Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 173 AS 26394/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 2413/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 2. September 2015 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Beklagte zahlte dem Kläger auf der Grundlage des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis 31. Januar 2012 (Bescheide vom 11. April 2011, 22. Juni 2011, 6. September 2011, 17. Oktober 2011, 21. No-vember 2011). Er übernahm für diesen Zeitraum ferner die Beiträge des Klägers zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung.
Mit Schreiben vom 15. April 2011 hatte der Beklagte den Kläger unter Bezugnahme auf ein ärztliches Gutachten, in dem eine Erwerbsfähigkeit des Klägers unter drei Stunden täglich festgestellt worden war, aufgefordert, Rente zu beantragen. Mit Schreiben vom selben Tag meldete der Beklagte bei der Deutschen Rentenversiche-rung einen Erstattungsanspruch an. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2011 teilte der Beklagte dem Kläger mit, er halte ihn in seiner Leistungsfähigkeit für die Dauer von mindestens sechs Monaten für so weit gemindert, dass er nur noch Beschäftigungen in einem Umfang von weniger als 15 Stunden wöchentlich ausüben könne und forderte ihn (erneut) zur Rentenantragstellung auf. Der Kläger habe gemäß § 44a SGB II bis zur Entscheidung über das Vorliegen einer Erwerbsminderung (EM) durch den Rentenversicherungsträger Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, welche "ab sofort" vorläufig erbracht würden.
Auf den bereits am 12. Mai 2011 gestellten Antrag bewilligte die Deutsche Renten-versicherung – Knappschaft-Bahn-See – (KBS) dem Kläger mit Rentenbescheid vom 13. Dezember 2011 ab 1. Juni 2011 Rente wegen voller EM iHv (monatlicher Zahlbe-trag für Juni 2011 451,70, ab 1. Juli 2011: 456,19 EUR). Dabei wies sie darauf hin, dass der Nachzahlungsbetrag iHv 3.645,03 EUR für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis 31. Januar 2012 vorläufig nicht ausgezahlt werde, da die Ansprüche anderer Stellen zu klären seien.
Mit dem am 20.Dezember 2011 eingegangenen Schreiben vom 13. Dezember 2011, auf das Bezug genommen wird, teilte die KBS dem Beklagten mit, dass sie den Ren-tenanspruch des Klägers anerkannt habe und bat den Beklagten unter monatlicher Aufschlüsselung des Nachzahlungsbetrages nach Rentenhöhe sowie Beitragsantei-len des Klägers zur Kranken- bzw. Pflegeversicherung um Bezifferung des Erstat-tungsanspruchs. Mit Schreiben vom 17. Januar 2012, auf das Bezug genommen wird, forderte der Beklagte gegenüber der KBS die Erstattung eines Betrages iHv 4.844,16 EUR (SGB II-Leistungen iHv 3.645,03 EUR, Beiträge für die Krankenversicherung iHv 1.054,32 und Beiträge für die Pflegeversicherung iHv 144,81 EUR). Mit Schreiben vom 8. Februar 2012, auf das Bezug genommen wird, teilte die KBS dem Beklagten mit, dass zur Befriedigung dieses Erstattungsanspruchs ein Erstattungsbetrag iHv 3.818,79 EUR überwiesen worden sei. Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung könnten nur in Höhe der einbehaltenen Beträge erstattet werden. Dem Kläger wurde mitgeteilt, ihm verbleibe angesichts der vom Beklagten erhobenen Ansprüche keine Restzahlung. Die gesamte Nachzahlung sei am 8. Februar 2014 an den Beklagten überwiesen worden (Schreiben vom 28. April 2014).
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Zahlung eines Betrages iHv 3.645,03 EUR nebst Zinsen iHv 5 % seit dem 8. Februar 2012 gerichtete Klage mit Gerichtsbe-scheid vom 2. September 2015 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zu-lässige Leistungsklage sei unbegründet. Der Anspruch des Klägers auf Nachzahlung der Rente für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis 31. Januar 2012 sei erloschen, weil der Beklagte einen Erstattungsanspruch gegen die KBS aus § 44a Abs. 3 Satz 1 SGB II iVm § 103 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltung und Sozialdatenschutz (SGB X) ge-habt habe und mithin Erfüllung nach § 107 SGB X eingetreten sei. Der Beklagte ha-be die Leistungen ab Juni 2011 in entsprechender Anwendung des § 44a Abs. 1 Satz 1 SGB II zunächst rechtmäßig erbracht. Durch das Zuerkennen der Rente sei die Leistungspflicht des Beklagten entfallen. Selbst wenn die Erstattung an den Be-klagten zu Unrecht erfolgt wäre, hätte der Kläger allenfalls einen Zahlungsanspruch gegen die KBS.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und trägt vor: Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Beklagte den Nachzahlungsbetrag einfordere. Da er bis zum 31. Mai 2013 noch von einem Betreuer vertreten worden sei, habe er erst da-nach von dem Irrtum des Beklagten erfahren.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialge-richts Berlin vom 2. September 2015 zu verurteilen, ihm 3.645,03 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % seit dem 8. Februar 2012 zu zahlen.
Der Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Leistungsakten des Beklagten (Band II und III) sowie die Gerichtsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Der Senat hat am 15. Januar 2018 einen Erörterungstermin vor dem Berichterstatter durchgeführt, in dem sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 Sozialge-richtsgesetz – SGG -) einverstanden erklärt haben. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Das SG hat die statthafte Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) zu Recht abgewiesen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des geltend gemachten Betrages iHv 3.645,03 EUR gegen den Beklagten, da eine Anspruchsgrundlage hierfür nicht ersicht-lich ist.
Darüber hinaus hat das SG im Ergebnis zutreffend ausgeführt, dass der Anspruch des Klägers auf Auszahlung des Nachzahlungsbetrages gegen die KBS durch Erfül-lung gemäß § 107 Abs. 1 SGB X erloschen ist. Nach dieser Vorschrift gilt der An-spruch des Berechtigten – hier der Kläger – gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger – hier die KBS - als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht.
Dem Beklagten stand gegen die KBS zwar kein Erstattungsanspruch in direkter An-wendung von § 103 Abs. 1 SGB X zu. Diese Norm setzt ua voraus, dass ein Leis-tungsträger Sozialleistungen erbracht hat und der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist. Ein sozialrechtlicher Leistungsanspruch entfällt iSv § 103 Abs. 1 Halbs. 1 SGB X nur, wenn durch die Erfüllung des (zweiten) Leistungsan-spruchs der von einem zuständigen Leistungsträger erbrachte (erste) Leistungsan-spruch (durch eine "Wegfallregelung" oder "-bestimmung": vgl. BSG SozR 1300 § 103 Nr. 5 S 24 f) zum Wegfall kommt (vgl. BSG, Urteile vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 11/11 R = SozR 4-1300 § 106 Nr. 1 und – B 13 R 9/12 R = SozR 4-1300 § 104 Nr. 5 mwN aus der Rspr. des BSG). Der Anspruch des Klägers auf die Leistungen nach dem SGB II ist aber weder durch die rückwirkende Gewährung noch durch die Auszahlung der vollen EM-Rente nachträglich ganz oder teilweise iSv § 103 Abs. 1 SGB X entfallen. Im SGB II existiert keine - § 142 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung - (SGB III) aF vergleichbare - Regelung, die den Wegfall, das Ende oder das Ruhen der Leistungen nach dem SGB II für den Fall anordnet, dass eine Rente wegen voller EM rückwirkend zeitgleich gewährt wird. Ein "Entfallen" eines Anspruchs auf Sozialleistungen liegt nicht bereits dann vor, wenn sich nachträglich herausstellt, dass ein bei Bewilligung als gegeben angesehener anspruchsbegründender Umstand für die konkret gewährte Leistung (hier: Erwerbsfähigkeit für den Anspruch auf Alg II) in Wirklichkeit nicht vorgelegen hat (vgl. BSG aaO). § 103 SGB X regelt nicht den Fall, dass ein Leistungsträger - wie hier der Beigeladene in dem in Rede stehenden Zeitraum – Leistungen objektiv zu Unrecht erbracht hat, weil der Kläger aus medizinischen Gründen auf Dauer voll erwerbsgemindert iSv § 41 Abs. 1 Satz 1 iVm Abs. 3 Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII) war.
Der Beklagte kann vor diesem Hintergrund gegen die KBS aber auch einen Erstat-tungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers nach § 104 SGB X nicht geltend machen. "Nachrangig verpflichtet" ist gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X ein Leistungsträger nur, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflich-tung eines anderen Leistungsträgers (hier: des Rentenversicherungsträgers) selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Zwar ist dies im Verhältnis zwischen dem Beklagten und der KBS in der vorliegenden Konstellation der Fall (vgl. §§ 5 bzw. 12a SGB II). Auch im Rahmen des § 104 SGB X müssen die Leistungen des nach-rangig verpflichteten bzw. unzuständigen Leistungsträgers indes materiell rechtmäßig erbracht worden sein ("ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal", vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 11/11 R – Rn. 38 mwN aus der Rspr des BSG). Dies war jedoch – wie dargelegt – gerade nicht der Fall.
Der Beklagte kann ferner nicht die spezielle Erstattungsregelung nach § 44a Abs. 3 Satz 1 SGB II in der seit 1. Januar 2011 geltenden Fassung für sich beanspruchen. Hiernach steht den Leistungsträgern des SGB II ein Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X zu, wenn dem Hilfebedürftigen eine andere Sozialleistung zuerkannt wird. Dies setzt indes voraus, dass die Agentur für Arbeit gegenüber dem in Anspruch zu nehmenden anderen Träger feststellt, dass der Leistungsempfänger nicht erwerbsfä-hig ist. Mit der schon zum 1. August 2006 eingeführten Ergänzung der Erstattungsregelung in § 44a Abs. 2 Satz 1 SGB II (Fassung 2006) sollte klargestellt werden, dass in den Fällen, in denen ein anderer als der SGB II-Träger leistungspflichtig ist, dieser dem Träger der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechend § 103 SGB X erstattungspflichtig ist (vgl. BT-Drucks. 16/1410 S. 27). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 44a Abs. 3 Satz 1 SGB II liegen hier jedoch nicht vor.
Die genannte Vorschrift ordnet an, dass die zuständigen Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bis zur Entscheidung über einen Widerspruch iSv § 44a Abs. 1 SGB II zu erbringen haben. Sie ist als Nahtlosigkeitsregelung nach dem Vorbild des § 125 Abs. 1 SGB III aF interpretiert worden und nicht als nur vor-läufige Leistungspflicht der SGB II-Träger Jedenfalls aber greift sie nur dann, wenn die zuständigen SGB II-Leistungsträger sich nicht für zuständig erachten oder zwi-schen den Leistungsträgern Uneinigkeit über die Erwerbsfähigkeit besteht (vgl. BSG, Urteile vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 11/11 R und - B 13 R 9/12 R -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9.September 2015 – L 16 ‚R 39/15, juris). Eine solche Konstellation hat hier indes nicht vorgelegen. Der Beklagte hat zwar seine Pflicht zur Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) II im streitigen Zeitraum gegenüber dem Kläger in Frage gestellt und ihn mit Schreiben vom 15. April 2011 und 9. Dezember 2011 zur Rentenantragstellung aufgefordert. Es bestand aber zu keinem Zeitpunkt ein Streit oder ein Dissens zwischen den Leistungsträgern über die Erwerbsfähigkeit des Klä-gers. Insbesondere hat - soweit ersichtlich - der Beklagte nicht gegenüber der KBS die Feststellung getroffen, dass der Kläger nicht erwerbsfähig sei. Er hat sich mit dem Schreiben vom 15. April 2011 zunächst darauf beschränkt, vorsorglich für den Fall der Rentengewährung einen Erstattungsanspruch anzumelden, ohne sich selbst gegenüber der KBS in der Frage der Erwerbsfähigkeit des Klägers festzulegen. Infol-gedessen hat auch die KBS keinen Widerspruch nach § 44a Abs. 1 Satz 2 SGB II erhoben und es ist auch keine gutachterliche Stellungnahme des Rentenversiche-rungsträgers nach § 44a Abs. 1 Satz 5 SGB II eingeholt worden. Soweit der Beklagte mit dem Schreiben vom 9. Dezember 2011 - nunmehr unter Bezugnahme auf § 44a SGB II - den Kläger erneut zur Rentenantragstellung binnen zwei Wochen aufgefor-dert hat und die Übersendung von Unterlagen an den Rentenversicherungsträger zwecks Klärung der Erwerbsfähigkeit nach Ablauf dieser Frist angekündigt hat, dürfte diese Ankündigung durch die dem Beklagten am 20. Dezember 2011 mitgeteilte Rentenbewilligung vom 13. Dezember 2011 überholt worden sein. Der Kläger war damit zu keinem Zeitpunkt in einer Situation (bildlich gesprochen "zwischen zwei Stühlen", BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 2, Rn. 20), in der keiner der Leis-tungsträger Leistungen erbringen wollte (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 11/11 R -). Unterlässt es ein SGB II-Leistungsträger in Fällen, in denen er den Leistungsempfänger für nicht erwerbsfähig hält, das Verfahren nach § 44a SGB II einzuleiten und dem Rentenversicherungsträger Gelegenheit zum Widerspruch nach § 44a Abs. 1 Satz 1 SGB II zu geben, so mag dies zwar dazu führen, dass das Wi-derspruchsrecht des betroffenen Trägers nicht erlischt und der SGB II-Leistungsträger Leistungen nach § 44 Abs. 1 Satz 7 SGB II zu gewähren hat (vgl. LSG Essen, Beschluss vom 9. Juni 2016 - L 9 SO 427/15 B ER, L 9 SO 428/15 B – juris). Aus dieser zum Schutz des Leistungsempfängers möglicherweise gebotenen Auslegung des § 44a SGB II folgt aber keineswegs, dass dieses Verhalten des SGB II- Leistungsträger einen Erstattungsanspruch nach § 44a Abs. 3 Satz 1 SGB II nach sich zieht. Dieser Anspruch kann frühestens in dem Zeitpunkt entstehen, in dem der der SGB II-Leistungsträger das Verfahren nach § 44a SGB II durch eine Entschei-dung zur Erwerbsfähigkeit gegenüber dem in Anspruch zu nehmenden anderen Trä-ger eingeleitet hat – was hier ersichtlich nicht der Fall war - und sich damit die Mög-lichkeit eines Dissenses zwischen den Trägern ergibt.
Mit In-Kraft-Treten des § 40a SGB II hat der Gesetzgeber aber nunmehr mWv 1. Januar 2009 (vgl. Art. 2 Abs. 2 des Achten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Ergänzung personalrechtlicher Bestimmungen vom 28. Juli 2014 – BGBl I S 1306) eine neue selbständige Erstattungsregelung in § 40a SGB II geschaffen. Deren tatbestandliche Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Nach § 40a SGB II steht dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter den Vo-raussetzungen des § 104 SGB X ein Erstattungsanspruch gegen den anderen Sozi-alleistungsträger zu, wenn einer leistungsberechtigten Person für denselben Zeit-raum, für den der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II Leistungen erbracht hat, eine andere Sozialleistung bewilligt wird (Satz 1). Der Er-stattungsanspruch besteht auch, soweit die Erbringung des Alg II allein auf Grund einer nachträglich festgestellten vollen Erwerbsminderung rechtswidrig war (Satz 2).
Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber auf die Entscheidungen des Bundessozial-gerichts vom 31. Oktober 2012 (- B 13 R 9/12 R und B 13 R 11/11 R -) reagiert, die nach Auffassung des Gesetzgebers in Bezug auf die Entstehung von Erstattungsan-sprüchen der Jobcenter gegenüber den Trägern der Rentenversicherung insbeson-dere bei rückwirkender Gewährung einer vollen EM-Rente zu Unsicherheiten in der Rechtsanwendung geführt haben (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Er-gänzung personalrechtlicher Bestimmungen, BT-Drucks 18/1311). Der Gesetzgeber hat sich mit der Neuregelung von der Zielvorstellung leiten lassen, dass eine "doppel-te Leistungserbringung" zu vermeiden sei. Der Leistungsempfänger solle mithin nicht dadurch im Ergebnis besser gestellt werden, dass ihm die Rentenleistungen erst im Nachhinein rückwirkend zugesprochen werden (vgl. BT-Drucks. 18/1311 S 11 zu Nummer 2).
Die Voraussetzungen des § 40a SGB II sind hier – bezogen auf die SGB II-Leistungen an den Kläger in der Zeit vom 1. Juni 2011 bis 31. Januar 2012 - erfüllt. Durch die nachträglich festgestellte volle EM steht fest, dass der Beklagte die SGB II-Leistungen an den Kläger in dem in Rede stehenden Zeitraum zu Unrecht erbracht hatte. Für diesen Zeitraum wurde dem Kläger von der KBS auch eine andere Sozial-leistung, nämlich Rente wegen voller EM, bewilligt. Insoweit kommt es auf die weite-ren Voraussetzungen des § 104 SGB X nach der Regelung in § 40a Satz 2 SGB II nicht an. Mit der letztgenannten Regelung sollte ein Erstattungsanspruch des SGB II-Trägers "neu begründet" werden (vgl. BT-Drucks 18/1311 S 11 zu Nummer 2). So-weit damit zu Lasten des Klägers eine grundsätzlich verfassungsrechtlich verbotene "echte" Rückwirkung verbunden sein sollte (vgl. zu dem auf den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes beruhenden Verbot rückwirkender be-lastender Gesetze: LSG Darmstadt, Urteil vom 27. März 2017 l 9 AS 331/15 -, juris Rn. 42 ff.), wäre diese hier ausnahmsweise gerechtfertigt, weil sich kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2002 – 2 BvL 14/98 mit Hinweis auf BVerfGE 72, 302 (326); 88, 384 (404)). Bis zu den nach dem streitgegenständlichen Zeitraum ergangenen Urteilen des BSG vom 31. Oktober 2012 (B 13 R 11/11 R und B 13 R 9/12 R) war nämlich davon auszugehen, dass der Ausgleich zwischen den Trägern nach § 103 SGB X zu erfolgen hatte (vgl. Geiger, Rentenzahlungsansprüche für Zeiten des Bezugs von Alg II, SGb 2014, 183 ff). Die Neuregelung durch § 40a Abs. 1 SGB II sollte lediglich - wie ausgeführt - den durch die angeführte Rechtsprechung des Bundesssozialgerichts entstandenen Unsicherheiten Rechnung tragen.
Mangels eines Zahlungsanspruches des Klägers gegen den Beklagten kommt auch kein Zinsanspruch in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Der Beklagte zahlte dem Kläger auf der Grundlage des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis 31. Januar 2012 (Bescheide vom 11. April 2011, 22. Juni 2011, 6. September 2011, 17. Oktober 2011, 21. No-vember 2011). Er übernahm für diesen Zeitraum ferner die Beiträge des Klägers zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung.
Mit Schreiben vom 15. April 2011 hatte der Beklagte den Kläger unter Bezugnahme auf ein ärztliches Gutachten, in dem eine Erwerbsfähigkeit des Klägers unter drei Stunden täglich festgestellt worden war, aufgefordert, Rente zu beantragen. Mit Schreiben vom selben Tag meldete der Beklagte bei der Deutschen Rentenversiche-rung einen Erstattungsanspruch an. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2011 teilte der Beklagte dem Kläger mit, er halte ihn in seiner Leistungsfähigkeit für die Dauer von mindestens sechs Monaten für so weit gemindert, dass er nur noch Beschäftigungen in einem Umfang von weniger als 15 Stunden wöchentlich ausüben könne und forderte ihn (erneut) zur Rentenantragstellung auf. Der Kläger habe gemäß § 44a SGB II bis zur Entscheidung über das Vorliegen einer Erwerbsminderung (EM) durch den Rentenversicherungsträger Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, welche "ab sofort" vorläufig erbracht würden.
Auf den bereits am 12. Mai 2011 gestellten Antrag bewilligte die Deutsche Renten-versicherung – Knappschaft-Bahn-See – (KBS) dem Kläger mit Rentenbescheid vom 13. Dezember 2011 ab 1. Juni 2011 Rente wegen voller EM iHv (monatlicher Zahlbe-trag für Juni 2011 451,70, ab 1. Juli 2011: 456,19 EUR). Dabei wies sie darauf hin, dass der Nachzahlungsbetrag iHv 3.645,03 EUR für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis 31. Januar 2012 vorläufig nicht ausgezahlt werde, da die Ansprüche anderer Stellen zu klären seien.
Mit dem am 20.Dezember 2011 eingegangenen Schreiben vom 13. Dezember 2011, auf das Bezug genommen wird, teilte die KBS dem Beklagten mit, dass sie den Ren-tenanspruch des Klägers anerkannt habe und bat den Beklagten unter monatlicher Aufschlüsselung des Nachzahlungsbetrages nach Rentenhöhe sowie Beitragsantei-len des Klägers zur Kranken- bzw. Pflegeversicherung um Bezifferung des Erstat-tungsanspruchs. Mit Schreiben vom 17. Januar 2012, auf das Bezug genommen wird, forderte der Beklagte gegenüber der KBS die Erstattung eines Betrages iHv 4.844,16 EUR (SGB II-Leistungen iHv 3.645,03 EUR, Beiträge für die Krankenversicherung iHv 1.054,32 und Beiträge für die Pflegeversicherung iHv 144,81 EUR). Mit Schreiben vom 8. Februar 2012, auf das Bezug genommen wird, teilte die KBS dem Beklagten mit, dass zur Befriedigung dieses Erstattungsanspruchs ein Erstattungsbetrag iHv 3.818,79 EUR überwiesen worden sei. Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung könnten nur in Höhe der einbehaltenen Beträge erstattet werden. Dem Kläger wurde mitgeteilt, ihm verbleibe angesichts der vom Beklagten erhobenen Ansprüche keine Restzahlung. Die gesamte Nachzahlung sei am 8. Februar 2014 an den Beklagten überwiesen worden (Schreiben vom 28. April 2014).
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Zahlung eines Betrages iHv 3.645,03 EUR nebst Zinsen iHv 5 % seit dem 8. Februar 2012 gerichtete Klage mit Gerichtsbe-scheid vom 2. September 2015 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zu-lässige Leistungsklage sei unbegründet. Der Anspruch des Klägers auf Nachzahlung der Rente für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis 31. Januar 2012 sei erloschen, weil der Beklagte einen Erstattungsanspruch gegen die KBS aus § 44a Abs. 3 Satz 1 SGB II iVm § 103 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltung und Sozialdatenschutz (SGB X) ge-habt habe und mithin Erfüllung nach § 107 SGB X eingetreten sei. Der Beklagte ha-be die Leistungen ab Juni 2011 in entsprechender Anwendung des § 44a Abs. 1 Satz 1 SGB II zunächst rechtmäßig erbracht. Durch das Zuerkennen der Rente sei die Leistungspflicht des Beklagten entfallen. Selbst wenn die Erstattung an den Be-klagten zu Unrecht erfolgt wäre, hätte der Kläger allenfalls einen Zahlungsanspruch gegen die KBS.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und trägt vor: Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Beklagte den Nachzahlungsbetrag einfordere. Da er bis zum 31. Mai 2013 noch von einem Betreuer vertreten worden sei, habe er erst da-nach von dem Irrtum des Beklagten erfahren.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialge-richts Berlin vom 2. September 2015 zu verurteilen, ihm 3.645,03 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % seit dem 8. Februar 2012 zu zahlen.
Der Beklagten beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Leistungsakten des Beklagten (Band II und III) sowie die Gerichtsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Der Senat hat am 15. Januar 2018 einen Erörterungstermin vor dem Berichterstatter durchgeführt, in dem sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 Sozialge-richtsgesetz – SGG -) einverstanden erklärt haben. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Das SG hat die statthafte Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) zu Recht abgewiesen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung des geltend gemachten Betrages iHv 3.645,03 EUR gegen den Beklagten, da eine Anspruchsgrundlage hierfür nicht ersicht-lich ist.
Darüber hinaus hat das SG im Ergebnis zutreffend ausgeführt, dass der Anspruch des Klägers auf Auszahlung des Nachzahlungsbetrages gegen die KBS durch Erfül-lung gemäß § 107 Abs. 1 SGB X erloschen ist. Nach dieser Vorschrift gilt der An-spruch des Berechtigten – hier der Kläger – gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger – hier die KBS - als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht.
Dem Beklagten stand gegen die KBS zwar kein Erstattungsanspruch in direkter An-wendung von § 103 Abs. 1 SGB X zu. Diese Norm setzt ua voraus, dass ein Leis-tungsträger Sozialleistungen erbracht hat und der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist. Ein sozialrechtlicher Leistungsanspruch entfällt iSv § 103 Abs. 1 Halbs. 1 SGB X nur, wenn durch die Erfüllung des (zweiten) Leistungsan-spruchs der von einem zuständigen Leistungsträger erbrachte (erste) Leistungsan-spruch (durch eine "Wegfallregelung" oder "-bestimmung": vgl. BSG SozR 1300 § 103 Nr. 5 S 24 f) zum Wegfall kommt (vgl. BSG, Urteile vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 11/11 R = SozR 4-1300 § 106 Nr. 1 und – B 13 R 9/12 R = SozR 4-1300 § 104 Nr. 5 mwN aus der Rspr. des BSG). Der Anspruch des Klägers auf die Leistungen nach dem SGB II ist aber weder durch die rückwirkende Gewährung noch durch die Auszahlung der vollen EM-Rente nachträglich ganz oder teilweise iSv § 103 Abs. 1 SGB X entfallen. Im SGB II existiert keine - § 142 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung - (SGB III) aF vergleichbare - Regelung, die den Wegfall, das Ende oder das Ruhen der Leistungen nach dem SGB II für den Fall anordnet, dass eine Rente wegen voller EM rückwirkend zeitgleich gewährt wird. Ein "Entfallen" eines Anspruchs auf Sozialleistungen liegt nicht bereits dann vor, wenn sich nachträglich herausstellt, dass ein bei Bewilligung als gegeben angesehener anspruchsbegründender Umstand für die konkret gewährte Leistung (hier: Erwerbsfähigkeit für den Anspruch auf Alg II) in Wirklichkeit nicht vorgelegen hat (vgl. BSG aaO). § 103 SGB X regelt nicht den Fall, dass ein Leistungsträger - wie hier der Beigeladene in dem in Rede stehenden Zeitraum – Leistungen objektiv zu Unrecht erbracht hat, weil der Kläger aus medizinischen Gründen auf Dauer voll erwerbsgemindert iSv § 41 Abs. 1 Satz 1 iVm Abs. 3 Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII) war.
Der Beklagte kann vor diesem Hintergrund gegen die KBS aber auch einen Erstat-tungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers nach § 104 SGB X nicht geltend machen. "Nachrangig verpflichtet" ist gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X ein Leistungsträger nur, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflich-tung eines anderen Leistungsträgers (hier: des Rentenversicherungsträgers) selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Zwar ist dies im Verhältnis zwischen dem Beklagten und der KBS in der vorliegenden Konstellation der Fall (vgl. §§ 5 bzw. 12a SGB II). Auch im Rahmen des § 104 SGB X müssen die Leistungen des nach-rangig verpflichteten bzw. unzuständigen Leistungsträgers indes materiell rechtmäßig erbracht worden sein ("ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal", vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 11/11 R – Rn. 38 mwN aus der Rspr des BSG). Dies war jedoch – wie dargelegt – gerade nicht der Fall.
Der Beklagte kann ferner nicht die spezielle Erstattungsregelung nach § 44a Abs. 3 Satz 1 SGB II in der seit 1. Januar 2011 geltenden Fassung für sich beanspruchen. Hiernach steht den Leistungsträgern des SGB II ein Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X zu, wenn dem Hilfebedürftigen eine andere Sozialleistung zuerkannt wird. Dies setzt indes voraus, dass die Agentur für Arbeit gegenüber dem in Anspruch zu nehmenden anderen Träger feststellt, dass der Leistungsempfänger nicht erwerbsfä-hig ist. Mit der schon zum 1. August 2006 eingeführten Ergänzung der Erstattungsregelung in § 44a Abs. 2 Satz 1 SGB II (Fassung 2006) sollte klargestellt werden, dass in den Fällen, in denen ein anderer als der SGB II-Träger leistungspflichtig ist, dieser dem Träger der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechend § 103 SGB X erstattungspflichtig ist (vgl. BT-Drucks. 16/1410 S. 27). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 44a Abs. 3 Satz 1 SGB II liegen hier jedoch nicht vor.
Die genannte Vorschrift ordnet an, dass die zuständigen Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bis zur Entscheidung über einen Widerspruch iSv § 44a Abs. 1 SGB II zu erbringen haben. Sie ist als Nahtlosigkeitsregelung nach dem Vorbild des § 125 Abs. 1 SGB III aF interpretiert worden und nicht als nur vor-läufige Leistungspflicht der SGB II-Träger Jedenfalls aber greift sie nur dann, wenn die zuständigen SGB II-Leistungsträger sich nicht für zuständig erachten oder zwi-schen den Leistungsträgern Uneinigkeit über die Erwerbsfähigkeit besteht (vgl. BSG, Urteile vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 11/11 R und - B 13 R 9/12 R -; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9.September 2015 – L 16 ‚R 39/15, juris). Eine solche Konstellation hat hier indes nicht vorgelegen. Der Beklagte hat zwar seine Pflicht zur Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) II im streitigen Zeitraum gegenüber dem Kläger in Frage gestellt und ihn mit Schreiben vom 15. April 2011 und 9. Dezember 2011 zur Rentenantragstellung aufgefordert. Es bestand aber zu keinem Zeitpunkt ein Streit oder ein Dissens zwischen den Leistungsträgern über die Erwerbsfähigkeit des Klä-gers. Insbesondere hat - soweit ersichtlich - der Beklagte nicht gegenüber der KBS die Feststellung getroffen, dass der Kläger nicht erwerbsfähig sei. Er hat sich mit dem Schreiben vom 15. April 2011 zunächst darauf beschränkt, vorsorglich für den Fall der Rentengewährung einen Erstattungsanspruch anzumelden, ohne sich selbst gegenüber der KBS in der Frage der Erwerbsfähigkeit des Klägers festzulegen. Infol-gedessen hat auch die KBS keinen Widerspruch nach § 44a Abs. 1 Satz 2 SGB II erhoben und es ist auch keine gutachterliche Stellungnahme des Rentenversiche-rungsträgers nach § 44a Abs. 1 Satz 5 SGB II eingeholt worden. Soweit der Beklagte mit dem Schreiben vom 9. Dezember 2011 - nunmehr unter Bezugnahme auf § 44a SGB II - den Kläger erneut zur Rentenantragstellung binnen zwei Wochen aufgefor-dert hat und die Übersendung von Unterlagen an den Rentenversicherungsträger zwecks Klärung der Erwerbsfähigkeit nach Ablauf dieser Frist angekündigt hat, dürfte diese Ankündigung durch die dem Beklagten am 20. Dezember 2011 mitgeteilte Rentenbewilligung vom 13. Dezember 2011 überholt worden sein. Der Kläger war damit zu keinem Zeitpunkt in einer Situation (bildlich gesprochen "zwischen zwei Stühlen", BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 2, Rn. 20), in der keiner der Leis-tungsträger Leistungen erbringen wollte (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 13 R 11/11 R -). Unterlässt es ein SGB II-Leistungsträger in Fällen, in denen er den Leistungsempfänger für nicht erwerbsfähig hält, das Verfahren nach § 44a SGB II einzuleiten und dem Rentenversicherungsträger Gelegenheit zum Widerspruch nach § 44a Abs. 1 Satz 1 SGB II zu geben, so mag dies zwar dazu führen, dass das Wi-derspruchsrecht des betroffenen Trägers nicht erlischt und der SGB II-Leistungsträger Leistungen nach § 44 Abs. 1 Satz 7 SGB II zu gewähren hat (vgl. LSG Essen, Beschluss vom 9. Juni 2016 - L 9 SO 427/15 B ER, L 9 SO 428/15 B – juris). Aus dieser zum Schutz des Leistungsempfängers möglicherweise gebotenen Auslegung des § 44a SGB II folgt aber keineswegs, dass dieses Verhalten des SGB II- Leistungsträger einen Erstattungsanspruch nach § 44a Abs. 3 Satz 1 SGB II nach sich zieht. Dieser Anspruch kann frühestens in dem Zeitpunkt entstehen, in dem der der SGB II-Leistungsträger das Verfahren nach § 44a SGB II durch eine Entschei-dung zur Erwerbsfähigkeit gegenüber dem in Anspruch zu nehmenden anderen Trä-ger eingeleitet hat – was hier ersichtlich nicht der Fall war - und sich damit die Mög-lichkeit eines Dissenses zwischen den Trägern ergibt.
Mit In-Kraft-Treten des § 40a SGB II hat der Gesetzgeber aber nunmehr mWv 1. Januar 2009 (vgl. Art. 2 Abs. 2 des Achten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Ergänzung personalrechtlicher Bestimmungen vom 28. Juli 2014 – BGBl I S 1306) eine neue selbständige Erstattungsregelung in § 40a SGB II geschaffen. Deren tatbestandliche Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Nach § 40a SGB II steht dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter den Vo-raussetzungen des § 104 SGB X ein Erstattungsanspruch gegen den anderen Sozi-alleistungsträger zu, wenn einer leistungsberechtigten Person für denselben Zeit-raum, für den der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II Leistungen erbracht hat, eine andere Sozialleistung bewilligt wird (Satz 1). Der Er-stattungsanspruch besteht auch, soweit die Erbringung des Alg II allein auf Grund einer nachträglich festgestellten vollen Erwerbsminderung rechtswidrig war (Satz 2).
Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber auf die Entscheidungen des Bundessozial-gerichts vom 31. Oktober 2012 (- B 13 R 9/12 R und B 13 R 11/11 R -) reagiert, die nach Auffassung des Gesetzgebers in Bezug auf die Entstehung von Erstattungsan-sprüchen der Jobcenter gegenüber den Trägern der Rentenversicherung insbeson-dere bei rückwirkender Gewährung einer vollen EM-Rente zu Unsicherheiten in der Rechtsanwendung geführt haben (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Er-gänzung personalrechtlicher Bestimmungen, BT-Drucks 18/1311). Der Gesetzgeber hat sich mit der Neuregelung von der Zielvorstellung leiten lassen, dass eine "doppel-te Leistungserbringung" zu vermeiden sei. Der Leistungsempfänger solle mithin nicht dadurch im Ergebnis besser gestellt werden, dass ihm die Rentenleistungen erst im Nachhinein rückwirkend zugesprochen werden (vgl. BT-Drucks. 18/1311 S 11 zu Nummer 2).
Die Voraussetzungen des § 40a SGB II sind hier – bezogen auf die SGB II-Leistungen an den Kläger in der Zeit vom 1. Juni 2011 bis 31. Januar 2012 - erfüllt. Durch die nachträglich festgestellte volle EM steht fest, dass der Beklagte die SGB II-Leistungen an den Kläger in dem in Rede stehenden Zeitraum zu Unrecht erbracht hatte. Für diesen Zeitraum wurde dem Kläger von der KBS auch eine andere Sozial-leistung, nämlich Rente wegen voller EM, bewilligt. Insoweit kommt es auf die weite-ren Voraussetzungen des § 104 SGB X nach der Regelung in § 40a Satz 2 SGB II nicht an. Mit der letztgenannten Regelung sollte ein Erstattungsanspruch des SGB II-Trägers "neu begründet" werden (vgl. BT-Drucks 18/1311 S 11 zu Nummer 2). So-weit damit zu Lasten des Klägers eine grundsätzlich verfassungsrechtlich verbotene "echte" Rückwirkung verbunden sein sollte (vgl. zu dem auf den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes beruhenden Verbot rückwirkender be-lastender Gesetze: LSG Darmstadt, Urteil vom 27. März 2017 l 9 AS 331/15 -, juris Rn. 42 ff.), wäre diese hier ausnahmsweise gerechtfertigt, weil sich kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2002 – 2 BvL 14/98 mit Hinweis auf BVerfGE 72, 302 (326); 88, 384 (404)). Bis zu den nach dem streitgegenständlichen Zeitraum ergangenen Urteilen des BSG vom 31. Oktober 2012 (B 13 R 11/11 R und B 13 R 9/12 R) war nämlich davon auszugehen, dass der Ausgleich zwischen den Trägern nach § 103 SGB X zu erfolgen hatte (vgl. Geiger, Rentenzahlungsansprüche für Zeiten des Bezugs von Alg II, SGb 2014, 183 ff). Die Neuregelung durch § 40a Abs. 1 SGB II sollte lediglich - wie ausgeführt - den durch die angeführte Rechtsprechung des Bundesssozialgerichts entstandenen Unsicherheiten Rechnung tragen.
Mangels eines Zahlungsanspruches des Klägers gegen den Beklagten kommt auch kein Zinsanspruch in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
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