L 18 AL 116/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 2 AL 70/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 116/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozi-algerichts Frankfurt (Oder) vom 9. Juni 2016 geändert. Die Beklagte wird unter Änderung des Bewilligungsbescheides vom 2. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2012 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. Dezember 2011 bis 8. Juli 2012 unter Zugrundelegung eines Bemessungsent-gelts in Höhe von täglich 51,10 EUR höheres Arbeitslosengeld zu ge-währen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin ein Drittel ihrer außergerichtlichen Kos-ten im gesamten Verfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg) streitig.

Bei der 1989 geborenen Klägerin besteht eine leichte Intelligenzminderung, eine emotionale instabile Persönlichkeitsstörung sowie ein Abhängigkeitsleiden. Wegen dieser Gesundheitsstörung ist bei der Klägerin ein Grad der Behinderung von 40 an-erkannt (Feststellungsbescheid des Landesamtes für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg vom 9. November 2011). Des Weiteren wurde ihr von der Be-klagten die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen für den Fall zugesichert, dass ein potentieller Arbeitgeber die Einstellung von einer Gleichstellung abhängig macht (Bescheid der Beklagten vom 6. März 2012).

Vom 28. September 2008 bis 31. August 2011 absolvierte die Klägerin als Maßnah-me zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Veranlassung der Beklagten eine Ausbildung zur Hauswirtschaftshelferin bei dem Bildungsträger Berufsförderungswerk e. V., – W. Hierzu schloss sie mit dem Berufsförderungswerk e. V. unter dem 29. September 2008 einen Berufsausbildungsvertrag nach §§ 10, 11 Berufsbildungsgesetz (BBiG). Der Berufungsausbildungsvertrag wurde vom Landesamt für Verbraucherschutz, Landwirtschaft und Flurneuordnung des Landes Brandenburg unter dem 27. Oktober 2008 anerkannt und in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverträge eingetragen. Die Ausbildung wurde auf der Grundlage eines "Ausbildungsrahmenplanes für die Berufsausbildung Behinderter zum/zur Hauswirtschaftshelfer/in nach §§ 44, 48 BBiG" durchgeführt. Die Klägerin schloss diese Ausbildung fristgemäß und erfolgreich im August 2011 ab. Das Landesamt für ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flur-neuordnung des Landes Brandenburg bescheinigte ihr in einer Urkunde vom 31. Au-gust 2011 sowie in einem Prüfungszeugnis vom 1. September 2011 jeweils, dass sie die Abschlussprüfung im Ausbildungsberuf Hauswirtschaftshelferin bestanden habe. Die Beklagte hatte die Teilnahme der Klägerin an dieser Maßnahme u. a. durch Ge-währung von Ausbildungsgeld gefördert. Vom 1. September 2011 bis 30. November 2011 stand die Klägerin in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis als Küchenhil-fe bei der gemeinnützigen Pflege- und Betreuungsgesellschaft der Stadt F mbH.

Am 1. Dezember 2011 meldete die Klägerin sich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. In der zwischen der Beklagten und der Klägerin am 12. Dezember 2011 geschlossenen Eingliederungsvereinbarung wurde verein-bart, dass die Vermittlungsbemühungen mit dem Ziel der Aufnahme einer versiche-rungspflichtigen Beschäftigung als Hauswirtschaftsgehilfin durch regionale Stellensu-che erfolgen sollten. Die Beklagte stellte ferner fest, dass der Bemessungszeitraum selbst in dem erweiterten Bemessungsrahmen vom 1. Dezember 2009 bis 30. No-vember 2011 weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalte und nahm demzufolge eine fiktive Bemessung des der Berechnung des Alg der Klägerin zugrunde zu legenden Arbeitsentgeltes vor. Dabei ging sie davon aus, dass sich das fiktive Arbeitsentgelt nach der Tätigkeit als Hauswirtschaftshelferin, für die keine Ausbildung erforderlich sei, zu richten habe und demzufolge die Qualifikationsgruppe 4 heranzuziehen sei. Mit Bewilligungsbescheid vom 2. Januar 2012 bewilligte die Beklagte der Klägerin Alg ab 1. Dezember 2011 mit einer Anspruchsdauer von 360 Kalendertagen in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 19,85 EUR nach einem Bemessungsentgelt von täglich 44,80 EUR (Lohnsteuerklasse IV, Lohnsteuertabelle 2011/Leistungsentgelt 33,08 EUR/Prozentsatz 60). Dagegen legte die Klägerin Wider-spruch ein und trug vor, sie verfüge sehr wohl über einen Ausbildungsberuf, nämlich den der Hauswirtschaftshelferin, für den sie eine dreijährige Ausbildung erfolgreich absolviert habe. Sie sei demzufolge in die Qualifikationsgruppe 3 einzustufen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2012 zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgeltes sei der Arbeitslose der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspreche, die für die Beschäftigung erforderlich sei, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für die Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken habe. Als Vermittlungsziel sei die Aufnahme einer Beschäf-tigung als Helferin in der Hauswirtschaft festgelegt worden. Dafür sei der Abschluss eines Ausbildungsberufes nicht zwingend erforderlich. Deshalb sei die Bemessung des fiktiven Arbeitsentgeltes nach der Qualifikationsgruppe 4 vorzunehmen. Das Alg der Klägerin sei korrekt ermittelt worden.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des beruflichen Sachverständigen L vom 7. Februar 2013, wegen dessen Inhalts auf Blatt 92 – 95 der Gerichtakten verwiesen wird. Mit Aufhebungsbescheid vom 19. Juli 2012 hat die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alg ab 9. Juli 2012 aufgehoben. Die Klägerin hat vorgetragen: Die Annahme der Beklagten, dass für die Tätigkeit als Hauswirtschaftshelferin eine Ausbildung nicht zwingend erforderlich sei, entspreche nicht den Tatsachen. Denn Voraussetzung für die von ihr ab dem 1. September 2011 ausgeübte Beschäftigung als Küchenhilfe sei ausdrücklich der erfolgreiche Abschluss ihrer Ausbildung gewesen. Dass es sich bei der Ausbildung zur Hauswirtschaftshelferin nur – wie von der Beklagten angenommen – um einen Hilfsberuf handele, widerlegten die Urkunden des Landes Brandenburg. Der Einwand der Beklagten, dass die Berufsausbildung nach § 66 BBiG erfolgt und daher nicht vollwertig sei, widerspreche den Grundsätzen der Behindertengleichstellung. Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 9. Juni 2016 den Bewilligungsbescheid vom 2. Januar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2012 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Alg für die Zeit vom 1. Dezember 2011 bis 8. Juli 2012 nach einem fiktiven Arbeitsentgelt unter Zugrundelegung der Qualifikationsgruppe 3 nach Maßgabe der weiteren gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die auf Verzinsung des nachzuzahlenden Betrages gerichtete Klage hat das SG abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei überwiegend zulässig. Sie sei unzulässig im Hinblick auf die geltend gemachte Verzinsung der begehrten Nachzahlung. Im Übrigen, also im Hinblick auf die geltend gemachte Hauptforderung der Gewährung höheren Alg sei die Klage zulässig und auch begründet. Die Beklagte habe zu Unrecht das Alg der Klägerin nach der niedrigen Qualifikationsgruppe 4 bemessen. Der Klägerin stehe vielmehr höheres Alg unter Zugrundelegung eines fiktiven Arbeitsentgeltes zu, das nach der Qualifikationsgruppe 3 zu bemessen sei, zu. Die Klägerin erfülle ab 1. Dezember 2011 die Voraussetzung für den Anspruch auf Alg nach den hier noch anzuwendenden Vorschriften der §§ 117 ff. Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung - in der bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung (SGB III aF). Sie sei nach dem Ausscheiden aus ihrem Beschäftigungsverhältnis mit Ablauf des 30. November 2011 ab dem 1. Dezember 2011 beschäftigungslos gewesen, habe sich bei der Beklagten ab diesem Zeitpunkt arbeitslos gemeldet und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestellt (§§ 118, 119 SGB III aF). Sie habe auch die erforderliche An-wartschaftszeit (§ 123 Abs. 1 Satz 1 SGB III aF) erfüllt, denn sie habe in der Rah-menfrist (§ 124 Abs. 1 SGB III aF), die hier vom 1. Dezember 2009 bis 30. November 2011 reiche, mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Als Zeiten der Versicherungspflicht würden hierbei die versicherungspflichtige Beschäftigung der Klägerin vom 1. September 2011 bis 30. November 2011 (§ 25 Abs. 1 SGB III aF) sowie die zuvor während der gesamten übrigen Rahmenfrist absolvierte Ausbildungszeit gelten. Die Höhe des Alg richtet sich nach den Vorschriften der §§ 129 ff. SGB III aF. Danach betrage das Alg für die Klägerin, bei der kein Kind nach dem Einkommensteuergesetz zu berücksichtigen sei, 60 % des pauschalierten Nettoentgeltes (Leistungsentgelt), dass sich aus dem Bruttoentgelt ergebe, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe (Bemessungsentgelt - § 129 SGB III aF). Nach § 130 SGB III aF umfasse der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen (Abs. 1 Satz 1). Dabei umfasse der Bemessungsrahmen grundsätzlich ein Jahr und ende mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruches (Abs. 1 Satz 2). Der Bemessungsrahmen werde auf zwei Jahre erweitert, wenn unter anderem der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalte (Abs. 3 Satz 1 Nr. 1). Gemäß § 131 SGB III aF sei das Bemessungsentgelt das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe (Abs. 1 Satz 1). Könne ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, sei als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (§ 132 Abs. 1 Satz 1 SGB III aF). So verhalte es sich hier. Die Klägerin habe in dem auf zwei Jahre erweiterten Be-messungsrahmen vom 1. Dezember 2009 bis 30. November 2011 lediglich 91 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt aus dem im Anschluss an die Ausbildung eingegan-genen Beschäftigungsverhältnis aufzuweisen. Als Bemessungsentgelt sei mithin ein fiktives Arbeitsentgelt nach § 132 Abs. 2 SGB III aF zugrunde zu legen. Die Klägerin habe eine Ausbildung zur Hauswirtschaftshelferin absolviert und erfolgreich abge-schlossen. Es läge deshalb nahe, die Vermittlungsbemühungen für die Klägerin in erster Linie auf eine Tätigkeit als Hauswirtschaftshelferin zu erstrecken. Dies sehe die zwischen der Klägerin und der Beklagten am 12. Dezember 2011 geschlossene Eingliederungsvereinbarung auch vor. Bei dem Beruf der Hauswirtschaftshelferin handelt es sich um einen Ausbildungsberuf im Sinne der Vorschrift des § 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III aF. Die Ausübung des Berufs der Hauswirtschaftshelferin erfor-dere üblicherweise eine Ausbildung. Dies ergebe sich bereits aus dem von der Bun-desagentur für Arbeit geführten Verzeichnis "Berufe.net". Daran sei ausgeführt, dass für die Tätigkeit als Hauswirtschaftshelfer/in in der Regel eine abgeschlossene Aus-bildung als Hauswirtschaftshelfer/in bzw. Hauswirtschaftsassistent/in gefordert wer-de. Auch in dem von der Beklagten herausgegebenen Verzeichnis "Beruf aktuell", das zweijährlich aktualisiert werde, sei der Beruf der Hauswirtschaftshelferin aufge-führt. Inzwischen würden die Helferberufe, wie sie die Klägerin erlernt habe, auch als Fachwerkerberuf bzw. Fachpraktikerberufe bezeichnet. Unabhängig von der jeweili-gen Bezeichnung seien dies Berufe in den verschiedenen Bereichen des Handwerks, Gartenbaus und der Hauswirtschaft. Es handele sich hierbei um Ausbildungsberufe für Menschen mit Behinderung, für die wegen Art und Schwere ihrer Behinderung eine Ausbildung in einem anerkannten (Voll-)Ausbildungsberuf nicht in Betracht komme und für die deshalb Ausbildungsregelungen nach § 66 BBiG zu treffen seien. Die Helfer-/Fachwerker- oder auch Fachpraktikerausbildungen könnten in Form einer dualen Ausbildung nach eigenen Rahmenplänen in Betrieben oder Ausbildungsein-richtungen durchgeführt werden. Es werde vom Auszubildenden in aller Regel eine besondere Berufsschule besucht. Die Ausbildung selbst schließe stets mit einer Kammerprüfung ab. So verhalte es sich auch im Falle der Klägerin. Für die Klägerin, für die aufgrund ihrer Behinderung ein besonderer Förderbedarf festgestellt worden sei, sei eine berufliche Vollausbildung im Beruf der Hauswirtschafterin nicht in Be-tracht gekommen. Die Beklagte habe deshalb die Ausbildung der Klägerin im Ausbil-dungsberuf der Hauswirtschaftshelferin als Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben gefördert. Die Ausbildung sei an einem Berufsförderungswerk und zwar über einen Zeitpunkt von drei Jahren nach einem Ausbildungsrahmenplan durchgeführt worden, der aus dem Ausbildungsrahmenplan für Hauswirtschafter/innen entwickelt worden sei. Die Klägerin habe die Ausbildung auch mit einer Prüfung abgeschlossen. Der Beklagten sei zwar zuzugeben, dass es sich bei dem Beruf der Hauswirtschaftshelfe-rin nicht um staatlich anerkannten Ausbildungsberuf der Hauswirtschafterin handelt, der üblicherweise im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses im dualen System er-lernt werde und der in der "Liste der staatlich anerkannten Ausbildungsberufe" ent-halten sei. Die hier maßgebliche Vorschrift des § 132 Abs. 2 Satz1 Nr. 3 SGB III aF verlange jedoch nicht eine abgeschlossene Ausbildung im einem staatlich anerkann-ten (Voll-)Ausbildungsberuf, sondern in einem Ausbildungsberuf schlechthin. Es sei nicht erkennbar, weshalb die Klägerin mit ihrer Ausbildung als Hauswirtschaftshelfe-rin bzw. nach heutiger Bezeichnung als Fachpraktikerin Hauswirtschaft unter der Be-rücksichtigung dessen, dass sie in erster Linie auch in diesem Beruf zu vermitteln sei, in eine Qualifikationsgruppe einzuordnen gewesen sein sollte, die gerade keine Ausbildung erfordere. Den Ausführungen des berufskundlichen Sachverständigen Langhoff in dessen Gutachten vom 7. Februar 2013 sei nicht zu folgen. Dem Sach-verständigen sei zwar insoweit zuzustimmen, dass die von der Klägerin absolvierte Ausbildung zur Hauswirtschaftshelferin nicht vollumfänglich der Ausbildung zur Hauswirtschafterin entspreche. Der Sachverständige habe sich jedoch ersichtlich nicht damit auseinander gesetzt, dass auch der von der Hauswirtschafterin zu unter-scheidende Beruf der Hauswirtschaftshelferin eine regelhafte Ausbildung erfordere. Er habe stattdessen das von der Klägerin erworbene Berufsprofil dem einer Helferin zugeordnet, die als ungelernte oder aber einfach angelernte Arbeitskraft tätig werde. Dies sei nicht sachgerecht.

Mit ihrer Berufung hat sich die Beklagte zunächst in vollem Umfang gegen den statt-gebenden Gerichtsbescheid gewandt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat sie einen Anspruch der Klägerin auf höheres Alg im streitbefangenen Zeitraum insoweit anerkannt, als statt des zugrunde gelegten Bemessungsentgelts von täglich 44,80 EUR ein Bemessungsentgelt in Höhe von täglich 51,10 EUR für die Berechnung des Alg zu-grunde zu legen ist. Die Beklagte trägt vor: Ausweislich der gutachterlichen Stellung-nahme befähige die von der Klägerin absolvierte erreichte berufliche Qualifikation zu Tätigkeiten die "ansonsten von ungelernten oder einfach angelernten Arbeitskräften verrichtet" würden. Entsprechend seien solche Vermittlungsbemühungen auf solche Tätigkeiten auszurichten, die auch ohne abgeschlossene Ausbildung in einem aner-kannten Ausbildungsberuf ausgeführt werden könnten. Für die Tätigkeit der Haus-wirtschaftsgehilfin werde zwar in der Regel eine Ausbildung im Bereich Hauswirt-schaft erwartet, jedoch sei diese nicht erforderlich. Zudem seien in die Qualifikations-gruppe 3 nur Tätigkeiten einzuordnen, die eine abgeschlossene Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf erforderten. Bei der von der Klägerin erreichten beruf-lichen Qualifikation handele es sich nicht um einen solchen Abschluss nach dem BBiG. Die Klägerin habe zwar eine beachtliche berufliche Qualifikation erworben. Diese reiche jedoch nicht an das Niveau einer Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf heran. Daher hätten sich die Vermittlungsbemühungen in erster Linie zu Recht auf eine Tätigkeit als Hauswirtschaftshelferin erstreckt, welche der Qualifikationsgruppe 4 zuzuordnen sei.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 9. Juni 2016 zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit hier nicht ein Teilan-erkenntnis abgegeben worden ist.

Die Klägerin hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteilig-ten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bd.) haben vorgele-gen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung in Abwesenheit der ordnungsgemäß geladenen Klägerin aufgrund mündlicher Verhandlung nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 1 Sozialge-richtsgesetz (SGG) entscheiden.

Die Berufung ist unbegründet, soweit die Beklagte entsprechend ihrem abgegebenen und von der Klägerin nicht angenommenen (Teil-)Anerkenntnis entsprechend § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm den §§ 301 Abs. 1, 307 Zivilprozessordnung (ZPO) verurteilt worden ist. Gemäß § 202 SGG iVm § 313b Abs. 1 Satz 1 ZPO bedarf es insoweit keiner Entscheidungsgründe. Ebenso wenig erforderlich ist ein ausdrückli-cher Antrag auf Erlass eines Anerkenntnisurteils (vgl. zum Ganzen BSG, SozR 6580 Art 5 Nr. 4).

Im Übrigen ist die Berufung der Beklagten begründet und war die Klage insoweit ab-zuweisen. Denn die Klage ist unbegründet, soweit die Klägerin bei verständiger Wür-digung (vgl. § 123 SGG) für die streitbefangene Zeit vom 1. Dezember 2011 bis 8. Juli 2012 unter Zugrundelegung eines höheren Bemessungsentgelts als des auf der Grundlage der Qualifikationsgruppe 4 zu berechnenden Bemessungsentgelts iHv täglich 51,10 EUR ein (noch) höheres Alg begehrt. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, soweit die Beklagte für die Bemessung des Anspruchs der Klägerin lediglich die Qualifikationsgruppe 4 zu-grunde gelegt hat.

Rechtsgrundlage für die Bemessung des Anspruchs der Klägerin auf Alg ist § 129 Abs. 1 SGB III aF. Danach beträgt das Alg - in Abhängigkeit zu berücksichtigender Kinder - 67 bzw. 60 vH des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltab-rechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigung im Bemessungs-rahmen (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III aF). Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III aF). Der Bemessungsrahmen wird auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält (§ 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III aF). Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt auch innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (§ 132 Abs. 1 Satz 1 SGB III aF).

Zu Recht ist die Beklagte davon ausgegangen, dass der Bemessungsrahmen aus-gehend von der Arbeitslosmeldung der Klägerin zum 1. Dezember 2011 am 30. No-vember 2011 beginnt und - rückwärts gerechnet - mit dem 1. Dezember 2009 endet. Innerhalb dieses Bemessungsrahmens hat die Klägerin nur an 91 Tagen ein sozial-versicherungspflichtiges Arbeitsentgelt erzielt (1. September 2011 bis 30. November 2011) Zu Recht hat daher die Beklagte eine fiktive Bemessung vorgenommen.

Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Arbeitslose derjenigen Qualifi-kationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemü-hungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat (§ 132 Abs. 2 Satz 1 SGB III aF). Gemäß § 132 Abs. 2 Satz 2 SGB III aF ist dabei zugrunde zu legen für Beschäftigungen, die

1. eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung erfordern (Qualifikations-gruppe 1), ein Arbeitsentgelt in Höhe von 1/300 der Bezugsgröße,

2. einen Fachschulabschluss, den Nachweis über eine abgeschlossene Qualifi-kation als Meister oder einen Abschluss in einer vergleichbaren Einrichtung er-fordern (Qualifikationsgruppe 2), ein Arbeitsentgelt in Höhe von 1/360 der Be-zugsgröße,

3. eine abgeschlossene Ausbildung in einem Ausbildungsberuf erfordern (Quali-fikationsgruppe 3), ein Arbeitsentgelt in Höhe von 1/450 der Bezugsgröße,

4. keine Ausbildung erfordern (Qualifikationsgruppe 4), ein Arbeitsentgelt in Hö-he von 1/600 der Bezugsgröße.

Die von der Beklagten vorgenommene Bemessung nach der Qualifikationsgruppe 4 (§ 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB III aF) ist zutreffend. Die Klägerin hat insbesondere keinen Anspruch auf Einstufung in die Qualifikationsgruppe 3. Die Einschätzung der Beklagten, wonach sie ihre Vermittlungsbemühungen in erster Linie auf ein keine Ausbildung erfordernde Beschäftigung als Helferin in der Hauswirtschaft zu erstre-cken gehabt habe, ist nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung des SG erfüllt diese Tätigkeit nicht die Voraussetzungen der Qualifikationsgruppe 3.

In welche der Qualifikationsgruppen der Arbeitslose einzustufen ist, bestimmt sich nach dem Willen des Gesetzgebers in erster Linie nach der Beschäftigung, auf die die Beklagte die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen - unter Berücksichti-gung des in Betracht kommenden Arbeitsangebotes - zu erstrecken hat (vgl. BT- Drs. 15/1515 S. 86). Die entsprechenden Gesichtspunkte für die Frage, auf welche Beschäftigungen die Vermittlung vorrangig auszurichten ist, lassen sich den Bestim-mungen zur Arbeitsvermittlung (§§ 35 ff. SGB III aF) entnehmen. Welche Beschäfti-gung der Arbeitslose anstreben kann, hängt danach von seiner beruflichen Qualifika-tion ab, so dass die berufliche Qualifikation letztendlich das einzig ausschlaggebende Kriterium für die Eingruppierung ist. Für eine fiktive Bemessung ist indes nicht die Gesamtheit der möglichen Beschäftigungen heranzuziehen, sondern es sind jene Tätigkeiten relevant, mit denen der Arbeitslose bestmöglich wieder in den Arbeits-markt eingegliedert werden kann. Die Beklagte hat dabei das gesamte in Betracht kommende Arbeitsangebot zu berücksichtigen. Bei uneingeschränkter Arbeitsfähig-keit sind alle Beschäftigungen berücksichtigungsfähig, die der Arbeitslose als nicht Ortsgebundener auf dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland ausüben kann. Daneben sind gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB III auch Neigung, Eignung und Leistungsfähigkeit des Arbeitslosen zu berücksichtigen (vgl. Brand, SGB III, 7. Aufl. § 152 Rn. 6).

Unter Beachtung dieser Kriterien ist die Bemessung nach der von der Klägerin er-strebten Qualifikationsgruppe 3 nicht möglich, denn sie hatte keine realistische Mög-lichkeit, in eine Tätigkeit vermittelt zu werden, die einen Abschluss in einem Ausbil-dungsberuf iSd § 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB aF erfordert. Nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift, die sich an der Entgeltersatzfunktion des Alg orientiert, sind solche Berufe, die nicht das Ausbildungsniveau eines auf der Grundlage von § 4 BBiG staat-lich anerkannte Ausbildungsberufes erreichen, nicht als Ausbildungsberuf im Sinne des § 132 SGB III aF einzustufen. Bei der von der Klägerin absolvierten Ausbildung zur Hauswirtschaftshelferin handelt es sich - im Gegensatz zum Beruf der Hauswirt-schafterin - nicht um einen nach § 4 Abs. 1 BBiG staatlich anerkannten Ausbildungs-beruf (vgl. die vom Bundesinstitut für Berufsbildung vorgenommene Bekanntma-chung des Verzeichnisses der anerkannten Ausbildungsberufe und des Verzeichnis-ses der zuständigen Stellen vom 25. Juni 2012, BAnz vom 3. Juli 2012, S. 1 [11, 71]). Ein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf wird grundsätzlich im dualen System mit einer mindestens 2 Jahre dauernden Ausbildungszeit erlernt (vgl. Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB III, Stand Juni 2015, § 152 Rn. 53; Coseriu/Jakob, in: NK, SGB III, 6. Aufl. 2017, 3 152 Rn 25; Behrend, in: Eicher/Schlegel, SGB III nF; Stand: Juni 2016, § 152 Rn. 46). Diesen Standard erreicht die auf § 66 BBiG gestützte Ausbil-dung der Klägerin zur Hauswirtschaftshelferin nicht, da diese mit Rücksicht auf die Behinderung der Klägerin im Vergleich zum staatlich anerkannten Ausbildungsberuf der Hauswirtschafterin "theoriereduziert" durchgeführt worden war. Nach dem schlüssigen Gutachten des Sachverständigen Langhoff vom 7. Februar 2013, dem der Senat folgt, handelt es sich bei der von der Klägerin im Rahmen dieser Ausbil-dung erworbenen Qualifikation lediglich um eine auf zuarbeitende und unterstützende Tätigkeiten in Haushalt und Küche ausgerichtete Teilqualifikation im Beruf der Hauswirtschafterin. Die mit dieser Ausbildung möglichen Tätigkeiten werden ansons-ten von ungelernten oder einfach angelernten Arbeitskräften verrichtet. Die Beklagte hat ferner zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich vorliegend nicht um eine be-hinderungsbedingt angepasste Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbil-dungsberuf gehandelt hat (vgl. §§ 65 Abs. 1 iVm §§ 9, 47 BBiG), sondern um eine qualitativ damit nicht gleichzusetzende Ausbildung auf der Grundlage des § 66 BBiG. Der Fall der Klägerin ist auch nicht mit der Konstellation gleichzusetzen, die dem von der Klägerin herangezogenen Urteil des Bundessozialgerichts vom 3. Dezember 2009 - B 11 AL 42/08 R = BSGE 105, 94ff. zugrunde lag. Die dortige behinderte Klägerin hatte zwar ebenfalls im Rahmen einer geförderten Reha-Maßnahme in ei-nem Berufsbildungswerk erfolgreich eine Ausbildung absolviert und ihre Qualifikation war der Qualifikationsgruppe 3 zugeordnet worden. Im Unterschied zur hiesigen Klä-gerin verfügte sie aber über einen Gesellenbrief in einem anerkannten Ausbildungs-beruf (Orthopädiemechanikerin und Bandagistin). Soweit das SG im angegriffenen Urteil auf die "regelhafte" Ausbildung der Klägerin verweist, wird verkannt, dass nicht jede erfolgreich abgeschlossene regelhafte Ausbildung automatisch die Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 3 rechtfertigen kann (vgl. auch LSG Brandenburg, Urteil vom 26. Juni 2013 - L 34 AS 2690/12 -, juris zur Ausbildung nach § 66 BBiG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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