L 1 KR 486/16 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 32 KR 238/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 486/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 20. September 2016 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Mit Recht hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig ab dem 20. September 2016 bis zum 31. Dezember 2016 weiter die Kosten für die ärztlich verordnete häusliche Krankenpflege zu übernehmen.

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung möglich, wenn anderenfalls die Gefahr besteht, dass ein Recht des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung).

Entscheidungen dürfen dabei grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte an den Erfolgsaussichten nur orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so hat es anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden.

Im Eilverfahren ist hier nicht abschließend zu klären, ob der Antragsteller Anspruch auf die begehrten Krankenpflegeleistungen gegen die Antragsgegnerin hat. Der Senat hält es aber jedenfalls für hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsteller, auch wenn er nicht in einem eigenen Haushalt lebt, nach § 37 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V – noch Anspruch auf Leistungen der Behandlungspflege gegen die Antragsgegnerin haben kann, weil die Beigeladene zu 1) diese Leistungen mit dem von ihr vorzuhaltenden Personal aus medizinischen Gründen nicht erbringen kann.

Das Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin rechtfertigt keine andere Einschätzung. Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugeben, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - andere Orte als der Haushalt oder die Familie des Versicherten, insbesondere betreute Wohnformen, nur dann "geeignete Orte" für die Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V durch die gesetzliche Krankenversicherung sind, wenn der Versicherte während seines Aufenthalts dort nicht bereits einen Anspruch auf Erbringung von Krankenpflegeleistungen gegen die Einrichtung hat (BSG v. 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R - juris Rn 13 und B 3 KR 10/14 R juris Rn 12, v. 22. April 2015 – B 3 KR 16/14 R – juris Rn 17). Auch weist die Antragsgegnerin mit Recht darauf hin, dass das BSG zu den "betreuten Wohnformen" in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V ausdrücklich nicht nur stationäre Einrichtungen, sondern auch eine Form der Unterbringung gezählt hat, in der neben der Unterkunft nur ambulante Leistungen erbracht werden (vgl. nur BSG v. 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R - juris Rn 19). Zuzugeben ist der Antragsgegnerin weiterhin, dass der 9. Senat des LSG Berlin-Brandenburg für die Abgrenzung zwischen dem Vorliegen eines eigenen Haushalts, in dem ergänzend noch von anderen Trägern Leistungen erbracht werden, und der Unterbringung in einer betreuten Wohnform mit ergänzenden ambulanten Leistungen darauf abgestellt hat, ob dem Versicherten sowohl die Unterkunft als auch die Betreuungsleistungen von demselben Vertragspartner zur Verfügung gestellt worden sind (LSG Berlin-Brandenburg v. 11. Mai 2016 – L 9 KR 144/16 B ER - juris Rn 9; grundsätzlich zustimmend Beschluss des erkennenden Senats v. 4. August 2016 – L 1 KR 326/16 B ER).

Die Antragsgegnerin verkennt aber, dass Ansprüche auf Leistungen der einfachen Behandlungspflege nicht schon dann ausgeschlossen sind, wenn für den Antragsteller davon auszugehen ist, dass er aufgrund der Identität oder der engen Verflechtung zwischen seinem Vermieter und dem Leistungserbringer für das ambulant betreute Wohnen nicht in einem eigenen Haushalt, sondern in einer betreuten Wohnform lebt. Der Senat weist dazu zunächst darauf hin, dass Leistungserbringer für die in Frage stehenden Leistungen der Behandlungspflege nicht die Beigeladene zu 1) oder ein sonstiger eng mit ihr verflochtener Leistungsträger sein sollte, sondern ein Pflegedienst der C.

Nach der Rechtsprechung des BSG sind die Einrichtungen der Eingliederungshilfe entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen nur soweit zur Erbringung von Leistungen der Behandlungspflege verpflichtet, wie sie dazu aufgrund ihrer sächlichen und personellen Ausstattung in der Lage sind (BSG v. 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R – juris Rn 22). Die Beigeladene zu 1) wäre daher – entgegen dem Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin - keinesfalls verpflichtet, dem Antragsteller weitere Leistungen über einen externen Pflegedienst zur Verfügung zu stellen. Zwar mag die Medikamentengabe als einfache Behandlungspflege grundsätzlich zu den von der Beigeladenen zu 1) zu erbringenden Leistungen gehören. Dies gilt aber nicht, wenn aus besonderen Gründen nicht möglich ist, dass die Beigeladene zu 1) ihre eigenen Pflegekräfte einsetzt. So liegt es aber hier. Nach dem Attest seiner behandelnden Ärztin vom 9. September 2016 ist der Antragsteller aus psychischen Gründen und damit krankheitsbedingt nicht in der Lage, eine Medikamentengabe zu akzeptieren, welche durch die eigenen Kräfte der Beigeladenen zu 1) erfolgt. Der Senat muss diese Einschätzung seiner Entscheidung zugrunde legen, da er sie jedenfalls nicht mit den in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln widerlegen kann. Wenn aber die Einrichtung die Leistungen der Behandlungspflege, deren medizinische Notwendigkeit dem Grunde nach außer Streit steht, aus besonderen Gründen nicht selbst erbringen kann, bleibt die Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin bestehen. Die Grenze der von einer Einrichtung geschuldeten Leistungen verläuft dort, wo diese vom Personal der Einrichtung der Eingliederungshilfe erbracht werden können oder müssen (BSG v. 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R – juris Rn 28). Leistungen, die von einem anderen Träger erbracht werden müssen, liegen jenseits dieser Grenze.

Danach erscheint es hinreichend wahrscheinlich, dass dem Antragsteller Ansprüche auf Behandlungspflege gegen die Antragsgegnerin zustehen können. Aus diesem Grund hat ihm das Sozialgericht zu Recht im Wege der Folgenabwägung die begehrten Leistungen zugesprochen.

Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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