L 2 SF 114/16 E

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 SF 114/16 E
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Nicht nur bei Verletzung der Anzeigepflicht sondern auch bei Verletzung der vom Gesetzgeber als selbstverständlich vorausgesetzten Wartepflicht, ist die Vergütung des Sachverständigen auf den eingezahlten Vorschuss zu kürzen.
Die Vergütung für das Gutachten vom 29. September 2015 im Verfahren L wird auf 1.500,00 EUR festgesetzt. Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen. Der Betrag von 3.305,22 EUR ist der Staatskasse zu erstatten.

Gründe:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung eines neurochirurgischen Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das Gericht entscheidet nach § 4 Abs. 7 Satz 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) in Senatsbesetzung, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

Die Klägerin des Verfahrens L stellte am 4. Mai 2015 den Antrag, vom Antragsteller dieses Verfahrens ein Gutachten erstatten zu lassen. Mit Schreiben vom 11. Mai 2015 forderte das Gericht einen Vorschuss in Höhe von 1.500,00 EUR an, der am 16. Juli 2015 einging.

Mit Beweisanordnung vom 27. Juli 2015 wurde der Antragsteller zum Sachverständigen ernannt. Mit Anschreiben vom 31. Juli 2015 wurde ihm die Beweisanordnung mit folgendem fettgedruckten Hinweis übersandt:

"Sollten die Kosten den eingezahlten Vorschuss von 1.500,00 EUR übersteigen, so werden Sie gebeten, dem Gericht unverzüglich die endgültige Höhe der Kosten schriftlich mitzuteilen. In diesem Falle warten Sie bitte die Benachrichtigung des Gerichts ab, ob das Gutachten zu erstatten ist oder die Akten ohne Erledigung des Gutachtenauftrags zurückgesandt werden sollen. Mehrkosten für die weitere Bearbeitung werden nur nach Einwilligung des Gerichts übernommen."

Mit Schreiben vom 5. August 2015 teilte der Antragsteller mit, der Vorschuss werde nicht ausreichen. Er schätze die Kosten auf 6.000,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer. Bevor er sich mit der Angelegenheit weiter befasse, erwarte er die Kostenzusage des Gerichts.

Die Sache wurde daraufhin dem Vorsitzenden des für die JVEG-Angelegenheiten zuständigen Senats – hier ebenfalls der 2. Senat – vorgelegt, der den Antragsteller mit Schreiben vom 2. September 2015 unter Darstellung der Entschädigungsregeln des Senats darauf hinwies, dass sich das veranschlagte Honorar wohl nicht ergeben werde. Daraufhin erfolgte ein Telefonat des Antragstellers mit dem Vorsitzenden gleichen Inhalts (Aktenvermerk vom 7. September 2015).

Auf die Anforderung eines weiteren Kostenvorschusses vom 2. September 2015 durch die Berichterstatterin in Höhe von 4.500,00 EUR unter Übersendung des Schreibens des Sachverständigen teilte der Bevollmächtigte der Klägerin unter dem 14. September 2015 mit, dass die Kosten nicht zu rechtfertigen seien. Das Gericht werde gebeten, "auf die Höhe der Gutachterkosten hinzuwirken".

Am 2. Oktober 2015 ging das Gutachten mit einer Rechnung in Höhe von 5.955,21 EUR ein.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle stellte die Vergütung auf 4.805,22 EUR fest (Schreiben vom 31. Mai 2016). Der Antragsteller stellte daraufhin am 8. Juni 2016 Antrag auf richterliche Festsetzung mit dem Begehren, die vollen von ihm abgerechneten Kosten zu erstatten.

Rechtsgrundlage der Festsetzung sind §§ 8, 8 a, 9 JVEG. Danach war die Vergütung in Höhe des eingezahlten Vorschusses von 1.500,00 EUR festzusetzen.

Der erheblichen Unterschreitung der im Verwaltungswege festgesetzten Kosten steht das Verschlechterungsverbot (reformatio in peius) nicht entgegen. Denn die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG stellt keine Überprüfung der vom Kostenbeamten vorgenommenen Ermittlung der Entschädigung oder Vergütung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Festsetzung durch den Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Festsetzung hinfällig wird. Damit wird eine vorherige Berechnung der Beträge im Verwaltungsweg sowohl bei den Einzelpositionen als auch im Gesamtergebnis gegenstandslos. Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungs- oder Vergütungsanspruchs vorzunehmen, ohne auf Einwände gegen die im Verwaltungsweg erfolgte Festsetzung beschränkt zu sein. Die vom Gericht festgesetzte Entschädigung oder Vergütung kann daher auch niedriger ausfallen, als sie zuvor vom Kostenbeamten festgesetzt worden ist; das Verbot der reformatio in peius gilt nicht (allgemeine Meinung, vgl. z. B. Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Auflage 2014, § 4 Rdnr. 12 m.w.N. und Bayrisches Landessozialgericht, Beschluss vom 22. August 2016, Az. L 15 RF 28/16 , Rn 13, zitiert nach juris).

§ 8 a Abs. 4 JVEG schreibt vor, dass der Berechtigte die Vergütung nur in Höhe des Auslagenvorschusses erhält, wenn diese den angeforderten Auslagenvorschuss erheblich übersteigt und der Berechtigte nicht rechtzeitig auf diesen Umstand hingewiesen hat.

Vorliegend hat der Antragsteller zwar formal auf die übersteigenden Kosten hingewiesen, aber die vom Gesetzgeber als selbstverständlich vorausgesetzte Wartepflicht auf die Nachricht des Gerichts, wie weiter verfahren werden soll, verletzt. Die Hinweispflicht auf die erhebliche Überschreitung des Kostenvorschusses ist vom Gesetzgeber nicht als rechtsfolgenlose Formvorschrift gedacht, sondern soll den Kostenpflichtigen – hier die Klägerin – in die Lage versetzen, zu entscheiden, ob die erheblichen Mehrkosten für das Gutachten aufgebracht werden sollen oder aber ob auf das Gutachten verzichtet werden soll. So war bereits vor Inkrafttreten des § 8a JVEG unter Geltung der Vorschrift des § 407 a Abs. 3 Satz Zivilprozessordnung (ZPO) anerkannt, dass die Hinweispflicht des Sachverständigen den Beteiligten in die Lage versetzen sollte, von einer kostspieligen Beweisaufnahme Abstand zu nehmen. Schon nach damals geltendem Recht konnte die Nichtbeachtung der Hinweispflicht unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Kürzung der Vergütung des Sachverständigen führen (vgl. z. B. Meyer/Höver/Bach, JVEG, Kommentar, 25. Auflage 2011, § 8 Rdnr. 8.18). Während nach dem "alten" Recht eine Kürzung nicht in Betracht kam, wenn feststand, dass trotz eines Hinweises die Beweiserhebung durch den Sachverständigen fortgesetzt worden wäre, hat der Gesetzgeber mit § 8 a Abs. 4, 5 JVEG die Rechtslage insoweit verschärft. Es kommt nun nicht mehr darauf an, ob das Gutachten letztlich auch zu den teureren Kosten von der Klägerseite getragen worden wäre.

Abgesehen von dieser Verschärfung zeigt der dargestellte Zweck der Hinweispflicht, dass der Sachverständige selbstverständlich abzuwarten hat, ob das Gutachten zu den kostspieligeren Konditionen erstattet werden soll oder nicht. Diese Selbstverständlichkeit bedarf eigentlich keiner weiteren Begründung (so auch Bayrisches Landessozialgericht, Beschluss vom 22. August 2016, Az. L 15 RF 28/16, Rdnr. 41, zitiert nach juris).

Vorliegend hat der Gutachter einen Hinweis des Gerichtes im Sinne einer Erstattung des Gutachtens nicht abgewartet. Vielmehr wurde seine Erwartung der Kostenzusage für das Gutachten in Höhe von rund 6.000,00 EUR durch die Ausführungen des Vorsitzenden des zuständigen JVEG-Senats enttäuscht, so dass ihm ohnehin hätte klar sein müssen, dass eine Gutachtenzusage zu den geforderten Konditionen nicht erfolgen werde.

Sollte der Sachverständige trotz des eindeutigen und fettgedruckten Hinweises im Anschreiben zur Beweisanordnung noch im Zweifel gewesen sein, ob das Gutachten – entgegen den Ausführungen des zuständigen Senats des Landessozialgerichts – hätte erstattet werden sollen, so wäre zumindest eine Rückfrage bei Gericht erforderlich gewesen. Eine solche Rücksprache hat der Sachverständige allerdings nicht gehalten und es vorgezogen, trotz fehlender Zusage des Gerichts, das Gutachten möglichst schnell zu erstatten.

So ist das Gutachten nach Anforderung des Vorschusses am 2. September 2015 – ohne dass dieser eingezahlt worden wäre und ohne dass das Gericht die Fortsetzung der Gutachtenerstattung angeordnet hätte – am 2. Oktober 2015 mit Rechnung eingegangen.

Damit liegen die Voraussetzungen vor, bei denen der Gesetzgeber in § 8 a Abs. 4, 5 JVEG eine Begrenzung der Vergütung auf die Höhe des geleisteten Vorschusses vorsieht.

Es bedarf auch keiner weiteren Begründung, dass dem Sachverständigen hier ein Verschulden zur Last zu legen ist, denn nach seinem Schreiben vom 5. August 2015 hatte er angekündigt, bis zur Kostenzusage des Gerichts mit der Erstattung des Gutachtens zu warten, hat sich dann aber trotz der für ihn negativen Auskünfte des Vorsitzenden des für die JVEG-Sachen zuständigen Senats dazu entschlossen, das Gutachten trotz der Wartepflicht zu erstatten. Es ist daher davon auszugehen, dass er diese vorsätzlich verletzt hat.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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