L 1 KR 480/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 210 KR 2495/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 480/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht ein Krankengeldanspruch für die Zeit vom 21. August 2013 bis 31. Januar 2014.

Die bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin erkrankte am 7. März 2013 und erhielt zunächst bis 31. März 2013 Entgeltfortzahlung durch ihren Arbeitgeber. Das Beschäftigungsverhältnis wurde zum 31. März 2013 beendet. Die Beklagte bewilligte ab dem 1. April 2013 Krankengeld. Mit Bescheid vom 27. Juni 2013 teilte sie mit, die Krankengeldzahlung zum 28. Juni 2013 einzustellen, weil der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Bayern (MDK) von einem Ende der Arbeitsunfähigkeit (AU) ausgehe. Die Klägerin erhob Widerspruch.

Der die Klägerin behandelnde Arzt für Allgemeinmedizin Dr. R stellte am 26. Juli 2013 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) als Folgebescheinigung bis voraussichtlich 20. August 2013 aus.

Die Folgebescheinigung datiert vom 21. August 2013 und attestiert Arbeitsunfähigkeit (AU) bis voraussichtlich 4. September 2013.

Die Beklagte hob mit Abhilfebescheid vom 11. September 2013 den Bescheid vom 27. Juni 2016 auf. Ein Anspruch auf Krankengeld bestehe somit über den 28. Juni 2013 hinaus.

Mit Bescheid vom 12. September 2013 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Krankengeldzahlung zum 20. August 2013 ende, da die AU-Bescheinigung ununterbrochen nur bis zu diesem Datum vorläge.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie habe sich den Arzttermin versehentlich in ihrem Kalender einen Tag zu spät eingetragen. Es sei unangemessen, ihr wegen dieses Versehens die Mitgliedschaft aufzukündigen. Sie könne sich des Eindruckes und Gefühls nicht erwehren, die Beklagte wolle sie als Mitglied loswerden. Sie reichte ein Attest ihres Behandlers Dr. R ein, wonach sie durchgehend arbeitsunfähig gewesen sei.

Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W bescheinigte ab dem 23. September 2013 AU.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. November 2013 zurück.

Die Klägerin hat hiergegen am 26. November 2013 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie sei durch die Beklagte nicht ausreichend aufgeklärt worden, wie dies bei ihrem angeschlagenen psychischen Zustand erforderlich gewesen wäre. Es sei durch Sachverständigengutachten zu klären, inwieweit sie soweit handlungsfähig gewesen sei, dass sie für den lückenlosen Nachweis die entsprechende Verantwortung tragen könne.

Die Klägerin hat seit dem 1. Februar 2014 Arbeitslosengeld bezogen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 6. Oktober 2015 abgewiesen. Ein Anspruch auf Krankengeldgewährung nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) scheitere daran, dass die Klägerin ab 21. August 2013 nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen sei und auch kein nachgehender Versicherungsschutz nach § 19 Abs. 2 SGB V bestanden habe. Bei abschnittsweise bewilligtem Krankengeld sei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) das Vorliegen der leistungsrechtlichen Voraussetzungen des Krankengeldes für jeden weiteren Bewilligungsabschnitt neu zu prüfen. Wenn der Versicherte keine weiteren AU-Bescheinigungen beibringe, ende der Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf des zuletzt bescheinigten AU-Zeitraumes. Werde danach erneut Krankengeld beansprucht, kann, wenn die Mitgliedschaft zuvor nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V beendet worden sei, zu diesem Zeitpunkt ein Krankengeldanspruch nur erneut entstehen, wenn eine neue Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld begründet worden sei (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 – B 1 KR 37/06 R). Das Versäumnis, einen Tag zu spät die ärztliche AU-Bescheinigung eingeholt zu haben, falle allein in den Verantwortungsbereich der Klägerin (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 8. November 2005 – B 1 KR 30/04 R). Wie das Verhalten der Klägerin zeige, sei ihr die Obliegenheit auch bewusst gewesen, in dem sie bereits im Widerspruchsverfahren angegeben habe, in ihrem Kalender versehentlich den Arzttermin einen Tag zu spät eingetragen zu haben. Der Ansicht der Klägerin, sie sei aufgrund ihrer Krankheit nicht in der Lage gewesen, fristgemäß tätig zu werden, folge das SG nicht. Ein Ausnahmefall, in dem die unterbliebene ärztliche Feststellung der AU ausnahmsweise – rückwirkend – nachgeholt werden könne, liege nicht vor. Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Klägerin gehindert gewesen sein könnte, alles in ihrem Verantwortungsbereich Mögliche zu unternehmen, die AU-Bescheinigung rechtzeitig zu erhalten. Es gebe auch keine anderen Umstände, welche Anlass geben, die Verzögerung in Umständen zu sehen, welche der Beklagten zuzurechnen seien. Soweit sich die Klägerin auf fehlende Beratung berufe, sei dem die Beklagte durch Hinweis auf das am 7. März 2013 ausgehändigte Hinweisblatt entgegengetreten. Auch habe keine entsprechende Verpflichtung bestanden (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 25/14 R – Rdnr. 16).

Gegen diese, ihr am 8. Oktober 2015 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin von Montag, den 9. November 2015. Zu deren Begründung führt sie ergänzend aus, ihr sei von ihrem behandelnden Arzt Dr. R durchgängig und ohne Unterbrechung über den 20. August 2013 hinaus AU bescheinigt worden. Dem Wortlaut des § 46 SGB V könne nicht entnommen werden, dass eine AU-Bescheinigung rückwirkend ausgeschlossen sei. Ihr müsse zudem Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bezüglich der Ausstellung der AU-Bescheinigung gewährt werden. Die Praxis des Dr. R sei am 20. August 2013 wegen Urlaubs noch geschlossen gewesen. Ihr Arzt habe sie nicht auf die Notwendigkeit der Überlappung der AU-Bescheinigungen hingewiesen, obwohl er die Urlaubsschließung der Praxis gekannt habe. Die Klägerin habe damit trotz der Beachtung der erforderlichen Sorgfalt die Frist versäumt. Da es sich dabei nur um eine Obliegenheit handele, müsse es im erst-Recht-Schluss die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand geben, welche für Pflichtverletzungen gelte. Das BSG habe in seiner Entscheidung vom 11. Mai 2017 die bisherige Rechtsprechung fortentwickelt und die Mitwirkungsobliegenheit auf das dem Versicherten Zumutbare beschränkt. Auch habe die Gesetzesnovelle 2015 die als zu rigide empfundene frühere Rechtsprechung korrigieren sollen. Auch wenn die Neuregelung nicht rückwirkend förmlich gelte, könne sie bei der Auslegung der Altregel angewendet werden.

Zuletzt stehe der Klägerin jedenfalls aufgrund des Abhilfebescheides vom 11. September 2013 bis zu diesem Datum Krankengeld zu, da sie auf dessen Mitteilung, der Krankengeldanspruch bestehe über den 28. Juni 2013 hinaus vertraut habe.

Sie beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 6. Oktober 2015 und den Bescheid vom 14. September 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Krankengeld für die Zeit vom 21. August 2013 bis 31. Januar 2014 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 4. Oktober 2017 hat der Senat den Rechtsstreit zur Entscheidung durch den Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in der Besetzung durch den Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden. Der Rechtsstreit weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf (§ 105 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat die Klagen zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, auf die zur Vermeidung bloßer Wiederholung gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen wird.

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist lediglich zu ergänzen:

Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn - was hier allein einschlägig ist - Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestandes für das Krankengeld vorliegt (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 22/15 R –Rdnr. 15 mit weit. Nachweisen). Nach § 46 S. 1 SGB V alte Fassung entsteht der Anspruch auf Krankengeld - abweichend von dem hier nicht vorliegenden Fall der Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung "von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folgt" (§ 46 S. 1 Nr. 2 SGB V alte Fassung); maßgebend für den Krankengeld-Beginn ist dabei nicht der "wirkliche" oder der "ärztlich attestierte" Beginn der AU, sondern der Folgetag nach der ärztlichen Feststellung (so ausdrücklich BSG SozR 4-2500 § 46 Nr. 2 Rdnr. 15). Die aktuelle Fassung der Norm ist erst ab dem 23. Juli 2015 in Kraft.

Die Klägerin kann sich für ihre Auffassung nicht auf das genannte Urteil des BSG berufen. Das BSG hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach es dem Versicherten obliegt, zur Vermeidung einer Unterbrechung von Krankengeldansprüchen und zum Erhalt eines durchgehenden umfassenden Krankenversicherungsschutzes Pflichtversicherte für eine Folge – AU-Bescheinigung spätestens am letzten Tag der zuvor bescheinigten AU Sorge zu tragen (BSG, a.a.O. Rdnr. 20 m. w. N.). Der Versicherte muss die ihm von Gesetz wegen übertragene Obliegenheit, für eine zeitgerechte ärztliche Feststellung der geltend gemachten AU Sorge zu tragen, erfüllen, in dem er alles in seiner Macht Stehende tut, um die ärztliche Feststellung zu erhalten. Er hat den Arzt aufzusuchen und ihm seine Beschwerden vorzutragen. Unterbleibt dann die ärztliche AU-Feststellung gleichwohl aus Gründen, die dem Verantwortungsbereich des Arztes zuzuordnen sind, darf sich dies nicht zum Nachteil des Versicherten auswirken (BSG, a.a.O. Rdnr. 23). Hier hat die Klägerin – unstreitig – den Arzt nicht rechtzeitig aufgesucht. Sie hat ihre Obliegenheit nicht erfüllt.

Angesichts dieser Obliegenheitsverletzung scheidet eine Wiedereinsetzung für mangelndes Verschulden aus. Im Übrigen wäre der falsche Eintrag eines Termins im eigenen Terminplaner nicht unverschuldet im Sinne der Wiedereinsetzungsvorschriften. Abgesehen hiervon ist § 27 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch mangels gesetzlicher Frist nicht einschlägig

Ein Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld konnte auch nicht auf § 19 Abs. 2 SGB V gestützt werden. Danach besteht, wenn die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger endet, Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Ein nachwirkender Anspruch nach dem Ende der Mitgliedschaft verdrängt aber nur dann eine Auffangversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB V; ohne Krankengeldanspruch), wenn bei prognostischer Betrachtung davon auszugehen ist, dass der Versicherte spätestens nach Ablauf eines Monats nach dem Ende der bisherigen Mitgliedschaft eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall erlangen werde (§ 5 Abs. 8 a Satz 4 SGB V). Wortlaut und Regelungssystem lassen diese Auslegung zu. Sie entspricht dem Normzweck und harmoniert mit den allgemeinen Grundsätzen der Feststellung von Versicherungsverhältnissen (BSG, Urteil vom 10. Mai 2012 – B 1 KR 19/11 R , BSGE 111, 9, Rdnr. 30). Eine solche Prognose konnte hier nicht gestellt werden. Insbesondere stand angesichts der durchgehenden AU ein neues Beschäftigungsverhältnis oder der Bezug von Arbeitslosengeld I in diesem Zeitraum nicht im Raum.

Der Abhilfebescheid vom 11. September 2013 hebt nur den Ablehnungsbescheid vom 27. Juni 2013 auf. Eine Bewilligung von Krankengeld wird darin aus der maßgeblichen objektivierten Empfängersicht nicht ausgesprochen. Die Beklagte informiert lediglich darüber, dass nach Aufhebung der Ablehnung ein Anspruch über den 28. Juni 2013 aufgrund der neuen medizinischen Erkenntnisse besteht. Dass dies losgelöst von der Notwendigkeit einer AU-Bescheinigung gelten solle, lässt sich dem Bescheid nicht entnehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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