L 1 KR 93/16 WA

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 198 KR 2259/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 93/16 WA
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger hat zunächst der Sache nach Unterstützungshandlungen bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen in Folge von Behandlungsfehlern begehrt.

Der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger beantragte bei dieser am 31.Januar 2013 im Rahmen des § 66 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), ein Gutachten durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) zur Überprüfung von Zahnarztbehandlungen zu veranlassen.

Die vom MDK beauftragte Zahnärztin Dr. M kam in ihrem Gutachten nach Aktenlage vom 6. Mai 2013 zu dem Ergebnis, dass zahnärztliche Behandlungsfehler im Ergebnis nicht erkennbar seien. Eine Untersuchung des Klägers habe nicht stattfinden können, weil sie diesen nicht erreicht habe. Der Kläger bemängelte das Gutachten. Die Gutachterin sei keine Angestellte des MDK, sondern selbständige Unternehmerin und somit nicht neutral. Sie weiche vom Fachstandard ab. Der Kläger forderte ein weiteres Gutachten mit körperlicher Untersuchung durch einen beim MDK angestellten Zahnarzt. Der erneut eingeschaltete MDK wies den Auftrag mit Schreiben vom 12. September 2013 zurück. Der Kläger habe zum zweiten Mal das Angebot einer körperlichen Untersuchung durch die externe Gutachterin Dr. M abgelehnt. Der MDK arbeite ausschließlich mit externen Gutachtern zusammen. Eine Begutachtung durch einen MDK-internen Zahnarzt sei nicht möglich. Dies teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 23. September 2013 mit. Sie erneuerte ein Angebot vom 4. Februar 2013, ein Privatgutachten mit zu finanzieren.

Der Kläger erhob hiergegen mit Schreiben vom 2. Oktober 2013 Widerspruch, da es sich um einen belasteten Verwaltungsakt handele.

Ferner hat der Kläger am 4. November 2013 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Er hat zunächst Einsicht in die Akten der Beklagten (der Abteilung, welche seinen Antrag nach § 66 SGB V bearbeitet habe), beim Ärztezentrum, bei der Abteilung Medizinrechte, beim MDK, der Unterlagen der Gutachterin Dr. M, der Zahnärztekammer, der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft sowie bei der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, beim Bundesverwaltungsamt.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 1. Dezember 2014 als unzulässig abgewiesen. Dem Kläger sei nämlich Akteneinsicht in die Verwaltungsakte der Beklagten gewährt worden. Dieses habe er nicht wahrgenommen. Insofern bestehe bereits kein Rechtschutzbedürfnis. Hinsichtlich der weiteren Akteneinsichtsbegehren sei die Beklagte nicht passiv legitimiert. Im Übrigen lägen weder die Voraussetzungen für eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vor, da kein Verwaltungsakt ergangen sei, noch für eine echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG. Der Kläger habe trotz mehrfacher Nachfragen den Streitgegenstand nicht konkretisiert.

Gegen diese ihm am 6. Dezember 2014 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers vom 23. Dezember 2014. Zur Berufungsbegründung hat der Kläger ausgeführt, die erstinstanzliche Entscheidung enthalte Fehler im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen. Das durch die Beklagte bzw. den MDK veranlasste Gutachten der "Unternehmerin" Dr. M entspreche nicht dem heutigen Standard und gehe nicht auf die klägerischen Fragen ein. Der Senat dürfe seine Amtsermittlungspflicht nicht verletzen.

Mit Beschluss vom 1. September 2015 hat der Senat den Rechtsstreit zur Entscheidung durch den Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Der Kläger hat in der ersten mündlichen Verhandlung am 9. Oktober 2015 klargestellt, dass es ihm in diesem Rechtsstreit um Behandlungsfehler ab 29. Mai 2011 ginge.

Die Beklagte hat erklärt, anzuerkennen, den Widerspruch vom 2. Oktober 2013 gegen den Bescheid vom 23. September 2013 zu bescheiden.

Der Kläger hat erklärt, er nehme das Anerkenntnis an. Mit Schriftsatz vom 11. Februar 2016 hat der Kläger nachgefragt, wann er eine Entscheidung erhalte. Ein anhängiges sozialgerichtliches Verfahren müsse immer durch eine Entscheidung abgeschlossen werden. Mit Schreiben vom 11. Februar 2016 hat die Beklagte dem Kläger mitgeteilt, dass von ihrer Seite keine weiteren Gutachten mehr in Auftrag gegeben würden. Dieser hat daraufhin mit Schriftsatz vom 21. Februar 2016 die Klage "um eine Fortsetzungsfeststellungsklage" erweitert. Mit Schriftsatz vom 3. März 2016 hat die Beklagte erläutert, das Schreiben sei aufgrund der gerichtlichen Verpflichtung erfolgt.

Mit Verfügungen vom 16. Juni 2016 und vom 13. Juli 2016 hat der Senat die Beklagte aufgefordert, in Erfüllung des Anerkenntnisses einen Widerspruchsbescheid zu erlassen. Ferner ist die Einleitung des förmlichen Vollstreckungsverfahrens angedroht worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2016 hat die Beklagte den Widerspruch vom 2. Oktober 2013 gegen den Bescheid vom 23. September 2013 zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, den Kläger hinsichtlich des von diesem vermuteten Behandlungsfehler entsprechend den Vorgaben des § 66 SGB V unterstützt zu haben. Es seien zwei Gutachtenaufträge an den MDK erteilt worden. Eine körperliche Begutachtung des Klägers sei nicht zustande gekommen, weil der Kläger nicht erschienen sei. Damit habe die Beklagte ihre Aufgaben gemäß § 66 SGB V erfüllt.

Der Kläger hat gegen den Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2016 am 1. August 2016 Klage beim SG erhoben (dortiges Aktenzeichen: S 122 KR 1422/16). Das SG hat das Verfahren, zudem auch die bereits zuvor erhobene Klage gegen das Schreiben vom 11. Februar 2016 hinzu verbunden worden ist, zum Ruhen gebracht. Mit Verfügung vom 4. August 2016 hat der Senat dem Kläger daraufhin mitgeteilt, dass sich das hiesige Verfahren erledigt haben dürfte.

Der Kläger bringt vor, der Senat dürfe nicht nach § 153 Abs. 5 SGG in der Besetzung durch den Berichterstatter mit den ehrenamtlichen Richtern entscheiden. Der Übertragungsbeschluss sei rechtswidrig, weil er nicht begründet sei. Bereits das SG habe fehlerhaft durch Gerichtsbescheid entschieden. Der Berichterstatter habe ihn während der mündlichen Verhandlung am 9. Oktober 2015 vorsätzlich getäuscht. Er -der Kläger- habe das Anerkenntnis nur irrtümlich angenommen. Er sei nicht auf die Vorschrift des § 101 Abs. 2 SGG hingewiesen worden.

Der Kläger beantragt,

1) da der Berufungskläger vom Richter LSG P basierend auf § 123 BGB getäuscht worden ist, ist das nur irrtümlich angenommene Anerkenntnis aufzuheben und das Ausgangsverfahren ist fortzusetzen.

2) basierend auf der BSG-Entscheidung vom 1.7.2014 – B 1 KR 99/13 B – ist in diesem Fall das Verfahren nach § 114 SGG analog auszusetzen und abwarten, bis der Widerspruchsbescheid erlassen ist.

3) basierend auf der Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg, 11. Senat, vom 19.1.2017 – L 11 SB 295/16 – wird beantragt, das Verfahren nach § 159 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz an das Sozialgericht zurück zu übertragen, weil das Sozialgericht keinen Gerichtsbescheid hätte erlassen dürfen, weil möglicherweise das SG bei Vorliegen eines Widerspruchsbescheides eine andere Entscheidung getroffen hätte.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in der Besetzung durch den Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern gemäß § 153 Abs. 5 SGG entscheiden. Der entsprechende Beschluss vom 1. September 2015 ist wirksam. Er bedurfte keiner Begründung, weil er nicht anfechtbar gewesen ist, § 142 Abs. 2 S. 1 SGG. Der Rechtsstreit hat jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufgewiesen (§ 105 Abs. 1 S. 1 SGG). Deshalb erschien dem Senat eine Befassung in der Standardbesetzung nicht opportun. Eine Rückübertragung auf den Senat müsste selbst dann ausscheiden, falls sich solche Schwierigkeiten später ergäben hätten. Eine entsprechende Vorschrift fehlt nämlich, anders als in anderen Prozessordnungen.

Der Berufung mit den zuletzt gestellten prozessualen Anträgen muss Erfolg versagt bleiben.

Der erste Antrag -auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens unter Aufhebung der Annahme des Anerkenntnisses vom 9. Oktober 2015- geht ins Leere. Das Berufungsverfahren ist bereits fortgesetzt worden, unabhängig davon ob hier streitig gewesen ist, ob eine wirksame Annahme erfolgt ist oder ob -wovon der Senat in der Folgezeit ausgegangen ist- zunächst unklar gewesen ist, ob mit dem angenommenen Anerkenntnis der Rechtsstreit insgesamt seine Erledigung gefunden hat, oder nur zum Teil.

Sollte die Annahme wirksam angefochten worden sein, wäre sie von selbst unwirksam, § 142 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch.

Allerdings ist bei Untätigkeitsklagen nach § 88 Abs. 2 SGG -wie hier, siehe dazu sogleich- der Beklagte zum Erlass eines Widerspruchbescheides zu verurteilen. Eine solche war hier nicht nötig, nachdem die Beklagte ein entsprechendes Anerkenntnis abgegeben hat. Der Kläger hat sich in der ersten Verhandlung außer Stande gesehen, sich über das Anerkenntnis hinaus weiter zu erklären, obwohl etwaige Möglichkeiten erörtert wurden: Zum einen den Rechtsstreit übereinstimmend mit der Beklagten klarstellend insgesamt für erledigt zu erklären, um später gegebenenfalls neu gegen den Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides Klage zu erheben, oder zum anderen, den hiesigen Rechtsstreit auszusetzen, um die Klage später unter Einbeziehung des Widerspruchsbescheides fortzuführen. Zur zweiten Alternativen hat der Senat in der Verhandlung allerdings darauf hingewiesen, dazu zu neigen, Ansprüche des Klägers in der Sache für nicht begründet zu halten, ebenso wie das SG in der angegriffenen Entscheidung. Die Situation einer Untätigkeitsklage hat vorgelegen: Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), ist der Anspruch Versicherter auf Unterstützung bei der Verfolgung von Behandlungsfehlern gegen die Krankenkasse im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend zu machen. Über einen solchen Anspruch nach § 66 SGB V (in der Fassung durch Art 2 Nr. 2 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013, BGBl I 277) entscheidet die Krankenkasse auf Antrag (§ 19 S 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch) durch Verwaltungsakt (BSG, Urteil vom 08. September 2015 – B 1 KR 36/14 R – Rdnr. 21). Der Kläger wandte sich von Anfang an auch gegen die ablehnende Entscheidung der Beklagten und erhob ausdrücklich Widerspruch.

Der zweite Antrag -auf Aussetzung des Verfahrens entsprechend § 114 SGG bis zum Erlass eines Widerspruchsbescheides- ist sinnlos. Denn es gibt bereits einen Widerspruchsbescheid. Die prozessuale Situation ist anders als diejenige, welcher der vom Kläger angeführten Entscheidung des 11. Senat im Hause vom 19.1.2017 (L 11 SB 295/16) zu Grunde lag, in der ein solcher noch ausstand.

Auch der dritte Antrag bleibt erfolglos. Nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene erstinstanzliche Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Die letztgenannte Voraussetzung ist hier rein formal erfüllt. Das SG hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Es hat sich nur ergänzend zur Sache geäußert. Ob der Gerichtsbescheid nicht hätte ergehen dürfen, weil der Kläger von Anfang an eine Untätigkeitsklage erhoben hat, kann dahingestellt bleiben. Eine Zurückverweisung ist bereits deshalb nicht zur Wahrung der Rechte des Klägers erforderlich, weil der Rechtsstreit in der Sache bereits wieder beim SG anhängig ist, nachdem der Kläger (unter anderem) nach Erlass des Widerspruchsbescheides dort Klage erhoben hat. Ein schützenswertes Interesse an einer nachträglichen Klärung prozessualer Fragen losgelöst von einem Sachbegehren vermag der Senat nicht zu erkennen.

Aus demselben Grund ist die Berufung im Übrigen klarstellend zurückzuweisen. Jedenfalls nach Erhebung der erneuten Klage erschöpft sich der Streitgegenstand des hiesigen Verfahrens in der bereits erledigten Untätigkeitsklage, so dass für eine (Rest-)Berufung kein Raum mehr verbleibt.

Dass sich der Rechtsstreit durch das angenommene Anerkenntnis erledigt hat, war dabei nicht im Tenor festzustellen. Denn im Regelfall bestimmt alleine der (Berufungs-)Kläger aufgrund der ihm zustehenden Dispositionsmaxime den Streitgegenstand. Die Beklagte hat dies auch nicht beantragt. Es ist diesbezüglich zudem kein (ausnahmsweises) berechtigtes Interesse an einer entsprechenden Feststellung ersichtlich (a. A. möglicherweise -als obiter dictum- für die Frage der Beendigung durch einen wirksamen Prozessvergleich BSG, Urteil vom 28. November 2002 – B 7 AL 26/02 R –, juris-Rdnr. 20 mit Bezugnahme auf Bundesgerichtshof NJW 1996, 3345).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache. Es erscheint dem Senat sachgerecht, hierzu auf den jetzigen Zeitpunkt abzustellen.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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