L 13 SB 293/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 17 SB 30/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 293/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Oktober 2014 geändert. Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 25. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2011 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 19. November 2014 verpflichtet, bei dem Kläger mit Wirkung ab dem 2. Oktober 2014 einen Gesamt-GdB von 50 festzustellen. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens zur Hälfte zu erstatten. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).

Auf den Feststellungsantrag des 1970 geborenen Klägers vom 23. März 2010 stellte der Beklagte bei ihm mit Bescheid vom 25. Mai 2010 einen GdB von 20 fest. Er ging dabei von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen aus:

1. Diabetes mellitus (Einzel-GdB von 10), 2. Funktionsstörung des linken Kniegelenks (Einzel-GdB von 20).

Gegen die Höhe des GdB erhob der Kläger Widerspruch. Am 26. August 2010 musste der Kläger wegen eines entgleisten Diabetes mellitus die Klinik B aufsuchen. Nach weiteren Ermittlungen setzte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2011 den GdB ab 26. August 2010 auf 30 herauf. Hierbei legte er folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

1. Diabetes mellitus (Einzel-GdB von 20), 2. Funktionsstörung des linken Kniegelenks (Einzel-GdB von 20).

Mit der Klage bei dem Sozialgericht Cottbus hat der Kläger einen GdB von mindes-tens 50 begehrt.

Das Sozialgericht hat neben Befundberichten das Gutachten des Chirurgen und So-zialmediziners Dr. Br vom 30. September 2013 eingeholt, der nach Untersuchung des Klägers einen GdB von 10 ab 23. März 2010 und einen GdB von 30 ab 26. August 2010 vorgeschlagen hat. Er hat hierbei folgende Funktionsbeeinträchtigungen ermittelt:

1. Diabetes mellitus (Einzel-GdB von 10 ab 23. März 2010 und Einzel-GdB von 30 ab 26. August 2010), 2. geringfügige Verschleißerscheinungen der Kniegelenke (Einzel-GdB von 10).

Auf den Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozial-gericht den Praktischen Arzt Dr. B gehört, der nach Untersuchung des Klägers am 11. März 2014 in seinem Gutachten vom 11. Mai 2014 einen Gesamt-GdB von 50 vorgeschlagen hat. Der Gutachter ist hierbei von folgenden Funktionsbeeinträchti-gungen ausgegangen:

1. Diabetes mellitus (Einzel-GdB von 10 ab 23. März 2010 und Einzel-GdB von 40 ab 26. August 2010), 2. Funktionsstörung der Kniegelenke (Einzel-GdB von 20) 3. chronischer Schmerz (Einzel-GdB von 30 ab 11. März 2014).

Der Beklagte hat daraufhin mit Schriftsatz vom 28. August 2014 erklärt, dass er bei dem Kläger ab 1. Januar 2013 einen GdB von 40 feststellen wird. Im Hinblick auf die seit diesem Zeitpunkt bestehenden HbA1c-Werte über 8 sei von einer schlechten Einstellungsqualität des Diabetes mellitus auszugehen. Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger nicht angenommen. Mit Urteil vom 13. Oktober 2014 hat das Sozialgericht den Beklagten nach dem Teilanerkenntnis verurteilt, im Übrigen aber die Klage ab-gewiesen. Mit Ausführungsbescheid vom 19. November 2014 hat der Beklagte bei dem Kläger mit Wirkung ab 1. Januar 2013 einen GdB von 40 festgestellt.

Mit der Berufung gegen die Entscheidung des Sozialgerichts hat der Kläger seinen Klageantrag zunächst weiter verfolgt, im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter nur noch einen GdB von 50 mit Wirkung ab 26. August 2010 begehrt.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. Sch vom 27. Oktober 2015, der nach Untersuchung des Klä-gers den Gesamt-GdB auf 40 eingeschätzt hat. Als GdB-relevante Funktionsbeein-trächtigungen des Klägers hat der Sachverständige im Einzelnen ermittelt:

1. Diabetes mellitus (Einzel-GdB von 40), 2. Kniegelenkverschleiß rechts und links (Einzel-GdB von 20).

Weiter hat der Senat die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Orthopä-die und Rheumatologie Prof. Dr. S veranlasst. Der Sachverständige hat im Gutach-ten vom 5. Mai 2017 den Gesamt-GdB mit 40 bewertet. Dem hat er folgende Funkti-onsbeeinträchtigungen zugrunde gelegt:

1. Diabetes mellitus (Einzel-GdB von 40), 2. Wirbelsäulenleiden (Einzel-GdB von 20), 3. degenerative Umformungen an den Kniegelenken (Einzel-GdB von 10).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Oktober 2014 aufzuheben so-wie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 25. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2011 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 19. November 2014 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab dem 26. August 2010 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass seine Entscheidung zutreffend sei.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwal-tungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Be-teiligten hiermit einverstanden sind (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 So-zialgerichtsgesetz -SGG-).

Die zulässige Berufung des Klägers ist, soweit er sie aufrecht hält, nur zum Teil be-gründet.

Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung eines Gesamt-GdB von 50 mit Wirkung ab dem 2. Oktober 2014. Einen höheren Gesamt-GdB als 30 für den Zeitraum vom 26. August 2010 bis zum 31. Dezember 2012 sowie einen höheren Einzel-GdB als 40 für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 1. Oktober 2014 kann der Kläger nicht erfolgreich beanspruchen.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversor-gungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.

Der bei dem Kläger bestehende Diabetes mellitus ist seit dem 1. Januar 2013 mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten. Die von diesem Zeitpunkt an dokumentierten HbA1c-Werte weisen auf eine schlechte Qualität der Stoffwechseleinstellung hin, weshalb es nach der Überzeugung des Senats geboten ist, den oberen Wert des nach Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV für die Stufe 4 vorgesehenen GdB-Rahmens von 30 bis 40 anzusetzen. Eine höhere Bewertung ist nicht geboten, da die gesteigerten Voraussetzungen der Stufe 5 offensichtlich nicht erfüllt sind. Denn der Kläger zählt nicht zu den an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravie-rend in der Lebensführung beeinträchtigt sind. Im Zeitraum vom 26. August 2010 bis zum 31. Dezember 2012 betrug nach Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV der Einzel-GdB für den Diabetes mellitus 30, da der Kläger selbst täglich eine je nach Blutzuckermessung angepasste Insulingabe durchführte und unter dieser Insulinthe-rapie keine schwerwiegenden und häufigen Hypoglykämien zu verzeichnen waren. Im ärztlichen Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik H vom 22. Juni 2012 wurde der Diabetes noch als suffizient eingestellt bewertet.

Das Wirbelsäulenleiden des Klägers ist vom 2. Oktober 2014 an mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 VersMedV sieht für die von dem Sachverständigen Prof. Dr. S bei der gutachterlichen Untersuchung festgestellten mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt einen Einzel-GdB in dieser Höhe vor. In zeitlicher Hinsicht ist der Senat davon über-zeugt, dass diese Leiden seit der am 2. Oktober 2014 durchgeführten kernspintomo-grafischer Untersuchung, die der Sachverständige bei seiner Einschätzung herange-zogen hat, vorliegen. Ein GdB-relevantes Wirbelsäulenleiden vor diesem Zeitpunkt ist nicht nachgewiesen.

Die Funktionsbeeinträchtigungen der unteren Extremitäten bedingen durchgehend einen Einzel-GdB von 20. Der Senat folgt der Einschätzung des Sachverständigen Dr. Sch, da sie den Vorgaben in Teil B Nr. 18.14 der Anlage zu § 2 VersMedV entspricht, wonach bei Knorpelschäden der Kniegelenke auch ohne Bewegungsein-schränkung ein GdB von 10 bis 30 zu vergeben ist.

Aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere aus den in der ersten und zweiten Instanz eingeholten Sachverständigengutachten, hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass bei dem Kläger eine chronische Schmerzerkrankung, die einen eigenen Einzel-GdB rechtfertigen würde, nicht vorliegt. Die gegenteilige Einschätzung des nach § 109 SGG gehörten Praktischen Arztes Dr. B ist nicht nachvoll-ziehbar. Denn sie stützt sich lediglich auf die Analyse anamnestischer Angaben des Klägers auf Fragebögen. Vielmehr ist der Senat davon überzeugt, dass – wie der Sachverständige Dr. Sch herausgearbeitet hat – die angegebenen Schmerzen als eine den einzelnen Erkrankungen zuzuordnende passagere Symptomatik zu bewer-ten sind, die nach Teil A Nr. 2j der Anlage zu § 2 VersMedV von den in der GdB-Tabelle angegebenen Werten eingeschlossen ist, und nicht als eigenständiges chro-nisches Schmerz-Syndrom.

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.

Bei dem Kläger ist der Gesamt-GdB – abweichend von den bisherigen Feststellungen des Beklagten – mit Wirkung ab 2. Oktober 2014 danach mit 50 festzusetzen. Der Einzel-GdB von 40 für den Diabetes mellitus ist unter Berücksichtigung der Be-hinderungen des Klägers im Funktionssystem der Wirbelsäule und im Funktionssystem der unteren Extremitäten, die jeweils mit einem Einzel-GdB von 20 bewerten sind, um einen Zehnergrad auf 50 heraufzusetzen. Zwar wirken sich, wie der Sachverständige Prof. Dr. S dargelegt hat, die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen nicht nachhaltig aufeinander aus. Der Diabetes mellitus und die Behinderungen sowohl des Stütz- als auch des Bewegungsapparats betreffen jedoch verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens und sind deshalb durch eine Anhebung des Gesamt-GdB zu würdigen.

Hinsichtlich der Zeiträume vom 26. August 2010 bis zum 31. Dezember 2012 sowie vom 1. Januar 2013 bis zum 1. Oktober 2014 bildet der führende Einzel-GdB für den Diabetes mellitus von 30 bzw. von 40 den jeweiligen Gesamt-GdB. Eine Anhebung des Gesamt-GdB ist nicht geboten, da lediglich eine weitere Behinderung mit einem Einzel-GdB von 20 vorlag, die sich auf den Bewegungsapparat beschränkte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfah-rens.
Rechtskraft
Aus
Saved