Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 17 SB 293/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 90/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 10. Februar 2015 geändert und der Beklagte unter Änderung seines Bescheides vom 8. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2012 verpflichtet, bei der Klägerin mit Wirkung ab dem 31. Mai 2017 einen GdB von 50 festzustellen. Eine Kostenerstattung findet nicht statt. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die 1955 geborene Klägerin begehrt die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.
Mit Bescheid vom 20. Juli 2005 hatte der Beklagte bei der Klägerin einen GdB von 70 festgestellt und dem folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde gelegt:
1. Erkrankung der Brust in Heilungsbewährung, Verlust der Brust, 2. Depression, Herz- Rhythmusstörungen, Bluthochdruck, psychosoma- tische Störungen, 3. Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks.
Am 12. März 2007 beantragte die Klägerin die Feststellung eines höheren GdB und die Zuerkennung des Merkzeichens G. Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 2. Juli 2007, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 2007, ab.
Nach Ablauf der Heilungsbewährungszeit leitete der Beklagte ein Nachprüfungsverfahren ein, in dessen Rahmen die Klägerin am 19. November 2010 die Neufeststellung und die Zuerkennung der Merkzeichen G, aG, RF beantragte. Der Beklagte zog Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte bei und hörte diese zu einer beabsichtigten Herabsetzung des GdB auf 40 an. Mit Bescheid vom 18. Juni 2011 stellte der Beklagte mit Wirkung ab Bekanntgabe des Bescheides bei der Klägerin einen GdB von 40 fest sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit und hob im Übrigen seinen Bescheid vom 20. Juli 2005 auf. Zur Begründung führte er aus, bei der Klägerin sei wegen Ablaufs der Heilungsbewährung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten. Seiner Entscheidung legte der Beklagte folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde und ging dabei verwaltungsintern von dem jeweils in Parenthesen aufgeführten Einzel-GdB aus:
- psychosomatische Erkrankung (10), - psychische Minderbelastbarkeit (20), - Polyneuropathie (10), - Bluthochdruck (10), - Herz-Rhythmusstörungen (10), - Verlust der linken Brust (30), - Funktionsstörung der Wirbelsäule (10), - Funktionsstörung beider Schultergelenke (10), - Funktionsstörung des linken Kniegelenkes (10) sowie - Funktionsstörung des rechten oberen Sprunggelenkes (10).
Die Feststellung von Nachteilsausgleichen lehnte der Beklagte im Hinblick auf das Nichterreichen eines GdB von 50 ab. Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie sei hilfsbedürftig und habe ständig Angst vor einer erneuten Krebserkrankung. Der Beklagte zog daraufhin Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte bei sowie ein für die Rentenversicherung erstelltes Gutachten und wies mit Widerspruchsbescheid vom 3. August 2012 den Widerspruch zurück. Hierbei fasste er die Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen neu. Diese lauteten nunmehr:
- psychische Krankheit (20), - Polyneuropathie (10), - Verlust der linken Brust (30), - Funktionsstörung der Wirbelsäule (10), - Funktionsstörung beider Schultergelenke (10), - Lymphödem des linken Armes (20), - Funktionsstörung des linken Kniegelenkes (10), - Fußfehlbildung beidseits (10), - Nervenstörung beider Beine (10) sowie - Funktionsstörung des rechten oberen Sprunggelenks (10).
Mit der am 20. August 2012 erhobenen Klage hat die Klägerin sich gegen die Absenkung des GdB gewehrt, die Zuerkennung der Merkzeichen G, aG und RF begehrt und zugleich geltend gemacht, dass bei ihr ein GdB nicht unter 50 vorliege. Insoweit seien weitere Funktionsstörungen nicht berücksichtigt worden, insbesondere handele es sich um ihren Bluthochdruck, die Funktionsstörung des rechten Kniegelenks, Herz-Rhythmusstörungen, Inkontinenz sowie Lungenfunktionsstörungen. Das Sozialgericht hat erneut Befundberichte eingeholt und sodann Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Neurologie/Psychiatrie Dr. Sch, der die Klägerin am 26. Mai 2014 untersucht hat und in seinem Gutachten vom 9. Juni 2014 zu der Einschätzung gelangt ist, die bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen seien mit einem Gesamt-GdB von 40 zu bemessen. Nachdem die Klägerin insoweit geltend gemacht hat, ihre orthopädischen Beeinträchtigungen seien nicht hinreichend abgebildet, hat das Sozialgericht weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. B, der die Klägerin am 23. September 2014 untersucht hat und in seinem Gutachten vom 24. September 2014 zu der Einschätzung gelangt ist, die bei der Klägerin bestehenden Beeinträchtigungen seien mit einem GdB von 40 zu bemessen. Dies sei bereits eine obere Wertung, er könne weder Funktionseinschränkungen des Herzens noch des linken Kniegelenkes feststellen. Mit Urteil vom 10. Februar 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, soweit der Beklagte mit den angegriffenen Bescheiden den GdB von 70 auf 40 gesenkt und insoweit den vorangegangenen Verwaltungsakt aufgehoben habe, sie die Anfechtungsklage nicht begründet. Der Herabsetzungsbescheid verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten und sei rechtmäßig. Im Falle der Klägerin sei durch Ablauf der Heilungsbewährung für die Brusterkrankung ohne Eintritt eines Rezidivs eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, die die Neufeststellung gerechtfertigt habe. Im Ergebnis sei den Einschätzungen der Sachverständigen zu folgen, wonach bei der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung kein GdB über 40 vorgelegen habe. Nachdem die Klägerin einen GdB von 50 nicht mehr erreiche, scheide die Zuerkennung von Merkzeichen aus. Darüber hinaus fehlten jedwede Anhaltspunkte dafür, dass im Falle der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen der von ihr geltend gemachten Merkzeichen vorliegen könnten. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.
Mit der am 10. April 2015 eingelegten Berufung hat die Klägerin ihr Begehren ursprünglich weiterverfolgt und hierzu vorgebracht, bei ihr seien diverse Funktionsstörungen im Rahmen des erstinstanzlichen Urteils nicht berücksichtigt worden.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. G, der die Klägerin am 3. und 10. November 2016 untersucht hat und in seinem Gutachten vom 21. November 2016 zu der Einschätzung gelangt ist, bei der Klägerin seien auf seinem Fachgebiet eine psychische Krankheit mit rezidivierender depressiver Störung und psychosomatischen Symptomen mit einem Einzel-GdB von 20 und eine Polyneuropathie mit einem Einzel-GdB vom 10 festzustellen. Darüber hinaus bestünden ein Verlust der linken Brust nach Heilungsbewährung mit einem Einzel-GdB von 30 und ein Lymphödem des linken Armes mit einem GdB von 10 sowie eine Funktionsstörung beider Schultergelenke mit einem Einzel-GdB von ebenfalls 10. Der Gesamt-Grad der Behinderung sei auf 40 festzusetzen, eine Veränderung gegenüber dem Zustand im April 2011 sei nicht eingetreten.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. K, der die Klägerin am 31. Mai 2017 untersucht hat und in seinem Gutachten vom 30. Juni 2017 zu der Einschätzung gelangt ist, bei der Klägerin lägen folgende Funktionsbeeinträchtigungen vor:
- seelische Störung mit rezidivierender Depression, derzeit mittelschwer ausgeprägt sowie chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (40), - sensomotorische Polyneuropathie mit Sensibilitätsstörungen, Störungen der Koordination und Feinmotorik nach Chemotherapie (20), - Verlust der linken Brust nach Brustkrebserkrankung und Heilungsbewährung ohne rezidiven Hinweis (30), - Funktionsstörungen der oberen Extremitäten bei degenerativen Veränderungen der Schultergelenke und Lymphödem des linken Armes (10), - Funktionsstörungen der unteren Extremitäten bei degenerativen Veränderungen der Knie- und Fußgelenke (10), - Funktionsstörungen der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen (10) sowie - Harnblasenstressinkontinenz ersten Grades (10).
Der Gesamt-GdB sei insgesamt aktuell mit 50 einzuschätzen. Eine Feststellung dieser Gesundheitsstörungen und der damit verbundenen Behinderungen seien ihm mit Sicherheit nur im Zeitpunkt der Untersuchung möglich. In Anbetracht des langen Verlaufes seit 2011 und der zum Teil widersprüchlichen Befunde und Aussagen sei ihm eine Rekonstruktion nicht möglich. Bei den vorangegangenen Begutachtungen habe entsprechend den jeweiligen Gutachten bei der Klägerin eine depressive Störung mit nur leichter Ausprägung vorgelegen. Hingegen dokumentiere die behandelnde Psychiaterin eine rezidivierende Depression seit 1997. Es sei daher davon auszugehen, dass im Verlauf immer wiederkehrende depressive Phasen mit verschiedener schwerer Ausprägung vorgelegen haben. Sicher könne aber festgestellt werden, dass die Klägerin im aktuellen Zeitpunkt eine mindestens mittelschwere depressive Symptomatik aufweise. Es sei sowohl möglich, dass die depressive Symptomatik von den Vorgutachtern unterbewertet worden sei, möglich sei aber auch, dass sie erst als Verschlechterung im Verlauf der letzten Monate eingetreten sei. Auch bezüglich der Polyneuropathie fänden sich in den Vorgutachten und Stellungnahmen widersprüchliche Angaben.
In Reaktion auf das Ergebnis der Begutachtung hat die Klägerin ihr Begehren auf die Zuerkennung eines GdB von 50 ab dem 31. Mai 2017 beschränkt und im Übrigen den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 10. Februar 2015 zu ändern und den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 8. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2012 zu verpflichten, bei der Klägerin ab dem 31. Mai 2017 einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Einschätzung des Sachverständigen Dr. K entgegengetreten und hat hierzu ausgeführt, der Sachverständige habe die Einordnung der psychischen Erkrankung der Klägerin nicht in überzeugender Weise begründet. Vielmehr habe sich aus dem im Gutachten enthaltenen Bericht über das tägliche Leben der Klägerin, insbesondere ihren Tagesablauf und ihre Aktivitäten kein Hinweis auf eine psychische Störung ergeben, die mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten wäre. Soweit der Sachverständige ausgeführt habe, es könne auch Schwankungen geben, seien diese bereits im GdB-Wert von 30 berücksichtigt. Dies ergebe sich aus Teil A 2.f der VMG. Insbesondere suche die Klägerin nach wie vor nur in größeren Abständen, nämlich vierteljährlich ihre Psychiaterin auf und habe auch seit längerer Zeit die Dosierung der von ihr eingenommenen antidepressiven Medikation nicht verändert. Bei dieser Sachlage lasse sich die Anhebung der GdB-Bewertung für die psychische Erkrankung der Klägerin von 30 auf 40 nicht erklären. Insgesamt sei das Leiden der Klägerin mit einem GdB von 40 zutreffend bewertet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagten Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist in dem nach teilweiser Erledigungserklärung noch streitgegenständlichen Umfang auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 ab dem 31. Mai 2017.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412), die am 1. Januar 2009 in Kraft getreten ist, festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) heranzuziehen.
Zwischen den Beteiligten ist in Auswertung der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21. August 2017 unterdessen ganz offenbar und auch nach Überzeugung des Senates zu Recht unstreitig, dass sich das bereits zuvor bei der Klägerin diagnostizierte psychische Leiden gegenwärtig als eine rezidivierende Depression mit chronischer Schmerzstörung darstellt, die nach den VMG Teil B 3.7 als stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einzuordnen ist. Ob der dafür angemessene GdB am oberen Rand der vorgesehenen Spanne von 20 bis 40 liegt, oder aber die Störung – wie versorgungsärztlich angenommen – mit einem GdB von 30 zu bewerten ist, kann dahinstehen, da die auf Zuerkennung eines GdB von 50 gerichtete Berufung in beiden Fällen begründet ist. Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Selbst bei Annahme eines GdB von "nur" 30 für das seelische Leiden erführe dieses wegen des Verlustes der Brust mir einem GdB von ebenfalls 30 eine Anhebung auf einen Wert von 40. Zusätzlich hat der Sachverständige Dr. K bei der Klägerin – wie auch die zuvor bestellten Sachverständigen - eine durch die Chemotherapie ausgelöste Polyneuropathie diagnostiziert, deren Auswirkungen die Klägerin selbst als "gravierende Sensibilitätsstörungen" beschreibt und die durch ihn als "deutliche Sensibilitätsstörungen und Reizerscheinungen mit ataktischen Symptomen" bezeichnet werden. Die VMG sehen in ihrem Teil B 3.11 hierfür keine feste GdB-Spanne vor, gehen aber darauf ein, dass bereits leichte sensible Störungen zu Beeinträchtigungen führen können. Bei dieser Ausgangslage folgt der Senat der Einordnung des Sachverständigen, wodurch insoweit ein GdB von 20 bedingt wird. Dieser führt nach den o.a. Grundsätzen zu einer weiteren Anhebung des Gesamt-GdB auf den Wert von 50.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin mit ihrem ursprünglichen Klagebegehren weitgehend erfolglos geblieben ist und die Eigenschaft als Schwerbehinderte erst ab dem Zeitpunkt der jüngsten Begutachtung hat erreichen können, insoweit also der Beklagte keine Veranlassung zur Klageerhebung gegeben hat.
Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Tatbestand:
Die 1955 geborene Klägerin begehrt die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.
Mit Bescheid vom 20. Juli 2005 hatte der Beklagte bei der Klägerin einen GdB von 70 festgestellt und dem folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde gelegt:
1. Erkrankung der Brust in Heilungsbewährung, Verlust der Brust, 2. Depression, Herz- Rhythmusstörungen, Bluthochdruck, psychosoma- tische Störungen, 3. Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks.
Am 12. März 2007 beantragte die Klägerin die Feststellung eines höheren GdB und die Zuerkennung des Merkzeichens G. Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 2. Juli 2007, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 2007, ab.
Nach Ablauf der Heilungsbewährungszeit leitete der Beklagte ein Nachprüfungsverfahren ein, in dessen Rahmen die Klägerin am 19. November 2010 die Neufeststellung und die Zuerkennung der Merkzeichen G, aG, RF beantragte. Der Beklagte zog Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte bei und hörte diese zu einer beabsichtigten Herabsetzung des GdB auf 40 an. Mit Bescheid vom 18. Juni 2011 stellte der Beklagte mit Wirkung ab Bekanntgabe des Bescheides bei der Klägerin einen GdB von 40 fest sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit und hob im Übrigen seinen Bescheid vom 20. Juli 2005 auf. Zur Begründung führte er aus, bei der Klägerin sei wegen Ablaufs der Heilungsbewährung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten. Seiner Entscheidung legte der Beklagte folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde und ging dabei verwaltungsintern von dem jeweils in Parenthesen aufgeführten Einzel-GdB aus:
- psychosomatische Erkrankung (10), - psychische Minderbelastbarkeit (20), - Polyneuropathie (10), - Bluthochdruck (10), - Herz-Rhythmusstörungen (10), - Verlust der linken Brust (30), - Funktionsstörung der Wirbelsäule (10), - Funktionsstörung beider Schultergelenke (10), - Funktionsstörung des linken Kniegelenkes (10) sowie - Funktionsstörung des rechten oberen Sprunggelenkes (10).
Die Feststellung von Nachteilsausgleichen lehnte der Beklagte im Hinblick auf das Nichterreichen eines GdB von 50 ab. Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie sei hilfsbedürftig und habe ständig Angst vor einer erneuten Krebserkrankung. Der Beklagte zog daraufhin Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte bei sowie ein für die Rentenversicherung erstelltes Gutachten und wies mit Widerspruchsbescheid vom 3. August 2012 den Widerspruch zurück. Hierbei fasste er die Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen neu. Diese lauteten nunmehr:
- psychische Krankheit (20), - Polyneuropathie (10), - Verlust der linken Brust (30), - Funktionsstörung der Wirbelsäule (10), - Funktionsstörung beider Schultergelenke (10), - Lymphödem des linken Armes (20), - Funktionsstörung des linken Kniegelenkes (10), - Fußfehlbildung beidseits (10), - Nervenstörung beider Beine (10) sowie - Funktionsstörung des rechten oberen Sprunggelenks (10).
Mit der am 20. August 2012 erhobenen Klage hat die Klägerin sich gegen die Absenkung des GdB gewehrt, die Zuerkennung der Merkzeichen G, aG und RF begehrt und zugleich geltend gemacht, dass bei ihr ein GdB nicht unter 50 vorliege. Insoweit seien weitere Funktionsstörungen nicht berücksichtigt worden, insbesondere handele es sich um ihren Bluthochdruck, die Funktionsstörung des rechten Kniegelenks, Herz-Rhythmusstörungen, Inkontinenz sowie Lungenfunktionsstörungen. Das Sozialgericht hat erneut Befundberichte eingeholt und sodann Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Neurologie/Psychiatrie Dr. Sch, der die Klägerin am 26. Mai 2014 untersucht hat und in seinem Gutachten vom 9. Juni 2014 zu der Einschätzung gelangt ist, die bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen seien mit einem Gesamt-GdB von 40 zu bemessen. Nachdem die Klägerin insoweit geltend gemacht hat, ihre orthopädischen Beeinträchtigungen seien nicht hinreichend abgebildet, hat das Sozialgericht weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. B, der die Klägerin am 23. September 2014 untersucht hat und in seinem Gutachten vom 24. September 2014 zu der Einschätzung gelangt ist, die bei der Klägerin bestehenden Beeinträchtigungen seien mit einem GdB von 40 zu bemessen. Dies sei bereits eine obere Wertung, er könne weder Funktionseinschränkungen des Herzens noch des linken Kniegelenkes feststellen. Mit Urteil vom 10. Februar 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, soweit der Beklagte mit den angegriffenen Bescheiden den GdB von 70 auf 40 gesenkt und insoweit den vorangegangenen Verwaltungsakt aufgehoben habe, sie die Anfechtungsklage nicht begründet. Der Herabsetzungsbescheid verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten und sei rechtmäßig. Im Falle der Klägerin sei durch Ablauf der Heilungsbewährung für die Brusterkrankung ohne Eintritt eines Rezidivs eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, die die Neufeststellung gerechtfertigt habe. Im Ergebnis sei den Einschätzungen der Sachverständigen zu folgen, wonach bei der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung kein GdB über 40 vorgelegen habe. Nachdem die Klägerin einen GdB von 50 nicht mehr erreiche, scheide die Zuerkennung von Merkzeichen aus. Darüber hinaus fehlten jedwede Anhaltspunkte dafür, dass im Falle der Klägerin die gesundheitlichen Voraussetzungen der von ihr geltend gemachten Merkzeichen vorliegen könnten. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.
Mit der am 10. April 2015 eingelegten Berufung hat die Klägerin ihr Begehren ursprünglich weiterverfolgt und hierzu vorgebracht, bei ihr seien diverse Funktionsstörungen im Rahmen des erstinstanzlichen Urteils nicht berücksichtigt worden.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. G, der die Klägerin am 3. und 10. November 2016 untersucht hat und in seinem Gutachten vom 21. November 2016 zu der Einschätzung gelangt ist, bei der Klägerin seien auf seinem Fachgebiet eine psychische Krankheit mit rezidivierender depressiver Störung und psychosomatischen Symptomen mit einem Einzel-GdB von 20 und eine Polyneuropathie mit einem Einzel-GdB vom 10 festzustellen. Darüber hinaus bestünden ein Verlust der linken Brust nach Heilungsbewährung mit einem Einzel-GdB von 30 und ein Lymphödem des linken Armes mit einem GdB von 10 sowie eine Funktionsstörung beider Schultergelenke mit einem Einzel-GdB von ebenfalls 10. Der Gesamt-Grad der Behinderung sei auf 40 festzusetzen, eine Veränderung gegenüber dem Zustand im April 2011 sei nicht eingetreten.
Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. K, der die Klägerin am 31. Mai 2017 untersucht hat und in seinem Gutachten vom 30. Juni 2017 zu der Einschätzung gelangt ist, bei der Klägerin lägen folgende Funktionsbeeinträchtigungen vor:
- seelische Störung mit rezidivierender Depression, derzeit mittelschwer ausgeprägt sowie chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (40), - sensomotorische Polyneuropathie mit Sensibilitätsstörungen, Störungen der Koordination und Feinmotorik nach Chemotherapie (20), - Verlust der linken Brust nach Brustkrebserkrankung und Heilungsbewährung ohne rezidiven Hinweis (30), - Funktionsstörungen der oberen Extremitäten bei degenerativen Veränderungen der Schultergelenke und Lymphödem des linken Armes (10), - Funktionsstörungen der unteren Extremitäten bei degenerativen Veränderungen der Knie- und Fußgelenke (10), - Funktionsstörungen der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen (10) sowie - Harnblasenstressinkontinenz ersten Grades (10).
Der Gesamt-GdB sei insgesamt aktuell mit 50 einzuschätzen. Eine Feststellung dieser Gesundheitsstörungen und der damit verbundenen Behinderungen seien ihm mit Sicherheit nur im Zeitpunkt der Untersuchung möglich. In Anbetracht des langen Verlaufes seit 2011 und der zum Teil widersprüchlichen Befunde und Aussagen sei ihm eine Rekonstruktion nicht möglich. Bei den vorangegangenen Begutachtungen habe entsprechend den jeweiligen Gutachten bei der Klägerin eine depressive Störung mit nur leichter Ausprägung vorgelegen. Hingegen dokumentiere die behandelnde Psychiaterin eine rezidivierende Depression seit 1997. Es sei daher davon auszugehen, dass im Verlauf immer wiederkehrende depressive Phasen mit verschiedener schwerer Ausprägung vorgelegen haben. Sicher könne aber festgestellt werden, dass die Klägerin im aktuellen Zeitpunkt eine mindestens mittelschwere depressive Symptomatik aufweise. Es sei sowohl möglich, dass die depressive Symptomatik von den Vorgutachtern unterbewertet worden sei, möglich sei aber auch, dass sie erst als Verschlechterung im Verlauf der letzten Monate eingetreten sei. Auch bezüglich der Polyneuropathie fänden sich in den Vorgutachten und Stellungnahmen widersprüchliche Angaben.
In Reaktion auf das Ergebnis der Begutachtung hat die Klägerin ihr Begehren auf die Zuerkennung eines GdB von 50 ab dem 31. Mai 2017 beschränkt und im Übrigen den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 10. Februar 2015 zu ändern und den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 8. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2012 zu verpflichten, bei der Klägerin ab dem 31. Mai 2017 einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Einschätzung des Sachverständigen Dr. K entgegengetreten und hat hierzu ausgeführt, der Sachverständige habe die Einordnung der psychischen Erkrankung der Klägerin nicht in überzeugender Weise begründet. Vielmehr habe sich aus dem im Gutachten enthaltenen Bericht über das tägliche Leben der Klägerin, insbesondere ihren Tagesablauf und ihre Aktivitäten kein Hinweis auf eine psychische Störung ergeben, die mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten wäre. Soweit der Sachverständige ausgeführt habe, es könne auch Schwankungen geben, seien diese bereits im GdB-Wert von 30 berücksichtigt. Dies ergebe sich aus Teil A 2.f der VMG. Insbesondere suche die Klägerin nach wie vor nur in größeren Abständen, nämlich vierteljährlich ihre Psychiaterin auf und habe auch seit längerer Zeit die Dosierung der von ihr eingenommenen antidepressiven Medikation nicht verändert. Bei dieser Sachlage lasse sich die Anhebung der GdB-Bewertung für die psychische Erkrankung der Klägerin von 30 auf 40 nicht erklären. Insgesamt sei das Leiden der Klägerin mit einem GdB von 40 zutreffend bewertet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagten Bezug genommen. Er ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist in dem nach teilweiser Erledigungserklärung noch streitgegenständlichen Umfang auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 ab dem 31. Mai 2017.
Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412), die am 1. Januar 2009 in Kraft getreten ist, festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) heranzuziehen.
Zwischen den Beteiligten ist in Auswertung der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 21. August 2017 unterdessen ganz offenbar und auch nach Überzeugung des Senates zu Recht unstreitig, dass sich das bereits zuvor bei der Klägerin diagnostizierte psychische Leiden gegenwärtig als eine rezidivierende Depression mit chronischer Schmerzstörung darstellt, die nach den VMG Teil B 3.7 als stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit einzuordnen ist. Ob der dafür angemessene GdB am oberen Rand der vorgesehenen Spanne von 20 bis 40 liegt, oder aber die Störung – wie versorgungsärztlich angenommen – mit einem GdB von 30 zu bewerten ist, kann dahinstehen, da die auf Zuerkennung eines GdB von 50 gerichtete Berufung in beiden Fällen begründet ist. Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Selbst bei Annahme eines GdB von "nur" 30 für das seelische Leiden erführe dieses wegen des Verlustes der Brust mir einem GdB von ebenfalls 30 eine Anhebung auf einen Wert von 40. Zusätzlich hat der Sachverständige Dr. K bei der Klägerin – wie auch die zuvor bestellten Sachverständigen - eine durch die Chemotherapie ausgelöste Polyneuropathie diagnostiziert, deren Auswirkungen die Klägerin selbst als "gravierende Sensibilitätsstörungen" beschreibt und die durch ihn als "deutliche Sensibilitätsstörungen und Reizerscheinungen mit ataktischen Symptomen" bezeichnet werden. Die VMG sehen in ihrem Teil B 3.11 hierfür keine feste GdB-Spanne vor, gehen aber darauf ein, dass bereits leichte sensible Störungen zu Beeinträchtigungen führen können. Bei dieser Ausgangslage folgt der Senat der Einordnung des Sachverständigen, wodurch insoweit ein GdB von 20 bedingt wird. Dieser führt nach den o.a. Grundsätzen zu einer weiteren Anhebung des Gesamt-GdB auf den Wert von 50.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin mit ihrem ursprünglichen Klagebegehren weitgehend erfolglos geblieben ist und die Eigenschaft als Schwerbehinderte erst ab dem Zeitpunkt der jüngsten Begutachtung hat erreichen können, insoweit also der Beklagte keine Veranlassung zur Klageerhebung gegeben hat.
Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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