L 1 KR 46/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 211 KR 914/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 46/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Im Rahmen des Erstattungsverfahrens muss eine Krankenkasse die vom Rentenversicherungsträger vorgenommene Rentenberechnung gegen sich gelten lassen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Januar 2015 aufgehoben. Die Beklagten wird verurteilt an die Klägerin 170,03 EUR zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Erstattungsanspruch.

Die Beklagte zahlte ihrem Versicherten P K Krankengeld vom 11. August 2010 bis zum 29. Dezember 2011, nachdem dessen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen seinen Arbeitgeber erschöpft war. Auf seinen in einen Rentenantrag umgedeuteten Rehabilitationsantrag vom 2. Dezember 2010 hin gewährte ihm die Klägerin durch Rentenbescheid vom 30. April 2012 Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2010 in Höhe von 680,11 EUR. Die laufende Rentenzahlung setzte am 1. Juni 2012 ein, die Nachzahlung wurde vorläufig einbehalten. Mit Schreiben vom 16. März 2012 meldete die Beklagte bei der Klägerin einen Erstattungsanspruch an. Die Klägerin erstattete der Beklagten 8.753,03 EUR auf das während der Zeit vom 1. Dezember 2010 bis zum 29. Dezember 2011 gezahlte Krankengeld.

Der Arbeitgeber des Versicherten meldete der Klägerin am 21. November 2012, dass das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2012 beendet worden war und der Versicherte für November 2011 eine Einmalzahlung von 1.941,80 EUR erhalten habe. Durch Rentenbescheid vom 12. Dezember 2012 berechnete die Klägerin die an den Versicherten zu zahlende Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. Juli 2011 neu. Unter Berücksichtigung der Einmalzahlung als Hinzuverdienst stehe die Rente dem Versicherten im Monat November 2011 nur in Höhe von drei Vierteln zu. Es ergebe sich eine Überzahlung von 170,03 EUR. Der Rentenbescheid vom 30. April 2012 werde mit Wirkung ab dem 1. November 2011 nach § 45 SGB X zurückgenommen. Auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides könne der Versicherte sich nicht berufen, die Fristen für die Rücknahme seien noch nicht abgelaufen. Der Versicherte habe im Antragsverfahren unrichtige bzw. unvollständige Abgaben gemacht. Die entstandene Überzahlung sei von der Beklagten zu erstatten.

Die Beklagte verweigerte die Erstattung mit Hinweis auf beim BSG anhängige Musterstreitverfahren zur Kürzung von Renten wegen Anrechnung von Einmalzahlungen nach Rentenbeginn. Der Arbeitgeber habe zum 11. August 2010 eine Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses wegen eines Anspruchs auf Lohnersatzleistungen gemeldet.

Mit der am 1. März 2013 bei dem Sozialgericht Dortmund eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung von 170,03 EUR. Das Sozialgericht Berlin hat die Klage nach Verweisung durch Urteil vom 12. Januar 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich aus § 112 SGB X kein Erstattungsanspruch ergebe. Die Beklagte habe keine Leistung zu Unrecht erlangt. Die für November 2011 gewährte Jahresprämie sei nicht als ein auf die Rente anzurechnender Hinzuverdienst anzusehen, weil sie nicht aus einer während des Rentenbezugs noch bestehenden Beschäftigung stamme. Der Bescheid der Klägerin vom 12. Dezember 2012, mit dem die Rentengewährung für November 2011 in Höhe von 170,03 EUR aufgehoben worden sei, stehe dem nicht entgegen. Die Erstattung müsse entsprechend der wahren Rechtslage erfolgen. Die Aufhebungsentscheidung vom 12. Dezember 2012 sei auch dem Versicherten gegenüber noch korrigierbar. Der Rechtsauffassung der Beklagten, wonach ein anzurechnender Hinzuverdienst auch vorliege, wenn das Arbeitsverhältnis während der Zahlung von Krankengeld ohne die Erbringung einer Arbeitsleistung noch fortbestehe, werde nicht gefolgt. Dazu werde Bezug genommen auf das Urteil des BSG v. 10. Juli 2012 – B 13 R 81/11 R über den leistungsrechtlichen Begriff der Beschäftigung.

Gegen das ihr am 14. Januar 2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 28. Januar 2015 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung der Klägerin. Das Sozialgericht habe die Tragweite der richterrechtlich entwickelten Dogmatik zu § 86 SGB X verkannt. Der Bescheid vom 12. Dezember 2012 sei jedenfalls nicht offensichtlich fehlerhaft. Nur dann aber sei die Beklagte berechtigt, den Bescheid zu ignorieren und die Rückzahlung zu verweigern (Hinweis auf BSG v. 1. September 1999 – B 13 RJ 49/98 R). Soweit sich das Sozialgericht auf ältere Entscheidungen des BSG berufe, verkenne es die Nichtvergleichbarkeit der dortigen Sachverhalte. Der Rentenversicherungsträger sei in den dortigen Fällen anders als in dem vorliegenden Sachverhalt nicht mehr zu einer Korrektur der Rente berechtigt gewesen, sondern habe sich mit Aussparungsentscheidungen begnügen müssen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Januar 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 170,03 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die vom Sozialgericht zugelassene Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 170,03 EUR.

Anspruchsgrundlage ist § 112 SGB X. Nach dieser Vorschrift sind gezahlte Beträge zurückzuerstatten, soweit eine Erstattung zu Unrecht erfolgt ist. Teilweise zu Unrecht hatte die Klägerin an die Beklagte 8.753,03 EUR für das während der Zeit vom 1. Dezember 2010 bis zum 29. Dezember 2011 gezahlte Krankengeld erstattet. Nach § 103 Abs. 2 SGB X richtet sich der Umfang der Erstattungspflicht nach den für den Erstattungspflichtigen geltenden Vorschriften. Der Erstattungsbetrag entspricht damit der Höhe nach der von der Klägerin zu leistenden Rente wegen voller Erwerbsminderung, soweit sie auf Zeiträume entfällt, für welche die Beklagte bereits Krankengeld gewährt hatte.

Der Erstattungsbetrag war um 170,03 EUR überzahlt, weil die Rentenberechnung nach der Erstattung durch die Klägerin durch Rentenbescheid vom 12. Dezember 2012 korrigiert worden ist. Diesen dem Versicherten erteilten Rentenbescheid muss die Beklagte gegen sich gelten lassen. Nach der Rechtsprechung des BSG folgt aus dem in § 86 SGB X normierten Rechtsgrundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit der Leistungsträger, dass ein Leistungserbringer den von einem anderen Leistungsträger einem Versicherten erteilten Bescheid gegen sich gelten lassen muss, solange dieser Bescheid nicht offensichtlich fehlerhaft ist (BSG v. 26. Juni 2008 – B 13 R 141/07 R - juris Rn 15).

Der Senat hält die Bedenken des Sozialgerichts hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 12. Dezember 2012 zwar für nachvollziehbar. Nach § 96a SGB VI setzt das Vorliegen eines anrechenbaren Arbeitsverdienstes nämlich voraus, dass er aus einer Beschäftigung neben der Rente erzielt wird. Der Begriff der Beschäftigung ist in einem leistungsrechtlichen Sinne zu verstehen (BSG v. 10. Juli 2012 – B 13 R 85/11 R und B 13 R 81/11 R), weswegen ein Beschäftigungsverhältnis dann endet und entsprechend kein Verdienst aus ihm mehr erzielt wird, wenn der Arbeitgeber auf seine Verfügungsbefugnis über den Arbeitnehmer verzichtet hat. Auf das rechtliche Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses an sich kommt es dann nicht mehr an. Ein solcher Verzicht liegt nach der Rechtsprechung des BSG jedenfalls vor, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund arbeits- oder tarifvertraglicher Regelungen ruhend gestellt worden ist. Diese Voraussetzung ist aber vorliegend nicht erfüllt, weil das Arbeitsverhältnis des Versicherten keinen Regelungen unterlegen hat, aus denen sich ausdrücklich ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses ergeben könnte.

Allerdings hat der Versicherte auch in dem vorliegenden Sachverhalt die Beschäftigung bereits lange vor dem Monat November 2011 nicht mehr ausgeübt. Arbeitsentgelt in der Form der Entgeltfortzahlung war ihm lediglich bis zum 11. August 2010 gewährt worden, danach setzte die Zahlung von Krankengeld ein. Daraus ergibt sich die Frage, ob eine Jahresprämie, die ausgezahlt wird, lange nachdem die Beschäftigung wegen eingetretener Arbeitsunfähigkeit tatsächlich nicht mehr ausgeübt wird, noch als nach § 96a SGB VI anrechenbares Arbeitsentgelt aus einer Beschäftigung angesehen werden kann. Entscheidungserheblich dürfte in diesem Zusammenhang insbesondere sein, ob die tatsächliche Nichtausübung einer Beschäftigung über einen längeren Zeitraum einem ausdrücklich vorgesehenen Ruhen des Arbeitsverhältnisses gleichsteht. Offensichtlich rechtswidrig ist die von der Klägerin trotzdem vorgenommene Anrechnung aber schon deswegen nicht, weil zu dieser Rechtsfrage noch zwei Revisionen anhängig sind, über die das BSG bisher nicht entschieden hat (LSG Baden-Württemberg v. 16. Juni 2015 – L 9 R 5132/12, Revision anhängig unter B 13 R 21/15 R und LSG Nordrhein-Westfalen v. 26. August 2016 – L 14 R 131/15, Revision anhängig unter B 5 R 26/16 R).

Der Rentenbescheid vom 12. Dezember 2012 ist auch nicht insoweit offensichtlich rechtswidrig, als die Klägerin die bisherige Rentenbewilligung unter Hinweis auf § 45 SGB X aufgehoben hat. Der Versicherte hatte nämlich am 20. September 2011 gegenüber der Klägerin erklärt, keine Einkünfte aus einer Beschäftigung zu haben und sich gleichzeitig verpflichtet, Änderungen in den erfragten Verhältnissen unverzüglich anzuzeigen. Danach ist der an ihn gerichtete Vorwurf unvollständiger Angaben nicht offensichtlich haltlos. Die Beklagte kann der Klägerin demnach unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt entgegen halten, dass der Rentenbescheid vom 12. Dezember 2012 offensichtlich fehlerhaft und rechtswidrig ist.

Nach alledem war auf die Berufung der Klägerin hin das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs. 2 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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