L 3 R 142/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 11 R 4207/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 R 142/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass mit dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Januar 2016 nicht der Bescheid vom 19. Juli 2012, sondern vom 28. Juni 2012 geändert wird. Die Beklagte erstattet der Klägerin auch deren notwendigen außerge-richtlichen Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Rahmen eines Vormerkungsverfahrens die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung.

Die im Jahr 1956 geborene Klägerin war im hier streitgegenständlichen Zeitraum b Staatsbürgerin. Sie absolvierte in der Zeit vom 15. September 1974 bis zum 21. Feb-ruar 1979 ein Studium der Funktechnik an der damals so genannten H f M in S, vgl. Bescheinigung der Technischen Universität S vom 02. September 2011. Anschlie-ßend arbeitete sie in Bulgarien als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der ADE, vgl. Bescheinigung der ADE vom 31. August 2011. Am 04. April 1984 kam sie, nachdem ihr Ehemann bereits am 13. Januar 1984 in die DDR eingereist war und unmittelbar nach der Einreise eine unbefristete Vollzeitstelle an der Technischen Universität D aufgenommen hatte, gemeinsam mit ihrer am 1982 geborenen Tochter I in die DDR und trat an der Technischen Universität D eine Doktorandenstelle an, die bis zum Jahr 1989 andauerte. Ihr wurde ausweislich der Urkunde vom 05. September 1989 der akademische Grad des Doktors eines Wissenschaftszweiges (Dr.-Ing.) auf dem wissenschaftlichen Gebiet Angewandte Informatik verliehen. Im Anschluss wurde sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität D fest angestellt. Ihr wurde ausweislich der im späteren Klageverfahren ermittelten Auswertung ihrer – mittlerweile im Original nicht mehr vorhandenen - Ausländerakten der damaligen DDR aufgrund ihrer Einreise als Aspirantin bzw. im Hinblick auf ihr Studium in D eine Aufenthaltsgenehmigung für die damalige DDR zunächst bis zum 30. April 1988 erteilt, die dann in der Folgezeit wiederholt verlängert wurde, bis sie seit dem 11. September 1991 über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügte. Vom 04. April 1984 bis zum 02. Mai 1988 und vom 02. Mai 1988 bis zum 17. Oktober 1991 waren die Klägerin und ihre Tochter in D zunächst in der G und dann in der M wohnhaft gemeldet. Am 17. Oktober 1991 verzogen beide nach B, wo sie seither gemeldet waren. Am 1991 wurde die zweite Tochter der Klägerin K geboren. Unter dem 27. November 1998 beantragten die Klägerin, ihr Ehemann und ihre beiden gemeinsamen Töchter die Entlassung aus der bulgarischen Staatsangehörigkeit. Mit Urkunde vom 20. Dezember 1999 wurden die Klägerin, ihr Ehemann und beide Töchter eingebürgert und besitzen seither die deutsche Staatsbürgerschaft.

Im Zuge einer Anfrage des Familiengerichts zum Versorgungsausgleich führte die Beklagte auf Antrag der Klägerin vom 20. Juli 2011 eine Kontenklärung durch. Hier-bei trug die Klägerin u.a. mit Schreiben vom 23. März 2012 vor, dass sie von No-vember 1984 bis September 1989 als Doktorandin am Fachbereich 8 der Techni-schen Universität D tätig gewesen sei. Es sei nicht gelungen, bei der Ausländerbe-hörde bzgl. der Kindererziehungszeiten vom 01. November 1984 bis zum 21. Juli 1998 die für die Aufenthaltsberechtigung der Klägerin nötigen Nachweise zu be-schaffen. Ihre bulgarischen Reisepässe seien verloren gegangen.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 28. Juni 2012 die rentenversicherungsrechtli-chen Zeiten der Klägerin bis zum 31. Dezember 2005 fest. Dabei lehnte sie eine Vormerkung der Zeit vom 01. Mai 1984 bis zum 05. März 1992 und vom 31. August 1991 bis zum 30. August 2001 als Berücksichtigungszeit sowie die Zeit vom 01. September 1991 bis zum 31. August 1992 als Kindererziehungszeit ab, weil während der Erziehung der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf einem zukunftsoffenen Aufenthaltstitel beruht und deshalb kein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland vorgelegen habe. Die Klägerin erhob am 19. Juli 2012 Widerspruch. Die Beklagte half dem Widerspruch mit Bescheid vom 13. August 2012 teilweise ab und erkannte für I die Zeit vom 15. März 1990 bis zum 05. März 1992 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung an und lehnte die Vormerkung der Zeit vom 01. Mai 1984 bis zum 14. März 1990 als Berücksichtigungszeit weiterhin ab. Für K wurden die Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung in vollem Umfang anerkannt. Die Klägerin machte in ihrem Schreiben vom 17. August 2012 geltend, dass Irina seit dem 04. April 1984 bis zum jetzigen Zeitpunkt durchgehend in Deutschland gewesen sei. Sie habe in Dresden-Mitte eine Kinderkrippe und dann einen Kindergarten, später eine Schule besucht, bis die Familie am 15. Oktober 1992 nach Berlin-Mitte umgezogen sei. Die Klägerin legte hierzu Zeugnisse von Irina vor. Einen sog. roten Personalausweis konnte die Klägerin nicht vorlegen. Der weitere Vormerkungsbescheid der Beklagten vom 25. Januar 2013 nahm insofern keine Änderungen vor. Im Übrigen – hinsichtlich des hier streitgegenständlichen Zeitraums – wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2013 zurückgewiesen. Die Beklagte führte zur Begründung aus: Die Zeit vom 01. Mai 1984 bis zum 14. März 1990 könne im Hinblick auf die Tochter I nicht als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung vorgemerkt werden, weil während der Erziehung der Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf einem zukunftsoffenen Aufenthaltstitel beruht und deshalb kein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland vorgelegen habe. Hierfür sei ein Nachweis des gewöhnlichen Aufenthaltes vor dem 15. März 1990 in Deutschland, z.B. mittels "roten Personalausweises" der DDR, erforderlich. Entsprechende Unterlagen seien bei dem Einwohnermeldeamt D nicht vorhanden. Wenn die Klägerin z.B. nur für Studienzwecke in die ehemalige DDR eingereist sei, habe sie sich zwar dort aufgehalten, aber nicht unbefristet. Für die Anerkennung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten sei aber der Nachweis erforderlich, dass sich die Klägerin unbefristet dort habe aufhalten dürfen. Die von der Klägerin beigebrachten Unterlagen und Auskünfte seien zwar geeignet, einen durchgängigen Wohnsitz ab dem 04. April 1984 in der ehemaligen DDR zu bestätigen. Für die Beurteilung ihres Aufenthaltsstatus könnten sie jedoch nicht herangezogen werden.

Am 26. Juli 2013 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Berlin (SG) zunächst mit dem Begehren erhoben, Kinderberücksichtigungszeiten für I vom 04. April 1984 bis zum 05. März 1993 anerkennen zu lassen. Während ihres Aufenthalts in D sei sie im Besitz eines unbefristeten "roten Passes" für Ausländer gewesen, die ständig in D gelebt hätten. Nach dem Zuzug nach Deutschland im April 1984 hätten nach Bulgarien nur noch familiäre Kontakte bestanden. Aufgrund der beruflichen Qualifizierung ihres Ehemannes, der Abteilungsleiter gewesen sei, sei von einem dauerhaften Aufenthalt in Deutschland auszugehen. Auch ihre Kinder seien in Deutschland aufgewachsen. Ihr Ehemann habe 1984 eine unbefristete Vollzeitstelle an der TU D angetreten und in der DDR einen unbefristeten Aufenthalt gehabt, weswegen auch die Familienangehörigen einen dauerhaften Aufenthalt gehabt hätten. Sie hat Auszüge der Akte des Standesamtes Mitte von Berlin vorgelegt, die eine Auswertung der Ausländerakte enthielten.

Die Beklagte hat ein Auskunftsschreiben des Bezirksamts Mitte von Berlin vom 23. Januar 2014 nebst Kopie des Vermerks vom 25. März 1998, der eine Auswertung der Ausländerakte enthielt, vorgelegt.

Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat das SG gemäß dem zuletzt gestellten klägeri-schen Antrag den Bescheid vom 19. Juli 2012 (richtigerweise vom 28. Juni 2012) in der Fassung der Änderungsbescheide vom 13. August 2012 und vom 25. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juli 2013 abgeändert und die Beklagte verpflichtet, im Versicherungsverlauf der Klägerin den Zeitraum vom 01. Mai 1984 bis zum 14. März 1990 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung festzustellen. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, dass, soweit von den Voraussetzungen für die Anerkennung der Berücksichtigungszeiten allein der gewöhnliche Aufenthalt zwischen den Beteiligten streitig sei, davon auszugehen sei, dass sich im streitigen Zeitraum die Klägerin im Sinne von § 30 Abs. 3 S. 2 des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB I) im Beitrittsgebiet in der Tat gewöhnlich aufgehalten habe. Es lägen hier Umstände vor, die deutlich darauf schließen ließen, dass die Klägerin mit ihrer Tochter I vom 01. Mai 1984 bis zum 14. März 1990 nicht nur vorübergehend in D verweilt habe. Denn in dem genannten Zeitraum hätte die Klägerin ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage in D gehabt, wo ihr ebenfalls aus B stammender Ehemann im Rahmen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses tätig gewesen sei. Die Klägerin habe ihr Studium in der ehemaligen DDR vor dem Hintergrund dieses unbefristeten Arbeitsverhältnisses ihres Ehemannes aufgenommen. Die von der Klägerin vorgelegten Auszüge der Akte des Standesamtes M, die eine Auswertung der Ausländerakte enthielten, belegten den – an den Aufenthalt ihres Ehemannes gekoppelten – zukunftsoffenen Aufenthalt der Klägerin und ihrer Tochter I in der ehemaligen DDR hinreichend. Danach sei ihr Ehemann am 13. Januar 1984 in die DDR eingereist und habe über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis mit einem bis zum 16. Dezember 1999 gültigen Nationalpass verfügt. Sie selbst sei am 04. April 1984 in die DDR eingereist, und zwar mit einem bis zum 08. August 2002 gültigen Nationalpass. An der Dauerhaftigkeit des Aufenthaltes der Klägerin und ihrer Tochter I in der ehemaligen DDR hege die Kammer keine Zweifel. Dafür, dass die Klägerin und ihre Tochter sich nur vorübergehend in D aufgehalten und einen Rückkehrwillen nach Bulgarien gehabt hätten, spreche nichts. Die Ehe der Klägerin sei grundsätzlich darauf ausgerichtet gewesen, gemeinsam mit der Tochter am neuen Wohnort des Ehemannes in D zu leben.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 22. Januar 2016 zugestellte Urteil am 19. Februar 2016 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Ausländer nur dann ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland bzw. DDR hätten, wenn ihnen ein Aufenthaltstitel erteilt worden sei, der ihren Aufenthalt materiell-rechtlich billige und nicht nur vorübergehend gestatte. Dies sei nur bei einer unbefristeten Aufenthaltsberechtigung der Fall.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Januar 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie verweist auf die Arbeitsanweisungen der Beklagten. Für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts sei nach der maßgeblichen höchstrichterlichen Rechtsprechung eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis gerade nicht zwingend erforderlich.

Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 22. Februar und 06. April 2017 ihr Einver-ständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den weiteren Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwal¬tungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann im schriftlichen Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, vgl. § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat der Klage zur Recht stattgegeben. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Juni 2012 in der Fas-sung der Änderungsbescheide vom 13. August 2012 und vom 25. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juli 2013 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Vormerkung des Zeitraums vom 01. Mai 1984 bis zum 14. März 1990 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung. Von daher ist die Berufung - lediglich unter der Maßgabe, dass der Bescheid vom 28. Juni 2012 und nicht den Bescheid vom 19. Juli 2012, wie das SG im angefochtenen Urteil wohl versehentlich ausgeführt hat, mit den übrigen im Tenor des angefochtenen Urteils benannten Bescheiden zu ändern ist - der Sache nach vollumfänglich zurückzuweisen.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Vormerkung der weiteren im hiesigen Verfah-ren streitigen Zeiten ist § 149 Abs. 5 S. 1 des Sechsten Buchs des Sozialgesetz-buchs (SGB VI). Danach stellt der Versicherungsträger, nachdem er das Versiche-rungskonto geklärt hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch soge-nannten Vormerkungsbescheid fest. Der Vormerkungsanspruch nach § 149 Abs. 5 S. 1 SGB VI ist auf die Feststellung von Tatsachen gerichtet, die in einem künftigen Leistungsfall möglicherweise rechtserheblich sind und nach Maßgabe des deutschen Rentenversicherungsrechts im Versicherungskonto zu vermerken sind. Sinn und Zweck der Vormerkung ist daher keine rechtsverbindliche Festlegung, die die Leistungshöhe präjudiziert, sondern es handelt sich vielmehr um eine Form der möglichst zeitnahen Beweissicherung (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 21. März 1991 – 4/1 RA 35/90 –, zitiert nach juris). Dementsprechend wird in § 149 Abs. 5 S. 3 SGB VI explizit betont, dass über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten erst bei Feststellung einer Leistung entschieden wird.

Vorliegend waren für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum antragsgemäß Be-rücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung einzutragen. Kindererziehungszeiten werden bei der Gewährung von Altersrente entweder als Kindererziehungszeiten als Pflichtbeitragszeiten nach § 56 SGB VI oder als Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung nach § 57 SGB VI rentenwirksam. Nach der Legaldefinition des § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VI sind Kindererziehungszeiten Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Gemäß § 3 S. 1 Nr. 1 SGB VI sind Personen in der Zeit, für die ihnen Kindererziehungszeiten nach § 56 SGB VI anzurechnen sind, in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig. Kindererziehungszeiten sind daher Pflichtbeitragszeiten und stehen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gleich, § 55 Abs. 1 SGB VI. Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung ist nach § 57 S. 1 SGB VI die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr (soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen). Während sich die Kindererziehungszeiten des § 56 SGB VI direkt positiv auf die Rentenhöhe auswirken, wirken die Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung nach § 57 SGB VI nur mittelbar auf die Höhe der Renten ein, indem sie zu einer günstigeren Bewertung weiterer Zeiten führen (z.B. zur Erfüllung von Wartezeiten beitragen).

Eine Kindererziehungszeit ist in diesem Rahmen gemäß § 56 Abs. 1 S. 2 SGB VI für einen Elternteil vorzumerken, wenn 1. die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuord-nen ist, 2. die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und 3. der Elternteil nicht von der Anrechnung ausge-schlossen ist. Nach § 57 S. 1 SGB VI ist die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr bei einem Elternteil eine Berücksichti-gungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit nach § 56 SGB VI auch in dieser Zeit vorliegen. Eine Erziehung in der Bundesrepublik oder im insoweit gleichgestellten Beitrittsgebiet der ehemaligen DDR (§ 248 Abs. 3 S. 1 SGB VI) kann nur bejaht werden, wenn sich der erziehende Elternteil mit dem Kind dort gewöhnlich aufgehalten hat (§ 56 Abs. 3 S. 1 SGB VI).

Diese Voraussetzungen liegen insbesondere einschließlich des zwischen den Beteiligten allein streitigen gewöhnlichen Aufenthalts der Klägerin im verfahrensgegenständlichen Zeitraum vor. Nach der Legaldefinition des § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Definition gilt für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuches (SGB), soweit sich nicht aus seinen besonderen Teilen etwas anderes ergibt (§ 37 S. 1 SGB I) und gilt auch bei der Auslegung des § 56 SGB VI (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. etwa BSG, Urteil vom 27. Januar 1994 – 5 RJ 16/93, zitiert nach juris Rn. 25). Mithin ist der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen zu beurteilen. Danach ist entscheidend, ob die Klägerin den örtlichen Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland hatte. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Hierbei ist ein Domizilwille, der mit den tatsächlichen Umständen nicht übereinstimmt, rechtlich unerheblich. Dabei kommt es auf die Tatsachen an, die während des streitigen Zeitraumes objektiv vorlagen (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 30). Ob jemand sich gewöhnlich an einem Ort oder in einem Gebiet aufhält oder nur vorübergehend dort verweilt, lässt sich nur im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) entscheiden. Dabei sind alle bei Prognosestellung für die Beurteilung der künftigen Entwicklung erkennbaren Umstände zu berücksichtigen. Ist nach der Prognose davon auszugehen, dass die betreffende Person bis auf weiteres am Ort oder im Gebiet verweilen wird, so hat sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt. Diese Prognose bleibt auch dann maßgebend, wenn der gewöhnliche Aufenthalt, wie hier, rück-blickend zu ermitteln ist. Spätere Entwicklungen, die bei Beginn des entscheidungserheblichen Zeitraums noch nicht erkennbar waren, können eine Prognose weder bestimmen noch widerlegen. Wenn Änderungen eintreten, kann der gewöhnliche Aufenthalt an dem Ort oder in dem Gebiet nur vom Zeitpunkt der Änderung an entfallen (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 1/12 R –, zitiert nach juris Rn. 25 f.). Ein gewöhnlicher Aufenthalt ist nach § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I vom vorübergehenden Verweilen bzw. vorübergehenden Aufenthalt abzugrenzen. Dem vorübergehenden Aufenthalt wohnt als zeitliches Element eine Beendigung von vornherein inne. Allerdings ist auch zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein längerer oder dauerhafter (unbegrenzter) Aufenthalt nicht erforderlich. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ab welchem von vornherein bestimmten Zeitraum ein Aufenthalt als gewöhnlich zu werten ist. Jedenfalls genügt es, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet bis auf weiteres im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält. Ein (gewichtiges) Indiz für einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts ist die Verlagerung des örtlichen Schwerpunkts der Lebensverhältnisse. Für die Unterscheidung zwischen gewöhnlichem und vorübergehendem Aufenthalt kann es nach alledem keine feste allgemeingültige Grenze im Sinne von Höchst- oder Mindestzeiten geben. Mithin hat der Prognosesteller alle mit dem Aufenthalt verbundenen Umstände zu berücksichtigen; dies können subjektive wie objektive, tatsächliche wie rechtliche sein. Es kann demnach nicht allein auf den Willen des Betroffenen ankommen, sich an einen anderen Ort zu begeben und dort einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen (sogenannter Domizilwille); dies gilt insbesondere dann, wenn er nicht mit den tatsächlichen (objektiven) Umständen übereinstimmt. Nicht zwingend für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ist daher, ob der Betroffene sich an einem Ort oder in einem bestimmten Gebiet freiwillig aufhält. Allerdings kann ein fehlender Domizilwille im konkreten Einzelfall im Rahmen der Gesamtwürdigung als subjektives Element dann Bedeutung erlangen, wenn für einen außenstehenden Prognosesteller erkennbar wird, dass zusammen mit den objektiven Gegebenheiten ("Umstände, die erkennen lassen ") nicht (oder nicht mehr) von einem Aufenthalt bis auf weiteres ausgegangen werden kann (vgl. nochmals BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 1/12 R –, zitiert nach juris Rn. 30 ff.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich auch zur Überzeugung des Senats gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG feststellen, dass die Klägerin in der Zeit vom 01. Mai 1984 bis zum 14. März 1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird zunächst abgesehen, weil die Berufung aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils als unbegründet zurückzuweisen ist, § 153 Abs. 2 SGG. In tatsächlicher Hinsicht ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass bereits die Aufnahme eines – auf ihr in Bulgarien abgeschlossenes Hochschulstudium als Funktechnikerin aufbauendes - Promotionsstudiengangs in angewandter Informatik zwangsläufig einen auf Dauer ausgerichteten Aufenthalt mit sich brachte. Dementsprechend wurde ihr nach Aktenlage die erste Aufenthaltserlaubnis auch sogleich bis einschließlich April 1988 erteilt, mithin für einen Zeitraum, der bereits für sich betrachtet die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts zumindest nahe legt. Hinzukommt, dass die Tochter der Klägerin I nach ihrem unwidersprochenen Vorbringen sogleich einen Platz in der staatlichen Kindertagesbetreuung erhielt, was ebenfalls den Schluss auf eine auf Dauer ausgerichtete Wohnsitznahme in D zulässt. Alldem verschließt sich die Beklagte, indem sie auf ihrem Standpunkt beharrt, es müsse zur Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis vorliegen, zumal auch ohne die übrigen Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Hierzu weist der Senat darauf hin, dass selbst aus der von der Beklagten in Bezug genommenen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht gefolgert werden kann, dass es für die Annahme des gewöhnlichen Aufenthalts eines Ausländers einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bedarf. Vielmehr hat das BSG im von der Beklagten hierfür in Bezug genommenen Urteil vom 27. Januar 1994 differenzierend ausgeführt, dass bei Ausländern der an tatsächlichen Um-ständen zu messende Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes durch rechtliche Vo-raussetzungen eingeschränkt wird. Ausländer stehen in aller Regel als Staatsbürger ihres Heimatstaates zu diesem in einem besonderen Rechtsverhältnis, das sie grundsätzlich unter dessen Schutz und Fürsorge stellt und ihnen rechtlich die jederzeitige Heimkehr dorthin erlaubt. Andererseits ist ein Ausländer, der sich in Deutschland aufhält, zur Ausreise verpflichtet, wenn er eine nach den maßgeblichen ausländerrechtlichen Vorschriften erforderliche Aufenthaltsgenehmigung nicht oder nicht mehr besitzt. Es wäre widersprüchlich, wenn die Rechtsordnung den rechtswidrigen Aufenthalt eines ausreisepflichtigen Ausländers als gewöhnlichen Inlandsaufenthalt anerkennen und den daran anknüpfenden Erwerb von Rechten und Ansprüchen zulassen würde. Deshalb hat ein Ausländer, der tatsächlich dauerhaft im Inland verweilt, nur dann einen gewöhnlichen Aufenthalt, wenn er sich berechtigterweise hier aufhält. Infolgedessen fehlt es bei Ausländern an der für den gewöhnlichen Aufenthalt erforderlichen Dauerhaftigkeit im Sinne der Zukunftsoffenheit nur, wenn der Auf-enthalt des Ausländers im jeweils streitigen Zeitraum nach einer bereits vorliegenden Entscheidung der dafür allein zuständigen Ausländerbehörde auflösend befristet (Aufenthaltserlaubnis für eine von vornherein bestimmte Zeit) oder auflösend bedingt (Aufenthaltserlaubnis für einen bestimmten Zweck) gestattet worden ist. Dies ist bei einer "schlicht" befristeten Aufenthaltserlaubnis gerade nicht der Fall, weil eine solche Entscheidung nur die Wirksamkeit der Aufenthaltserlaubnis befristet und nicht das Ende eines berechtigten Aufenthaltes feststellt, vielmehr die Berechtigung für die Zukunft offen lässt und somit den Aufenthalt "dauerhaft" gestattet (vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 1994 – 5 RJ 16/93 –, zitiert nach juris Rn. 31 f.). Ebenso liegt es hier. Aus der Auswertung der Ausländerakten der DDR ergibt sich lediglich, dass die Klägerin als Aspirantin bzw. im Hinblick auf ihr Studium fortlaufend befristete Aufenthaltserlaubnisse erhielt, nicht aber, dass ein Ende ihres Aufenthalts in der DDR absehbar war. Nach alldem kommt es nicht darauf hin, ob nach den internen, die Gerichte ohnehin nicht bindenden Arbeitsanweisungen der Beklagten vorliegend von einem gewöhnlichen Aufenthalt auszugehen ist oder nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache selbst.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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