetragenen Irrtum über die Rechtslage habe die Beklagte nicht hervorgerufen.

Gegen den ihr am 6. März 2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 14. März 2014 eingelegte Berufung der Klägerin.

Sie meint, es sei Pflicht der Beklagten gewesen, sie 1993 darüber zu informieren, dass die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden seien. Die Frist bis Dezember 1994 hätte nach Aufklärung dann von ihr noch eingehalten werden können.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 3. März 2014 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 2013 zu verpflichten, den Bescheid vom 19. November 1991 zurückzunehmen, hilfsweise ihn zum 1. November 1993 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen weiteren Gerichtsakten L 12 R 106/13 – S 32 R 1784/12 und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten (), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 13. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Dezember 2013 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass der Bescheid vom 19. November 1991 zurückgenommen oder zum 1. November 1993 aufgehoben wird.

§ 44 Abs. 1 und 2 SGB X bieten hierfür keine Rechtsgrundlage, denn bei dem Bescheid vom 19. November 1991 handelt es sich nicht um einen "nicht begünstigenden" Verwaltungsakt.

Nach dieser Vorschrift gilt: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 44 Abs. 2 SGB X).

Da durch den Bescheid vom 19. November 1991 keine Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, findet allenfalls § 44 Abs. 2 SGB X Anwendung, wenn dieser Bescheid "nicht begünstigend" wäre. Dies entscheidet sich nach dem Verfügungssatz unter Berücksichtigung des seinerzeitigen Begehrens des Betroffenen. Danach erweist sich der Bescheid vom 19. November 1991 jedoch als begünstigend, denn mit ihm wurde dem Antrag der Klägerin entsprechend die von ihr begehrte Befreiung von der Versicherungspflicht verfügt.

Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes regelt § 45 SGB X.

Danach gilt: Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X).

Es sind keine Tatsachen vorgetragen oder ersichtlich dafür, dass der Bescheid vom 19. November 1991, wie von dieser Vorschrift vorausgesetzt, rechtswidrig gewesen sein könnte.

Die mit diesem Bescheid verfügte Befreiung von der Versicherungspflicht ist in § 20 SVG geregelt.

Diese Vorschrift sah vor: In der Rentenversicherung werden Personen, die eine selbständige Tätigkeit ausüben, innerhalb von fünf Jahren nach erstmaliger Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit. Das gilt nicht für Landwirte und für freiberufliche Künstler sowie für Handwerker, die in der Handwerksrolle eingetragen sind (§ 20 Abs. 1 SVG). Voraussetzung für die Befreiung ist, dass der Versicherte für sich und seine Familienangehörigen Anspruch auf gleichwertige Leistungen aus einer anderen Versicherung hat. Gleichwertig sind die Leistungen, wenn die Beiträge für eine andere Versicherung mindestens dem Betrag entsprechen, der bei Versicherungspflicht von einem Arbeitseinkommen in Höhe der halben Beitragsbemessungsgrenze zu entrichten wäre und aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall der verminderten Erwerbstätigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden (§ 20 Abs. 2 Satz 1 SVG).

Die Klägerin gehörte nicht zu dem Personenkreis, der von der Befreiung von der Versicherungspflicht ausgeschlossen war. Nach der vorgelegten Bestätigung der D AG vom 06. September 1991 betrug der monatliche Beitrag 300,90 DM. Er war mithin ausreichend, um eine Gleichwertigkeit der Leistungen zu gewährleisten. Die monatliche Beitragsbemessungsgrenze in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet, also dem Beitrittsgebiet, betrug ab 01. Juli 1991 3.400 DM (§ 2 Zweite Rentenanpassungsverordnung vom 19. Juni 1991 - BGBl I 1991, 1300). Ein Arbeitseinkommen in Höhe der halben Beitragsbemessungsgrenze, also von 1.700 DM, hätte bei einem Beitragssatz von 17,7 v. H. in der Zeit vom 01. April bis 31. Dezember 1991 (Art. 2 Gesetz zur Änderung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung und bei der Bundesanstalt für Arbeit vom 22. März 1991 – BGBl I 1991, 790) einen Beitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung von 300,90 DM zur Folge gehabt. Nach der genannten Bestätigung waren durch den Versicherungsvertrag Leistungen im Erlebensfall an die Klägerin und im Falle ihres Ablebens an ihre Hinterbliebenen im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung und für den Fall der verminderten Erwerbstätigkeit, die angepasst werden, sichergestellt.

Der Vortrag der Klägerin, sie sei seinerzeit vor vollendete Tatsachen gestellt worden, ist nicht nachvollziehbar. Ohne ihren im August 1991 gestellten Antrag wäre es nämlich nicht zu einer Befreiung von der Versicherungspflicht gekommen.

Erweist sich mithin der Bescheid vom 19. November 1991 als rechtmäßig, kann seine Rücknahme nicht nach § 45 Abs. 1 SGB X beansprucht werden.

Dieser Bescheid ist auch nicht nach § 48 Abs. 1 SGB X zum 1. November 1993 (oder bis zum 31. Dezember 1994) aufzuheben.

Nach § 48 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGB X gilt: Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit 1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Eine wesentliche Änderung ist zum 1. November 1993 (oder bis zum 31. Dezember 1994) nicht eingetreten, denn die Klägerin gab bis zum 31. Dezember 1994 keine Erklärung dahingehend ab, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht enden soll. Einer solchen Erklärung hat es jedoch bedurft, damit die Befreiung von der Versicherungspflicht endet.

Die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 20 SVG beschränkte sich allerdings (zunächst) auf die die Befreiung begründende selbständige Tätigkeit und stand der Versicherungspflicht in einem daneben ausgeübten Beschäftigungsverhältnis nicht entgegen. Allerdings wären einige dieser von der Versicherungspflicht befreiten selbständig Tätigen ab 01. Januar 1992 nach § 2 Nr. 1 bis 4, 6 und 7 SGB VI wieder versicherungspflichtig geworden. Da diese Selbständigen ihre Alterssicherung auf eine andere Grundlage gestellt und sich in diesem Zusammenhang verpflichtet hatten, dafür nicht unerhebliche Beiträge aufzuwenden, blieb die Befreiung von der Versicherungspflicht grundsätzlich aufrecht erhalten (Gürtner in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 86. Ergänzungslieferung 2015, SGB VI § 231 a Rdnrn. 3 und 4).

Mit § 231 a SGB VI wurde jedoch (mit Wirkung vom 01. Januar 1992) bestimmt, dass selbständig Tätige, die am 31. Dezember 1991 im Beitrittsgebiet aufgrund eines Versicherungsvertrages von der Versicherungspflicht befreit waren, in jeder Beschäftigung oder (selbständigen) Tätigkeit (und bei der Dienstleistungen: in der ab 01. Januar 1996 geltenden Fassung nach Art. 1 Nr. 38 Gesetz vom 15. Dezember 1995 – BGBl I 1995, 1824) von der Versicherungspflicht befreit bleiben. Dies geschah im Interesse der Gleichbehandlung mit den früher aufgrund eines Versicherungsvertrages befreiten höher verdienenden Angestellten und Handwerkern nach § 231 Satz 2 Nrn. 1 und 2 SGB VI. Voraussetzung war, dass es sich um noch am 31. Dezember 1991 selbständig Tätige handelte und dass der die Befreiung ermöglichende Versicherungsvertrag zu diesem Zeitpunkt noch Bestand hatte (Gürtner in Kasseler Kommentar, a.a.O., SGB VI § 231 a Rdnr. 4 unter Hinweis auf Bundestags-Drucksache 12/405, S. 122). Ob die Voraussetzungen für die Befreiung (Fortführung des Versicherungsvertrages unter den bisherigen Konditionen) auch noch bei einer späteren versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit vorlagen, war hingegen ohne Bedeutung (von Koch in Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, Stand 1. Juni 2015, SGB VI § 231 a, Rdnr. 3 unter Bezugnahme auf Bundestagsdrucksache 12/405, S. 122).

Im Hinblick auf die mit der Gründung einer dauerhaften selbständigen Existenz im Beitrittsgebiet verbundenen besonderen Schwierigkeiten wurde dem betroffenen Personenkreis jedoch die Möglichkeit gegeben, seine Entscheidung innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu korrigieren. Der hierfür angesetzte Zeitraum von drei Jahren sollte, wie der gleichlange Zeitraum in § 229 a Abs. 1 Satz 2 SGB VI, einerseits den Interessen der Betroffenen an einer besseren Überschaubarkeit ihrer wirtschaftlichen Situation Rechnung tragen, andererseits aber auf eine zu weitgehende Belastung der Solidargemeinschaft im Hinblick auf eine negative Risikoauslese vermeiden (Bundestags-Drucksache 12/405, S. 122). Dementsprechend bestimmt § 231 a Sätze 2 und 3 SGB VI, dass diese selbständig Tätigen bis zum 31. Dezember 1994 erklären können, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht enden soll. Die Befreiung endet vom Eingang des Antrags an.

Bei dieser Frist handelt es sich um eine materielle Ausschlussfrist. Die rechtzeitige Erklärung bewirkte, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht ab dem Zugang der Erklärung endete und eine zuvor ausgesprochene Befreiung nach § 48 Abs. 1 SGB X mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an aufzuheben war (Gürtner in Kasseler Kommentar, a.a.O., SGB VI § 231 a Rdnr. 5). Die sprachliche Bereinigung dieser Vorschrift nach dem 31. Dezember 1994 durch Gesetz vom 21. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1791) hat am bisherigen Inhalt der Regelung nichts geändert (von Koch in Beck’scher Online-Kommentar, a.a.O., SGB VI § 231 a, Rdnrn. 1, 5 unter Hinweis auf Bundestags-Drucksache 15/2149, S. 27).

Die Klägerin gab bis zum 31. Dezember 1994 keine Erklärung dahingehend ab, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht enden soll.

Eine solche Erklärung kann vorliegend nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches fingiert werden.

Mit diesem von der Rechtsprechung entwickelten Anspruch (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 1990 – 7 RAr 36/88, Rdnr. 44, abgedruckt in BSGE 66, 258 = SozR 3-1200 § 14 Nr. 1) wird ein auf sozialversicherungsrechtlichen Ausgleich durch Vornahme einer Amtshandlung gerichteter Zustand hergestellt. Er setzt voraus, dass der in Anspruch genommene Versicherungsträger eine gerade gegenüber dem Antragsteller bestehende Pflicht aus dem Sozialrechtsverhältnis objektiv rechtswidrig nicht oder schlecht erfüllt hat und daraus ein sozialrechtlicher Nachteil dem Antragsteller ursächlich entstanden ist. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch schafft kein neues Recht. Er ermöglicht lediglich die Herstellung des Zustandes, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger vornehmlich seiner Beratungspflicht in vollem Umfang nachgekommen wäre. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist von der Rechtsprechung in Fortbildung des geschriebenen Rechts entwickelt worden und dient dazu, Lücken füllend Entscheidungen und Handlungen durch Verwaltungsfehler zu korrigieren, für das Gesetz keine ausdrücklichen Vorschriften vorhält (vgl. dazu umfassend Gagel in Sozialgerichtsbarkeit - SGb - 2000, 517).

Die Verletzung einer speziellen Beratungs- und Auskunftspflicht, welche die Rechtsprechung als Nebenpflicht aus dem Versicherungsverhältnis hergeleitet hat, setzt im Hinblick auf §§ 14, 15 SGB I ein Beratungsbegehren oder zumindest ein konkreter Anlass zur Beratung voraus. Es muss ein entsprechender Informationsbedarf des Versicherten für den zuständigen Versicherungsträger oder eine andere auskunftspflichtige Stelle offen zu Tage treten (BSG, Urteil vom 30. Juli 1997 – 5 RJ 64/95, Rdnr. 21, zitiert nach juris, m. w. N.). Der Versicherungsträger muss bei konkretem Anlass den Versicherten auf solche Gestaltungsmöglichkeiten hinweisen, die klar zutage getreten, also für den Versicherungsträger erkennbar geworden sind und zweckmäßigerweise von jedem vernünftigen Versicherten genutzt werden (BSG, Urteil vom 25. April 1978 – 5 RJ 18/77, Rdnr. 15, zitiert nach juris, abgedruckt in SozR 2200 § 1290 Nr. 11 = BSGE 46, 124; BSG, Urteil vom 22. November 1988 – 5/4a RJ 79/87, Rdnr. 16, zitiert nach juris, abgedruckt in SozR 5750 Art 2 § 6 Nr. 4; BSG, Urteil vom 09. Dezember 1997 – 8 RKn 1/97, Rdnr. 17, zitiert nach juris, abgedruckt in SozR 3-2600 § 115 Nr. 2 = BSGE 81, 251). Der Versicherungsträger ist jedoch nicht verpflichtet, Hinweise für künftiges versicherungsrechtlich relevantes Verhalten zu geben (BSG, Urteil vom 19. August 1976 – 11 RA 142/75, Rdnr. 15, zitiert nach juris).

Es liegt seitens der Beklagten schon kein Beratungsmangel vor.

Die Klägerin hat nach ihrem Vorbringen bei Aufnahme ihrer Beschäftigung als Verkäuferin im November 1993 kein Beratungsbegehren an die Beklagte herangetragen. Ein konkreter Anlass zur Beratung seitens der Beklagten ist gleichfalls nicht ersichtlich, denn bei ihr war in den Jahren 1993 und 1994 kein Verwaltungsverfahren anhängig, das zum Anlass hätte genommen werden können, die Klägerin auf eine entsprechende Erklärung über die Beendigung der Befreiung von der Versicherungspflicht hinzuweisen. Da der Beklagten 1993 und 1994 eine Absicht der Klägerin, die Befreiung von der Versicherungspflicht zu beenden, nicht bekannt war, musste sie die Klägerin über eine solche Möglichkeit auch nicht informieren.

Es hat auch 1991 kein Anlass bestanden, die Klägerin darauf hinzuweisen, dass sie bis zum 31. Dezember 1994 durch eine Erklärung die Befreiung von der Versicherungspflicht beenden kann.

Ob ein Anlass zur Beratung besteht, ist in der jeweiligen konkreten Situation unter Berücksichtigung der zu diesem Zeitpunkt bekannten Umstände zu beurteilen. Umstände, die möglicherweise erst zukünftig bedeutsam sein können, müssen außer Betracht bleiben, denn solche Umstände sind in der jeweiligen konkreten Situation ungewiss und können daher für den Versicherungsträger nicht klar zutage treten, insbesondere wenn sie durch ein (erst künftiges) Verhalten des Versicherten selbst oder durch andere (künftig eintretenden) äußere Faktoren bestimmt werden. Dementsprechend hat das BSG eine Verpflichtung des Versicherungsträgers, Hinweise für künftiges versicherungsrechtlich relevantes Verhalten zu geben, abgelehnt. Die Beratung dient nämlich dazu, dem Versicherten die in der jeweiligen konkreten Situation gerade zweckmäßige Gestaltungsmöglichkeit aufzuzeigen, damit er sie in dieser konkreten Situation durch ein zu diesem Zeitpunkt erforderliches Handeln nutzt.

Ausgehend davon ist die Beklagte nicht verpflichtet gewesen, im Hinblick auf ein künftiges Verhalten der Klägerin im Hinblick auf ihre selbständige Erwerbstätigkeit und die Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung, über einen dann erst rechtlich erheblich werdenden Umstand, die Stellung eines Befreiungsantrages, zu beraten. Mit ihrem Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht brachte die Klägerin zum Ausdruck, dass sie dem System der gesetzlichen Rentenversicherung nicht weiter angehören wollte. Durch den Abschluss einer anderen gleichwertigen Versicherung bei der D AG als Voraussetzung für eine Befreiung von der Versicherungspflicht war die Klägerin gegen die Risiken, für die die gesetzliche Rentenversicherung Schutz gewährt, hinreichend abgesichert. Die Möglichkeit, weiter in der gesetzlichen Rentenversicherung zu bleiben (oder in diese zurückzukehren), stellte zu diesem Zeitpunkt keine Option der Klägerin dar, über die die Beklagte hätte aufklären müssen. Eine Aufklärung hätte nämlich auf das Gegenteil dessen gerichtet sein müssen, was die Klägerin seinerzeit begehrte. Es stellt mithin der Hinweis, im System der gesetzlichen Rentenversicherung verbleiben oder in dieses zurückzukehren zu können, anlässlich der Befassung der Beklagten mit dem Begehren der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht gerade keine Gestaltungsmöglichkeit dar, die klar zu Tage trat und für die Beklagte erkennbar geworden war und die zweckmäßigerweise von jedem vernünftigen Versicherten, also insbesondere der Klägerin, genutzt worden wäre.

Bei dieser Sachlage kommt mangels einer bis zum 31. Dezember 1994 abgegebenen (oder fingierten) Erklärung der Klägerin über die Befreiung von der Versicherungspflicht die Aufhebung des Bescheides vom 19. November 1991 zum 1. November 1993 (oder bis zum 31. Dezember 1994) nicht in Betracht.

Kann der Bescheid vom 19. November 1991 zum 01. November 1994 (bzw. bis zum 31. Dezember 1994) daher nicht aufgehoben werden, ist die Klägerin weiterhin versicherungsfrei, so dass folgerichtig die gezahlten Pflichtbeiträge für die Zeit von November 1993 bis Mai 2000 wie mit Bescheid vom 04. Oktober 2001 geschehen, zu beanstanden waren. Daher hat weder die Beklagte aus fadenscheinigen Gründen gekündigt, noch ist die nicht ausreichende Rentenversicherung Folge einer Maßnahme des Rentenversicherungsträgers, sondern rührt daher, dass die Klägerin den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht stellte.

Die Berufung muss daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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