L 18 AS 2067/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 123 AS 31268/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 2067/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Juni 2016 geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 24. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2012 wird insoweit aufgehoben, als darin der Beklagte die Aufrechnung der Erstattungsforderung gegen die laufenden Leistungen des Klägers verfügt hat. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger ein Sechstel seiner außergerichtlichen Kosten im gesamten Verfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides des Beklagten, mit welchem dieser die Leistungsbewilligung für den Zeitraum 1. Juli 2011 bis 31. Oktober 2011 aufgehoben hat und die Erstattung überzahlter Leistungen iHv insgesamt 2.846,76 EUR fordert, nebst einer hierauf beruhenden Aufrechnungsentscheidung

Der 1986 geborene, alleinstehende Kläger ist bulgarischer Staatsangehöriger und lebt seit 2009 in Deutschland. Er verfügt über eine Bescheinigung gem. § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) iVm § 4a Abs. 1 FreizügG/EU und stand bei dem Beklagten seit August 2010 fortlaufend im Leistungsbezug. Am 26. Juni 2011 meldete der Kläger ein Gewerbe "Hotelreinigung" unter der Firma R Hotelreinigungsservice in der Gstraße in B an. Ausweislich der Anmeldebestätigung gab der Kläger bei der Anmeldung seines Gewerbes als Aufnahme der selbständigen Tätigkeit den 1. Juni 2011 an. Die Betriebsstätte des Gewerbes wurde ab dem 22. November 2011 in die Nstraße in B verlegt.

Am 17. Juni 2011 stellte er bei dem Beklagten einen Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Im Antragsformular gab er an, über kein Einkommen zu verfügen und auch keine selbständige Tätigkeit auszuüben (Anlage EK, Punkt 1b). Durch seine Unterschrift versicherte der Kläger die Richtigkeit seiner Angaben und künftige Änderungen insbesondere der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse umgehend mitzuteilen. Er bestätigte zudem, das "Merkblatt SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld)" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Der Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin durch Bescheid vom 21. Juni 2011 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Juli 2011 bis 31. Dezember 2011 iHv monatlich 711,69 EUR (Regelbedarf 364,00 EUR; Kosten der Unterkunft und Heizung 347,69 EUR). Ausweislich eines von dem Mitarbeiter des Beklagten erstellten Beratungsvermerkes über eine persönliche Vorsprache des Klägers am 22. September 2012 teilte der Kläger die Anmeldung eines Gewerbes ab dem 1. Juni 2011 mit. Er sei auf die Notwendigkeit der Vorlage der Gewerbeanmeldung und der Anlage EKS hingewiesen worden. Bei einer weiteren Vorsprache am 6. Oktober 2011 erklärte der Kläger, er habe seit August 2011 Betriebseinnahmen iHv 9.800,00 EUR erzielt. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2011 mahnte der Beklagte die Vorlage der Anlage EKS bis zum 23. Oktober 2011 an, da mögliches Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit des Klägers bei der Berechnung seines Leistungsanspruchs zu berücksichtigen sei. Mit weiterem Schreiben vom 6. Oktober 2011 forderte der Beklagte den Kläger unter Fristsetzung bis zum 23. Oktober 2011 auf, verschiedene seine selbständige Tätigkeit betreffende Unterlagen einzureichen. Gleichzeitig stellte der Beklagte die Leistungszahlung ab dem 1. November 2011 ein. Am 25. Oktober 2011 reichte der Kläger die Anlage EKS nebst Aufstellung des voraussichtlichen Einkommens aus seiner selbständigen Tätigkeit zu den Verwaltungsvorgängen. Darin gab er an, seit dem 1. Juni 2011 ein Hotelreinigungsunternehmen als Einzelunternehmen zu betreiben. Als Betriebseinnahmen prognostizierte er im Zeitraum August 2011 bis Februar 2012 monatlich 9.520,- EUR, die Betriebsausgaben würden voraussichtlich monatlich 9.545,- EUR betragen, es werde ein negativer monatlicher Gewinn iHv 25,00 EUR erwartet. Nachweise über die Einnahmen und Ausgaben waren der Erklärung nicht beigefügt.

Anlässlich einer weiteren persönlichen Vorsprache des Klägers bei dem Beklagten am 11. November 2011 beantragte er die Aufnahme seiner Lebensgefährtin Frau P in die Bedarfsgemeinschaft. Diese ist ebenfalls bulgarische Staatsangehörige und war als selbständige Reinigungskraft tätig, unter anderem für den Kläger ab Juli 2011. Den am gleichen Tag gestellten Antrag der Lebensgefährtin auf Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 8. Februar 2012 – bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2012 - ab, da die Klägerin nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei.

Mit Unterschrift vom 23. Januar 2012 reichte der Kläger die "Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit" als abschließende Angaben für den Bewilligungszeitraum Juli 2011 bis Dezember 2011 bei dem Beklagten ein. Danach erzielte er in diesem Zeitraum Betriebseinnahmen iHv 52.420,00 EUR, diesen standen Betriebsausgaben iHv 44.078,00 EUR gegenüber, sodass sich ein Gewinn iHv 8.342,00 EUR errechnete. Der Erklärung war eine Sachkontenliste über Fremdleistungen beigefügt, die dort aufgeführte Summe stimmte jedoch nicht mit der Erklärung überein und betraf Zahlungen im Zeitraum 11. August 2011 bis 22. November 2011. Im Februar 2012 forderte der Beklagte den Kläger erneut auf, Nachweise über Versicherungen, laufende Betriebskosten und Fremdleistungen zu übersenden, woraufhin der Kläger die Prämienrechnung über ein sog Firmen-KfZ bei dem Beklagten einreichte und eine "Vorläufige Einnahmen-Überschussrechnung zum 31. Dezember 2011" betreffend das Gewerbe des Klägers (Stand 28. Januar 2012). Danach errechnete sich ein vorläufiger Jahresüberschuss iHv 486,00 EUR (Betriebseinnahmen 58.950,00 EUR, Betriebsausgaben 52.694,00 EUR, verauslagte Vorsteuern 6.256,- EUR, Gewinn 8.342,- EUR). Auf Nachfrage erklärte der Kläger, im Juni 2011 das Gewerbe noch nicht ausgeübt und in diesem Monat noch keine Einnahmen erzielt zu haben, er sei lediglich mit der Vorbereitung seiner selbständigen Tätigkeit (Anmietung von Geschäftsräumen etc) beschäftigt gewesen. Die erneut angeforderten Nachweise über die betrieblichen Ausgaben legte der Kläger jedoch nicht vor.

Nach Anhörung des Klägers hob der Beklagte durch Bescheid vom 17. April 2012 die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II durch Bescheid vom 21. Juni 2011 für den Zeitraum vom 1. November 2011 bis 31. Dezember 2011 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) auf. Denn aufgrund seines in 2011 erzielten Gewinns iHv 8.324,- EUR errechne sich im Zeitraum Juli 2011 bis Dezember 2011 ein durchschnittliches monatliches Einkommen iHv 1.363,17 EUR aus der selbständigen Tätigkeit. Hierdurch sei seine Hilfebedürftigkeit entfallen. Durch Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 24. Juli 2012 hob der Beklagte die Bewilligung von Leistungen für den Zeitraum 1. Juli 2011 bis 31. Oktober 2011 in voller Höhe auf und forderte die Erstattung der für diesen Zeitraum gewährten Leistungen gemäß § 50 SGB X iHv insgesamt 2.846,76 EUR. Die Erstattungsforderung werde unter Berücksichtigung von § 43 SGB II und in Ausübung des dem Beklagten eingeräumten Ermessens unter Berücksichtigung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in monatlichen Raten iHv 101,10 EUR gegen die laufenden Leistungen des Klägers aufgerechnet. Mit Schreiben vom 22. Mai 2012 legte der Kläger gegen "den Bescheid vom 24. April 2012" Widerspruch ein. Der Beklagte habe bei seiner Berechnung der Einnahmen nicht die von ihm eingereichten Belege berücksichtigt. Gegen den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 24. Juli 2012 legte der Kläger am 30. Juli 2012 Widerspruch ein, diesen wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 8. November 2012 als unbegründet zurück.

Am 5. Dezember 2012 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Berlin gegen den Bescheid vom 24. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2012 Klage erhoben und vorgetragen, sein Vertrauen in den Bestand des Bewilligungsbescheides sei schutzwürdig, denn er habe bereits bei Antragstellung auf die Anmeldung seines Gewerbes und die hieraus erwartete Einnahmen hingewiesen. Er habe ausweislich der vorgelegten EKS im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich nur insgesamt 486,- EUR an Einnahmen erzielt; dies ergebe ein monatliches durchschnittliches Einkommen iHv 81,00 EUR.

Durch Urteil vom 24. Juni 2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 24. Juli 2012 für den Zeitraum vom 1. Juli 2011 bis 31. Oktober 2011 sei nicht zu beanstanden. Da der leistungsüberzahlende Umstand des zugeflossenen Einkommens erst im Juli 2011 und damit erst nach Bekanntgabe des Bescheides vom 21. Juni 2011 eingetreten sei, könne die Aufhebung des Bescheides nicht auf § 45 SGB X gestützt werden. Rechtsgrundlage für die Aufhebung sei vielmehr § 48 SGB X, weil der bewilligende Bescheid vom 21. Juni 2011 bei seiner Bekanntgabe rechtmäßig gewesen und erst durch den nachträglichen Umstand des zugeflossenen Einkommens ab Juli 2011 rechtswidrig geworden sei. Denn die Abgrenzung von § 45 SGB X und § 48 SGB X sei nach den objektiven Umständen im Zeitpunkt des Erlasses des aufzuhebenden Verwaltungsaktes vorzunehmen. Erlasse die Behörde einen endgültigen Bescheid auf der Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhaltes und stelle sich später heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig gewesen sei, lägen die Voraussetzungen des § 45 SGB X vor. Vorliegend sei es jedoch unschädlich, dass der Beklagte die Aufhebung fälschlicherweise auf § 45 SGB X gestützt und auch zu den insoweit maßgeblichen Tatsachen angehört habe, da er – rechtsirrig - vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 SGB X ausgegangen sei und deshalb auch nur zu den von ihm für maßgebend erachteten entscheidungserheblichen Tatsachen anhören musste. Da die Befugnisnormen der §§ 45 und 48 SGB X austauschbar seien, soweit ihre Voraussetzungen vorlägen, sei der Begründungsfehler unschädlich, soweit der Beklagte die Leistungsaufhebung auf § 45 SGB X stützte. Denn eine Aufhebung nach § 45 SGB X könne in eine solche nach § 48 SGB X umgedeutet werden, wenn dem Leistungsempfänger im Hinblick auf die Überzahlung Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne. Denn dann hätte der Beklagte wegen der Regelung in § 330 Abs. 2 und 3 SGB III weder nach § 45 SGB X noch nach § 48 SGB X Ermessen ausüben müssen. Der Kläger, der nach seinen eigenen Angaben seine selbständige Tätigkeit bereits ab dem 1. Juni 2011 ausgeübt habe, habe die Frage nach einer selbständigen Tätigkeit bei Stellung seines Weiterbewilligungsantrages am 17. Juni 2011 bei der Beklagten ausdrücklich verneint und damit zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht. Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen sei durch den Zufluss von Einkommen im Juli 2011 eingetreten, der Gewinn des Klägers aus seiner selbständigen Tätigkeit sei iHv monatlich 1.390,34 EUR als Einkommen nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf den Leistungsanspruch des Klägers anzurechnen mit der Folge, dass angesichts seines Bedarfes iHv 711,69 EUR seine Hilfebedürftigkeit gänzlich entfallen sei. Ein zu berücksichtigendes geringeres Einkommen ergebe sich auch nicht aus der am 1. März 2012 beim Beklagten eingereichten vorläufigen Einnahmen- Überschussrechnung zum 31. Dezember 2011, da der sich hieraus ergebende "vorläufige Jahresüberschuss" für 2011 nicht glaubhaft gemacht worden sei und der Kläger insbesondere keinerlei Nachweise für die darin angeführten Betriebseinnahmen und – ausgaben eingereicht habe. Abzustellen sei vielmehr auf die Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit vom 23. Januar 2012, denn die Richtigkeit dieser Angaben habe der Kläger zum einen durch seine Unterschrift versichert und er habe dieser Erklärung auch Nachweise für die Ein- und Ausgaben beigefügt. Da er zumindest grob fahrlässig gehandelt habe, weil sich dem Kläger die leistungsrechtliche Relevanz von Einkommen aus selbständiger Tätigkeit habe aufdrängen müssen, könne sich der Kläger auch nicht auf Vertrauensschutz berufen.

Hiergegen hat der Kläger Berufung bei dem Landessozialgericht eingelegt und geltend gemacht, er habe tatsächlich geringere Einnahmen als von der Beklagten angenommen erzielt, diese habe nicht alle Ausgaben berücksichtigt. Zudem sei die erklärte Aufrechnung mit einem Betrag iHv 101,10 EUR gegen die laufenden Leistungen rechtswidrig, da nach der Regelung des § 43 Abs. 2 SGB II eine Aufrechnung mit laufenden Leistungen lediglich iHv 10 vH des für den Leistungsberechtigen maßgebenden Regelbedarfs zulässig sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Juni 2016 und den Bescheid des Beklagten vom 24. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angegriffene Urteil für rechtmäßig. Insbesondere sei die Aufrechnung in Höhe von 30 vH des maßgebenden Regelbedarfs rechtmäßig, da ein Fall des § 48 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB X vorliege.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidung geworden sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 SGG). Sie ist auch teilweise begründet. Der Bescheid vom 24. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2012 ist insoweit rechtmäßig, als der Beklagte damit die Aufhebung der Leistungsbewilligung im Zeitraum vom 1. Juli 2011 bis 31. Oktober 2011 und die Erstattung der für diesen Zeitraum gewährten Leistungen iHv 2.846,76 EUR verfügt hat. Soweit der Beklagte außerdem die Aufrechnung des Erstattungsbetrages mit dem laufenden Leistungsanspruch des Klägers verfügt hat, ist der Bescheid hingegen rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der Bewilligungsentscheidung durch Bescheid vom 21. Juni 2011 ist entgegen der Ansicht des SG § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II iVm § 45 Abs. 1, Abs. 2 bis 4 SGB X. § 48 SGB X kommt hingegen vorliegend nicht zur Anwendung. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. § 45 SGB X regelt demgegenüber, dass ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden darf. Die Normen grenzen sich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des aufzuhebenden Verwaltungsakts voneinander ab (vgl BSGE 96, 285 = SozR 4-4300 § 122 Nr 4, RdNr 13; BSGE 65, 221, 222 = SozR 1300 § 45 Nr 45 S 141; vgl zuletzt auch BSG vom 24. Februar 2011 - B 14 AS 45/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 36 RdNr 15). Dabei ist die Verwaltung grundsätzlich verpflichtet, vor Erlass eines Bescheides die Sachlage vollständig aufzuklären, um die objektiven Verhältnisse festzustellen (vgl BSGE 93, 51 = SozR 4-4100 § 115 Nr 1, RdNr 6 mwN). Erlässt die Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben. Dies gilt unabhängig davon, zu welchen Ermittlungen sich die Verwaltung aufgrund der Angaben des Antragstellers vor Erlass des Ausgangsverwaltungsakts gedrängt sehen musste (vgl bereits BSG vom 21. Juni 2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr 39, RdNr 16).

Der Erlass eines endgültigen Bescheides ist damit kein taugliches Instrumentarium in Fällen, in denen wie vorliegend objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung insbesondere der Einkommenssituation des Klägers besteht. Wenn das zu erwartende Einkommen aus selbständiger Tätigkeit von vornherein schwankt, ist typischerweise der Anwendungsbereich des § 40 Abs. 2 Nr 1 SGB II iVm § 328 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung - (SGB III) eröffnet. Der Erlass eines endgültigen Bescheides statt eines vorläufigen Bescheides ist dann von Anfang an rechtswidrig und § 45 SGB X die für seine Aufhebung einschlägige Ermächtigungsgrundlage. § 48 SGB X ist demgegenüber nur dann anwendbar, soweit sich hinsichtlich der anderen Voraussetzungen eine wesentliche Änderung ergibt (BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 - B 4 AS 21/10 R und vom 29. November 2012, B 14 AS 6/12; juris).

Der Beklagte ist bezüglich der Bewilligung der Leistungen ab Juli 2011 von vornherein von einer unzutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen, weshalb sich die Ausgangsentscheidung als von Anfang an rechtswidrig darstellt. Denn der Kläger war seit dem 1. Juni 2011 selbständig tätig und hat – nach eigenen Angaben – spätestens ab dem 1. Juli 2011 Einkommen aus dieser selbständigen Tätigkeit erzielt. Im Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides am 21. Juni 2011 lagen damit objektiv erst künftig ermittelbare Umstände vor, die lediglich eine vorläufige Bewilligung von Leistungen gerechtfertigt hätten. Der Beklagte hat jedoch ausgehend von der unzutreffenden Annahme, der Kläger werde kein Einkommen erzielen, endgültig entschieden. Unerheblich ist - wie bereits ausgeführt -, ob der objektiv zu erwartende Einkommenszufluss dem Beklagten zu diesem Zeitpunkt bekannt war.

Ausgehend von § 45 SGB X als damit einschlägiger Rechtsgrundlage für die Aufhebung der ursprünglichen Leistungsbewilligung war die Entscheidung des Beklagten formell rechtmäßig, insbesondere wurde der Kläger gemäß § 24 Abs. 1 SGB X ordnungsgemäß angehört.

Die angegriffene Aufhebungsverfügung ist auch materiell rechtmäßig. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Dass die Leistungsbewilligung in dem streitbefangenen Zeitraum wegen fehlender Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) des Klägers aufgrund zu berücksichtigenden Einkommens rechtswidrig war, ist nach den in den Akten und Verwaltungsakten vorhandenen Unterlagen nicht in Zweifel zu ziehen und wird vom Kläger im Prinzip auch gar nicht bestritten; im Hinblick darauf wird auf die insoweit zutreffenden Ausführungen des SG in dem angegriffenen Urteil verwiesen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 153 Abs. 2 SGG). Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X lagen damit vor, weil der Bedarf des Klägers iHv mtl 711,69 EUR in dem in Rede stehenden Bewilligungszeitraum in vollem Umfang durch den Gewinn aus der selbständigen Tätigkeit gedeckt war.

Die Rechtswidrigkeit eines Bewilligungsbescheides allein vermag aber die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts nicht zu begründen. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts vielmehr ausgeschlossen, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist hierbei in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen allerdings nicht berufen, soweit (1.) er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, (2.) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder (3.) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Vorliegend hat der Kläger nach der Überzeugung des Senats zumindest grob fahrlässig die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung nicht erkannt. Hierbei ist das Merkmal der "groben Fahrlässigkeit", wie die gesetzliche Definition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X zeigt, nur dann erfüllt, wenn der Leistungsbezieher aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen mit Sicherheit hätte erkennen können und auch müssen, dass die von ihm gemachten Angaben unrichtig oder unvollständig waren bzw. dass der Verwaltungsakt rechtswidrig war (vgl. BSG-Urteil vom 26. August 1987, 11a RA 30/86; juris). Dass der Kläger vorliegend nach dem insoweit anzulegenden subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab in Ansehung seiner Urteils- und Kritikfähigkeit die Rechtswidrigkeit der Bewilligung hätte erkennen können, zeigt sich bereits daran, dass er selbst die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit dem Beklagten mitgeteilt hat, ihm also durchaus bewusst gewesen war, dass die Einkünfte aus seiner selbständigen Tätigkeit Einfluss auf seinen Leistungsanspruch haben würden. Durch seine Unterschrift hat er zudem versichert, das "Merkblatt II für Arbeitsuchende" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Darin werden unter Kapitel 9, ab Seite 48 die Auswirkungen von Einkommen auf den Leistungsanspruch beschrieben. Ermessen war von dem Beklagten bei seiner Entscheidung über die Rücknahme nicht auszuüben. Denn § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II verweist ergänzend auf § 330 Abs. 2 SGB III; diese Vorschrift ordnet an, dass bei Vorliegen der in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes diese - im Wege einer gebundenen Entscheidung, also ohne Ermessen - auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist.

Die Erstattungsforderung folgt aus § 40 Abs. 3 SGB II iVm § 50 Abs. 1 SGB X. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Der Beklagte war gem. § 40 Abs. 3 SGB II iVm § 50 Abs. 3 SGB X auch berechtigt, die Erstattungsforderung durch Verwaltungsakt festzusetzen.

Die vom Kläger beanstandete Aufrechnung der Erstattungsforderung mit den laufenden Leistungen ist hingegen rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Zutreffende Klageart ist die bereits mit der Klageschrift vom 4. Dezember 2012 (auch insoweit) erhobene Anfechtungsklage iSv § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG. Denn der Kläger begehrt die Aufhebung der Aufrechnung, die vom Beklagten ihm gegenüber durch Verwaltungsakt erklärt worden ist (§ 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II). Rechtsgrundlage der streitbefangenen Aufrechnung ist § 43 SGB II in der seit dem 1. April 2011 geltenden Fassung. § 43 SGB II ermöglicht den Leistungsträgern nach dem SGB II die erleichterte Durchsetzung von Erstattungs- und Ersatzansprüchen. Nach § 43 Abs. 1 SGB II können die Träger von Leistungen nach dem SGB II gegen Ansprüche von Leistungsberechtigten auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufrechnen mit ihren Erstattungsansprüchen nach § 42 Abs. 2 Satz 2, § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB I, § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III oder § 50 SGB X (Nr 1) oder Ersatzansprüchen nach den §§ 34 oder 34a SGB II (Nr 2). Nach § 43 Abs. 2 SGB II beträgt die Höhe der Aufrechnung bei Erstattungsansprüchen, die auf den §§ 42 und 43 SGB I, § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III oder § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 iVm § 50 SGB X beruhen, 10 % des für den Leistungsberechtigten maßgebenden Regelbedarfs, in den übrigen Fällen 30 % (Satz 1). Die Höhe der monatlichen Aufrechnung ist auf insgesamt auf 30 % des maßgebenden Regelbedarfs begrenzt (Satz 2). Gemäß § 43 Abs. 4 SGB II ist die Aufrechnung gegenüber der leistungsberechtigten Person schriftlich durch Verwaltungsakt zu erklären (Satz 1). Sie endet spätestens drei Jahre nach dem Monat, der auf die Bestandskraft der in § 43 Abs. 1 SGB II genannten Entscheidungen folgt (Satz 2).

Die im angegriffenen Bescheid erklärte Aufrechnung ist vorliegend jedoch bereits deshalb rechtswidrig, weil die Verwaltungsentscheidung nicht den Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit von Verwaltungsakten iSv § 33 Abs. 1 SGB X entspricht. Hinreichend bestimmt ist ein Verwaltungsakt nur dann, wenn die von ihm getroffene Regelung, die verfügte Rechtsfolge, vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist (vgl BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2 RdNr 13 mwN; BSG SozR 4-4200 § 31 Nr 3 RdNr 16 mwN; BSG vom 15. Dezember.2010 - B 14 AS 92/09 R - Juris RdNr 18; BSG SozR 4-1300 § 33 Nr 1 RdNr 16 mwN). Dieser Anforderung ist nicht genügt, so dass der Bescheid insoweit aufzuheben war.

Die Auslegung eines Verwaltungsakts hat ausgehend von seinem Verfügungssatz und der Heranziehung des in § 133 Bürgerliches Gesetzbuch ausgedrückten allgemeinen Rechtsgedankens zu erfolgen, dass es nicht auf den Buchstaben, sondern auf den wirklichen Willen der Behörde bzw. des Verwaltungsträgers ankommt, soweit er im Bescheid greifbar seinen Niederschlag gefunden hat. Für die Ermittlung des erklärten Willens sind dabei auch die Umstände und Gesichtspunkte heranzuziehen, die zur Aufhellung des Inhalts der Verfügung beitragen können und die dem Beteiligten bekannt sind, wenn der Verwaltungsakt sich erkennbar auf sie bezieht. Maßstab der Auslegung ist insofern der verständige und Zusammenhänge berücksichtigende Beteiligte (vgl BSG SozR 4-5075 § 3 Nr 1 RdNr 15 mwN).

Der Bescheid vom 24. Juli 2012 enthält in Bezug auf die Aufrechnung die Regelung, dass die bestehende Erstattungsforderung in monatlichen Raten iHv 101,10 EUR gegen die dem Kläger zustehenden laufenden Leistungen aufgerechnet werde. Es ist hierbei jedoch auch unter Berücksichtigung der og Gesamtumstände nicht erkennbar, ab welchem Zeitpunkt die Aufrechnung beginnen soll, zumal auch für die Zeit ab 1. November 2011 eine Aufhebung der Leistungsbewilligung erfolgt ist (vgl Bescheid vom 17. April 2012) und daher schon nicht ersichtlich ist, welche laufenden Leistungen gemeint sein sollten. Bereits aus § 43 Abs. 4 Satz 2 SGB II und dem dort normierten Aufhebungszeitraum erhellt indes, dass der Leistungsberechtigte Klarheit über den Beginn des Aufhebungszeitraums haben muss, und zwar schon deshalb, um sich auf den Zufluss geringerer Leistungen einzustellen und diesen ggfs durch geeignete Maßnahmen auszugleichen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und berücksichtigt das teilweise Obsiegen des Klägers.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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