L 29 AS 3114/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 157 AS 21385/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 AS 3114/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. November 2014 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Auszahlung einer zweiten Rate einer so genannten Selbstvermittlungsprämie in Höhe von 500 Euro.

Die 1959 geborene Klägerin bezog von dem Beklagten seit November 2008 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Mit Datum vom 18. Juni 2012 unterbreitete der Beklagte der Klägerin folgendes "Förderangebot für JobPrämie 1000":

"Mit diesem Förderangebot bestätigt Ihnen das Jobcenter Reinickendorf, dass Sie, bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit und wenn die unten aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind, die JobPrämie 1000 in Höhe von 1.000,- EUR erhalten. Voraussetzungen: 1. Ihr Arbeitsplatz ist voll sozialversicherungspflichtig, und verstößt gegen kein Gesetz oder die guten Sitten 2. Ihr Monatslohn beträgt mindestens 600,- EUR und entspricht mindestens der ortsüblichen oder tariflichen Entlohnung 3. es liegt unmittelbar vor dem Beginn der Arbeitsaufnahme eine Langzeitarbeitslosigkeit von mindestens einem Jahr, gemäß § 18 SGB III, vor 4. Die erste Auszahlung erfolgt in Höhe von 500,00 wenn ihr Arbeitsverhältnis mindestens seit 6 Wochen besteht und zu diesem Zeitpunkt ungekündigt ist; 5. die restlichen 500 Euro werden ausgezahlt, wenn Ihr Arbeitsverhältnis seit mindestens 6 Monaten besteht und zu diesem Zeitpunkt ungekündigt ist.

Wichtig: Dieses Förderangebot ist nicht übertragbar und längstens bis 31.12. 2012 gültig. Bei diesem Angebot handelt es sich nicht um einen Bewilligungsbescheid. Bei Beantragung der Förderleistungen durch Sie, über einen gesonderten Antrag, werden die Anspruchsvoraussetzungen erneut geprüft. Für den Erhalt des Bewilligungsbescheides und der folgenden Auszahlung der JobPrämie 1000, erhalten Sie nach Anzeige der Arbeitsaufnahme von Ihrem Arbeitsvermittler ein entsprechendes Antragsformular. Für die Auszahlung der JobPrämie müssen sie Ihren Arbeitsvertrag vorlegen, das Förderangebot (im Original) sowie eine Bestätigung vom Arbeitgeber, dass das Arbeitsverhältnis (jeweils nach 6 Wochen bzw. 6 Monaten) ungekündigt ist. Die Auszahlung der JobPrämie erfolgt nur einmal im Jahr für einen Arbeitgeber, auch wenn Sie im Laufe des Jahres eine erneute Beschäftigung aufnehmen sollten und die Jobprämie nur anteilig ausgezahlt bekommen haben.

Berlin, den 18. Juni 2012 Stempel und Unterschrift" Mit Arbeitsvertrag vom 26. September 2012 vereinbarte die Klägerin mit dem ambulanten Pflegedienst "A" die Aufnahme einer Tätigkeit als Pflegehelferin zum 1. Oktober 2012, befristet bis zum 30. September 2013, mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden und einem Bruttoentgelt in Höhe von 1400 Euro. Mit Bescheid vom 2. Oktober 2012 hob daraufhin der Beklagte die Leistungsbewilligung ab dem 1. November 2012 auf und zahlte der Klägerin antragsgemäß eine erste Rate der so genannten Selbstvermittlungsprämie in Höhe von 500 Euro aus.

Am 14. Mai 2013 beantragte die Klägerin die Auszahlung der zweiten und letzten Rate der Selbstvermittlungsprämie von 500 Euro.

Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22. Mai 2013 mit der Begründung ab, nach einem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. Februar 2011 (L 12 AS 1104/10) sei die Zahlung einer so genannten Selbstvermittlungsprämie nicht mehr förderfähig. Eine Auszahlung sei in Bezug auf § 16f SGB II in Verbindung mit § 16b SGB II nicht mehr erlaubt. Bezieher von Leistungen nach dem SGB II seien grundsätzlich verpflichtet, eigenaktiv ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Es gebe daher keine gesetzliche Grundlage zur Förderung mit dieser JobPrämie.

Den hiergegen von der Klägerin mit Schreiben vom 13.Juni 2013 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2013 zurück. Eine Rechtsgrundlage für die Selbstvermittlungsprämie existiere nicht, sie resultiere insbesondere nicht aus dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung.

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 2. September 2013 Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben.

Die Klägerin hat schriftlich beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid über die Ablehnung der beantragten Gewährung von Leistungen der freien Förderung vom 22. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2 August 2013 zum Geschäftszeichen des Beklagten 6 SGG. aufzuheben und der Klägerin die beantragten Leistungen der freien Förderung i.H.v. 500 Euro zu gewähren.

Der Beklagte hat schriftlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht Berlin hat nach Hinweis auf den Charakter einer wirksamen Zusicherung in Form des Förderangebotes vom 18. Juni 2012 und nach Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) mit Urteil vom 6. November 2014 den Bescheid des Beklagten vom 22. Mai 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2013 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, der Klägerin 500 Euro zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Anspruch der Klägerinnen resultiere aus einer wirksamen Zusicherung im Sinne von § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II in Verbindung mit § 34 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). In dem Förderangebot vom 18. Juni 2012 sei eine solche schriftliche Zusicherung im Sinne von § 34 SGB X zu sehen. Auch wenn die versprochene Förderung objektiv rechtswidrig sei, führe dies nicht zu der Unwirksamkeit der Zusicherung. Denn der Beklagte habe die Zusicherung nicht wirksam zurückgenommen. Selbst wenn in dem Ablehnungsbescheid vom 22. Mai 2013 eine konkludente Rücknahme gesehen würde, sei diese schon deshalb nicht rechtmäßig erfolgt, weil es an einer Anhörung und einer Ermessensausübung fehle. Das Sozialgericht hat in seinem Urteil die Berufung zugelassen.

Gegen dieses dem Beklagten am 20. November 2014 zugestellte Urteil, hat der Beklagte am 3. Dezember 2014 Berufung eingelegt. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Bewilligung und Auszahlung der zweiten Rate der Vermittlungsprämie. In dem Förderangebot vom 18. Juni 2012 sei keine Zusicherung im Sinne von § 34 SGB X zu sehen, da die Selbstvermittlungsprämie bereits seit 2011 nicht mehr förderfähig gewesen sei. Entsprechend könne ein Anspruch auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung resultieren. Ein Anspruch ergebe sich weiter nicht aus einer entsprechenden Eingliederungsvereinbarung, weil eine solche nicht geschlossen worden sei. Ein Anspruch ergebe sich schließlich auch nicht, wenn das Förderangebot vom 18. Juni 2012 als schriftliche Zusicherung angesehen würde. Denn aus diesem Förderangebot sei unter "Wichtig" der Hinweis enthalten, dass noch keine Bewilligung erfolgt sei und die Voraussetzungen bei Antragstellung auf Auszahlung nochmals geprüft würden. Zudem sei die Klägerin an eine solche Zusicherung nicht mehr gebunden, da die Rechtslage sich nachträglich geändert habe. Erst mit Urteil des Bundessozialgericht vom 2. Juli 2013 (B 4 AS 72/12 R) sei klargestellt worden, dass die Zahlung einer Selbstvermittlungsprämie nicht den Prinzipien des SGB II entspreche.

Der Beklagte beantragt schriftlich,

das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt schriftlich,

die Berufung zurückzuweisen.

In der nichtöffentlichen Sitzung des 29. Senats vom 13. Oktober 2016 hat der Vertreter des Beklagten insbesondere erklärt:

"Da wir zu keinem Zeitpunkt davon ausgegangen sind, dass dieses schriftliche Angebot vom 18. Juni 2012 eine Zusicherung im Sinne von § 34 SGB X sein könnte, haben wir dieses Angebot auch nicht zurückgenommen."

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten (zwei Bände, ), die der Entscheidung zugrunde gelegen haben, Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis zu dieser Verfahrensweise erteilt haben (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG).

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft, weil sie vom Sozialgericht zugelassen wurde. Der Senat ist an die Zulassung durch das Sozialgericht gebunden (§ 144 Abs. 3 SGG).

Die Berufung ist indessen nicht begründet. Das Sozialgericht Berlin hat in dem angegriffenen Urteil vom 6. November 2014 zutreffend die Entscheidung des Beklagten aufgehoben und ihn zur Zahlung weiterer 500 Euro verurteilt. Das Sozialgericht hat insoweit auch zutreffend darauf hingewiesen, dass dieser Anspruch aus einer wirksamen Zusicherung in Form des schriftlichen Förderangebotes vom 18. Juni 2012 resultiert. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in der angegriffenen Entscheidung und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer erneuten Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Zu einer anderen Einschätzung führt schließlich auch nicht der Vortrag des Beklagten im Berufungsverfahren.

Soweit der Beklagte der Ansicht ist, dass schriftliche Angebot vom 18. Juni 2012 sei noch keine Leistungsbewilligung und daher nicht verbindlich, weil in ihm auch darauf hingewiesen worden sei, dass bei Antragstellung eine Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen erneut Erfolge, verkennt er den Umfang und die Folgen einer Zusicherung im Sinne von § 34 SGB X. Schon nach der Definition des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB X stellt eine Zusicherung im Sinne dieser Regelung noch keine Leistungsbewilligung, sondern eine Zusage dar, später einen bestimmten Verwaltungsakt zu erlassen oder zu unterlassen. Genau dies ist mit dem schriftlichen Angebot vom 18. Juni 2012 geschehen, in denen der Beklagte selbst die Voraussetzungen konkret ausgeführt hat, bei deren Vorliegen die Auszahlung der Prämien erfolgt.

Auch der Hinweis am Ende des Angebotes auf die erneute Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen führt nicht zur Unverbindlichkeit des Förderangebotes. Denn maßgeblich für den Umfang der Zusage ist die Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont der Klägerin (vergleiche hierzu unter anderem Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 19.Februar 2013, L 13 R 4059/12, zitiert nach juris, mit weiteren Nachweisen). Für die Klägerin jedoch führte die Zusage nachvollziehbar zu der Einschätzung, dass eine Auszahlung der Prämie in zwei Raten erfolgen würde, wenn ihr Arbeitsverhältnis länger als sechs Wochen (erste Rate) und länger als sechs Monate (zweite Rate) besteht. Im Übrigen erschließt sich auch der Sinn eines solchen Förderangebotes nicht, falls dieses unverbindlich und von einer späteren Beurteilung der Rechtslage abhängig sei. Würde dies so gesehen, würde die Regelung des § 34 SGB X letztlich ins Leere laufen und der Beklagte müsste sich zudem fragen lassen, warum er überhaupt das schriftliche Angebot am 18. Juni 2012 unterbreitet hat.

Schließlich führt auch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 2. Juli 2013, B 4 AS 72/12 R, mit weiteren Nachweisen, zitiert nach juris) und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 2. Februar 2011, L 12 AS 1104/10, mit weiteren Nachweisen, ebenfalls zitiert nach juris) nicht zu einer anderen Rechtslage. Dem Beklagten ist wohl zuzugeben, dass nach dieser Rechtsprechung die Gewährung einer so genannten Selbstvermittlungsprämie nicht im Einklang mit dem SGB II steht und deshalb nicht rechtmäßig sein dürfte. Hier ist jedoch zum einen festzustellen, dass es sich hierbei nicht um einer Änderung der Rechtslage handelt; neu war allenfalls die Rechtsansicht der Gerichte. Allerdings datiert das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 2. Februar 2011 und lag damit schon rund anderthalb Jahre vor dem Förderangebot des Beklagten vom 18. Juni 2012 vor.

Zum anderen führt eine solche Rechtswidrigkeit der Förderzusage auch nicht unmittelbar zu deren Wirkungslosigkeit, sondern berechtigt den Beklagten allenfalls zu einer Rücknahme der Zusicherung entsprechen § 45 SGB X (vergleiche hierzu ebenfalls Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 13 R 4059/12, a.a.O., mit weiteren Nachweisen). Dies ist jedoch durch den Beklagten ausdrücklich gerade nicht geschehen, weil er schon die Notwendigkeit einer solchen Rücknahme nicht gesehen hat.

Infolge dessen ist die Zusicherung nach wie vor als wirksam anzusehen und begründet den geltend gemachten Anspruch selbst dann, wenn die Gewährung einer Selbstvermittlungsprämie nicht mit der Rechtsordnung im Einklang stehend anzusehen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn.1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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