Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 149 AS 1904/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 2826/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2015 aufgehoben, soweit damit der Bescheid vom 21. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2012, geändert durch den Bescheid vom 24. Januar 2013, hinsichtlich Punkt 2 Nr. 3 aufgehoben worden ist. Es wird festgestellt, dass der Bescheid vom 21. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2012, geändert durch den Bescheid vom 24. Januar 2013, insoweit rechtswidrig war, als von der Klägerin unter Punkt 2 Nr. 3 Bewerbungsbemühungen gefordert worden waren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die 1973 geborene Klägerin ist seit August 2012 wohnungslos und steht im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Am 10. Oktober 2010 schlossen die Beteiligten eine bis zum 31. Mai 2011 gültige Eingliederungsvereinbarung (EV). Mit Schreiben vom 11. Mai 2012 schlug die Klägerin dem Beklagten vor, eine von ihr ausgearbeitete und unterzeichnete EV abzuschließen. Dabei erläuterte sie, die Vereinbarung eines Zieles entfalle, da sie sich gemeinsame Ziele nicht vorstellen könne. Sofern Änderungswünsche bestünden, werde gebeten, diese schriftlich zu begründen. Aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem Beklagten sei sie nicht mehr bereit, mit diesem mündlich hierüber zu verhandeln. Bei der letzten Verhandlung über eine EV habe man ihr gesagt, sie würde keine Leistungen mehr bekommen, wenn sie die ihr vorgelegte EV nicht sofort unterzeichne. Mit der "1. Einladung" vom 31. Oktober 2012 bat der Beklagte die Klägerin, zu einem Gespräch über ihre aktuelle berufliche Situation am 12. November 2012 zu erscheinen. Die Klägerin teilte daraufhin mit, sie sehe keinen Gesprächsbedarf. Mit einer weiteren "1. Einladung" vom 12. November 2012 forderte der Beklagte die Klägerin auf, am 20. November 2012 um 10:00 Uhr zur Besprechung ihrer aktuellen beruflichen Situation zu erscheinen. Es solle eine neue EV abgeschlossen werden. Sollte die Klägerin erneut nicht zum Termin erscheinen, werde die EV per Verwaltungsakt erlassen. Mit einem mit einer Rechtsfolgenbelehrung versehenen Bescheid vom 21. November 2011 erließ der Beklagte für die Zeit vom 21. November 2012 bis 20. Mai 2013 eine EV als Verwaltungsakt (im Folgenden als Eingliederungs-VA bezeichnet) und legte als Ziel die Aufnahme einer Beschäftigung auf dem 1. Arbeitsmarkt, Tätigkeit als Call-Center-Agentin; Helferin in der Lagerwirtschaft oder Helferin im Verkauf am lokalen Arbeitsmarkt fest. Als Leistungen des Beklagten zur Eingliederung wurden neben der Aushändigung von Flyern und Beratungsgutscheinen für die Soziale Wohnungshilfe auch die Teilnahme an der Maßnahme "Aktiv durch Qualifizierung und Unternehmensnähe in Arbeit" (AQUiA) vom 5. Dezember 2012 bis 4. Juni 2013 angegeben. Als "Bemühungen" der Klägerin nannte der Eingliederungs-VA 1. die Wohnungssuche, 2. die Teilnahme an AQUiA und 3. den Nachweis von monatlich vier Bewerbungsbemühungen. Als Nachweis für die Bewerbungsbemühungen sei die Eingangsbestätigung der Bewerbung, die Absagen bzw. die Anschreiben an den Arbeitgeber vorzulegen. Mit einem weiteren Bescheid vom 21. November 2012 wies der Beklagte die Klägerin der bbw Akademie zwecks Teilnahme an der Maßnahme AQUiA in Vollzeit für sechs Monate zu. Den Widerspruch der Klägerin gegen den Eingliederungs-VA wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2012 zurück. Auf den Widerspruch der Klägerin gegen die Zuweisung zur Teilnahme an der Maßnahme AQUiA hob der Beklagte die Zuweisung der Klägerin " aus formalen Gründen" mit Abhilfebescheid vom 24. Januar 2013 auf.
Mit der bereits am 21. Januar 2013 gegen den Eingliederungs-VA beim Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin zuletzt die Aufhebung, hilfsweise die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Eingliederungs-VA begehrt und vorgetragen: Sie sei nicht verpflichtet gewesen, in die vom Beklagten geforderten mündlichen Verhandlungen einzutreten. Der Beklagte sei auch nicht berechtigt gewesen, von einer Anhörung abzusehen. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. Oktober 2015 hat der Beklagte erklärt, der streitgegenständliche Bescheid sei in Bezug auf die Maßnahme AQUiA im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gegen das Zuweisungsschreiben aufgehoben worden. Das SG Berlin hat mit Urteil vom 16. Oktober 2015 den Eingliederungs-VA vom 21. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2012 aufgehoben. Zur Begründung ist ausgeführt: Streitgegenstand sei neben dem Bescheid vom 21. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2012 auch der diesen Bescheid teilweise aufhebende Bescheid vom 24. Januar 2013, der nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in das Klageverfahren einzubeziehen sei. Die Klage sei als Anfechtungsklage statthaft, da sich der Eingliederungs-VA trotz Ablaufs seiner Geltungsdauer nicht durch Zeitablauf oder auf sonstige Weise erledigt habe. Die Klage habe auch in der Sache Erfolg, da der Eingliederungs-VA materiell rechtswidrig sei. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Eingliederungs-VA nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II lägen nicht vor, da der erlassene Verwaltungsakt unzulässige Regelungen enthalte und der Klägerin unzumutbare Pflichten auferlege. Dies gelte für die verpflichtenden Bemühungen zur Wohnungssuche und zu den Bewerbungen. Zwar folge die Unzumutbarkeit der Bewerbungsbemühungen nicht aus der Anzahl der monatlich anzufertigenden Bewerbungen. Der Klägerin habe aber nicht abverlangt werden dürfen, den Nachweis der Bewerbungen durch Vorlage einer Eingangsbestätigung des jeweiligen Arbeitgebers zu führen, denn derartige Bestätigungen würden nicht in allen Fällen erstellt und der Leistungsbezieher könne nicht aus eigener Kraft den angeschriebenen Arbeitgeber zur Erstellung einer solchen Bestätigung zwingen. Zwischen den Bewerbungen selbst und der Führung der Nachweise bestehe ein untrennbarer Zusammenhang.
Mit seiner Berufung wendet sich der Beklagte gegen das Urteil, soweit der Eingliederungs-VA hinsichtlich der dort auferlegten Bewerbungsbemühungen aufgehoben wird. Nach dem Eingliederungs-VA sei die Nachweislegung nicht nur durch eine Eingangsbestätigung des potentiellen Arbeitgebers möglich gewesen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2015 aufzuheben, soweit es den Bescheid vom 21. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2012 hinsichtlich der auferlegten Bewerbungsbemühungen aufhebt, und die Klage insoweit abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin vom 17. Februar 2017 mit einer schriftlichen Entscheidung durch den Berichterstatter gemäß §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 SGG einverstanden erklärt.
Die Behelfsleistungsakten des Beklagten (3 Bände) sowie die Gerichtsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist ganz überwiegend unbegründet.
Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass der nach Klageerhebung ergangene Abhilfebescheid vom 24. Januar 2013 gemäß § 96 SGG (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 96 Rn. 5) in das Klagverfahren einzubeziehen war, weil der Beklagte – wie er in der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2015 ausdrücklich klargestellt hat – den Eingliederungs-VA vom 21. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2012 in dem gegen die Zuweisung vom 21. November 2012 gerichteten Widerspruchsverfahren konkludent dahingehend abgeändert hat, dass sowohl sein Maßnahmeangebot wie auch die Obliegenheit des Klägerin hinsichtlich der Teilnahme an der Maßnahme AQUiA rückwirkend aufgehoben worden sind. Entsprechend dem im Berufungsverfahren gestellten Antrag des Beklagten beschränkt sich der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens auf die Rechtmäßigkeit der Kassationsentscheidung des SG hinsichtlich der im Eingliederungs-VA auferlegten Bewerbungsbemühungen.
Die Berufung des Beklagten ist insoweit begründet, als das SG den Eingliederungs-VA vom 21. November 2012 hinsichtlich Punkt 2 Nr. 3 (Bewerbungsbemühungen) aufgehoben hat. Die im Klageverfahren mit dem Hauptantrag zur Entscheidung gestellte und im Berufungsverfahren aufrechterhaltene Anfechtungsklage ist durch Zeitablauf (vgl. BSG, Urteil vom 15. Juni 2016 – B 4 AS 45/15 R = SozR 4-1500 § 55 Nr. 16) unzulässig geworden, denn der Eingliederungs-VA war in seiner Geltung auf die Zeit vom 21. November 2012 bis 20. Mai 2013 beschränkt. Die Kläger kann daher nicht mehr geltend machen, durch eine darin getroffene Regelung beschwert zu sein (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Damit hat er sich insgesamt erledigt (§ 39 Abs. 2 Alt. 4 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – [SGB X]) und entfaltet keine Rechtswirkung mehr. Die mit dem insoweit noch aufrechterhaltenen Hauptantrag der Klägerin verfolgte Anfechtungsklage war somit auf die Berufung des Beklagten abzuweisen.
Im Übrigen ist die Berufung des Beklagten unbegründet.
Die mit dem Hilfsantrag der Klägerin verfolgte und im Berufungsverfahren aufrecht erhaltene Klage auf Feststellung der Rechtwidrigkeit des Eingliederungs-VA hinsichtlich der auferlegten Bewerbungsbemühungen ist zulässig. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG hier die richtige Klageart. Nach dieser Vorschrift kann mit der Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines zurückgenommenen oder auf andere Weise erledigten Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität und der Wiederholungsgefahr bestehen. Wiederholungsgefahr ist anzunehmen, wenn die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergeht (vgl. BSG, Urteil vom 14. Februar 2013 – B 14 AS 195/11 R = BSGE 113, 70 ff). Die Wiederholungsgefahr ist vorliegend zu bejahen, denn der Verlauf des Verfahrens zeigt, dass der Beklagte wiederholt versucht hat, die Klägerin in Eingliederungsmaßnahmen einzubeziehen. Es besteht daher eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit, dass auch in der nachfolgenden Zeit weitere Maßnahmen zu erwarten sind.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Die Ersetzung der EV war mangels einer ausreichenden Ermessensbetätigung seitens des beklagten Jobcenters zu den ihm zu gewährenden Leistungen zur Eingliederung in Arbeit rechtswidrig. Ermächtigungsgrundlage des Eingliederungs-VA ist § 15 Abs. 1 Satz 6 iVm § 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II (hier idF der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011, BGBl. I 850). Hiernach soll die Agentur für Arbeit (AA) im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren. Diese EV soll insbesondere bestimmen, 1. welche Leistungen die oder der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält, 2. welche Bemühungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen müssen und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind, 3. welche Leistungen Dritter, insbesondere Träger anderer Sozialleistungen, erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu beantragen haben (Satz 1 und 2). Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, sollen die Regelungen durch Verwaltungsakt erfolgen (Satz 6).
Es kann offen bleiben, ob aufgrund der Weigerung der Klägerin, mündlich über den Abschluss einer EV zu verhandeln, hier Raum für den Erlass eines ersetzenden EingliederungsVA war. Denn bei dem dabei auszuübenden Ermessen hat der Beklagte die Anforderungen verfehlt, die bei Ersetzungsentscheidungen nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II zu beachten sind.
Ersetzt das Jobcenter eine EV durch Verwaltungsakt, sind die ersetzenden Regelungen im Rahmen pflichtgemäßem Ermessens nach denselben Maßstäben zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen, wie sie für die konsensuale EV gelten (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 – B 14 AS 42/15 R -, juris).
Ob und mit welchen Inhalten eine EV durch Verwaltungsakt ersetzt wird, hat das Jobcenter gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II ("sollen die Regelungen durch Verwaltungsakt erfolgen") nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Entsprechend § 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) ist daher die Ersetzungsentscheidung an den Zwecken auszurichten, die nach dem Regelungskonzept des SGB II mit der zu ersetzenden EV verfolgt werden, und es sind die Grenzen einzuhalten, die auch bei einer vertraglichen Verständigung über die Inhalte der EV zu wahren sind. Auch die Regelungen eines EingliederungsVA müssen danach zunächst den Anforderungen genügen, die je für sich aus den möglichen Inhalten nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II abzuleiten sind. Zu beachten sind zudem weiter die Maßgaben, die aus der Vertragsform der zu ersetzenden EV resultieren. Als öffentlich-rechtlicher Vertrag (so BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 - B 14 AS 30/15 R -, juris) unterliegt der Abschluss einer EV den Anforderungen des § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Muss danach die Gegenleistung, zu der sich der Vertragspartner der Behörde verpflichtet, "den gesamten Umständen nach angemessen sein und im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen", so gilt nichts anderes, wenn das Jobcenter "die Regelungen" (§ 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II) durch Verwaltungsakt zu ersetzen hat; auch in dieser Handlungsform wahrt die verbindliche und ggf. die Sanktionsfolgen nach §§ 31a, 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II auslösende Konkretisierung der Eigenbemühungen der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten den durch § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB X vorgegebenen Rahmen nur, wenn ihr eine iS der Vorschrift den Umständen nach angemessene Bestimmung der "vertraglichen Leistung der Behörde", also: der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, gegenübersteht.
Nichts anderes folgt aus dem bei der Ersetzungsentscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu beachtenden Sinn und Zweck von § 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II selbst. Wie die Materialien und die Verankerung der Verpflichtung zum Abschluss einer EV bereits in die zentrale Bestimmung des § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB II zur Eigenverantwortung der Leistungsberechtigten erweisen, misst der Gesetzgeber der wechselbezüglichen Konkretisierung von Pflichten und Obliegenheiten im Rahmen von EV entgegen verbreiteter Skepsis (vgl. etwa Ebsen in von Wulffen/Krasney, Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht, S. 725, 736 ff; von Koppenfels-Spies, NZS 2011, 1, 5 ff) eine herausgehobene Bedeutung für die Eingliederung in Arbeit zu (vgl. BT-Drucks 15/1516 S. 43). Getragen von der Erwartung, dass bei personalintensiverer Betreuung und individuellen Eingliederungskonzepten insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit besser abgebaut werden könne, soll das einem Fallmanagement dienen, das unter aktiver Mitarbeit des Leistungsberechtigten aufbauend auf einer Erhebung seiner konkreten Bedarfslage ein individuelles Angebot mit einer "maßgeschneiderten Ausrichtung der Eingliederungsleistungen" planen und steuern soll (vgl. BT-Drucks 15/1516 S. 44). Demgemäß soll die EV in Konkretisierung des Sozialrechtsverhältnisses zwischen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und AA (vgl. BT-Drucks 15/1516 S. 54) sicherstellen, dass einerseits die AA Angebote unterbreitet, die den individuellen Bedürfnissen des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, den Anforderungen des Arbeitsmarktes und den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit entsprechen, und zugleich soll mit jedem Leistungsberechtigten vereinbart werden, welche Anstrengungen von ihm selbst im Rahmen des Eingliederungsprozesses erwartet werden (vgl. BT-Drucks 15/1516 S. 46). Diesem Zweck würde es nicht genügen, würde das Jobcenter nicht auch bei Ersetzungsentscheidungen nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II eine der individuellen Bedarfslage des erwerbsfähigen Leistungsbeziehers gerecht werdende Konkretisierung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit vornehmen.
Hieran gemessen war der streitbefangene EingliederungsVA rechtswidrig. Offen bleiben kann, ob bereits das an die Klägerin gerichtete Verlangen rechtswidrig war, mindestens vier Bewerbungen pro Monat für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und hierüber Nachweis zu führen. Zwar können solche Aufforderungen nach dem Maßstab von § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB II und § 10 SGB II zumutbar sein, jedoch entzieht sich das einer schematischen, die Umstände des Einzelfalls außer Betracht lassenden Bewertung. Das kann indes dahinstehen, weil sich jedenfalls die Eingliederungszusagen des streitbefangenen EingliederungsVA als unzureichend erweisen und er deshalb rechtswidrig war, soweit seine Rechtswidrigkeit hier noch Gegenstand des Berufungsverfahrens ist.
Unzureichend war, dass der streitbefangene EingliederungsVA in der hier maßgeblichen Fassung des Abhilfebescheides vom 24. Januar 2013 über den Verweis auf die Rechtsansprüche zur Erstattung von Bewerbungskosten und der Zusage, einen Flyer und einen Beratungsgutschein für Soziale Wohnungshilfe auszuhändigen, hinaus keine konkreten Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne der angestrebten "maßgeschneiderten Ausrichtung der Eingliederungsleistungen" (vgl. BT-Drucks 15/1516 S. 44) bezeichnet hat, ohne dass dies von hinreichenden Ermessenserwägungen getragen wäre. Zwar mag es dafür im Einzelfall Gründe geben. Soll auf Eingliederungsangebote nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, die auf die individuelle Situation zugeschnitten sind, verzichtet werden, setzt das jedoch gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II ("sollen" die Regelungen von Satz 2 durch Verwaltungsakt erfolgen) die Ausübung pflichtgemäßem Ermessens voraus (§ 39 Abs. 1 SGB I), wofür mangels jeder Begründung der angefochtenen Entscheidungen (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X) hier nichts erkennbar ist. Es bedarf keiner Entscheidung, ob es sich bei dem ursprünglichen Angebot des Beklagten (Teilnahme an der Maßnahme AQUiA) – entgegen der von der Klägerin mit ihrem Widerspruch dokumentierten Auffassung – um eine "maßgeschneiderte" Eingliederungsleistung gehandelt hatte. Mit der Aufnahme in die ursprüngliche Fassung des EingliederungsVA vom 21. November 2012 hat der Beklagte selbst zu erkennen geben, dass für die Eingliederung der Klägerin neben der Übernahme von Bewerbungskosten und Hilfen bei der Wohnungssuche weitere Hilfen notwendig erschienen. In Erfüllung seiner Verpflichtung zur Unterbreitung eines maßgeschneiderten Eingliederungsangebots hätte es deshalb nicht mit der rückwirkenden Aufhebung der Zuweisung zur Maßnahme AQUiA und dem damit verbundenen ersatzlosen Wegfall der Eingliederungsleistung sein Bewenden haben dürfen. Entweder hätte der Beklagte der Klägerin eine andere Eingliederungsleistung anbieten oder – sofern er an seiner Auffassung von der Geeignetheit der Maßnahme AQUiA festhalten wollte – eine formal einwandfreie neue Zuweisungsentscheidung betreffend die Maßnahme AQUiA treffen müssen. Indem er eine derartige situationsangepasste Entscheidung unterließ, erschöpfte sich der EingliederungsVA von der Bezeichnung ohnehin bestehender gesetzlicher Ansprüche abgesehen im Wesentlichen in der Konkretisierung von Eigenbemühungen des Klägers, womit er im Ergebnis auf eine Anknüpfungsgrundlage für mögliche Sanktionsentscheidungen reduziert worden ist; das entspricht der gesetzlichen Konzeption nicht (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 – B 14 AS 42/15 R-, juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass die Berufung des Beklagten nur in verhältnismäßig geringfügigem Umfang Erfolg hatte (vgl. § 92 Abs. 2 Nr. 1 Zivilprozessordnung).
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Tatbestand:
Die 1973 geborene Klägerin ist seit August 2012 wohnungslos und steht im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Am 10. Oktober 2010 schlossen die Beteiligten eine bis zum 31. Mai 2011 gültige Eingliederungsvereinbarung (EV). Mit Schreiben vom 11. Mai 2012 schlug die Klägerin dem Beklagten vor, eine von ihr ausgearbeitete und unterzeichnete EV abzuschließen. Dabei erläuterte sie, die Vereinbarung eines Zieles entfalle, da sie sich gemeinsame Ziele nicht vorstellen könne. Sofern Änderungswünsche bestünden, werde gebeten, diese schriftlich zu begründen. Aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem Beklagten sei sie nicht mehr bereit, mit diesem mündlich hierüber zu verhandeln. Bei der letzten Verhandlung über eine EV habe man ihr gesagt, sie würde keine Leistungen mehr bekommen, wenn sie die ihr vorgelegte EV nicht sofort unterzeichne. Mit der "1. Einladung" vom 31. Oktober 2012 bat der Beklagte die Klägerin, zu einem Gespräch über ihre aktuelle berufliche Situation am 12. November 2012 zu erscheinen. Die Klägerin teilte daraufhin mit, sie sehe keinen Gesprächsbedarf. Mit einer weiteren "1. Einladung" vom 12. November 2012 forderte der Beklagte die Klägerin auf, am 20. November 2012 um 10:00 Uhr zur Besprechung ihrer aktuellen beruflichen Situation zu erscheinen. Es solle eine neue EV abgeschlossen werden. Sollte die Klägerin erneut nicht zum Termin erscheinen, werde die EV per Verwaltungsakt erlassen. Mit einem mit einer Rechtsfolgenbelehrung versehenen Bescheid vom 21. November 2011 erließ der Beklagte für die Zeit vom 21. November 2012 bis 20. Mai 2013 eine EV als Verwaltungsakt (im Folgenden als Eingliederungs-VA bezeichnet) und legte als Ziel die Aufnahme einer Beschäftigung auf dem 1. Arbeitsmarkt, Tätigkeit als Call-Center-Agentin; Helferin in der Lagerwirtschaft oder Helferin im Verkauf am lokalen Arbeitsmarkt fest. Als Leistungen des Beklagten zur Eingliederung wurden neben der Aushändigung von Flyern und Beratungsgutscheinen für die Soziale Wohnungshilfe auch die Teilnahme an der Maßnahme "Aktiv durch Qualifizierung und Unternehmensnähe in Arbeit" (AQUiA) vom 5. Dezember 2012 bis 4. Juni 2013 angegeben. Als "Bemühungen" der Klägerin nannte der Eingliederungs-VA 1. die Wohnungssuche, 2. die Teilnahme an AQUiA und 3. den Nachweis von monatlich vier Bewerbungsbemühungen. Als Nachweis für die Bewerbungsbemühungen sei die Eingangsbestätigung der Bewerbung, die Absagen bzw. die Anschreiben an den Arbeitgeber vorzulegen. Mit einem weiteren Bescheid vom 21. November 2012 wies der Beklagte die Klägerin der bbw Akademie zwecks Teilnahme an der Maßnahme AQUiA in Vollzeit für sechs Monate zu. Den Widerspruch der Klägerin gegen den Eingliederungs-VA wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2012 zurück. Auf den Widerspruch der Klägerin gegen die Zuweisung zur Teilnahme an der Maßnahme AQUiA hob der Beklagte die Zuweisung der Klägerin " aus formalen Gründen" mit Abhilfebescheid vom 24. Januar 2013 auf.
Mit der bereits am 21. Januar 2013 gegen den Eingliederungs-VA beim Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin zuletzt die Aufhebung, hilfsweise die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Eingliederungs-VA begehrt und vorgetragen: Sie sei nicht verpflichtet gewesen, in die vom Beklagten geforderten mündlichen Verhandlungen einzutreten. Der Beklagte sei auch nicht berechtigt gewesen, von einer Anhörung abzusehen. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 16. Oktober 2015 hat der Beklagte erklärt, der streitgegenständliche Bescheid sei in Bezug auf die Maßnahme AQUiA im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gegen das Zuweisungsschreiben aufgehoben worden. Das SG Berlin hat mit Urteil vom 16. Oktober 2015 den Eingliederungs-VA vom 21. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2012 aufgehoben. Zur Begründung ist ausgeführt: Streitgegenstand sei neben dem Bescheid vom 21. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2012 auch der diesen Bescheid teilweise aufhebende Bescheid vom 24. Januar 2013, der nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in das Klageverfahren einzubeziehen sei. Die Klage sei als Anfechtungsklage statthaft, da sich der Eingliederungs-VA trotz Ablaufs seiner Geltungsdauer nicht durch Zeitablauf oder auf sonstige Weise erledigt habe. Die Klage habe auch in der Sache Erfolg, da der Eingliederungs-VA materiell rechtswidrig sei. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Eingliederungs-VA nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II lägen nicht vor, da der erlassene Verwaltungsakt unzulässige Regelungen enthalte und der Klägerin unzumutbare Pflichten auferlege. Dies gelte für die verpflichtenden Bemühungen zur Wohnungssuche und zu den Bewerbungen. Zwar folge die Unzumutbarkeit der Bewerbungsbemühungen nicht aus der Anzahl der monatlich anzufertigenden Bewerbungen. Der Klägerin habe aber nicht abverlangt werden dürfen, den Nachweis der Bewerbungen durch Vorlage einer Eingangsbestätigung des jeweiligen Arbeitgebers zu führen, denn derartige Bestätigungen würden nicht in allen Fällen erstellt und der Leistungsbezieher könne nicht aus eigener Kraft den angeschriebenen Arbeitgeber zur Erstellung einer solchen Bestätigung zwingen. Zwischen den Bewerbungen selbst und der Führung der Nachweise bestehe ein untrennbarer Zusammenhang.
Mit seiner Berufung wendet sich der Beklagte gegen das Urteil, soweit der Eingliederungs-VA hinsichtlich der dort auferlegten Bewerbungsbemühungen aufgehoben wird. Nach dem Eingliederungs-VA sei die Nachweislegung nicht nur durch eine Eingangsbestätigung des potentiellen Arbeitgebers möglich gewesen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2015 aufzuheben, soweit es den Bescheid vom 21. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2012 hinsichtlich der auferlegten Bewerbungsbemühungen aufhebt, und die Klage insoweit abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin vom 17. Februar 2017 mit einer schriftlichen Entscheidung durch den Berichterstatter gemäß §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 SGG einverstanden erklärt.
Die Behelfsleistungsakten des Beklagten (3 Bände) sowie die Gerichtsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist ganz überwiegend unbegründet.
Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass der nach Klageerhebung ergangene Abhilfebescheid vom 24. Januar 2013 gemäß § 96 SGG (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 96 Rn. 5) in das Klagverfahren einzubeziehen war, weil der Beklagte – wie er in der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2015 ausdrücklich klargestellt hat – den Eingliederungs-VA vom 21. November 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2012 in dem gegen die Zuweisung vom 21. November 2012 gerichteten Widerspruchsverfahren konkludent dahingehend abgeändert hat, dass sowohl sein Maßnahmeangebot wie auch die Obliegenheit des Klägerin hinsichtlich der Teilnahme an der Maßnahme AQUiA rückwirkend aufgehoben worden sind. Entsprechend dem im Berufungsverfahren gestellten Antrag des Beklagten beschränkt sich der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens auf die Rechtmäßigkeit der Kassationsentscheidung des SG hinsichtlich der im Eingliederungs-VA auferlegten Bewerbungsbemühungen.
Die Berufung des Beklagten ist insoweit begründet, als das SG den Eingliederungs-VA vom 21. November 2012 hinsichtlich Punkt 2 Nr. 3 (Bewerbungsbemühungen) aufgehoben hat. Die im Klageverfahren mit dem Hauptantrag zur Entscheidung gestellte und im Berufungsverfahren aufrechterhaltene Anfechtungsklage ist durch Zeitablauf (vgl. BSG, Urteil vom 15. Juni 2016 – B 4 AS 45/15 R = SozR 4-1500 § 55 Nr. 16) unzulässig geworden, denn der Eingliederungs-VA war in seiner Geltung auf die Zeit vom 21. November 2012 bis 20. Mai 2013 beschränkt. Die Kläger kann daher nicht mehr geltend machen, durch eine darin getroffene Regelung beschwert zu sein (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Damit hat er sich insgesamt erledigt (§ 39 Abs. 2 Alt. 4 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – [SGB X]) und entfaltet keine Rechtswirkung mehr. Die mit dem insoweit noch aufrechterhaltenen Hauptantrag der Klägerin verfolgte Anfechtungsklage war somit auf die Berufung des Beklagten abzuweisen.
Im Übrigen ist die Berufung des Beklagten unbegründet.
Die mit dem Hilfsantrag der Klägerin verfolgte und im Berufungsverfahren aufrecht erhaltene Klage auf Feststellung der Rechtwidrigkeit des Eingliederungs-VA hinsichtlich der auferlegten Bewerbungsbemühungen ist zulässig. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG hier die richtige Klageart. Nach dieser Vorschrift kann mit der Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines zurückgenommenen oder auf andere Weise erledigten Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität und der Wiederholungsgefahr bestehen. Wiederholungsgefahr ist anzunehmen, wenn die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergeht (vgl. BSG, Urteil vom 14. Februar 2013 – B 14 AS 195/11 R = BSGE 113, 70 ff). Die Wiederholungsgefahr ist vorliegend zu bejahen, denn der Verlauf des Verfahrens zeigt, dass der Beklagte wiederholt versucht hat, die Klägerin in Eingliederungsmaßnahmen einzubeziehen. Es besteht daher eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit, dass auch in der nachfolgenden Zeit weitere Maßnahmen zu erwarten sind.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet. Die Ersetzung der EV war mangels einer ausreichenden Ermessensbetätigung seitens des beklagten Jobcenters zu den ihm zu gewährenden Leistungen zur Eingliederung in Arbeit rechtswidrig. Ermächtigungsgrundlage des Eingliederungs-VA ist § 15 Abs. 1 Satz 6 iVm § 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II (hier idF der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011, BGBl. I 850). Hiernach soll die Agentur für Arbeit (AA) im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren. Diese EV soll insbesondere bestimmen, 1. welche Leistungen die oder der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält, 2. welche Bemühungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen müssen und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind, 3. welche Leistungen Dritter, insbesondere Träger anderer Sozialleistungen, erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu beantragen haben (Satz 1 und 2). Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, sollen die Regelungen durch Verwaltungsakt erfolgen (Satz 6).
Es kann offen bleiben, ob aufgrund der Weigerung der Klägerin, mündlich über den Abschluss einer EV zu verhandeln, hier Raum für den Erlass eines ersetzenden EingliederungsVA war. Denn bei dem dabei auszuübenden Ermessen hat der Beklagte die Anforderungen verfehlt, die bei Ersetzungsentscheidungen nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II zu beachten sind.
Ersetzt das Jobcenter eine EV durch Verwaltungsakt, sind die ersetzenden Regelungen im Rahmen pflichtgemäßem Ermessens nach denselben Maßstäben zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen, wie sie für die konsensuale EV gelten (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 – B 14 AS 42/15 R -, juris).
Ob und mit welchen Inhalten eine EV durch Verwaltungsakt ersetzt wird, hat das Jobcenter gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II ("sollen die Regelungen durch Verwaltungsakt erfolgen") nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Entsprechend § 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) ist daher die Ersetzungsentscheidung an den Zwecken auszurichten, die nach dem Regelungskonzept des SGB II mit der zu ersetzenden EV verfolgt werden, und es sind die Grenzen einzuhalten, die auch bei einer vertraglichen Verständigung über die Inhalte der EV zu wahren sind. Auch die Regelungen eines EingliederungsVA müssen danach zunächst den Anforderungen genügen, die je für sich aus den möglichen Inhalten nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II abzuleiten sind. Zu beachten sind zudem weiter die Maßgaben, die aus der Vertragsform der zu ersetzenden EV resultieren. Als öffentlich-rechtlicher Vertrag (so BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 - B 14 AS 30/15 R -, juris) unterliegt der Abschluss einer EV den Anforderungen des § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Muss danach die Gegenleistung, zu der sich der Vertragspartner der Behörde verpflichtet, "den gesamten Umständen nach angemessen sein und im sachlichen Zusammenhang mit der vertraglichen Leistung der Behörde stehen", so gilt nichts anderes, wenn das Jobcenter "die Regelungen" (§ 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II) durch Verwaltungsakt zu ersetzen hat; auch in dieser Handlungsform wahrt die verbindliche und ggf. die Sanktionsfolgen nach §§ 31a, 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II auslösende Konkretisierung der Eigenbemühungen der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten den durch § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB X vorgegebenen Rahmen nur, wenn ihr eine iS der Vorschrift den Umständen nach angemessene Bestimmung der "vertraglichen Leistung der Behörde", also: der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, gegenübersteht.
Nichts anderes folgt aus dem bei der Ersetzungsentscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu beachtenden Sinn und Zweck von § 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II selbst. Wie die Materialien und die Verankerung der Verpflichtung zum Abschluss einer EV bereits in die zentrale Bestimmung des § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB II zur Eigenverantwortung der Leistungsberechtigten erweisen, misst der Gesetzgeber der wechselbezüglichen Konkretisierung von Pflichten und Obliegenheiten im Rahmen von EV entgegen verbreiteter Skepsis (vgl. etwa Ebsen in von Wulffen/Krasney, Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht, S. 725, 736 ff; von Koppenfels-Spies, NZS 2011, 1, 5 ff) eine herausgehobene Bedeutung für die Eingliederung in Arbeit zu (vgl. BT-Drucks 15/1516 S. 43). Getragen von der Erwartung, dass bei personalintensiverer Betreuung und individuellen Eingliederungskonzepten insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit besser abgebaut werden könne, soll das einem Fallmanagement dienen, das unter aktiver Mitarbeit des Leistungsberechtigten aufbauend auf einer Erhebung seiner konkreten Bedarfslage ein individuelles Angebot mit einer "maßgeschneiderten Ausrichtung der Eingliederungsleistungen" planen und steuern soll (vgl. BT-Drucks 15/1516 S. 44). Demgemäß soll die EV in Konkretisierung des Sozialrechtsverhältnisses zwischen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und AA (vgl. BT-Drucks 15/1516 S. 54) sicherstellen, dass einerseits die AA Angebote unterbreitet, die den individuellen Bedürfnissen des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, den Anforderungen des Arbeitsmarktes und den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit entsprechen, und zugleich soll mit jedem Leistungsberechtigten vereinbart werden, welche Anstrengungen von ihm selbst im Rahmen des Eingliederungsprozesses erwartet werden (vgl. BT-Drucks 15/1516 S. 46). Diesem Zweck würde es nicht genügen, würde das Jobcenter nicht auch bei Ersetzungsentscheidungen nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II eine der individuellen Bedarfslage des erwerbsfähigen Leistungsbeziehers gerecht werdende Konkretisierung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit vornehmen.
Hieran gemessen war der streitbefangene EingliederungsVA rechtswidrig. Offen bleiben kann, ob bereits das an die Klägerin gerichtete Verlangen rechtswidrig war, mindestens vier Bewerbungen pro Monat für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und hierüber Nachweis zu führen. Zwar können solche Aufforderungen nach dem Maßstab von § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB II und § 10 SGB II zumutbar sein, jedoch entzieht sich das einer schematischen, die Umstände des Einzelfalls außer Betracht lassenden Bewertung. Das kann indes dahinstehen, weil sich jedenfalls die Eingliederungszusagen des streitbefangenen EingliederungsVA als unzureichend erweisen und er deshalb rechtswidrig war, soweit seine Rechtswidrigkeit hier noch Gegenstand des Berufungsverfahrens ist.
Unzureichend war, dass der streitbefangene EingliederungsVA in der hier maßgeblichen Fassung des Abhilfebescheides vom 24. Januar 2013 über den Verweis auf die Rechtsansprüche zur Erstattung von Bewerbungskosten und der Zusage, einen Flyer und einen Beratungsgutschein für Soziale Wohnungshilfe auszuhändigen, hinaus keine konkreten Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne der angestrebten "maßgeschneiderten Ausrichtung der Eingliederungsleistungen" (vgl. BT-Drucks 15/1516 S. 44) bezeichnet hat, ohne dass dies von hinreichenden Ermessenserwägungen getragen wäre. Zwar mag es dafür im Einzelfall Gründe geben. Soll auf Eingliederungsangebote nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, die auf die individuelle Situation zugeschnitten sind, verzichtet werden, setzt das jedoch gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II ("sollen" die Regelungen von Satz 2 durch Verwaltungsakt erfolgen) die Ausübung pflichtgemäßem Ermessens voraus (§ 39 Abs. 1 SGB I), wofür mangels jeder Begründung der angefochtenen Entscheidungen (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X) hier nichts erkennbar ist. Es bedarf keiner Entscheidung, ob es sich bei dem ursprünglichen Angebot des Beklagten (Teilnahme an der Maßnahme AQUiA) – entgegen der von der Klägerin mit ihrem Widerspruch dokumentierten Auffassung – um eine "maßgeschneiderte" Eingliederungsleistung gehandelt hatte. Mit der Aufnahme in die ursprüngliche Fassung des EingliederungsVA vom 21. November 2012 hat der Beklagte selbst zu erkennen geben, dass für die Eingliederung der Klägerin neben der Übernahme von Bewerbungskosten und Hilfen bei der Wohnungssuche weitere Hilfen notwendig erschienen. In Erfüllung seiner Verpflichtung zur Unterbreitung eines maßgeschneiderten Eingliederungsangebots hätte es deshalb nicht mit der rückwirkenden Aufhebung der Zuweisung zur Maßnahme AQUiA und dem damit verbundenen ersatzlosen Wegfall der Eingliederungsleistung sein Bewenden haben dürfen. Entweder hätte der Beklagte der Klägerin eine andere Eingliederungsleistung anbieten oder – sofern er an seiner Auffassung von der Geeignetheit der Maßnahme AQUiA festhalten wollte – eine formal einwandfreie neue Zuweisungsentscheidung betreffend die Maßnahme AQUiA treffen müssen. Indem er eine derartige situationsangepasste Entscheidung unterließ, erschöpfte sich der EingliederungsVA von der Bezeichnung ohnehin bestehender gesetzlicher Ansprüche abgesehen im Wesentlichen in der Konkretisierung von Eigenbemühungen des Klägers, womit er im Ergebnis auf eine Anknüpfungsgrundlage für mögliche Sanktionsentscheidungen reduziert worden ist; das entspricht der gesetzlichen Konzeption nicht (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 – B 14 AS 42/15 R-, juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass die Berufung des Beklagten nur in verhältnismäßig geringfügigem Umfang Erfolg hatte (vgl. § 92 Abs. 2 Nr. 1 Zivilprozessordnung).
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
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