L 16 R 356/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 34 R 78/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 356/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 4. April 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu er-statten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist im Zugunstenverfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungs-verfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), ob der Kläger einen Anspruch auf Fest-stellung der Zeit eines Hochschulstudiums vom 1. September 1976 bis 25. Juli 1980 als Zeit der Zugehörigkeit zur freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für hauptamt-liche Mitarbeiter des Staatsapparates (FZASt; Zusatzversorgungssystem nach Anla-ge 1 Nr 19 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG –) sowie der während dieser Zeit erzielten Einkünfte aus einem Stipendium als Arbeitsentgelte hat.

Der 1948 geborene Kläger war in der früheren DDR ab 15. Februar 1971 beim Volkseigenen Betrieb (VEB) Z als Schlosser beschäftigt. Zum 8. April 1975 wurde er an den Rat des Kreises F als Nachwuchskader delegiert. MWv 1. September 1976 bis 25. Juli 1980 erfolgte von dort die Delegierung zum Studium an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften der DDR in P; während der Studienzeit erhielt der Kläger von der Akademie ein Stipendium einschließlich Kinderzuschlag iHv 888,50 Mark der DDR monatlich. Pauschalbeiträge zur Studentenversicherung wurden ab-geführt.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 10. April 2003 Zugehörigkeitszeiten des Klä-gers zur FZASt nebst den insoweit erzielten Entgelten für die Zeiträume vom 8. April 1975 bis 31. August 1976 und vom 1. September 1980 bis 31. Dezember 1982 fest. Den Überprüfungsantrag des Klägers vom Juli 2013, mit dem dieser die Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zur FZASt auch für die Studienzeit geltend machte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. August 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 28. Januar 2014 mit der Begründung ab, dass während des Studiums keine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt worden sei.

Die Klage ist erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts - SG – Frank-furt (Oder) vom 4. April 2016). Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausge-führt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zur FZASt im streitigen Zeitraum nach § 5 AAUG. Im streitbefangenen Zeitraum sei der Kläger keiner entgeltlichen Beschäftigung nachgegangen. Bei der Hochschulstudienzeit habe es sich nicht um eine Pflichtbeitragszeit iSv § 5 AAÜG bzw 248 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) gehandelt.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Auf die Schriftsätze vom 1. Mai 2016, 18. Juni 2016 und 25. Juli 2016 wird Bezug genommen.

Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 4. April 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. August 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 10. April 2003 zu ändern und die Zeit vom 1. September 1976 bis 25. Juli 1980 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatz-versorgungssystem Nr. 19 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz mit den entsprechenden Entgelten festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die vorbereitenden Schrifts-ätze der Beteiligten nebst Anlagen verwiesen.

Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erteilt (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch gemäß § 44 SGB X auf Änderung des Feststellungsbescheides vom 10. April 2003 unter Vormerkung weiterer Zugehörigkeitszeiten zum Zusatzver-sorgungssystem Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG nebst der insoweit erzielten tatsächlichen Entgelte in der Zeit vom 1. September 1976 bis 25. Juli 1980 gemäß § 5 AAÜG.

Anspruchsgrundlage für die im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X begehrte Fest-stellung der Beklagten ist § 8 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Nr. 1 AAÜG. Nach § 8 Abs. 3 Satz 1 AAÜG hat die Beklagte als Versorgungsträger für die Zusatzversor-gungssysteme der Anlage 1 bis 27 (§ 8 Abs. 4Nr. 1 AAÜG) dem Berechtigten durch Bescheid den Inhalt der Mitteilung nach § 8 Abs. 2 AAÜG bekannt zu geben. Diese Mitteilung hat folgende Daten zu enthalten (vgl BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 7 S 38 f: Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem, das hieraus tatsäch-lich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen, die Arbeitsausfalltage sowie - jedenfalls bis zum Inkrafttreten des 2. AAÜG-ÄndG am 3. August 2001 (vgl hierzu BSG, Urteil vom 14. Dezember 2011 - B 5 R 2/10 R - SozR 4-8570 § 7 Nr 3 Rn 26 f - alle Tatumstände, die erforderlich sind, um eine besondere Beitragsbemessungs-grenze anzuwenden (§§ 6, 7 AAÜG).

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die auf Grund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen (Ver-sorgungssysteme) im Beitrittsgebiet erworben worden sind und beim Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. August 1991 bestanden. Ob im streitbefangenen Zeitraum eine Zugehörigkeit zur FZASt bestand, ist nicht feststellbar. Der Kläger hat eine ent-sprechende Beitragsnachweiskarte nicht vorlegen können. Auch eine Versorgungs-zusage oder Einzelentscheidung ist nicht ersichtlich. Der Bescheid vom 10. April 2003 enthält auch keine positive Statusentscheidung zur Anwendbarkeit des AAÜG.

Maßstabsnorm für die begehrte Feststellung kann nur § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG sein. Danach gelten als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung Zeiten der Zugehö-rigkeit zu einem Versorgungssystem, in denen eine - entgeltliche - Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist. Fehlt es - wie vorliegend - an einer Versorgungs-zusage mit deklaratorischer oder konstitutiver Wirkung, die bundesrechtlich nach Art. 19 Einigungsvertrag auch nach dem Beitritt der DDR wirksam geblieben ist, darf nicht etwa allein deshalb davon ausgegangen werden, dass eine "Zeit der Zugehörigkeit" iSv § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG nicht vorgelegen habe. Wie das Bundessozialgericht (BSG) in stRspr bereits entschieden hat, ist hierfür eine erteilte Versorgungszusage zwar im Einzelfall hinreichend, keineswegs aber stets notwendig. Der Norm selbst lässt sich das Erfordernis eines entsprechenden Tatbestandsmerkmals nicht entnehmen. Würde die formelle Einbeziehung dennoch zwingend gefordert, könnte es auf diese Weise etwa dazu kommen, dass der willkürlich verzögerten Erteilung der Versorgungszusage nachträglich bundesrechtlich normative Bedeutung zukäme (vgl etwa BSG, Urteil vom 24. März 1998 - B 4 RA 27/97 R = SozR 3-8570 § 5 Nr 3).

In derartigen Fällen ist daher allein entscheidend, ob eine konkret in Frage stehende – entgeltliche – Beschäftigung oder Tätigkeit nach den Texten der in den Anlagen 1 und 2 zum AAÜG aufgelisteten Versorgungsordnungen, an die § 5 Abs. 1 AAÜG als relevante Fakten anknüpft, zu denjenigen gehört, derentwegen ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung vorgesehen war (vgl BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 - B 4 RA 40/02 R = SozR 4-8570 § 5 Nr 1; BSG, Urteil vom 19. Juli 2011 – B 5 RS 7/09 R – juris). Hiernach bestimmt sich beim Fehlen einer Versorgungszusage ohne das Erfordernis einer getrennten Prüfung einheitlich und gleichzeitig, ob bundesrechtlich von einer Zeit der Zugehörigkeit zum jeweiligen Versorgungssystem auszugehen ist und eine in dieser Zeit ausgeübte Erwerbstätigkeit diesem System zuzuordnen ist.

So wenig wie auf die durch eine konstitutive Zusage begründete formale Mitglied-schaft oder die förmlich festgestellte "Zugehörigkeit" kommt es für die Frage, ob eine Beschäftigung oder Tätigkeit in einem Versorgungssystem zurückgelegt worden ist, auf sonstige Umstände neben der Art der ausgeübten Erwerbstätigkeit an. Für die hiernach vorzunehmende Zuordnung von Beschäftigungszeiten zu einem bestimm-ten Versorgungssystem kommt es daher weder auf die frühere Auslegung der Ver-sorgungsordnungen durch die Staatsorgane der DDR oder auf deren Verwaltungs-praxis an, noch haben die Beklagte und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit die früheren "Ansprüche und Anwartschaften" unter Anwendung des DDR-Rechts (hier Versorgungsrechts) zu prüfen. Zugehörigkeitszeiten iS des § 5 AAÜG liegen immer - nur - dann vor, wenn konkret eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt worden ist, derentwegen ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in einem System vor-gesehen war, das in der Anlage 1 und 2 des AAÜG aufgelistet worden ist. Für die FZASt gelten insofern keine Besonderheiten (vgl BSG, Urteil vom 19. Juli 2011 – B 5 RS 7/09 R – Rn 17). Daher ist auch vorliegend allein die tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung oder Tätigkeit maßgebend, die ihrer Art nach in den sachlichen Gel-tungsbereich der FZASt fällt. Insbesondere ist daher auch unerheblich, ob ein Beitritt zur FZASt tatsächlich erklärt und Beiträge zum System der FZASt tatsächlich entrichtet worden waren (vgl BSG aaO Rn 17).

Der Kläger hat im streitigen Zeitraum eine der FZASt unterfallende - entgeltliche - Erwerbstätigkeit nicht ausgeübt, sondern hat ein Hochschulstudium absolviert. Wäh-rend der Studienzeit erhielt er kein Arbeitsentgelt, sondern ein staatliches Stipendium zur Sicherung seines Lebensunterhalts während des Studiums. Eine Arbeitsleistung für oder eine Weiterzahlung des Gehalts durch den Rat des Kreises F sind nicht er-folgt und werden vom Kläger, der selbst vorbringt, das Studium habe der Wissensa-neignung gedient, auch nicht behauptet. Der Kläger war zwar versicherungspflichtig in der pauschalen Studentenversicherung der DDR; das Stipendium als solches un-terlag indes nicht der Beitragspflicht in der Sozialversicherung. Einer Vormerkung als Beitragszeit steht zudem § 248 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB VI entgegen.

§ 248 Abs. 3 Satz 2 SGB VI bestimmt, dass Beitragszeiten im Beitrittsgebiet ua nicht Zeiten der Hochschulausbildung sind. Unter "Hochschulausbildung" iS dieser Vor-schrift ist jeder (in der früheren DDR als beitragspflichtige Versicherungszeit aner-kannte) Erwerbstatbestand im Bereich einer Hochschule der früheren DDR zu ver-stehen, soweit er dadurch geprägt ist, dass es sich um Ausbildung an der Hochschu-le für einen Beruf gehandelt hat. Mit dieser Regelung sollte ab Einführung des ein-heitlichen Rentenrechts in Deutschland (1. Januar 1992) eine ungerechtfertigte Be-nachteiligung der Beitragszahler gegenüber den Rentenbeziehern vermieden wer-den. Das SGB VI wie zuvor das Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) anerkennt Zeiten der Hochschulausbildung schlechthin nicht als Erwerbstatbestand für Bei-tragszeiten. Somit liegt auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) nicht vor. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Ausbildung in ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis integriert war oder wenn neben der Ausbil-dung eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt oder ein anderer eine Beitragszeit begründender Tatbestand erfüllt war (vgl zum Ganzen BSG, Urteil vom 25. März 1997 – 4 RA 48/96 – juris). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier ersichtlich nicht vor, weil der Kläger während des Studiums kein Arbeitsentgelt bezogen hatte. Der Kläger hat im streitigen Zeitraum ausschließlich eine "Hochschulausbildung" iSv § 248 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB VI zurückgelegt, ohne dass der Kläger neben seinem Hochschul-studium zugleich in einem beitragspflichtigen entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis oder einem betrieblichen Ausbildungsverhältnis, zB als wissenschaftlicher Assistent, stand. Damit scheidet eine Vormerkung als Zugehörigkeitszeit zur FZASt aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved