Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 115 U 265/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 21 U 151/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 19/17 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Auch Beschäftigte gehören zu denjenigen Personen, die im Sinne von § 128 Abs 1 Nr 6 SGB 7 in Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen "tätig sind" - mit der Folge, dass für sie nach § 185 Abs 2 S 1 SGB 7 keine Beiträge erhoben werden.
Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Urteils des Sozialgerichts vom 9. September 2015 wie folgt neu gefasst wird: Der Bescheid des Beklagten vom 1. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2010 wird abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, seinen Bescheid vom 11. März 2010 vollumfänglich aufzuheben. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 38.572,68 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen einen Beitragsbescheid des Beklagten für das Jahr 2010, mit dem der Beklagte für Personen, die in Einrichtungen des Klägers zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen im Gebiet des Landesverbands Niedersachsen/Bremen hauptamtlich tätig sind, Beiträge erhoben hat. Streitig ist in erster Linie, ob insoweit überhaupt Beiträge erhoben werden dürfen.
Der Kläger ist ein im Jahre 1952 gegründeter eingetragener Verein mit Sitz in B. Er ist Hilfsorganisation und Verband der freien Wohlfahrtspflege. Er gliedert sich in rechtlich unselbständige Landes-, Regional-, Kreis- und Ortsverbände mit zahlreichen Einrichtungen in ganz Deutschland. Satzungsmäßige Aufgabe ist der Dienst am Nächsten. Neben Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen und zum Bevölkerungsschutz betreibt der Kläger Einrichtungen im Gesundheits- und Sanitätsdienst, in der Kinder- und Jugendarbeit, der Alten- und Behindertenbetreuung sowie der ambulanten und stationären Pflege.
Die gesetzliche Unfallversicherung für die in den Einrichtungen des Klägers haupt- und ehrenamtlich tätigen Personen wurde in der Vergangenheit von den Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand durchgeführt, und zwar überwiegend beitragsfrei.
Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 15. August 1996 mit, dass sich seine Zuständigkeit bei den traditionellen Hilfeleistungsorganisationen, zu denen auch der Kläger gehöre, nach der von den Mitgliedern des Bundesverbands der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand e. V. (BAGUV) vertretenen Rechtsauffassung auf alle Einrichtungen erstrecke, die mit dem Ziel der Hilfeleistung bei Unglücksfällen dienten; sie schließe sämtliche dazu eingesetzten ehrenamtlichen Helfer sowie sonstige Mitarbeiter mit ein.
Ab spätestens Anfang der 2000er Jahre kam es zu Streitigkeiten zwischen den Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand einerseits und den gewerblichen Berufsgenossenschaften, namentlich der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), andererseits über die Zuständigkeit bzw. über die Abgrenzung von Zuständigkeiten für Einrichtungen des Klägers und anderer Organisationen.
Mit Bescheid vom 13. Januar 2006 erklärte der Beklagte für die im Gebiet des Landesverbands Niedersachen/Bremen gelegenen Einrichtungen des Klägers seine Zuständigkeit "für Beschäftigte und unentgeltlich Tätige". Er führte aus, dass er der zuständige Unfallversicherungsträger für Personen im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 12 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sei, die in Einrichtungen des Klägers unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig seien oder an Ausbildungsveranstaltungen teilnehmen würden. Darüber hinaus sei er seit dem 1. Januar 2005 auch der zuständige Unfallversicherungsträger für die hauptamtlich Beschäftigten. Für diese werde er den Kläger ab dem genannten Stichtag gemäß § 25 seiner Satzung zur Beitragszahlung heranziehen.
Für die Jahre 2005 bis 2009 erhob der Beklagte entsprechend seiner Ankündigung Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung vom Kläger, die vom Kläger auch gezahlt wurden.
Im Dezember 2009 schloss die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), stellvertretend für die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand und die gewerblichen Berufsgenossenschaften, mit dem Kläger und einer weiteren Organisation eine Vereinbarung, in welcher sich die Beteiligten verpflichteten, die zuvor in einem gemeinsamen Auslegungskatalog festgelegten unfallversicherungsrechtlichen Zuständigkeiten umzusetzen, und zwar ab Januar 2010 (im Folgenden: Zuständigkeitsvereinbarung). Der gemeinsame Auslegungskatalog sah im Wesentlichen eine Zuständigkeit der BGW auf dem Gebiet des Gesundheitsdienstes und der Wohlfahrtspflege und eine Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand auf dem Gebiet der Hilfe bei Unglücksfällen vor.
Mit Bescheid vom 11. März 2010 setzte der Beklagte für das Jahr 2010 für die im Gebiet des Landesverbands Niedersachsen/Bremen gelegenen Einrichtungen des Klägers einen Beitrag in Höhe von 41.372,31 Euro fest. Unter Hinweis auf § 25 Abs. 4 seiner Satzung berechnete er diesen Beitrag aus der von ihm angenommenen Anzahl der Versicherten im Jahr vor der Beitragserhebung – 399 – und einem Beitragssatz je Versichertem in Höhe von 103,69 Euro.
Mit Schreiben vom 10. Mai 2010 bat der Kläger den Beklagten unter Hinweis auf die im Dezember 2009 getroffene Zuständigkeitsvereinbarung darum, den Beitragsbescheid für das Jahr 2010 wieder aufzuheben. Der Beklagte möge sich zunächst mit der DGUV und der BGW abstimmen.
Nach einer Besprechung zwischen Mitarbeitern des Klägers und des Beklagten teilte der Kläger dem Beklagten mit Schreiben vom 23. August 2010 "die korrigierte Zahl der Versicherten zur Errechnung der Beiträge für das Jahr 2010" mit. Es handle sich um 202 Vollbeschäftigte und 415 Teilzeit- und Zeitbeschäftigte.
Mit Bescheid "über die Neufestsetzung der Beiträge für das Jahr 2010 [ ] unter teilweiser Rücknahme [des] Bescheides vom 11.03.2010" setzte der Beklagte den Beitrag für das Jahr 2010 unter Bezugnahme auf § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf nunmehr 38.572,68 Euro fest. Er führte aus, dass sich der neue Beitrag aus der Nichtberücksichtigung der Mitarbeiter aus dem Bereich der Wohlfahrtspflege ergebe.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Ende September 2010 Widerspruch ein und machte geltend, dass für die bei ihm tätigen Versicherten keine Beiträge zu erheben seien. Unabhängig davon sei die Neuberechnung des Beitrags für das Jahr 2010 nicht nachvollziehbar.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Grundlage der Beitragsfestsetzung seien §§ 150, 185 SGB VII i. V. m. § 25 Abs. 1 seiner Satzung. Die Satzung verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Bei der Festsetzung des Beitrags im Bescheid vom 1. September 2010 seien die vom Kläger mit Schreiben vom 23. August 2010 korrigierten Zahlen der Versicherten berücksichtigt worden. Die Zuständigkeitsvereinbarung aus Dezember 2009 regle ausschließlich unfallversicherungsrechtliche Zuständigkeiten; Beitragsangelegenheiten würden durch sie nicht berührt.
Am 15. November 2010, einem Montag, hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Hannover erhoben. Das Sozialgericht Hannover hat sich für örtlich unzuständig erklärt und hat den Rechtsstreit an das Sozialgericht Berlin verwiesen (Beschluss vom 5. April 2011).
Mit seiner Klage hat der Kläger beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 1. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2010 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, den Beitragsbescheid vom 11. März 2010 aufzuheben. Er hat vorgetragen, dass gemäß § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII i. V. m. § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII sämtliche seiner im Unglückshilfe-Bereich tätigen Mitarbeiter – ehrenamtliche und hauptamtliche – beitragsfrei zu versichern seien. Zur Begründung hat er sich u. a. auf ein in seinem Auftrag erstelltes Rechtsgutachten (Ricke, Rechtsgutachten zu Fragen der Zuständigkeit und der Beitragspflicht der Johanniter-Unfallhilfe e. V. – JUH – in der gesetzlichen Unfallversicherung, Mai 2003; gekürzte Fassung abgedruckt in SGb 2003, 566 ff.), auf zwischen ihm und der DGUV geführten Schriftverkehr aus dem Jahr 2010 sowie auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. November 2006 (Az.: B 2 U 33/05 R) berufen. Weiter hat er geltend gemacht, dass der Beklagte nicht der zuständige Unfallversicherungsträger sei.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 9. September 2015 in vollem Umfang stattgegeben. Es hat ausgeführt, dass gemäß § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII für Versicherte nach § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII Beiträge nicht zu erheben seien. Die Beitragsfreiheit beziehe sich nicht nur auf ehrenamtlich tätige Versicherte, sondern auch auf Beschäftigte. Hierfür spreche zum einen der Wortlaut der Vorschriften, welchem eine Einschränkung insoweit nicht zu entnehmen sei. Zum anderen würden auch systematische Erwägungen diese Betrachtungsweise stützen. § 128 Abs. 1 SGB VII nehme an mehreren Stellen, z. B. in Nr. 7, 8 und 10, ausdrücklich Bezug auf § 2 SGB VII; demgegenüber verweise er in Nr. 6 gerade nicht auf die in § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII genannten (ehrenamtlich tätigen) Versicherten. Ferner lasse sich der Zweck des Gesetzes für die Einbeziehung von Beschäftigten in den Personenkreis des § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII anführen. Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen seien im öffentlichen Interesse tätig und würden nicht gewinnorientiert arbeiten; dafür erhielten sie Unterstützung, indem für sie keine Beitragspflicht entstehe und die Beiträge vielmehr aus öffentlichen Haushalten aufgebracht würden. Diese Auffassung werde auch vom Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 28. November 2006 vertreten. Der Gesetzgeber habe trotz Veränderungen in der Tätigkeit und der Ausrichtung von Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen bis heute keine Änderung des § 185 Abs. 2 SGB VII bzw. des § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII vorgenommen.
Am 28. September 2015 hat der Beklagte Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts eingelegt.
Er trägt vor, dass die Beitragsfreiheit nach § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht für Beschäftigte gelte. Die Zuständigkeitsregelung des § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII, auf die § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII Bezug nehme, betreffe ausschließlich ehrenamtlich tätige Personen nach § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII. Für diesen Personenkreis gebe es Sonderregelungen hinsichtlich des zuständigen Unfallversicherungsträgers und der Finanzierung und als Konsequenz hieraus auch bezüglich der Haftungsbeschränkungen nach §§ 104 ff. SGB VII (vgl. § 106 Abs. 3 SGB VII). Letztlich seien diese Sonderregelungen Folge einer politischen Entscheidung zugunsten des Ehrenamts und des bürgerschaftlichen sozialen Engagements.
Dass der Unfallversicherungsschutz nur gegen Zahlung von Beiträgen durch den Unternehmer erlangt werden könne, sei Geschäftsgrundlage für die gesetzliche Unfallversicherung insgesamt. Dies ergebe sich nicht nur aus den allgemeinen beitragsrechtlichen Vorschriften (§§ 150, 151 SGB VII) sondern auch aus dem Prinzip der "Haftungsersetzung" durch Unfallversicherung, welches in §§ 104, 105 SGB VII zum Ausdruck komme.
Die Grundregel der Erhebung von Beiträgen für Beschäftigte habe der Gesetzgeber durch § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nicht aufheben wollen. In den Gesetzesmaterialien zu §§ 128, 185 SGB VII finde sich diesbezüglich kein Wort.
Der Bestimmung des § 185 Abs. 2 SGB VII liege noch ein Verständnis zugrunde, wonach in den Unternehmen zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen fast ausschließlich Ehrenamtliche tätig seien. Dies habe sich aber in den letzten 15 bis 20 Jahren erheblich geändert. Nunmehr würden solche Unternehmen an dem staatlich organisierten Rettungsdienst und den Krankentransporten teilnehmen. Weder aus der Gesetzesbegründung noch aus irgendwelchen anderen Verlautbarungen lasse sich eine halbwegs tragfähige Begründung für eine beitragsmäßige Privilegierung von Beschäftigten herleiten. Die Tatsache, dass Unternehmen zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen im öffentlichen Interesse tätig seien und nicht gewinnorientiert arbeiten würden, treffe gleichermaßen auf diverse andere Organisationen zu; für die dort Beschäftigten würden Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung erhoben.
Soweit der Gesetzgeber – aus welchen Gründen auch immer – Beschäftigte beitragsmäßig habe begünstigen wollen, habe er dies durch entsprechende Bestimmungen über die Erstattung von Aufwendungen für diese Versicherten zum Ausdruck gebracht (§ 186 Abs. 3 Satz 3 SGB VII i. V. m. § 125 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII: Versicherung von für das Deutsche Rote Kreuz Tätigen zu Lasten des Bundeshaushalts). Vergleichbare Regelungen würden im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung existieren (§ 179 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – SGB VI). Für die hier in Frage stehenden Beschäftigten fehle es demgegenüber an einer entsprechenden Vorschrift.
Die Annahme einer beitragsfreien Versicherung von Beschäftigten würde darin resultieren, dass das Land die Kosten dieser Versicherung tragen und der Kläger entsprechend entlastet würde. Hierin wäre eine nach Art. 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) unionswidrige Beihilfe zu sehen. Ferner würde es einen Verstoß gegen das Kartellrecht einschließlich des europäischen Kartellrechts darstellen, würde der Kläger Wettbewerbsvorteile dadurch erlangen, dass er – anders als seine Mitbewerber – Kosten für Unfallversicherungsbeiträge einsparen könnte. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass der Kläger im Bereich des Landesverbands Niedersachsen/Bremen Rettungsdienste erbringe. Hierauf bewerbe er sich nach den Regeln des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes, beteilige sich an Ausschreibungen und konkurriere mit anderen Unternehmen der freien Wohlfahrtspflege sowie mit privaten Rettungsdienstunternehmen.
Im Übrigen sei er (der Beklagte) auch der zuständige Unfallversicherungsträger. Insoweit sei auf den Zuständigkeitsbescheid (2006) sowie auf die Zuständigkeitsvereinbarung (2009) hinzuweisen.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. September 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er schließt sich der Argumentation des Sozialgerichts Berlin im angefochtenen Urteil an und verweist ferner auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Hannover vom 7. Oktober 2015 (Az.: S 22 U 128/11). Weiter trägt er vor, dass sich weder aus den vom Beklagten genannten Aufwendungserstattungsvorschriften (§ 186 Abs. 3 Satz 3 SGB VII i. V. m. § 125 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII, § 179 SGB VI) noch aus den Haftungsbeschränkungsregelungen (§§ 104 ff. SGB VII) Argumente für eine Beitragspflicht herleiten ließen. Es würde zu Wettbewerbsverzerrungen führen, wenn einerseits die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes beitragsfrei versichert blieben und andererseits für seine im Unglückshilfe-Bereich tätigen Mitarbeiter Beiträge erhoben würden. Eine Pflicht zur Ausschreibung von Rettungsdienstleistungen gebe es in Deutschland nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt der hiesigen Gerichtsakten, der beigezogenen Gerichtsakten zum einstweiligen Rechtsschutzverfahren (Az.: L 2 U 230/11 B ER) sowie der ebenfalls beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft (§ 143 Sozialgerichtsgesetz – SGG) sowie form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.
I. Die Klage ist zulässig. Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG), gerichtet auf die Abänderung des Bescheids des Beklagten vom 1. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2010 sowie auf die Verpflichtung des Beklagten, den Beitragsbescheid vom 11. März 2010 vollumfänglich zurückzunehmen.
Nach dem Wortlaut des vor dem Sozialgericht gestellten Klageantrags fordert der Kläger zwar die Aufhebung des Bescheids vom 1. September 2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2010) – dem hat das Sozialgericht mit seinem Urteil auch entsprochen. Aufgrund des bei der Auslegung des Antrags zu berücksichtigenden Vorbringens des Klägers (vgl. § 123 SGG) war die Klage jedoch von vornherein ersichtlich lediglich auf die Abänderung dieses Bescheids gerichtet.
Der Beklagte hat mit dem Bescheid vom 1. September 2010 den Beitragsbescheid vom 11. März 2010 bereits teilweise zurückgenommen; er hat den ursprünglich festgesetzten Beitrag in Höhe von 41.372,31 Euro um 2.799,63 Euro auf 38.572,68 Euro reduziert. Bezüglich dieser – für ihn günstigen Regelung – hat der Kläger den Bescheid vom 1. September 2010 nicht angegriffen. Seine Klage zielte und zielt vielmehr darauf ab, dass der Bescheid vom 1. September 2010 auch insoweit aufgehoben wird, als der Beklagte darin die weitergehende Rücknahme des Bescheids vom 11. März 2010 abgelehnt hat (Anfechtungsteil), und dass der Beklagte vom Gericht verpflichtet wird, dies nunmehr zu tun (Verpflichtungsteil). Ein über den zuvor dargestellten Inhalt hinausgehender Regelungsgehalt lässt sich dem Bescheid vom 1. September 2010 im Übrigen nicht entnehmen. Soweit darin von einer "Neufestsetzung" der Beiträge die Rede ist, kann der objektive Erklärungsinhalt des Bescheids aus Sicht des Erklärungsempfängers (vgl. zur Auslegung von Verwaltungsakten z. B. BSG, Urteil vom 3. April 2014 – B 2 U 25/12 R –, BSGE 115, 256) nur so verstanden werden, dass sich diese "Neufestsetzung" in der Teilrücknahme des Beitragsbescheids vom 11. März 2010 und der damit einhergehenden Reduzierung des ursprünglich festgesetzten Beitrags erschöpft, denn schon als Folge dieser Regelung ergibt sich der "neue" Beitrag in Höhe 38.572,68 Euro, der in dem Bescheid vom 1. September 2010 genannt wird.
II. Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass die Klage auch begründet ist. Der Bescheid vom 1. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2010 ist, soweit der Beklagte die weitergehende Rücknahme des Beitragsbescheids vom 11. März 2010 abgelehnt hat, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf vollumfängliche Aufhebung des Beitragsbescheids vom 11. März 2010.
Rechtliche Grundlage des Anspruchs des Klägers ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozial¬leistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind hier gegeben. Der Beklagte hat bei Erlass des Bescheids vom 11. März 2010 das Recht unrichtig angewandt, indem er Beiträge für die in den Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen tätigen Beschäftigten des Klägers erhoben hat, obwohl er zur Beitragserhebung nicht befugt war. Die Beschäftigten sind (ebenso wie die ehrenamtlich Tätigen) beitragsfrei versichert.
Die Erhebung von Beiträgen durch die Gemeindeunfallversicherungsverbände (hier: den Beklagten), die Unfallkassen der Länder und Gemeinden, die gemeinsamen Unfallkassen und die Feuerwehr-Unfallkassen ist in § 185 SGB VII besonders geregelt. Die Vorschrift erklärt in Abs. 1 einige der allgemeinen beitragsrechtlichen Bestimmungen für anwendbar, enthält aber im Übrigen spezielle Regelungen zu Umlagegruppen (Abs. 3), zum Beitragsmaßstab (Abs. 4) und zur Abstufung der Beiträge nach dem Gefährdungsrisiko (Abs. 5).
§ 185 Abs. 2 SGB VII regelt die Beitragsfreiheit. Danach werden für Versicherte nach § 128 Abs. 1 Nr. 2 bis 9 und 11 und § 129 Abs. 1 Nr. 3 bis 7 SGB VII Beiträge nicht erhoben (§ 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Aufwendungen für diesen Personenkreis werden auf das Land bzw. die Gemeinden oder die Gemeindeverbände umgelegt (vgl. § 185 Abs. 2 Satz 2 SGB VII).
§ 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII verknüpft die Beitragsfreiheit, indem er auf §§ 128, 129 SGB VII Bezug nimmt, mit den Vorschriften über die Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger im Landesbereich und im kommunalen Bereich.
Nach § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII sind die Unfallversicherungsträger im Landesbereich zuständig für Personen, die in Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Einrichtungen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen. In Niedersachsen hat die Landesregierung die Zuständigkeit der Landesunfallkasse Niedersachsen – dem Unfallversicherungsträger im Landesbereich – gemäß § 128 Abs. 2 SGB VII durch Rechtsverordnung auf die Unfallversicherungsträger im kommunalen Bereich, u. a. auf den Beklagten, übertragen (Verordnung über die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand und Besoldungshöchstgrenzen für bestimmte Sozialversicherungsträger vom 14. Dezember 2005, Nds. GVBl. 2005, 405).
Der Kläger betreibt derartige Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen. Die Personen, die in seinen Einrichtungen tätig sind, arbeiten teilweise ehrenamtlich. Zum anderen Teil handelt es sich um (hauptamtlich) Beschäftigte.
Ganz überwiegend wird vertreten, dass auch Beschäftigte zu denjenigen Personen gehören, die im Sinne von § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII in Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen "tätig sind" – mit der Folge, dass für sie nach § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII keine Beiträge erhoben werden (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 128 SGB VII Rn. 7 und § 185 Rn. 4; Triebel, in: jurisPK-SGB VII, § 128 Rn. 47 und § 185 Rn. 22; Diel, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 128 Rn. 35; Kater/Leube, SGB VII, § 128 Rn. 21; Bigge, in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 128 Rn. 35; Spanknebel, in: LPK-SGB VII, § 128 Rn. 9; Ricke, SGb 2003, 566, 571; a. A. wohl Schmitt, SGB VII, § 128 Rn. 12). Das Bundessozialgericht hat sich in seiner Entscheidung vom 28. November 2006 (Az.: B 2 U 33/05 R) zu dieser Frage zwar nicht ausdrücklich geäußert; es hat aber immerhin die Hilfe bei Unglücksfällen als eine der staatlichen Gemeinschaft obliegende Aufgabe bezeichnet, für die deshalb beitragsfreier Versicherungsschutz bestehe, und hat in diesem Zusammenhang haupt- und ehrenamtlich Tätige erwähnt (vgl. Rn. 22 des Urteils).
Der Senat schließt sich der herrschenden Auffassung an.
Nach dem Wortlaut des § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII (i. V. m. § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII) gilt die Beitragsfreiheit generell und einschränkungslos "für Personen, die in Einrichtungen [ ] tätig sind". Die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung enthält keinen Hinweis darauf, dass eine Differenzierung nach Ehrenamt und Beschäftigungsverhältnis erfolgen soll. Eine Begrenzung auf ehrenamtlich Tätige kann insbesondere nicht der Verwendung der Begriffe "tätig sind" entnommen werden, denn nach ihrem Wortsinn sagen diese nichts über die der Tätigkeit zugrunde liegende Rechtsbeziehung aus. Das SGB VII verwendet diese Begriffe ("tätig sind") im Übrigen auch an mehreren anderen Stellen eindeutig im Zusammenhang mit Versicherten, die in Beschäftigungsverhältnissen stehen, so etwa in § 133 Abs. 1 SGB VII ("Unternehmen, für das die Versicherten tätig sind") und in § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB VII (Beitragspflicht für "Unternehmer, für deren Unternehmen Versicherte tätig sind").
Die Regelungssystematik spricht ebenfalls dafür, dass Beschäftigte zu den von § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII (i. V. m. § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII) erfassten und damit beitragsfrei versicherten Personen gehören. § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII begründet Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung für Personen, die unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen tätig sind. Hätte der Gesetzgeber die Beitragsfreiheit auf unentgeltlich bzw. ehrenamtlich tätige Versicherte beschränken wollen, so wäre zu erwarten, dass er in § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII oder in § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII auf § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII Bezug genommen hätte. Genau dies hat er aber gerade nicht getan. Hieraus kann geschlossen werden, dass die Beitragsfreiheit auch für Beschäftigte gelten soll. Dieser Rückschluss ist umso mehr gerechtfertigt, als § 128 Abs. 1 SGB VII an anderer Stelle ausdrücklich auf Versicherungstatbestände des § 2 SGB VII verweist, so etwa in Nr. 5 ("für Personen, die nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 versichert sind"), in Nr. 7 ("für Personen, die nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a und c versichert sind") und in Nr. 8 ("für Personen, die nach § 2 Abs. 2 Satz 2 versichert sind").
Die hier vertretene Auffassung wird durch den Sinn und Zweck der §§ 185 Abs. 2 Satz 1, 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII untermauert. Der Grund dafür, dass der eine Einrichtung zur Hilfe bei Unglücksfällen betreibende Unternehmer keiner Beitragspflicht ausgesetzt wird, dass vielmehr die Beiträge aus öffentlichen Haushalten aufgebracht werden, ist darin zu sehen, dass derartige Institutionen eine der staatlichen Gemeinschaft obliegende Aufgabe erfüllen (BSG, Urteil vom 28. November 2006 – B 2 U 33/05 R –, BSGE 97, 279, Rn. 22; Ricke, SGb 2003, 566, 571). Der Gesetzgeber hat durch die Beitragsfreiheit zu Lasten der öffentlichen Kassen zum Ausdruck gebracht, dass er die Arbeit von Unglückshilfe-Unternehmen für stärker unterstützungsbedürftig hält als die anderer Organisationen – einschließlich die der Unternehmen des Gesundheitsdienstes und der Wohlfahrtspflege. Es ist nicht einzusehen, weshalb die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen tätigen Beschäftigten von der gesetzgeberischen Wertentscheidung ausgeschlossen sein sollten. Die Arbeit der ehrenamtlichen Helfer wäre ohne einen Kern von Beschäftigten überhaupt nicht denkbar (ebenso Ricke, SGb 2003, 566, 571).
Auch die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes sind beitragsfrei (bei der Unfallkasse des Bundes) versichert, soweit sie im Interesse der Allgemeinheit liegende Aufgaben im Katastrophenschutz, bei öffentlichen Notständen und Unglücksfällen und bei der Erfüllung ihrer internationalen Verpflichtungen wahrnehmen (vgl. § 125 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII i. V. m. § 186 Abs. 3 Satz 3 SGB VII). Ausgenommen sind lediglich die beim Deutschen Roten Kreuz für Unternehmen des Gesundheitswesens und der Wohlfahrtspflege Tätigen (§ 125 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII), also z. B. Beschäftigte in Krankenhäusern, Kinder-, Pflege- und Altersheimen, Kindertagesstätten oder Sozialstationen (vgl. Diel, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 125 Rn. 27). Gründe, die es rechtfertigen würden, den Kläger und andere vergleichbare Organisationen schlechter zu stellen als das Deutsche Rote Kreuz, sind nicht erkennbar (so auch Ricke, SGb 2003, 566, 571).
Schließlich lässt sich die Entstehungsgeschichte der §§ 185 Abs. 2 Satz 1, 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII für die beitragsfreie Versicherung (auch) von Beschäftigten eines Unglückshilfe-Unternehmens anführen. Nach der Gesetzesbegründung wurde die Beitragsfreiheit "entsprechend dem geltenden Recht" geregelt (BT-Drucks. 13/2204 S. 106, 115), d. h. es war keine Änderung der bis dahin geltenden Rechtslage bezweckt. Nach der Vorgängervorschrift (§ 771 Abs. 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung – RVO) war die Beitragsfreiheit für Beschäftigte indes unstreitig gegeben (vgl. Ricke, SGb 2003, 566, 571) und wurde auch vom Beklagten angenommen (siehe Schreiben des Beklagten vom 15. August 1996).
Die vom Beklagten vorgebrachten Argumente führen zu keiner anderen Beurteilung.
Der Einwand, dass es in Bezug auf Beschäftigte von Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen an einer § 186 Abs. 3 Satz 3 SGB VII entsprechenden Vorschrift über die Erstattung von Aufwendungen fehle, greift nicht durch. Eine solche Bestimmung existiert sehr wohl: § 185 Abs. 2 Satz 2 SGB VII regelt, dass die Aufwendungen für u. a. Versicherte nach § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII entsprechend der in §§ 128, 129 SGB VII geregelten Zuständigkeiten auf das Land, die Gemeinden oder die Gemeindeverbände umgelegt werden.
Den Vorschriften über die Beschränkung der Haftung der Unternehmer (§ 104 SGB VII), anderer im Betrieb tätiger Personen (§ 105 SGB VII) und weiterer Personen (§ 106 SGB VII) lässt sich ebenfalls nichts entnehmen, was die Auffassung des Beklagten stützen könnte.
§ 104 SGB VII liegt das Finanzierungsargument zugrunde. Als "Gegenleistung" dafür, dass die Unternehmer die Beiträge für die gesetzliche Unfallversicherung alleine tragen, werden sie in großem Umfang von Schadensersatzansprüchen freigestellt. Neben dem Finanzierungsargument wird die Haftungsbeschränkung aber auch damit begründet, dass es dem Betriebsfrieden diene, wenn Schadensersatzansprüche nicht im Verhältnis Angestellter – Unternehmer geltend gemacht werden müssen (Friedensargument) (vgl. zum Ganzen Hollo, in: jurisPK-SGB VII, § 104 Rn. 8 m. w. N.).
In Erweiterung des § 104 SGB VII, der die Haftungsbeschränkung der Unternehmer regelt, befasst sich § 105 SGB VII mit der Haftungsbegrenzung anderer im Betrieb tätiger Personen. Die Regelung lässt sich nicht unmittelbar mit der Finanzierung der gesetzlichen Unfallversicherung durch die Unternehmer begründen, sondern vielmehr mit dem Gedanken des zu schützenden Betriebsfriedens (vgl. Hollo, in: jurisPK-SGB VII, § 105 Rn. 3 m. w. N.).
§§ 106 und 107 SGB VII erweitern die Haftungsbeschränkung auf einige Konstellationen mit ähnlicher Interessenlage, die sich nicht unter § 104 SGB VII oder § 105 SGB VII fassen lassen. So regelt etwa § 106 Abs. 3 SGB VII die Beschränkung der Haftung bei der Zusammenarbeit von Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen.
Erschöpft sich der Zweck der §§ 104 ff. SGB VII somit keineswegs darin, die Haftung von Unternehmern im Hinblick auf die von ihnen zu zahlenden Beiträge zu beschränken (Finanzierungsargument), so können aus diesen Vorschriften schon deshalb keine Erkenntnisse in Bezug auf die Reichweite der in § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII i. V. m. § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII geregelten Beitragsfreiheit gezogen werden.
Schließlich ist nicht erkennbar, dass europäisches Recht der Anwendbarkeit der §§ 185 Abs. 2 Satz 1, 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII entgegenstehen könnte, namentlich ist in den Regelungen keine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu sehen. Denn eine solche setzt u. a. voraus, dass dem Begünstigten durch die in Frage stehende Maßnahme ein selektiver Vorteil gewährt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 – C-522/13 –, juris, Rn. 20). Was die Beurteilung der Voraussetzung der Selektivität betrifft, muss nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs festgestellt werden, ob eine nationale Maßnahme im Rahmen einer bestimmten rechtlichen Regelung geeignet ist, bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 – C-522/13 –, juris, Rn. 34 m. w. N.). Hierfür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, denn die Beitragsfreiheit des § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII i. V. m. § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII kommt unterschiedslos allen Unternehmen zugute, die Hilfe bei Unglücksfällen leisten. Selbst wenn man aber von einer unzulässigen Beihilfe ausgehen wollte, würde dies jedenfalls nicht dazu führen, dass der Beklagte für die Vergangenheit ohne rechtliche Grundlage Beiträge für Beschäftigte von Unglückshilfe-Unternehmen erheben könnte (vgl. zu den Einzelheiten des Verfahrens sowie zu den im Falle einer unzulässigen Beihilfe eintretenden Rechtsfolgen OVG Lüneburg, Beschluss vom 18. Mai 2016 – 9 LA 186/15 –, juris, Rn. 36 ff.). Mit Blick auf diese eindeutige Rechtslage ist der Senat nicht verpflichtet und sieht auch sonst davon ab, das Verfahren auszusetzen und die Frage der Vereinbarkeit der §§ 185 Abs. 2 Satz 1, 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII mit dem Recht der Europäischen Union im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.
Liegen nach allem die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor, so hat der Beklagte den Beitragsbescheid vom 11. März 2010 mit Wirkung für die Vergangenheit vollumfänglich zurückzunehmen.
III. Der (Hauptsache-)Tenor des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts war unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen (siehe unter I.) zum Zwecke der Klarstellung neu zu fassen.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
V. Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
VI. Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt auf der Grundlage von § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen einen Beitragsbescheid des Beklagten für das Jahr 2010, mit dem der Beklagte für Personen, die in Einrichtungen des Klägers zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen im Gebiet des Landesverbands Niedersachsen/Bremen hauptamtlich tätig sind, Beiträge erhoben hat. Streitig ist in erster Linie, ob insoweit überhaupt Beiträge erhoben werden dürfen.
Der Kläger ist ein im Jahre 1952 gegründeter eingetragener Verein mit Sitz in B. Er ist Hilfsorganisation und Verband der freien Wohlfahrtspflege. Er gliedert sich in rechtlich unselbständige Landes-, Regional-, Kreis- und Ortsverbände mit zahlreichen Einrichtungen in ganz Deutschland. Satzungsmäßige Aufgabe ist der Dienst am Nächsten. Neben Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen und zum Bevölkerungsschutz betreibt der Kläger Einrichtungen im Gesundheits- und Sanitätsdienst, in der Kinder- und Jugendarbeit, der Alten- und Behindertenbetreuung sowie der ambulanten und stationären Pflege.
Die gesetzliche Unfallversicherung für die in den Einrichtungen des Klägers haupt- und ehrenamtlich tätigen Personen wurde in der Vergangenheit von den Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand durchgeführt, und zwar überwiegend beitragsfrei.
Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 15. August 1996 mit, dass sich seine Zuständigkeit bei den traditionellen Hilfeleistungsorganisationen, zu denen auch der Kläger gehöre, nach der von den Mitgliedern des Bundesverbands der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand e. V. (BAGUV) vertretenen Rechtsauffassung auf alle Einrichtungen erstrecke, die mit dem Ziel der Hilfeleistung bei Unglücksfällen dienten; sie schließe sämtliche dazu eingesetzten ehrenamtlichen Helfer sowie sonstige Mitarbeiter mit ein.
Ab spätestens Anfang der 2000er Jahre kam es zu Streitigkeiten zwischen den Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand einerseits und den gewerblichen Berufsgenossenschaften, namentlich der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), andererseits über die Zuständigkeit bzw. über die Abgrenzung von Zuständigkeiten für Einrichtungen des Klägers und anderer Organisationen.
Mit Bescheid vom 13. Januar 2006 erklärte der Beklagte für die im Gebiet des Landesverbands Niedersachen/Bremen gelegenen Einrichtungen des Klägers seine Zuständigkeit "für Beschäftigte und unentgeltlich Tätige". Er führte aus, dass er der zuständige Unfallversicherungsträger für Personen im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 12 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sei, die in Einrichtungen des Klägers unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig seien oder an Ausbildungsveranstaltungen teilnehmen würden. Darüber hinaus sei er seit dem 1. Januar 2005 auch der zuständige Unfallversicherungsträger für die hauptamtlich Beschäftigten. Für diese werde er den Kläger ab dem genannten Stichtag gemäß § 25 seiner Satzung zur Beitragszahlung heranziehen.
Für die Jahre 2005 bis 2009 erhob der Beklagte entsprechend seiner Ankündigung Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung vom Kläger, die vom Kläger auch gezahlt wurden.
Im Dezember 2009 schloss die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), stellvertretend für die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand und die gewerblichen Berufsgenossenschaften, mit dem Kläger und einer weiteren Organisation eine Vereinbarung, in welcher sich die Beteiligten verpflichteten, die zuvor in einem gemeinsamen Auslegungskatalog festgelegten unfallversicherungsrechtlichen Zuständigkeiten umzusetzen, und zwar ab Januar 2010 (im Folgenden: Zuständigkeitsvereinbarung). Der gemeinsame Auslegungskatalog sah im Wesentlichen eine Zuständigkeit der BGW auf dem Gebiet des Gesundheitsdienstes und der Wohlfahrtspflege und eine Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand auf dem Gebiet der Hilfe bei Unglücksfällen vor.
Mit Bescheid vom 11. März 2010 setzte der Beklagte für das Jahr 2010 für die im Gebiet des Landesverbands Niedersachsen/Bremen gelegenen Einrichtungen des Klägers einen Beitrag in Höhe von 41.372,31 Euro fest. Unter Hinweis auf § 25 Abs. 4 seiner Satzung berechnete er diesen Beitrag aus der von ihm angenommenen Anzahl der Versicherten im Jahr vor der Beitragserhebung – 399 – und einem Beitragssatz je Versichertem in Höhe von 103,69 Euro.
Mit Schreiben vom 10. Mai 2010 bat der Kläger den Beklagten unter Hinweis auf die im Dezember 2009 getroffene Zuständigkeitsvereinbarung darum, den Beitragsbescheid für das Jahr 2010 wieder aufzuheben. Der Beklagte möge sich zunächst mit der DGUV und der BGW abstimmen.
Nach einer Besprechung zwischen Mitarbeitern des Klägers und des Beklagten teilte der Kläger dem Beklagten mit Schreiben vom 23. August 2010 "die korrigierte Zahl der Versicherten zur Errechnung der Beiträge für das Jahr 2010" mit. Es handle sich um 202 Vollbeschäftigte und 415 Teilzeit- und Zeitbeschäftigte.
Mit Bescheid "über die Neufestsetzung der Beiträge für das Jahr 2010 [ ] unter teilweiser Rücknahme [des] Bescheides vom 11.03.2010" setzte der Beklagte den Beitrag für das Jahr 2010 unter Bezugnahme auf § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf nunmehr 38.572,68 Euro fest. Er führte aus, dass sich der neue Beitrag aus der Nichtberücksichtigung der Mitarbeiter aus dem Bereich der Wohlfahrtspflege ergebe.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Ende September 2010 Widerspruch ein und machte geltend, dass für die bei ihm tätigen Versicherten keine Beiträge zu erheben seien. Unabhängig davon sei die Neuberechnung des Beitrags für das Jahr 2010 nicht nachvollziehbar.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Grundlage der Beitragsfestsetzung seien §§ 150, 185 SGB VII i. V. m. § 25 Abs. 1 seiner Satzung. Die Satzung verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Bei der Festsetzung des Beitrags im Bescheid vom 1. September 2010 seien die vom Kläger mit Schreiben vom 23. August 2010 korrigierten Zahlen der Versicherten berücksichtigt worden. Die Zuständigkeitsvereinbarung aus Dezember 2009 regle ausschließlich unfallversicherungsrechtliche Zuständigkeiten; Beitragsangelegenheiten würden durch sie nicht berührt.
Am 15. November 2010, einem Montag, hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Hannover erhoben. Das Sozialgericht Hannover hat sich für örtlich unzuständig erklärt und hat den Rechtsstreit an das Sozialgericht Berlin verwiesen (Beschluss vom 5. April 2011).
Mit seiner Klage hat der Kläger beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 1. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2010 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, den Beitragsbescheid vom 11. März 2010 aufzuheben. Er hat vorgetragen, dass gemäß § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII i. V. m. § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII sämtliche seiner im Unglückshilfe-Bereich tätigen Mitarbeiter – ehrenamtliche und hauptamtliche – beitragsfrei zu versichern seien. Zur Begründung hat er sich u. a. auf ein in seinem Auftrag erstelltes Rechtsgutachten (Ricke, Rechtsgutachten zu Fragen der Zuständigkeit und der Beitragspflicht der Johanniter-Unfallhilfe e. V. – JUH – in der gesetzlichen Unfallversicherung, Mai 2003; gekürzte Fassung abgedruckt in SGb 2003, 566 ff.), auf zwischen ihm und der DGUV geführten Schriftverkehr aus dem Jahr 2010 sowie auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. November 2006 (Az.: B 2 U 33/05 R) berufen. Weiter hat er geltend gemacht, dass der Beklagte nicht der zuständige Unfallversicherungsträger sei.
Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 9. September 2015 in vollem Umfang stattgegeben. Es hat ausgeführt, dass gemäß § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII für Versicherte nach § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII Beiträge nicht zu erheben seien. Die Beitragsfreiheit beziehe sich nicht nur auf ehrenamtlich tätige Versicherte, sondern auch auf Beschäftigte. Hierfür spreche zum einen der Wortlaut der Vorschriften, welchem eine Einschränkung insoweit nicht zu entnehmen sei. Zum anderen würden auch systematische Erwägungen diese Betrachtungsweise stützen. § 128 Abs. 1 SGB VII nehme an mehreren Stellen, z. B. in Nr. 7, 8 und 10, ausdrücklich Bezug auf § 2 SGB VII; demgegenüber verweise er in Nr. 6 gerade nicht auf die in § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII genannten (ehrenamtlich tätigen) Versicherten. Ferner lasse sich der Zweck des Gesetzes für die Einbeziehung von Beschäftigten in den Personenkreis des § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII anführen. Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen seien im öffentlichen Interesse tätig und würden nicht gewinnorientiert arbeiten; dafür erhielten sie Unterstützung, indem für sie keine Beitragspflicht entstehe und die Beiträge vielmehr aus öffentlichen Haushalten aufgebracht würden. Diese Auffassung werde auch vom Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 28. November 2006 vertreten. Der Gesetzgeber habe trotz Veränderungen in der Tätigkeit und der Ausrichtung von Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen bis heute keine Änderung des § 185 Abs. 2 SGB VII bzw. des § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII vorgenommen.
Am 28. September 2015 hat der Beklagte Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts eingelegt.
Er trägt vor, dass die Beitragsfreiheit nach § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht für Beschäftigte gelte. Die Zuständigkeitsregelung des § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII, auf die § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII Bezug nehme, betreffe ausschließlich ehrenamtlich tätige Personen nach § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII. Für diesen Personenkreis gebe es Sonderregelungen hinsichtlich des zuständigen Unfallversicherungsträgers und der Finanzierung und als Konsequenz hieraus auch bezüglich der Haftungsbeschränkungen nach §§ 104 ff. SGB VII (vgl. § 106 Abs. 3 SGB VII). Letztlich seien diese Sonderregelungen Folge einer politischen Entscheidung zugunsten des Ehrenamts und des bürgerschaftlichen sozialen Engagements.
Dass der Unfallversicherungsschutz nur gegen Zahlung von Beiträgen durch den Unternehmer erlangt werden könne, sei Geschäftsgrundlage für die gesetzliche Unfallversicherung insgesamt. Dies ergebe sich nicht nur aus den allgemeinen beitragsrechtlichen Vorschriften (§§ 150, 151 SGB VII) sondern auch aus dem Prinzip der "Haftungsersetzung" durch Unfallversicherung, welches in §§ 104, 105 SGB VII zum Ausdruck komme.
Die Grundregel der Erhebung von Beiträgen für Beschäftigte habe der Gesetzgeber durch § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nicht aufheben wollen. In den Gesetzesmaterialien zu §§ 128, 185 SGB VII finde sich diesbezüglich kein Wort.
Der Bestimmung des § 185 Abs. 2 SGB VII liege noch ein Verständnis zugrunde, wonach in den Unternehmen zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen fast ausschließlich Ehrenamtliche tätig seien. Dies habe sich aber in den letzten 15 bis 20 Jahren erheblich geändert. Nunmehr würden solche Unternehmen an dem staatlich organisierten Rettungsdienst und den Krankentransporten teilnehmen. Weder aus der Gesetzesbegründung noch aus irgendwelchen anderen Verlautbarungen lasse sich eine halbwegs tragfähige Begründung für eine beitragsmäßige Privilegierung von Beschäftigten herleiten. Die Tatsache, dass Unternehmen zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen im öffentlichen Interesse tätig seien und nicht gewinnorientiert arbeiten würden, treffe gleichermaßen auf diverse andere Organisationen zu; für die dort Beschäftigten würden Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung erhoben.
Soweit der Gesetzgeber – aus welchen Gründen auch immer – Beschäftigte beitragsmäßig habe begünstigen wollen, habe er dies durch entsprechende Bestimmungen über die Erstattung von Aufwendungen für diese Versicherten zum Ausdruck gebracht (§ 186 Abs. 3 Satz 3 SGB VII i. V. m. § 125 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII: Versicherung von für das Deutsche Rote Kreuz Tätigen zu Lasten des Bundeshaushalts). Vergleichbare Regelungen würden im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung existieren (§ 179 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – SGB VI). Für die hier in Frage stehenden Beschäftigten fehle es demgegenüber an einer entsprechenden Vorschrift.
Die Annahme einer beitragsfreien Versicherung von Beschäftigten würde darin resultieren, dass das Land die Kosten dieser Versicherung tragen und der Kläger entsprechend entlastet würde. Hierin wäre eine nach Art. 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) unionswidrige Beihilfe zu sehen. Ferner würde es einen Verstoß gegen das Kartellrecht einschließlich des europäischen Kartellrechts darstellen, würde der Kläger Wettbewerbsvorteile dadurch erlangen, dass er – anders als seine Mitbewerber – Kosten für Unfallversicherungsbeiträge einsparen könnte. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass der Kläger im Bereich des Landesverbands Niedersachsen/Bremen Rettungsdienste erbringe. Hierauf bewerbe er sich nach den Regeln des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes, beteilige sich an Ausschreibungen und konkurriere mit anderen Unternehmen der freien Wohlfahrtspflege sowie mit privaten Rettungsdienstunternehmen.
Im Übrigen sei er (der Beklagte) auch der zuständige Unfallversicherungsträger. Insoweit sei auf den Zuständigkeitsbescheid (2006) sowie auf die Zuständigkeitsvereinbarung (2009) hinzuweisen.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 9. September 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er schließt sich der Argumentation des Sozialgerichts Berlin im angefochtenen Urteil an und verweist ferner auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Hannover vom 7. Oktober 2015 (Az.: S 22 U 128/11). Weiter trägt er vor, dass sich weder aus den vom Beklagten genannten Aufwendungserstattungsvorschriften (§ 186 Abs. 3 Satz 3 SGB VII i. V. m. § 125 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII, § 179 SGB VI) noch aus den Haftungsbeschränkungsregelungen (§§ 104 ff. SGB VII) Argumente für eine Beitragspflicht herleiten ließen. Es würde zu Wettbewerbsverzerrungen führen, wenn einerseits die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes beitragsfrei versichert blieben und andererseits für seine im Unglückshilfe-Bereich tätigen Mitarbeiter Beiträge erhoben würden. Eine Pflicht zur Ausschreibung von Rettungsdienstleistungen gebe es in Deutschland nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt der hiesigen Gerichtsakten, der beigezogenen Gerichtsakten zum einstweiligen Rechtsschutzverfahren (Az.: L 2 U 230/11 B ER) sowie der ebenfalls beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft (§ 143 Sozialgerichtsgesetz – SGG) sowie form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.
I. Die Klage ist zulässig. Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG), gerichtet auf die Abänderung des Bescheids des Beklagten vom 1. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2010 sowie auf die Verpflichtung des Beklagten, den Beitragsbescheid vom 11. März 2010 vollumfänglich zurückzunehmen.
Nach dem Wortlaut des vor dem Sozialgericht gestellten Klageantrags fordert der Kläger zwar die Aufhebung des Bescheids vom 1. September 2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2010) – dem hat das Sozialgericht mit seinem Urteil auch entsprochen. Aufgrund des bei der Auslegung des Antrags zu berücksichtigenden Vorbringens des Klägers (vgl. § 123 SGG) war die Klage jedoch von vornherein ersichtlich lediglich auf die Abänderung dieses Bescheids gerichtet.
Der Beklagte hat mit dem Bescheid vom 1. September 2010 den Beitragsbescheid vom 11. März 2010 bereits teilweise zurückgenommen; er hat den ursprünglich festgesetzten Beitrag in Höhe von 41.372,31 Euro um 2.799,63 Euro auf 38.572,68 Euro reduziert. Bezüglich dieser – für ihn günstigen Regelung – hat der Kläger den Bescheid vom 1. September 2010 nicht angegriffen. Seine Klage zielte und zielt vielmehr darauf ab, dass der Bescheid vom 1. September 2010 auch insoweit aufgehoben wird, als der Beklagte darin die weitergehende Rücknahme des Bescheids vom 11. März 2010 abgelehnt hat (Anfechtungsteil), und dass der Beklagte vom Gericht verpflichtet wird, dies nunmehr zu tun (Verpflichtungsteil). Ein über den zuvor dargestellten Inhalt hinausgehender Regelungsgehalt lässt sich dem Bescheid vom 1. September 2010 im Übrigen nicht entnehmen. Soweit darin von einer "Neufestsetzung" der Beiträge die Rede ist, kann der objektive Erklärungsinhalt des Bescheids aus Sicht des Erklärungsempfängers (vgl. zur Auslegung von Verwaltungsakten z. B. BSG, Urteil vom 3. April 2014 – B 2 U 25/12 R –, BSGE 115, 256) nur so verstanden werden, dass sich diese "Neufestsetzung" in der Teilrücknahme des Beitragsbescheids vom 11. März 2010 und der damit einhergehenden Reduzierung des ursprünglich festgesetzten Beitrags erschöpft, denn schon als Folge dieser Regelung ergibt sich der "neue" Beitrag in Höhe 38.572,68 Euro, der in dem Bescheid vom 1. September 2010 genannt wird.
II. Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass die Klage auch begründet ist. Der Bescheid vom 1. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Oktober 2010 ist, soweit der Beklagte die weitergehende Rücknahme des Beitragsbescheids vom 11. März 2010 abgelehnt hat, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf vollumfängliche Aufhebung des Beitragsbescheids vom 11. März 2010.
Rechtliche Grundlage des Anspruchs des Klägers ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozial¬leistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind hier gegeben. Der Beklagte hat bei Erlass des Bescheids vom 11. März 2010 das Recht unrichtig angewandt, indem er Beiträge für die in den Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen tätigen Beschäftigten des Klägers erhoben hat, obwohl er zur Beitragserhebung nicht befugt war. Die Beschäftigten sind (ebenso wie die ehrenamtlich Tätigen) beitragsfrei versichert.
Die Erhebung von Beiträgen durch die Gemeindeunfallversicherungsverbände (hier: den Beklagten), die Unfallkassen der Länder und Gemeinden, die gemeinsamen Unfallkassen und die Feuerwehr-Unfallkassen ist in § 185 SGB VII besonders geregelt. Die Vorschrift erklärt in Abs. 1 einige der allgemeinen beitragsrechtlichen Bestimmungen für anwendbar, enthält aber im Übrigen spezielle Regelungen zu Umlagegruppen (Abs. 3), zum Beitragsmaßstab (Abs. 4) und zur Abstufung der Beiträge nach dem Gefährdungsrisiko (Abs. 5).
§ 185 Abs. 2 SGB VII regelt die Beitragsfreiheit. Danach werden für Versicherte nach § 128 Abs. 1 Nr. 2 bis 9 und 11 und § 129 Abs. 1 Nr. 3 bis 7 SGB VII Beiträge nicht erhoben (§ 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Aufwendungen für diesen Personenkreis werden auf das Land bzw. die Gemeinden oder die Gemeindeverbände umgelegt (vgl. § 185 Abs. 2 Satz 2 SGB VII).
§ 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII verknüpft die Beitragsfreiheit, indem er auf §§ 128, 129 SGB VII Bezug nimmt, mit den Vorschriften über die Zuständigkeit der Unfallversicherungsträger im Landesbereich und im kommunalen Bereich.
Nach § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII sind die Unfallversicherungsträger im Landesbereich zuständig für Personen, die in Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Einrichtungen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen. In Niedersachsen hat die Landesregierung die Zuständigkeit der Landesunfallkasse Niedersachsen – dem Unfallversicherungsträger im Landesbereich – gemäß § 128 Abs. 2 SGB VII durch Rechtsverordnung auf die Unfallversicherungsträger im kommunalen Bereich, u. a. auf den Beklagten, übertragen (Verordnung über die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand und Besoldungshöchstgrenzen für bestimmte Sozialversicherungsträger vom 14. Dezember 2005, Nds. GVBl. 2005, 405).
Der Kläger betreibt derartige Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen. Die Personen, die in seinen Einrichtungen tätig sind, arbeiten teilweise ehrenamtlich. Zum anderen Teil handelt es sich um (hauptamtlich) Beschäftigte.
Ganz überwiegend wird vertreten, dass auch Beschäftigte zu denjenigen Personen gehören, die im Sinne von § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII in Einrichtungen zur Hilfe bei Unglücksfällen "tätig sind" – mit der Folge, dass für sie nach § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII keine Beiträge erhoben werden (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 128 SGB VII Rn. 7 und § 185 Rn. 4; Triebel, in: jurisPK-SGB VII, § 128 Rn. 47 und § 185 Rn. 22; Diel, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 128 Rn. 35; Kater/Leube, SGB VII, § 128 Rn. 21; Bigge, in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 128 Rn. 35; Spanknebel, in: LPK-SGB VII, § 128 Rn. 9; Ricke, SGb 2003, 566, 571; a. A. wohl Schmitt, SGB VII, § 128 Rn. 12). Das Bundessozialgericht hat sich in seiner Entscheidung vom 28. November 2006 (Az.: B 2 U 33/05 R) zu dieser Frage zwar nicht ausdrücklich geäußert; es hat aber immerhin die Hilfe bei Unglücksfällen als eine der staatlichen Gemeinschaft obliegende Aufgabe bezeichnet, für die deshalb beitragsfreier Versicherungsschutz bestehe, und hat in diesem Zusammenhang haupt- und ehrenamtlich Tätige erwähnt (vgl. Rn. 22 des Urteils).
Der Senat schließt sich der herrschenden Auffassung an.
Nach dem Wortlaut des § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII (i. V. m. § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII) gilt die Beitragsfreiheit generell und einschränkungslos "für Personen, die in Einrichtungen [ ] tätig sind". Die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung enthält keinen Hinweis darauf, dass eine Differenzierung nach Ehrenamt und Beschäftigungsverhältnis erfolgen soll. Eine Begrenzung auf ehrenamtlich Tätige kann insbesondere nicht der Verwendung der Begriffe "tätig sind" entnommen werden, denn nach ihrem Wortsinn sagen diese nichts über die der Tätigkeit zugrunde liegende Rechtsbeziehung aus. Das SGB VII verwendet diese Begriffe ("tätig sind") im Übrigen auch an mehreren anderen Stellen eindeutig im Zusammenhang mit Versicherten, die in Beschäftigungsverhältnissen stehen, so etwa in § 133 Abs. 1 SGB VII ("Unternehmen, für das die Versicherten tätig sind") und in § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB VII (Beitragspflicht für "Unternehmer, für deren Unternehmen Versicherte tätig sind").
Die Regelungssystematik spricht ebenfalls dafür, dass Beschäftigte zu den von § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII (i. V. m. § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII) erfassten und damit beitragsfrei versicherten Personen gehören. § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII begründet Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung für Personen, die unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen tätig sind. Hätte der Gesetzgeber die Beitragsfreiheit auf unentgeltlich bzw. ehrenamtlich tätige Versicherte beschränken wollen, so wäre zu erwarten, dass er in § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII oder in § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII auf § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII Bezug genommen hätte. Genau dies hat er aber gerade nicht getan. Hieraus kann geschlossen werden, dass die Beitragsfreiheit auch für Beschäftigte gelten soll. Dieser Rückschluss ist umso mehr gerechtfertigt, als § 128 Abs. 1 SGB VII an anderer Stelle ausdrücklich auf Versicherungstatbestände des § 2 SGB VII verweist, so etwa in Nr. 5 ("für Personen, die nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 versichert sind"), in Nr. 7 ("für Personen, die nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a und c versichert sind") und in Nr. 8 ("für Personen, die nach § 2 Abs. 2 Satz 2 versichert sind").
Die hier vertretene Auffassung wird durch den Sinn und Zweck der §§ 185 Abs. 2 Satz 1, 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII untermauert. Der Grund dafür, dass der eine Einrichtung zur Hilfe bei Unglücksfällen betreibende Unternehmer keiner Beitragspflicht ausgesetzt wird, dass vielmehr die Beiträge aus öffentlichen Haushalten aufgebracht werden, ist darin zu sehen, dass derartige Institutionen eine der staatlichen Gemeinschaft obliegende Aufgabe erfüllen (BSG, Urteil vom 28. November 2006 – B 2 U 33/05 R –, BSGE 97, 279, Rn. 22; Ricke, SGb 2003, 566, 571). Der Gesetzgeber hat durch die Beitragsfreiheit zu Lasten der öffentlichen Kassen zum Ausdruck gebracht, dass er die Arbeit von Unglückshilfe-Unternehmen für stärker unterstützungsbedürftig hält als die anderer Organisationen – einschließlich die der Unternehmen des Gesundheitsdienstes und der Wohlfahrtspflege. Es ist nicht einzusehen, weshalb die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen tätigen Beschäftigten von der gesetzgeberischen Wertentscheidung ausgeschlossen sein sollten. Die Arbeit der ehrenamtlichen Helfer wäre ohne einen Kern von Beschäftigten überhaupt nicht denkbar (ebenso Ricke, SGb 2003, 566, 571).
Auch die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes sind beitragsfrei (bei der Unfallkasse des Bundes) versichert, soweit sie im Interesse der Allgemeinheit liegende Aufgaben im Katastrophenschutz, bei öffentlichen Notständen und Unglücksfällen und bei der Erfüllung ihrer internationalen Verpflichtungen wahrnehmen (vgl. § 125 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII i. V. m. § 186 Abs. 3 Satz 3 SGB VII). Ausgenommen sind lediglich die beim Deutschen Roten Kreuz für Unternehmen des Gesundheitswesens und der Wohlfahrtspflege Tätigen (§ 125 Abs. 1 Nr. 5 SGB VII), also z. B. Beschäftigte in Krankenhäusern, Kinder-, Pflege- und Altersheimen, Kindertagesstätten oder Sozialstationen (vgl. Diel, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 125 Rn. 27). Gründe, die es rechtfertigen würden, den Kläger und andere vergleichbare Organisationen schlechter zu stellen als das Deutsche Rote Kreuz, sind nicht erkennbar (so auch Ricke, SGb 2003, 566, 571).
Schließlich lässt sich die Entstehungsgeschichte der §§ 185 Abs. 2 Satz 1, 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII für die beitragsfreie Versicherung (auch) von Beschäftigten eines Unglückshilfe-Unternehmens anführen. Nach der Gesetzesbegründung wurde die Beitragsfreiheit "entsprechend dem geltenden Recht" geregelt (BT-Drucks. 13/2204 S. 106, 115), d. h. es war keine Änderung der bis dahin geltenden Rechtslage bezweckt. Nach der Vorgängervorschrift (§ 771 Abs. 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung – RVO) war die Beitragsfreiheit für Beschäftigte indes unstreitig gegeben (vgl. Ricke, SGb 2003, 566, 571) und wurde auch vom Beklagten angenommen (siehe Schreiben des Beklagten vom 15. August 1996).
Die vom Beklagten vorgebrachten Argumente führen zu keiner anderen Beurteilung.
Der Einwand, dass es in Bezug auf Beschäftigte von Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen an einer § 186 Abs. 3 Satz 3 SGB VII entsprechenden Vorschrift über die Erstattung von Aufwendungen fehle, greift nicht durch. Eine solche Bestimmung existiert sehr wohl: § 185 Abs. 2 Satz 2 SGB VII regelt, dass die Aufwendungen für u. a. Versicherte nach § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII entsprechend der in §§ 128, 129 SGB VII geregelten Zuständigkeiten auf das Land, die Gemeinden oder die Gemeindeverbände umgelegt werden.
Den Vorschriften über die Beschränkung der Haftung der Unternehmer (§ 104 SGB VII), anderer im Betrieb tätiger Personen (§ 105 SGB VII) und weiterer Personen (§ 106 SGB VII) lässt sich ebenfalls nichts entnehmen, was die Auffassung des Beklagten stützen könnte.
§ 104 SGB VII liegt das Finanzierungsargument zugrunde. Als "Gegenleistung" dafür, dass die Unternehmer die Beiträge für die gesetzliche Unfallversicherung alleine tragen, werden sie in großem Umfang von Schadensersatzansprüchen freigestellt. Neben dem Finanzierungsargument wird die Haftungsbeschränkung aber auch damit begründet, dass es dem Betriebsfrieden diene, wenn Schadensersatzansprüche nicht im Verhältnis Angestellter – Unternehmer geltend gemacht werden müssen (Friedensargument) (vgl. zum Ganzen Hollo, in: jurisPK-SGB VII, § 104 Rn. 8 m. w. N.).
In Erweiterung des § 104 SGB VII, der die Haftungsbeschränkung der Unternehmer regelt, befasst sich § 105 SGB VII mit der Haftungsbegrenzung anderer im Betrieb tätiger Personen. Die Regelung lässt sich nicht unmittelbar mit der Finanzierung der gesetzlichen Unfallversicherung durch die Unternehmer begründen, sondern vielmehr mit dem Gedanken des zu schützenden Betriebsfriedens (vgl. Hollo, in: jurisPK-SGB VII, § 105 Rn. 3 m. w. N.).
§§ 106 und 107 SGB VII erweitern die Haftungsbeschränkung auf einige Konstellationen mit ähnlicher Interessenlage, die sich nicht unter § 104 SGB VII oder § 105 SGB VII fassen lassen. So regelt etwa § 106 Abs. 3 SGB VII die Beschränkung der Haftung bei der Zusammenarbeit von Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen.
Erschöpft sich der Zweck der §§ 104 ff. SGB VII somit keineswegs darin, die Haftung von Unternehmern im Hinblick auf die von ihnen zu zahlenden Beiträge zu beschränken (Finanzierungsargument), so können aus diesen Vorschriften schon deshalb keine Erkenntnisse in Bezug auf die Reichweite der in § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII i. V. m. § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII geregelten Beitragsfreiheit gezogen werden.
Schließlich ist nicht erkennbar, dass europäisches Recht der Anwendbarkeit der §§ 185 Abs. 2 Satz 1, 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII entgegenstehen könnte, namentlich ist in den Regelungen keine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu sehen. Denn eine solche setzt u. a. voraus, dass dem Begünstigten durch die in Frage stehende Maßnahme ein selektiver Vorteil gewährt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 – C-522/13 –, juris, Rn. 20). Was die Beurteilung der Voraussetzung der Selektivität betrifft, muss nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs festgestellt werden, ob eine nationale Maßnahme im Rahmen einer bestimmten rechtlichen Regelung geeignet ist, bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden (vgl. EuGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 – C-522/13 –, juris, Rn. 34 m. w. N.). Hierfür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, denn die Beitragsfreiheit des § 185 Abs. 2 Satz 1 SGB VII i. V. m. § 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII kommt unterschiedslos allen Unternehmen zugute, die Hilfe bei Unglücksfällen leisten. Selbst wenn man aber von einer unzulässigen Beihilfe ausgehen wollte, würde dies jedenfalls nicht dazu führen, dass der Beklagte für die Vergangenheit ohne rechtliche Grundlage Beiträge für Beschäftigte von Unglückshilfe-Unternehmen erheben könnte (vgl. zu den Einzelheiten des Verfahrens sowie zu den im Falle einer unzulässigen Beihilfe eintretenden Rechtsfolgen OVG Lüneburg, Beschluss vom 18. Mai 2016 – 9 LA 186/15 –, juris, Rn. 36 ff.). Mit Blick auf diese eindeutige Rechtslage ist der Senat nicht verpflichtet und sieht auch sonst davon ab, das Verfahren auszusetzen und die Frage der Vereinbarkeit der §§ 185 Abs. 2 Satz 1, 128 Abs. 1 Nr. 6 SGB VII mit dem Recht der Europäischen Union im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.
Liegen nach allem die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor, so hat der Beklagte den Beitragsbescheid vom 11. März 2010 mit Wirkung für die Vergangenheit vollumfänglich zurückzunehmen.
III. Der (Hauptsache-)Tenor des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts war unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen (siehe unter I.) zum Zwecke der Klarstellung neu zu fassen.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
V. Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
VI. Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt auf der Grundlage von § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
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