L 31 AS 1671/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
31
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 18 AS 648/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 AS 1671/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 23. April 2015 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Beru-fungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Beklagte wendet sich gegen die Verurteilung zur weiteren Erstattung von Kosten aus insgesamt acht isolierten Vorverfahren.

Die Kläger bilden eine vierköpfige Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Die Klägerin zu 3) ist am 2001 geboren, die Klägerin zu 4) am 2007. Unter dem 12. Januar 2012 erließ der Beklagte gegenüber jedem Bedarfsgemeinschaftsmitglied einen gesonderten endgültigen Leistungsfestsetzsetzungsbescheid für den Zeitraum Juli bis Dezember 2010 und verfügte jeweils eine Erstattungsforderung. Gleichzeitig ordnete er in jedem dieser Bescheide die sofortige Vollziehung gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an. Ebenfalls mit vier Bescheiden gegenüber jedem der Bedarfsgemeinschaftsmitglieder setzte der Beklagte unter dem 13. Januar 2012 die monatlichen Leistungen für den Zeitraum Januar bis Juni 2011 endgültig fest und verfügte jeweils entsprechende Erstattungsbeträge. Auch hier ordnete er jeweils die sofortige Vollziehung der Bescheide an. Den endgültigen Festsetzungen lag die Überprüfung der Einkommensverhältnisse des Klägers zu 1) zugrunde. Die Prozessbevollmächtigte der Kläger legte jeweils ge-sondert insgesamt acht Widersprüche gegen diese Entscheidungen ein. Hierzu reichte sie im Verwaltungsverfahren eine für alle vier Bedarfsgemeinschaftsmitglieder ausgestellte, auf die endgültigen Bewilligungsbescheide bezogene Vollmacht ein. Zeitgleich mit den Widersprüchen stellte sie den Antrag auf Aufhebung der sofortigen Vollziehung der Bescheide.

Unter dem 13. Februar 2012, zur Post gegeben am 15. Februar 2012, erließ der Beklagte gegenüber jedem Bedarfsgemeinschaftsmitglied einen Bescheid über die Auf-rechnung nach § 43 SGB II, mit dem die jeweils in den endgültigen Leistungsfestsetzungen festgestellten Erstattungsbeträge für den Zeitraum Januar 2011 bis Juni 2011 ab 1. März 2012 bis 31. Mai 2012 monatlich in Höhe von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs aufgerechnet wurden. Mit Bescheiden vom 15. Februar 2012, zur Post gegeben ebenfalls an diesem Tag, erließ der Beklagte gegenüber jedem Bedarfsgemeinschaftsmitglied einen Bescheid über die Aufrechnung nach § 43 SGB II bezüglich der sich aus den endgültigen Leistungsfestsetzungsbescheiden für den Zeitraum Juli 2010 bis Dezember 2010 ergebenden Erstattungsbeträgen, mit denen jeweils für den Zeitraum Juni 2012 bis Dezember 2012 eine monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs erklärt wurde. In sämtlichen Aufrechnungsbescheiden ordnete der Beklagte wiederum die sofortige Vollziehung an.

Mit Bescheid vom 21. Februar 2012 setzte der Beklagte die sofortige Vollziehung sowohl hinsichtlich der Festsetzungs-/Erstattungsbescheide als auch hinsichtlich der Aufrechnungsbescheide aus.

Die Prozessbevollmächtigte der Kläger legte gegen jeden Aufrechnungsbescheid gesondert Widerspruch ein. Dabei verwies sie in jedem Fall auf den gegen die Rückzahlungsverpflichtung eingelegten Widerspruch sowie auf die Aussetzungsentscheidung hinsichtlich der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Bescheide. Weiter überreichte sie jeweils eine Kopie des Widerspruchs gegen die entsprechenden Erstattungsverfügungen.

Mit acht Widerspruchsbescheiden, alle vom 4. Juni 2012, hob der Beklagte die jeweils angegriffene Aufrechnungsentscheidung auf und traf eine positive Kostengrundentscheidung.

Anschließend überreichte die Prozessbevollmächtigte der Kläger jeweils acht Kostennoten vom 18. Juni 2012, in denen sie pro Verfahren eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG in Höhe von 520,00 Euro sowie eine Pauschale für Post und Tele-kommunikationsdienstleistungen in Höhe von 20,00 Euro, zuzüglich der Umsatzsteuer in Höhe von 19 %, damit insgesamt 642,60 Euro geltend machte.

Mit zwei Kostenfestsetzungsbescheiden vom 18. Oktober 2012 setzte der Beklagte den zu erstattenden Betrag für die Kosten der Widerspruchsverfahren auf jeweils 295,12 Euro fest. Dabei fasste er zum einen die Aufrechnungen mit den Erstattungsforderungen den Bewilligungszeitraum Januar bis Juni 2011 betreffend zusammen sowie die Widerspruchsentscheidungen hinsichtlich der Aufrechnung mit den Erstattungsforderungen für den Bewilligungszeitraum Juli bis Dezember 2010. Seiner Berechnung legte der Beklagte eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2401 VV RVG in Höhe von 120,00 Euro, eine Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG für drei weitere Personen in Höhe von 108,00 Euro und die Postpauschale in Höhe von 20,00 Euro zzgl. 19 % Mehrwertsteuer zugrunde. Zur Begründung führte er an, die Prozessbevollmächtigte der Kläger sei bereits im Verwaltungsverfahren tätig gewesen. Er verwies dabei auf die gegen die Leistungsfestsetzungs- und Erstattungsbescheide er-hobenen Widersprüche sowie auf den Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung. Weiter verwies er darauf, dass bei wirtschaftlicher Prozessführung lediglich ein gemeinsamer Widerspruch zu erheben gewesen sei.

Die gegen die jeweiligen Kostenfestsetzungsbescheide eingelegten Widersprüche der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2013 als unbegründet zurück.

Im anschließenden Klageverfahren verurteilte das Sozialgericht Neuruppin den Beklagten mit Urteil vom 23. April 2015 unter Abänderung der Kostenfestsetzungsbescheide vom 18. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2013 dazu, den Klägern für ihre Aufwendungen hinsichtlich der Widerspruchsverfahren gegen die Bescheide vom 13. Februar 2012 und 15. Februar 2012 einen weiteren Betrag in Höhe von insgesamt 523,60 Euro zu erstatten, wies die Klage im Übrigen ab und ließ die Berufung zu. Dabei ging das Gericht von acht gebührenrechtlichen Angelegenheiten aus und davon, dass Rechtsgrundlage der Ge-schäftsgebühren Nr. 2400 VV RVG sei. Bei der Berechnung der Gebührenhöhe teilte das Gericht die Widerspruchsverfahren in zwei Gruppen, nämlich diejenigen Widersprüche gegen die Aufrechnungsbescheide vom 13. Februar 2012 und diejenigen Widersprüche gegen die Aufrechnungsbescheide vom 15. Februar 2012. In diesem Rahmen bestimmte es jeweils ein "Leitverfahren", für das eine Geschäftsgebühr von 160,00 Euro aufgrund von unterdurchschnittlichem Umfang und Schwierigkeit der Angelegenheit anzusetzen sei. Weiter führte es aus, für die jeweils drei "Folgeverfahren" sei eine Geschäftsgebühr von 80,00 Euro anzusetzen, da der Umfang und die Schwierigkeit dieser Angelegenheiten als sehr unterdurchschnittlich anzusehen seien. Hieraus errechnete das Gericht insgesamt einen Gebührenanspruch in Höhe von 1 113,84 Euro, so dass abzüglich der bereits durch den Beklagten gewährten 590,24 Euro (2 x 295,12 Euro) sich ein noch auszuurteilender Betrag in Höhe von 523,60 Euro errechnete.

Gegen das dem Beklagten am 8. Juni 2015 zugestellte Urteil hat dieser am 1. Juli 2015 Berufung bei dem Sozialgericht Neuruppin eingelegt.

Er macht geltend, dass die acht gegen die Aufrechnungsbescheide angestrengten Widerspruchsverfahren gebührenrechtlich nur eine Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG seien. Die Prozessbevollmächtigte der Kläger sei bereits im Ver-waltungsverfahren hinsichtlich der Bewilligungszeiträume Juli 2010 bis Dezember 2010 und Januar 2011 bis Juni 2011 tätig gewesen, so dass lediglich die Mittelgebühr nach Nr. 2401 VV RVG anzusetzen sei. Dem weitergehenden Aufwand für die sieben Widerspruchsverfahren sei durch einen Zuschlag von 10 % der Ge-schäftsgebühr je weiterem Verfahren Rechnung zu tragen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 23. April 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie denjenigen der Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die - soweit maßgeblich - Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie wurde im Tenor und den Entscheidungsgründen des Urteils des Sozialgerichts Neuruppin vom 23. April 2015 ausdrücklich zugelassen. Hieran ist das LSG gemäß § 144 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gebunden.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Das Sozialgericht Neuruppin hat den Beklagten im Ergebnis zu Recht verurteilt, den Klägern für die Widerspruchsverfahren gegen die Bescheide vom 13. Februar und vom 15. Februar 2012 einen weiteren Kostenbetrag zu erstatten. Im Ergebnis der Überprüfung durch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ergibt sich diesbe-züglich kein geringerer Betrag, so dass es nach den Grundsätzen des Verbots der Reformatio in Peius bei dem ausgeurteilten Betrag verbleibt (vgl. Leitherer in Meyer-Ladwig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, 2014, § 143 Rn. 5 a).

Gegenstand der dem Rechtsstreit zugrunde liegenden zulässigen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (vgl. § 54 Abs. 1, 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist allein die Entscheidung des Beklagten darüber, in welcher Höhe die zu erstattenden Aufwendungen festzusetzen sind (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X -). Der Beklagte hat in seinen acht Widerspruchsbescheiden vom 4. Juni 2012 bindend entschieden, dass den Klägern die Kosten des Vorverfahrens dem Grunde nach erstattet werden (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 SGB X). Zwar fehlt die ausdrückliche Zuziehungsentscheidung im Sinne von § 63 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 SGB X. Vorliegend ist jedoch durch Auslegung von einer solchen positiven Zuziehungsentscheidung auszugehen, denn davon ist der Beklagte selbst im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren stillschweigend ausgegangen.

Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X erstattet der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen. Ausgangspunkt der Festsetzung sind nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB X regelmäßig die Gebühren und Auslagen, die ein Rechtsanwalt seinem Mandanten in Rechnung stellt (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 B 4 AS 21/09 R -, Rn. 15, juris). Diese Vergütung bemisst sich nach dem Rechtsan-waltsvergütungsgesetz (RVG), vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 RVG, sowie dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG (§ 2 Abs. 2 Satz 1 RVG). Nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen und unbillig ist. Dies ist hier in einem über die bereits im angegriffenen Urteil des Sozialgerichts Neuruppin ausgesprochene Abweisung der Klage hinausgehenden Umfang nicht der Fall.

Dabei geht der Senat - wie auch ursprünglich der Beklagte - zunächst davon aus, dass es sich bei den Widersprüchen gegen die Aufrechnungsentscheidungen zum einen bezüglich der Aufrechnungsentscheidungen, denen die Erstattungsbescheide für den Zeitraum Juli bis Dezember 2010 und zum anderen hinsichtlich der Aufrechnungsentscheidungen, denen die Erstattungsbescheide für den Zeitraum Januar bis Juni 2011 zugrunde liegen, um jeweils "dieselbe Angelegenheit" im Sinne des RVG handelt.

Ein Rechtsanwalt, der in derselben Angelegenheit für mehrere Auftraggeber tätig wird, erhält die Gebühr nach § 7 Abs. 1 RVG nur einmal. Er kann sie nach § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG in der hier anwendbaren Fassung des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz vom 22. Dezember 2006 (BGBl. I 3416) "in derselben Angelegenheit" nur einmal fordern. Zu dem Begriff derselben Angelegenheit im gebühren-rechtlichen Sinn führt das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 2. April 2014 (B 4 AS 27/13 R, Rn 15 und 16, juris) zutreffend wie folgt aus:

(15 b) Wann dieselbe Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne vorliegt, ist im RVG nicht abschließend geregelt (vgl BSG Urteil vom 17.10.2007 - B 6 KA 4/07 R - SozR 4-1935 § 17 Nr 1 Rd-Nr 16). Die anwaltlichen Tätigkeitskataloge des § 16 RVG ("dieselbe Angelegenheit") und des § 17 RVG ("verschiedene Angelegenheiten") benennen nur Regelbeispiele. Der Gesetzgeber hat die abschließende Klärung des Begriffs "derselben Angelegenheit" i.S. des § 7 Abs. 1 RVG sowie des § 15 Abs. 2 S 1 RVG der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassen (BSG Urteil vom 17.10.2007 - B 6 KA 4/07 R - SozR 4-1935 § 17 Nr. 1 m.w.N.). Es handelt sich um einen gebührenrechtlichen Begriff, der sich mit dem prozessrechtlichen Begriff des (Verfahrens-)Gegenstandes decken kann, aber nicht muss. Während die Angelegenheit den für den Einzelfall definierten Rahmen der konkreten Interessenvertretung bezeichnet, umschreibt der Begriff des Gegenstandes inhaltlich die Rechtsposition, für deren Wahrnehmung die Angelegenheit den äußeren Rahmen abgibt (Schnapp/Volpert in Schneider/Wolff, AnwK RVG, 6. Aufl. 2012, RdNr. 21 f). Daher kommt es zur Bestimmung, ob dieselbe Angelegenheit vorliegt, auf die Umstände des konkreten Einzelfalls sowie auf den Inhalt des erteilten Auftrags an. Von derselben Angelegenheit i.S. des § 15 Abs. 2 S 1 RVG a.F. (bzw. nunmehr § 15 Abs. 2 RVG) ist in der Regel auszugehen, wenn zwischen den weisungsgemäß erbrachten anwaltlichen Leistungen, also den verschiedenen Gegenständen, ein innerer Zusammenhang gegeben ist, also ein einheitlicher Auftrag und ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit vorliegt (vgl. BGH Urteil vom 21.6.2011 - VI ZR 73/10 - NJW 2011, 3167 m.w.N.). Für ein Tätigwerden "in derselben Angelegenheit" (§ 7 Abs. 1 RVG) kann es im gerichtlichen Verfahren regelmäßig schon genügen, dass die Begehren mehrerer Auftraggeber einheitlich in demselben Verfahren geltend gemacht werden und zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht (vgl. BVerfG Beschluss vom 4.12.2013 - 1 BvQ 33/11; BVerfG Beschluss vom 15.7.1997 - 1 BvR 1174/90 - BVerfGE 96, 251).

(16) Vor diesem Hintergrund sind die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG davon ausgegangen, dass es sich auch bei Individualansprüchen nach dem SGB II grundsätzlich um dieselbe Angelegenheit i.S. des § 15 Abs. 2 S 1 RVG a.F. bzw. § 15 Abs. 2 RVG handeln kann, wobei die Konstellation einer Bedarfsgemeinschaft dann eine Er-höhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG auslöst (vgl. BSG Urteil vom 21.12.2009 - B 14 AS 83/08 R - SozR 4-1300 § 63 Nr. 11 RdNr. 20 ff; BSG Urteil vom 27.9.2011 - B 4 AS 155/10 R - SozR 4-1935 § 7 Nr. 1 Rd.-Nr. 22 m.w.N.). Grundsätzlich können daher auch im SGB II mehrere Aufträge verschiedener Auftraggeber "dieselbe Angelegenheit" sein. Gleiches gilt unter Berücksichtigung der maßgebenden Umstände des Einzelfalls grundsätzlich auch, wenn die Angelegenheit verschiedene Gegenstände und teilweise ge-trennte Prüfaufgaben betrifft (BGH Urteil vom 21.6.2011 - VI ZR 73/10 - NJW 2011, 3167).

Gemessen an diesen Voraussetzungen sind zwar - entgegen der im Berufungsverfahren vertretenen Auffassung des Beklagten - die Aufrechnungsentscheidungen, soweit ihnen unterschiedliche Leistungszeiträume zugrunde liegen - was der Beklagte auch in die Aufrechnungsentscheidungen durch unterschiedliche Zeiten, für die die jeweiligen Aufrechnungen gelten sollen, übertragen hat - in diesem Sinne unterschiedliche Angelegenheiten. Innerhalb der jeweiligen Zeitabschnitte handelt es sich jedoch um dieselben Angelegenheiten. Zum einen liegt ein einheitlicher Auftrag vor, es handelt sich um eine Bedarfsgemeinschaft, die das einheitliche Ziel, von aus den jeweiligen Zeiträumen folgenden Erstattungsforderungen verschont zu bleiben, verfolgt. Diese Zielsetzung beruht auch auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt. Innerhalb der jeweiligen betroffenen Zeitabschnitte wäre überdies eine verfahrens-rechtliche Zusammenfassung der Widerspruchsverfahren grundsätzlich möglich gewesen. Die getrennte Bescheidung durch den Beklagten hindert dies nicht (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 2. April 2014, a. a. O., Rn. 17). Dass die Prozessbevollmächtigte der Kläger im Rahmen der Prüfung der Aufrechnungsentscheidungen ggf. hinsichtlich der Auftraggeber - insbesondere soweit es sich dabei um minderjährige Kinder handelte - gesonderte Prüfungsaufgaben gehabt hätte, sprengt ebenfalls nicht den einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. Mai 2009, Rn. 25, zitiert nach juris). Im Übrigen war im konkreten Fall der einzige Angriffspunkt das Bestreiten der jeweils zur Aufrechnung gestellten Forderungen, denen wiederum in den jeweiligen benannten Zeitabschnitten ein einheitlicher Le-benssachverhalt, nämlich die Berücksichtigung des Einkommens des Klägers zu 1), zugrunde lag. Soweit sich die Prozessbevollmächtigte der Kläger - wie hier - dazu entschieden hat, die jeweiligen Bescheide des Beklagten mit jeweils getrennten Wi-dersprüchen anzugreifen, bleibt ihr dies unbenommen, führt jedoch nicht automatisch zu mehreren Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne.

Soweit demnach von denselben Angelegenheiten im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG auszugehen ist, ist die von dem Beklagten mit den angefochtenen Kostenfestsetzungsbescheiden vom 18. Oktober 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2013 vorgenommene Kostenfestsetzung für die die Aufrechnungs-entscheidungen betreffenden Widerspruchsverfahren weiter unter allen in Betracht kommenden Gebührentatbeständen des Vergütungsverzeichnisses zu prüfen, ohne dass eine Bindung an die geltend gemachten oder von dem Beklagten angenommenen Gebührentatbestände besteht (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2014, a.a.O., Rn. 18).

§ 3 Abs. 1 RVG bestimmt, dass in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das GKG nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren entstehen. Dies gilt nach § 3 Abs. 2 RVG entsprechend für eine Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens. Nach § 14 Abs. 1 RVG bestimmt bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Gemäß Nr. 2400 VV RVG i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (KostRMoG) vom 5.5.2004 (BGBl I 718) umfasst die Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten dabei einen Betragsrahmen von 40 Euro bis 520 Euro. Eine Gebühr von mehr als 240 Euro kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (sog Schwellengebühr). Innerhalb dieses Gebührenrahmens bewegt sich das Bestimmungsrecht des Rechtsanwalts.

Gemäß Nr. 2401 VV RVG in der Fassung des genannten Gesetzes beträgt die Gebühr nach Nr. 2400 dann, wenn eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, 40,00 bis 260,00 Euro.

Vorliegend ist zunächst von dem Gebührenrahmen der Nr. 2400 VV RVG auszugehen.

Nach der gesetzlichen Definition in § 8 SGB X ist das Verwaltungsverfahren im Sinne dieses Gesetzbuchs die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist. Um dasselbe Verwaltungsverfahren handelt es sich dann, wenn die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtete, nach außen wirkenden Tätigkeit der Behörde auf einem identischen Verfahrensgegenstand beruht. Der Verfahrensgegenstand eines auf Erlass eines Verwaltungsakts gerichteten Verwaltungsverfahrens wird vom Regelungswillen der Behörde und dem Begehren des Antragstellers bestimmt (vgl. BSG, Urteil vom 25. Februar 2010 - B 11 AL 24/08 R, Rn. 21, juris).

Die gemäß § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II schriftlich durch Verwaltungsakt gegenüber der leistungsberechtigten Person zu erklärende Aufrechnung stellt ein gegenüber den endgültigen Leistungsfestsetzungs-/Erstattungsverfahren des Beklagten eigenständiges Verwaltungsverfahren in diesem Sinne dar. Die Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Kläger im Rahmen der gegen die endgültige Leistungsfestsetzung eingelegen Widersprüche kann deshalb ebenso wenig zur Gebührenanrechnung im Sinne der Nr. 2401 VV RVG führen wie der Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung, bei der es sich um einen Annex zu den jeweiligen Entscheidungen handelt (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, 2014, § 86 a Rn. 17 a).

Die ursprünglich durch die Prozessbevollmächtigte der Kläger vorgenommene Gebührenbestimmung nach dem Höchstsatz des in Nr. 2400 VV RVG bestimmten Betragsrahmens war unbillig. Im Rahmen der Nr. 2400 VV RVG sieht der Senat es vorliegend vielmehr als billig an, eine Gebühr in Höhe von 240,00 Euro (der sogenannten Schwellengebühr) anzusetzen. Insoweit stimmt der Senat dem Beklagten zu, dass es sich bei den Wider-spruchsverfahren betreffend die Aufrechnungsentscheidungen um Durchschnittsfälle handelt (vgl. zu den entsprechenden Kriterien: BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, a.a.O., Rn. 22 f., juris). Dabei erhöht sich die Geschäfts- oder Verfahrensgebühr bei Betragsrahmengebühren nach Nr. 1008 VV RVG in der zuvor genannten Fassung des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes um 30 % für jede weitere Person, wenn Auftraggeber in derselben Angelegenheit mehrere Personen sind. Vorliegend hatte deswegen eine Erhöhung um 216,00 Euro (72 x 3) zu erfolgen. Zuzüglich der Postpauschale in Höhe von 20,00 Euro und 19 % Mehrwertsteuer ergibt sich danach ein Erstattungsbetrag in Höhe von 566,44 Euro, der jeweils für die als gesonderte Angelegenheiten zu berücksichtigenden Aufrechnungsverfahren hinsichtlich der beiden unterschiedlichen Zeiträume zu erstatten wäre, also insgesamt 1 132,88 Euro. Abzüglich der bereits festgesetzten 590,24 Euro (295,12 Euro x 2) ergäbe sich danach ein noch zu erstattender Betrag in Höhe von 542,64 Euro zugunsten der Kläger.

Da vorliegend jedoch der Beklagte Berufung eingelegt hat, war das Gericht gehindert, das einen Betrag in Höhe von 523,60 Euro zusprechende Urteil des Sozialgerichts Neuruppin insoweit zu Lasten des Beklagten zu ändern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür nicht vorliegt (§ 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved