L 1 KR 68/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 211 KR 640/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 68/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die rückwirkende Festsetzung höherer Beiträge für die freiwillige Kranken- und für die Pflegeversicherung im Zeitraum vom 1. Februar 2010 bis zum 31. März 2012.

Der Kläger teilte der Beklagten zu 1), welche auch die Aufgaben der Beklagten zu 2) wahrnimmt, mit Schreiben vom 21. Januar 2009 mit, ab 1. Februar 2009 als Teilhaber einer Rechtsanwaltskanzlei selbständig zu sein. Er trug in dem entsprechenden Formular der Beklagten zu 1 (nachfolgend nur noch: "die Beklagte") ein, seine Einnahmen betrügen für die nächsten zwölf Monate durchschnittlich voraussichtlich im Monat 500,00 EUR ohne Leistungen der Agentur für Arbeit. Er kreuzte an, als Existenzgründer noch keinen Einkommenssteuerbescheid über seine selbständige Tätigkeit erhalten zu haben. Er reiche diesen sofort ein, sobald dieser ihm vorliege.

Die Beklagte erhob in der Folgezeit Beiträge auf der Grundlage des Mindesteinkommens. Mit Bescheid vom 15. Juni 2009 setzte sie Beiträge in Höhe von insgesamt 207,90 EUR zur Kranken- und Pflegeversicherung fest. Einen Vorläufigkeitsvorbehalt enthielt der Bescheid vom 15. Juni 2009 nicht.

Nach vorangegangener Aufforderung sowie Anmahnung teilte der Kläger der Beklagten auf deren Antwortfragebogen mit Fax vom 29. Januar 2010 durch Ankreuzen mit, (immer) noch keinen Einkommenssteuerbescheid zur selbständigen Tätigkeit erhalten zu haben. Als Existenzgründer betrügen seine Einnahmen voraussichtlich für die nächsten zwölf Monat durchschnittlich im Monat 1 536,00 EUR.

Die Beklagte dankte dem Kläger mit Bescheid vom 2. Februar 2010 dafür, "dass Sie uns Ihren Einkommenssteuerbescheid zugesandt haben" und berechnete "anhand Ihrer geschätzten Einnahmen von 1 500,00 EUR monatlich" die Beiträge unter Vorbehalt. Festgesetzt wurden vom 1. Februar 2010 an insgesamt 247,50 EUR monatlich.

Unter dem 31. Januar 2011 schrieb die Beklagte dem Kläger, dass die Beitragssätze für alle Krankenkassen angehoben worden seien, und fügte eine Tabelle über die veränderten Beiträge bei.

Mit Faxschreiben vom 8. Februar 2012 übersandte der Kläger den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2010 vom 29. November 2011. Auf weiteres Aufforderungsschreiben übersandte er ferner mit Faxschreiben vom 10. April 2012 auch den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2009 vom 25. Oktober 2010. Die Bescheide weisen Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit für 2009 in Höhe von 26 807,00 EUR und für 2010 in Höhe von 156 209,00 EUR aus.

Mit Bescheid vom 30. April 2012 setzte die Beklagte daraufhin die für die Zeit ab Februar 2009 bis 31. März 2012 zu zahlenden Beiträge endgültig fest. Sie ging dabei ausgehend vom Einkommenssteuerbescheid 2009 von monatlich 1/11 von 26 807,00 EUR aus und für die Zeit ab Dezember 2011, dem Monat nach Erlass des Einkommenssteuerbescheides 2010, von 1/12 von 156 209,00 EUR. Die einzelnen Monatsbeiträge waren einer Anlage zu entnehmen. Zur Begründung führte sie u. a. aus, bisher seien die Beiträge seit Beginn der selbständigen Tätigkeit nur vorläufig festgesetzt worden. Nach Zusendung der Einkommenssteuerbescheide habe nun endgültig gerechnet werden können.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Faxschreiben vom 1. Juni 2012 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, eine rückwirkende Nachforderung scheide aus, weil es an einem wirksamen Vorläufigkeitsvorbehalt fehle. Auch habe der Kläger den Steuerbescheid für das Jahr 2009 bereits im Januar 2010 eingereicht, wie die Beklagte in ihrem Schreiben vom 2. Februar 2010 bestätigt habe.

Mit Teilabhilfebescheid vom 30. Juli 2012 half die Beklagte dem Widerspruchsbegehren des Klägers hinsichtlich des Zeitraums vom 1. Februar 2009 bis zum 31. Januar 2010 ab. Sie könne insoweit nicht nachweisen, dass dem Kläger die Vorläufigkeit der Beitragsfestsetzung mitgeteilt worden sei. Hinsichtlich des Zeitraums ab dem 1. Februar 2010 sei der Kläger jedoch durch das "Schreiben vom 2. Februar 2010" über die Höhe seiner Beiträge unter Vorbehalt ab 1. Februar 2010 informiert worden. Soweit dort für die Übersendung des Einkommenssteuer-bescheides gedankt werde, sei dies ein Versehen. Sie bat um Mitteilung, ob der Widerspruch aufrechterhalten bleibe. Der Kläger antwortete mit Faxschreiben vom 21. August 2012, an dem Widerspruch weiterhin festzuhalten, "soweit für die Zeit ab Januar 2011 Beträge" zurückgefordert würden. Eine Rückforderung komme für diese Zeit nicht in Betracht, da bei der Beitragserhöhung ab Januar 2011 keine vorläufige Festsetzung erfolgt sei, vielmehr seien die Beiträge endgültig festgesetzt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, soweit diesem nicht bereits abgeholfen worden sei (Zustellung: 4. März 2013).

Hiergegen hat der Kläger am 4. April 2013 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben. Zu deren Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt: Der Bescheid vom 2. Februar 2010 befinde sich nicht in seinen Unterlagen. Im Widerspruchsverfahren sei nur in Ansehung der Verwaltungsakte argumentiert worden.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 14. Dezember 2015 abgewiesen. Sie sei bereits unzulässig, soweit sich der Kläger auch gegen den Bescheid vom 30. April 2012 in der Fassung des Bescheides vom 30. Juli 2012 wende, soweit Beiträge für den Zeitraum vom 1. Februar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 rückwirkend neu festgesetzt worden seien. Insoweit sei der Bescheid nämlich bestandskräftig, weil der Kläger mit Schreiben vom 21. August 2012 mitgeteilt habe, an dem Widerspruch (nur) festzuhalten, soweit für die Zeit ab Januar 2011 Beiträge nachgefordert würden. Dieses Vorbringen könne nur als Teilrücknahme verstanden werden. Dies ergebe sich auch aus den Umständen, welche die Prozessbevollmächtigte des Klägers zu ihrem Schreiben vom 21. August 2012 veranlasst habe. Dieses Schreiben sei nämlich die passende Reaktion auf den Teilabhilfebescheid vom 30. Juli 2012.

Im Übrigen sei die Klage als Anfechtungsklage statthaft und zulässig, jedoch unbegründet. Der Bescheid vom 30. April 2012 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 30. Juli 2012 sei rechtmäßig. Die Beklagte habe die Beiträge für den Zeitraum ab 1. Januar 2011 bis zum 31. März 2012 zu Recht rückwirkend neu festgesetzt und die Nachentrichtung höherer Beiträge verlangt. Rechtsgrundlage der Beitragsfestsetzung sei § 240 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i. V. m. den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler des GKV Spitzenverbandes. Nach § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V gelte für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbständig tätig seien, als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze. Gemäß § 240 Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB V i. V. m. § 7 Abs. 3 und 4 der Beitragsverfahrensgrundsätze gelte bei Nachweis niedrigerer Einnahmen der 40., mindestens aber der 60. Teil der monatlichen Bezugsgröße als beitragspflichtige Einnahmen. Entsprechendes gelte nach §§ 54, 57 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) für die Beiträge zur Pflegeversicherung. Die Beklagte sei zur rückwirkenden Festsetzung höherer Beiträge berechtigt gewesen, weil diese zuvor nur vorläufig festgesetzt worden seien. Eine Aufhebung von einstweiligen Verwaltungsakten, welche durch den endgültigen Verwaltungsakt erfolge, bedürfe keiner besonderen Ermächtigungsgrundlage, denn die Bindungswirkung eines bestandskräftig gewordenen einstweiligen Verwaltungsaktes schaffe Rechtssicherheit nur für den begrenzten Zeitraum bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens durch Erlass des endgültigen Verwaltungsaktes. Mit dessen Erlass erledigten sie sich im Sinne des § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X, Bezugnahme auf Bundessozialgericht – BSG , Urteil vom 22. März 2006 – B 12 KR 14/05 R , juris Rdnr. 11; u. a.). Die Beklagte habe mit dem Bescheid vom 2. Februar 2010 eine solche lediglich einstweilige Regelung getroffen. Diesem Bescheid sei hinreichend deutlich zu entnehmen, dass die Regelung der Beitragshöhe nur einstweilig für eine Übergangszeit bis zur Vorlage des die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit festsetzenden Einkommenssteuerbescheides sowie bis zum Abschluss der dann möglichen umfassenden Sachprüfung erfolge. Dieser Auslegung stehe nicht entgegen, dass sich die Beklagte im Bescheid für die Zusendung des Einkommenssteuerbescheides bedankt habe anstelle richtigerweise für die Übersendung eines Fragebogens. Dabei handele es sich um einen für den Kläger leicht erkennbaren Formulierungsfehler ohne Auswirkung auf das Verständnis des Vorläufigkeitsvorbehaltes. Die Beklagte sei auch berechtigt gewesen, die Beiträge erst ab Februar 2010 vorläufig festzusetzen, obwohl der Kläger die selbständige Tätigkeit bereits im Jahr 2009 aufgenommen und der Beitragsbescheid vom 15. Juni 2009 keinen Vorläufigkeitsvorbehalt enthalten habe. Dies habe nur zur Folge gehabt, dass eine rückwirkende endgültige Beitragsfestsetzung für den Zeitraum ohne Vorläufigkeitsvorbehalt bis Februar 2010 ausgeschieden sei. Die Beklagte sei jedoch nicht daran gehindert gewesen, die Beiträge im Februar 2010 nur vorläufig festzusetzen, denn hierfür sei nur die Berechtigung maßgeblich, solange einstweilige Regelungen zu treffen, bis der Einkommenssteuerbescheid vorgelegt werde. Der Vorläufigkeitsvorbehalt im Bescheid vom 2. Februar 2010 habe auch über den 1. Januar 2011 hinaus Bestand behalten. Soweit die Beklagte die Beiträge des Klägers jeweils zum Jahreswechsel angepasst und den Kläger mit entsprechenden Schreiben informiert habe, könnten diese bei verständiger Würdigung nicht dahingehend verstanden werden, dass die Beiträge nunmehr endgültig festgesetzt würden. Denn die Beklagte habe die endgültige Regelung im Bescheid vom 2. Februar 2010 unmissverständlich und zeitlich unbegrenzt von der Vorlage des Einkommenssteuerbescheides abhängig gemacht. Der Kläger könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihm der Bescheid vom 2. Februar 2010 nicht zugegangen sei. Dieser Einwand sei nicht glaubhaft, da die Beklagte keinen Rückläufer verzeichnet habe und die Prozessbevollmächtigte des Klägers den Einwand erst in der mündlichen Verhandlung vorgebracht habe, etwa 2 ½ Jahre nach Beginn des gerichtlichen Verfahrens. Der Erklärungsversuch, im Widerspruchsverfahren nur aufgrund der Verwaltungsakte argumentiert zu haben und den Zugang bisher nicht überprüft zu haben, erscheine im Hinblick darauf nicht stichhaltig, dass es sich sowohl beim Kläger als auch bei seiner Prozessbevollmächtigten um rechtskundige Rechtsanwälte handele. Dies gelte umso mehr, als diese den Widerspruch mit Schreiben vom 21. August 2012 teilweise zurückgenommen habe, nachdem sie von der Beklagten auf den Vorläufigkeitsvorbehalt im Bescheid vom 2. Februar 2010 hingewiesen worden sei. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sei zu erwarten gewesen, den Zugang zu bestreiten. Darüber hinaus habe die Prozessbevollmächtigte des Klägers auf Bitte des Sozialgerichts hin, die Beitragsbescheide zwischen dem 2. Februar 2010 und dem 30. April 2012 einzureichen, in der mündlichen Verhandlung nur zwei Schreiben der Beklagten aus dem Jahr 2009 vorlegen können, weil sich nur diese Schreiben noch in den Unterlagen des Klägers hätten finden lassen. Dass sich der Bescheid vom 2. Februar 2010 nicht in den Unterlagen des Klägers befunden habe, scheine seinen Grund daher eher darin zu haben, dass der Kläger kaum Unterlagen der Beklagten aufbewahre. Hinsichtlich der Höhe der Neufestsetzung und Nachforderung sei nichts zu beanstanden. Insoweit seien auch keine Einwände geltend gemacht.

Gegen dieses am 11. Januar 2016 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 11. Februar 2016. Zu deren Begründung hat der Kläger sein bisheriges Vorbringen wiederholt.

Er beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Dezember 2015 sowie den Bescheid vom 30. April 2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 30. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2013 aufzuheben.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das angegriffene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen. Er hält sie einstimmig für unbegründet. Eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich. Die Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, im Erörterungstermin am 19. Dezember 2016 hingewiesen worden.

Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung als teilweise bereits unzulässig und im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Zur Vermeidung bloßer Wiederholungen verweist der Senat auf die sorgfältige Begründung, § 153 Abs. 2 SGG.

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist nur noch zu ergänzen, dass sich an der Unzulässigkeit der Klage aufgrund bereits bestehender Bestandskraft des Bescheides nichts dadurch geändert hat, dass die Beklagte den Widerspruch auch insoweit beschieden hat. Im Widerspruchsbescheid ist nicht rechtsgestaltend die Bestandskraft wieder aufgehoben, sondern nur der Widerspruch zurückgewiesen worden. Die Begründung, weshalb ein Widerspruch zurückgewiesen wird (so ob als unzulässig oder als unbegründet) ist nicht rechtsgestaltend.

In der Sache hat das Sozialgericht bereits überzeugend dargestellt, dass vom Eingang des Bescheides vom 2. Februar 2010 beim Kläger auszugehen ist. Zum einen ist ein Rücklauf bei der Beklagten nicht verzeichnet. Zum anderen – und entscheidend – hat sich der Kläger selbst in seinem Widerspruchsbegründungsschreiben vom 19. Juli 2012 auf diesen Bescheid bezogen. Der Einwand, dass ihm ein Bescheid nicht zugegangen sei, ist erst im Klageverfahren erhoben worden.

Zutreffend hat das Sozialgericht auch dargelegt, dass dem Mitteilungsschreiben vom 31. Januar 2011 kein Wegfall des Vorbehaltes entnommen werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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