L 13 SB 169/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 9 SB 320/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 169/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 12. Mai 2015 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1953 geborene Klägerin begehrt die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50. Auf Antrag der Klägerin vom 1. November 2012 stellte der Beklagte nach Beiziehung von Befundberichten und Beteiligung seines ärztlichen Dienstes mit Bescheid vom 5. Juni 2013 einen GdB von 30 fest und ging hierbei von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen aus, die er verwaltungsintern jeweils mit dem aus dem Klammerzusatz ersichtlichen Einzel-GdB bewertete:

- psychische Störung (10), - Schwerhörigkeit (20), - Bluthochdruck (10), - Funktionsstörungen des Darmes und Teilverlust der Leber (10), - Bauchnarbenbruch (20), - Gebärmuttervorfall (10), - Funktionsstörung der Wirbelsäule (10), - Funktionsstörung beider Schultergelenke (10), - Postcholecystektomiesyndrom (20).

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2013 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des praktischen Arztes Müller, der die Klägerin am 20. Februar 2015 untersucht hat und in seinem Gutachten vom 9. März 2015 zu der Einschätzung gelangt ist, bei der Klägerin seien folgende Behinderungen festzustellen:

a) wiederkehrende Oberbauchbeschwerden nach Teilverlust der Leber und Verlust der Gallenblase, Funktionsstörungen des Darmes, Bauchnarbenbruch und Bauchwandschwäche (GdB 30), b) Schwerhörigkeit (GdB 15 gleich 20), c) seelisches Leiden im Sinne eine Dysthymie und chronischen Verstimmung (GdB 10), d) Funktionsstörung beider Schultergelenke (GdB 10), e) Funktionsstörung der Wirbelsäule (GdB 10), f) Bluthochdruck (GdB 10), g) Gebärmuttervorfall und Blasenentleerungsstörung (GdB 10).

Nach Ansicht des Sachverständigen sei der Gesamt-GdB durchgängig mit 30 zu bemessen. Das führende Leiden erfahre keine Erhöhung. Dies würde auch gelten, wenn das seelische Leiden mit einem GdB von 20 bewertet würde. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen. Auf Einwendungen der Klägerin hat der Sachverständige mit ergänzender Stellungnahme vom 21. April 2015 sein Gutachten vertieft und ist im Ergebnis von der Ersteinschätzung nicht abgewiesen. Mit Urteil vom 12. Mai 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen die Einschätzung des Sachverständigen übernommen.

Gegen das ihr am 6. Juni 2015 zugestellte Urteil hat sich die Klägerin mit der am 25. Juni 2015 eingelegten Berufung gewährt, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt, der Sachverständige sei nicht hinreichend qualifiziert und ihr gegenüber voreingenommen gewesen. Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 12. Mai 2015 und den Bescheid des Beklagten vom 5. Juni 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2013 zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, bei der Klägerin einen GdB von 50 ab dem 13. November 2012 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Allgemeinmedizin, physikalische und rehabilitative Medizin sowie Sozialmedizin und Sportmedizin Dr. Schneider, der die Klägerin am 15. März 2016 untersucht hat und in seinem Gutachten vom 6. April 2016 zu der Einschätzung gelangt ist, eine abschließende Bewertung des Gesamt-GdB könne er nicht vornehmen, da er eine fachpsychiatrische Begutachtung für notwendig halte. Im Übrigen sei aber aus den von ihm ansonsten festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen ein Gesamt-GdB von 40 abzuleiten, der ab Antragstellung bestanden habe. Im Einzelnen handele es sich um folgende Funktionsbeeinträchtigungen, denen er den aus dem Klammerzusatz ersichtlichen Einzel-GdB zuordne:

- mehrfache Bauchoperationen, Leberteilverlust, Verlust der Gallenblase mit Folgebeschwerden, Dünndarmteilverlust, Anlage eines künstlichen Gallenausgangs in den Dünndarm (20), - Narbenhernie im Bereich des Oberbauches mit Netzimplantation (20), - Verschleiß der Wirbelsäule (10), - Schultergelenkfunktionsstörungen links und Polyarthrose der Fingergelenke ohne relevante Bewegungsstörungen (0), - Bluthochdruck (10), - Übergewicht, Fettstoffwechselstörung, Diabetes (0), - Fersensporn (0), - Sehminderung, Hörminderung, Ohrgeräusche (20), - Gebärmuttervorfall, Harninkontinenz (10), - wiederkehrende Bronchitis (0).

Dieser Zustand könne als gesichert bestehend seit Februar 2013 betrachtet werden.

Der Senat hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrischen Gutachtens des Facharztes für Psychiatrie Prof. Dr. Glasner. Nachdem die Klägerin insoweit erklärt hat, sie lehne eine nochmalige persönliche Vorstellung bei einem Gutachter ab, hat der Senat den Beweisbeschluss dahingehend geändert, dass das Gutachten nach Aktenlage erstellt werden solle. In seinem Gutachten vom 13. Januar 2017 ist der Sachverständige zu der Einschätzung gelangt, der durch den Sachverständigen Dr. Schneider für die Hörminderung mit Ohrgeräuschen zuerkannte GdB von 20 sei zu hoch bemessen. Eine solche Bewertung sei nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) nur bei erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen gerechtfertigt. Derartige seien indes hier nicht festzustellen, weshalb der GdB insoweit mit 10 anzusetzen sei. Eine konkrete Bezeichnung einer psychischen Funktionsbeeinträchtigung ist dem Gutachten nicht zu entnehmen, deren Bewertung mit einem höheren GdB als 10 hält der Sachverständige nach Aktenlage nicht für möglich. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Der Senat hat nach Ausschöpfung der verfügbaren Ermittlungsmöglichkeiten nicht die Überzeugung gewinnen können, dass bei der Klägerin ein höherer GdB als 30 festzustellen ist.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412), die am 1. Januar 2009 in Kraft getreten ist, festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.

Hinsichtlich der außerhalb des psychiatrisch/neurologischen Fachbereichs bei der Klägerin festzustellenden Funktionsbeeinträchtigungen und deren Bewertung folgt der Senat dem äußerst umfangreichen und ausführlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. Schneider. Danach sind bei der Klägerin mit einer GdB- Relevanz festzustellen: - mehrfache Bauchoperationen, Leberteilverlust, Verlust der Gallenblase mit Folgebeschwerden, Dünndarmteilverlust, Anlage eines künstlichen Gallenausgangs in den Dünndarm, - Narbenhernie im Bereich des Oberbauches mit Netzimplantation, - Verschleiß der Wirbelsäule, - Bluthochdruck, - Sehminderung, Hörminderung, Ohrgeräusche, - Gebärmuttervorfall, Harninkontinenz. Auch hinsichtlich der durch den Sachverständigen in Ansatz gebrachten Einzelbewertungen folgt der Senat dem überwiegend. Lediglich die Bewertung der Hörminderung mit Ohrgeräuschen mit einem GdB von 20 vermag aus den zutreffend durch den Sachverständigen Prof. Dr. Glasner monierten Umständen nicht zu überzeugen. Nach Teil B 5.3 der VMG richtet sich die Bewertung eines Hörleidens mit Ohrgeräuschen nach Art und Ausmaß der psychischen Begleiterscheinungen. Können solche nicht oder jedenfalls nicht in nennenswertem Umfang festgestellt werden, so beträgt der GdB 0 bis 10. Nachdem der Sachverständige Dr. Schneider zum einen konkrete psychovegetative Begleiterscheinungen nicht explizit dargestellt und er darüber hinaus auch eine psychiatrische Begutachtung für notwendig gehalten hat, kann der Senat in Bezug auf die Hörgeräusche nicht zur sicheren Überzeugung des Vorliegens nennenswerter psychovegetativer Begleiterscheinungen gelangen, so dass insoweit maximal ein GdB von 10 in Ansatz zu bringen ist.

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, wobei weder ein Einzel-GdB von 10 noch mehrere derartige Einzelbewertungen regelmäßig eine Erhöhung bewirken können und im Übrigen auch keine Addition stattfindet. Vorliegend muss der Senat demnach von den beiden durch ärztliches Gutachten nach persönlicher Untersuchung ermittelten Funktionsstörungen ausgehen, die einen GdB von jeweils 20 begründen. Aus ihnen kann sich maximal ein Gesamt-GdB von 30 ergeben. Zwar spricht nach Überzeugung des Senates einiges dafür, dass bei der Klägerin auch ein relevantes psychisches Leiden vorliegt. Nachdem die Klägerin es jedoch mehrfach und auch auf ausdrücklichen Hinweis auf die bei ihr liegende sog. materielle Beweislast abgelehnt hat, sich durch einen Sachverständigen auf psychiatrischem Gebiet untersuchen zu lassen, kann der Senat insoweit nur auf das nach Aktenlage erstellte Gutachten zurückgreifen, aus dem sich eine Höherbewertung des psychischen Leidens als mit dem nicht für den Gesamt-GdB relevanten Wert von 10 nicht begründen lässt.
Rechtskraft
Aus
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