L 15 SO 93/16 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 47 SO 156/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 SO 93/16 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. April 2016 aufgehoben. Der Klägerin wird für das bei dem Sozialgericht Berlin anhängige Verfahren S 47 SO 156/16 mit Wirkung ab dem 30. März 2016 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwältin Berlin, beigeordnet. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. April 2016, mit dem dieses die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Verfahren S 47 SO 156/16, in dem die Klägerin die Bewilligung von Mehrbedarf gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch/Zwölftes Buch (SGB XII) wegen Zuerkennung des Merkzeichens G (erheblich gehbehindert) rückwirkend von September 2014 bis November 2015 begehrt, abgelehnt hat, ist gemäß den §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die Bewilligung von PKH.

Nach § 73 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält auf Antrag PKH ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn der Kläger in der Hauptsache möglicherweise obsiegen wird. Erfolgsaussichten bestehen vor allem dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 13. März 1990, Aktenzeichen 2 BvR 94/88, juris Rn. 28 = NJW 1991, 413, 414) oder von Amts wegen weitere Ermittlungen durchzuführen sind (§ 103 SGG), bevor die streiterheblichen Fragen abschließend beantwortet werden können.

Vorliegend hängt die Entscheidung in der Hauptsache von der Notwendigkeit von Ermittlungen und einer höchstrichterlich nicht geklärten und in Rechtsprechung und Literatur umstrittenen Rechtsfrage ab. In Streit steht, ob die rückwirkende Zuerkennung des Merkzeichens G durch die Versorgungsverwaltung auch zu einem rückwirkenden Anspruch auf den Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII in der ab dem 7. Dezember 2006 geltenden Fassung führt. Das Bundessozialgericht hat diese Frage in seinem Urteil vom 10. November 2011 – B 8 SO 12/10 R –, juris Rn. 22 = SozR 4-3500 § 30 Nr. 4, ausdrücklich offen gelassen. Für die Vorgängerregelung hat es jedoch bejaht, dass nur der Besitz des Ausweises mit dem Merkzeichen G einen Anspruch auf den Mehrbedarf auslöst.

Es spricht einiges dafür, dass die Argumentation des BSG sich auch auf die jetzige Rechtslage übertragen lässt, dies hat auch das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss angenommen. Der Senat geht gleichwohl von einer hinreichenden Erfolgsaussicht aus, zum einen, weil entsprechend der Rechtsprechung des BSG in dem oben zitierten Urteil, die Klägerin bis zur versorgungsamtlichen Feststellung des Merkzeichens G lediglich gehindert ist, ihren behinderungsbedingten Mehrbedarf pauschal (also ohne Nachweis) geltend zu machen. Es wäre danach zu prüfen, ob, auch rückwirkend über die Vorschrift des § 44 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch, ein Mehrbedarf zu gewähren ist, weil die Klägerin konkrete Mehrausgaben auf Grund der Gehbehinderung hatte. Unter den Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 2 (jetzt: § 27a Abs. 4) SGB XII hätte sie ggfs. – nach der Rechtsprechung des BSG - Anspruch auf Ausgleich abweichenden Bedarfs, weil ihr Existenzminimum aus verfassungsrechtlichen Gründen gesichert werden muss. Die Betroffenen haben es in der Hand, ihren Mehrbedarf zu substantiieren (BSG, Urt. v. 10. November 2011 - B 8 SO 12/10 R, juris Rn. 28, 30). Der Beklagte hatte seit dem Antrag auf Weitergewährung von Grundsicherungsleistungen vom 28. Mai 2014 auch Kenntnis davon, dass die Klägerin das Merkzeichen G geltend gemacht hat und dass diesbezüglich eine Klage anhängig war.

Zum anderen ist auch nach dem genannten Urteil des BSG die Frage umstritten, ob nicht nach der Rechtsänderung im Jahr 2006 auch die rückwirkende Gewährung eines pauschalen Mehrbedarfs möglich ist (bejahend: Simon in jurisPK-SGB XII, § 30 SGB XII Rn. 44ff; Münder in LPK-SGB XII, 10. Aufl. 2015, § 30 SGB XII Rn. 6; Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 30 SGB XII Rn. 8; Nebe, SGb 2011, 193 ff, verneinend die überwiegende jüngere landessozialgerichtliche Rechtsprechung, z.B. Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. April 2015 – L 20 SO 426/12 –, Rn. 43, juris m.w.N.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2013 - L 2 SO 404/13 Rn. 29 bis 35, juris). Das BSG hatte seine Auffassung, die bis zum 6. Dezember 2006 geltende Fassung des § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII sei nicht verfassungswidrig, mit der oben bereits angesprochenen Möglichkeit, konkrete Mehrausgaben auf Grund der Gehbehinderung schon vor der Ausstellung des Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen G geltend zu machen, begründet. Auch hiergegen sind Einwände vorgebracht worden, insbesondere, dass dies praktisch kaum möglich sei und eben deshalb das Gesetz den Mehrbedarf pauschaliert haben dürfte (vgl. Dau, jurisPR-SozR 14/2014 Anm. 4, mit zahlreichen weiteren Nachweisen; vgl. zur Frage der Verfassungsgemäßheit auch Dau in Anmerkung zum Urteil des LSG Darmstadt vom 24. März 2011, jurisPR-SozR 16/2011 Anm. 6).

Für die Annahme einer hinreichenden Erfolgsaussicht spricht auch, dass ein Verfahren mit gleichgelagerter Problematik unter dem Az. B 8 SO 25/16 R beim BSG anhängig ist (Vorinstanz Sozialgericht Landshut, Urteil vom 26. Februar 2016 - S 5 SO 70/14 -, dokumentiert in juris).

Da die Klägerin nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, war ihr Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen und ihr ihre Prozessbevollmächtigte beizuordnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 73 a SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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