L 32 AS 2623/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 1780/16 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 2623/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Oktober 2016 wird als unzulässig verworfen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme Leistungen bewilligender Bescheide und Erstattung eines Betrages in Höhe von 12,67 Euro.

Mit Bescheid vom 25. Februar 2014 nahm der Beklagte die im Einzelnen genannten Entscheidungen über die Bewilligung der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. Dezember 2012 bis 31. Dezember 2012 im Umfang von 12,67 Euro zurück und forderte Erstattung dieses Betrages bis zum 15. März 2014.

Den dagegen eingelegten Widerspruch, der nicht begründet wurde, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2014 zurück: Anhaltspunkte für eine falsche Entscheidung seien weder genannt noch aus den Unterlagen ersichtlich. Der Bescheid vom 25. Februar 2014 entspreche den gesetzlichen Bestimmungen. Der Beklagte sei auch berechtigt gewesen, die Erstattung des Betrages in Höhe von 12,67 Euro innerhalb der in dem angefochtenen Bescheid angegebenen Zahlungsfrist zu verlangen. Die gesetzte Frist habe den Vorgaben des § 3 Abs. 2 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG), wonach eine Zahlungsfrist von einer Woche nach Zugang des Bescheides einzuräumen sei, entsprochen.

Dagegen hat der Kläger am 22. Mai 2014 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben.

Mit Schreiben vom 13. März 2015, dem Kläger am 20. März 2015 zugestellt, hat das Sozialgericht den Kläger aufgefordert, den Brief des Gerichts vom 11. Dezember 2014, mit dem der Kläger aufgefordert worden ist, seine Einwände gegen die angefochtene Entscheidung vorzutragen, zu beantworten. Es ist in diesem Schreiben darauf hingewiesen, dass die Klage als zurückgenommen gelte, wenn das Verfahren trotz Aufforderung länger als drei Monate nicht betrieben werde.

Mit Beschluss vom 18. März 2015 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ab. Nach Anhörung mit gerichtlichem Schreiben vom 13. Juli 2015 zur Absicht, über die Klage gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, hat der Kläger vorgetragen: Das Gericht habe die Klärung des Sachverhaltes verhindert, indem es einen Zugang zu einem Anwalt verhindert habe. In der Anlage finde sich eine Kopie seines Schreibens vom 30. September 2014 mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe mitsamt notwendigen Anlagen. Die Unterlagen habe er sowohl postalisch als auch per Fax eingereicht. Der streitgegenständliche Bescheid sei falsch. Für den besagten Zeitraum seien nämlich nicht die vollen schon bewilligten Ursprungsbeträge an Leistungen ausgezahlt, sondern rechtswidrig an die Kasse der Bundesagentur für Arbeit abgezweigt worden. Auch sei die Warmwasserzulage rechtswidriger Weise nicht berücksichtigt worden, obwohl die Wohnung durch den Beklagten bewilligt worden sei. Im Monat Dezember 2013 seien überhaupt keine Leistungen überwiesen worden. Er beantrage nochmals Gewährung von Prozesskostenhilfe. Der Kläger ist außerdem der Ansicht gewesen, durch diesen Vortrag das gerichtliche Schreiben vom 13. Juli 2015 fristgerecht beantwortet zu haben, so dass dementsprechend die Klagerücknahmefiktion nicht eintrete.

Mit Beschluss vom 24. März 2016 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ab.

Mit Urteil vom 14. Oktober 2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die insoweit zulässige Klage sei nicht begründet. Die Voraussetzungen des § 102 SGG seien nachweislich erfüllt. Es müsse daher festgestellt werden, dass die Klage wirksam zurückgenommen sei.

Gegen das ihm am 22. Oktober 2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 10. November 2016 eingelegte Berufung des Klägers.

Er meint, die Berufung sei zulässig. Sie sei nicht allein deswegen unstatthaft, da der Streitgegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens nicht die Berufungssumme erreiche. Gegenstand des Berufungsverfahrens in den vorliegenden Fällen sei gerade die Frage, ob ein Verfahren im Sinne des § 102 SGG betrieben worden sei oder nicht. Sie sei auch begründet. Die ursprünglich erhobene Klage gelte nicht als zurückgenommen. Die in diesem Verfahren ergangene Betreibensaufforderung vom 13. März 2015 gebe dafür keine Grundlage, da sie zu Unrecht ergangen sei. Hinreichende Anhaltspunkte für den Wegfall des Interesses des Klägers an gerichtlichem Rechtsschutz hätten nicht vorgelegen. Außerdem hätte das Sozialgericht nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vor Erlass einer Betreibensaufforderung zunächst andere (mildere) prozessuale Handlungsmittel ergreifen und auch über den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers entscheiden müssen. Zudem sei es unzulässig, das Hauptsacheverfahren abzuschließen, ohne zuvor über den erneut gestellten Prozesskostenhilfeantrag zu befinden. Insgesamt habe das Sozialgericht daher eine Betreibensaufforderung (noch) nicht erlassen, ungeachtet dessen aber bereits nach Erlass der Betreibensaufforderung kein Urteil ohne Entscheidung über den erneuten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe treffen dürfen.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Oktober 2016 aufzuheben und festzustellen, dass das Verfahren vor dem Sozialgericht fortzuführen ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Er meint, der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteige nicht 750 Euro.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten (Behelfsakten Band 12, 13, IX bis XI – ), die bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.

II.

Die Berufung ist, da sie nicht statthaft ist, nach § 158 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen. Diese Entscheidung kann durch Beschluss ergehen (§ 158 Satz 2 SGG), wovon der Senat Gebrauch macht, denn eine mündliche Verhandlung erachtet er im Hinblick darauf, dass sich die Beteiligten hinreichend erklärt haben, nicht für erforderlich.

Die Berufung ist unzulässig, denn sie ist nicht statthaft.

Nach § 143 SGG gilt: Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt. Dies gilt nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt den Betrag von 750 Euro nicht. Dieser Wert beträgt vielmehr 12,67 Euro. Es geht auch nicht um wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr, denn es ist lediglich der genannte Betrag für Dezember 2012 betroffen.

Daran ändert nichts, dass nach einer tatsächlichen oder vermeintlichen fiktiven Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG (oder nach einer sonstigen tatsächlichen oder vermeintlichen Hauptsachenerledigung, wie z. B. durch Klagerücknahme nach § 102 Abs. 1 SGG, gerichtlichen Vergleich nach § 101 Abs. 1 SGG oder angenommenes Anerkenntnis nach § 101 Abs. 2 SGG) die Fortsetzung dieses Klageverfahrens beansprucht wird. Das Begehren nach Fortsetzung des Klageverfahrens bedeutet nämlich nichts anderes, als das an das Gericht herangetragene Ersuchen, über den mit dieser Klage geltend gemachten Anspruch zu entscheiden. Streitgegenstand des fortgesetzten Verfahrens ist damit entgegen der Ansicht des Klägers nicht die Frage, ob das Klageverfahren beendet ist oder nicht. Vielmehr stellt dies lediglich eine prozessuale Vorfrage dar. Ein Sachurteil darf nämlich nur ergehen, wenn alle Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, wozu gehört, dass überhaupt eine Klage (noch) anhängig ist. Demzufolge stellt der Streit um die Fortsetzung eines nach § 102 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGG (oder eines auf andere Art) beendeten Verfahrens lediglich einen prozessualen Zwischenstreit dar, der nicht den materiell-rechtlichen Streitgegenstand betrifft (vgl. auch Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. Oktober 2015 – L 6 AS 432/14, Rdnrn. 18 und 19, zitiert nach juris, m.w.N.).

Die Gegenansicht (zitiert im genannten Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz, a.a.O., Rdnr. 18) verkennt, dass § 144 Abs. 1 SGG auf den Beschwerdegegenstand, der durch den materiell-rechtlichen Streitgegenstand bestimmt wird, abstellt, so dass die Entscheidung, ob die Voraussetzung dieser Vorschrift erfüllt ist oder nicht, nicht anhand einer prozessualen Vorfrage getroffen werden kann. Es liegt daher keine Ausweitung des Anwendungsbereiches des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG über seinen Wortlaut hinaus vor, wenn (auch) bei vorrangig zu beantwortenden prozessualen Vorfragen auf diesen (materiell-rechtlichen) Streitgegenstand abgestellt wird. Der Schutzbereich des Grundrechts auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) wird im Falle der fiktiven Klagerücknahme nicht stärker als im Falle einer zu Unrecht als unzulässig abgewiesenen Klage berührt, ohne dass deswegen in letztgenanntem Falle eine Berufung ungeachtet des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig wäre. Dabei kann dahin stehen, ob das Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes überhaupt einen Instanzenzug fordert. Jedenfalls gibt das bereits bestehende Recht eine Rechtsschutzmöglichkeit, mit der als Verfahrensfehler das Unterlassen eines Sachurteils gerügt werden kann, nämlich die Nichtzulassungsbeschwerde.

Die Berufung muss somit erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen. Es bedarf insbesondere nicht der höchstrichterlichen Klärung einer Rechtsfrage. Dass sich der Wert des Beschwerdegegenstandes nach dem Streitgegenstand, also dem materiell-rechtlichen Anspruch, richtet und sich danach bestimmt, inwieweit dem Rechtsmittelführer etwas versagt worden ist (und was er mit seinen Berufungsanträgen weiter verfolgt), ist höchstrichterlich geklärt (vgl. dazu u. a. BSG, Beschluss vom 6. Oktober 2011 – B 9 SB 45/11 B, Untätigkeitsklagen betreffend, abgedruckt in SozR 4-1500 § 144 Nr. 7).
Rechtskraft
Aus
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