L 9 KR 103/17 WA

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 166 KR 264/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 103/17 WA
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Regelungsgehalt der Statusfeststellung nach § 7a Abs. 1 SGB IV einerseits und die zeitlich beschränkte Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI i.V.m. § 6 Abs. 1 a Satz 1 SGB VI andererseits unterscheiden sich in versicherungs- und beitragsrechtlicher Hinsicht erheblich voneinander; daher entfaltet das Befreiungsverfahren nach § 6 Abs. 1a Satz 1 SGB VI keine Sperrwirkung im Sinne von § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV.
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 17. Juni 2016 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das gesamte Verfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Beklagte für den Kläger ein Statusfeststellungsverfahren nach § 7 a Abs. 1 SGB IV durchzuführen hat.

Der im Jahre 1964 geborene Kläger ist Niederländer. Er war vom 1. Oktober 2010 bis zum 31. Januar 2015 für die f-w gGmbH, einen freien Träger der Eingliederungshilfe im Lande Berlin, als Sozialarbeiter tätig. In seiner Tätigkeit fungierte er als Betreuer im betreuten Einzelwohnen nach § 53 und 54 SGB XII bei insgesamt drei Klienten. Seine Tätigkeit umfasste 15 bis 20 Wochenstunden. Er erbrachte Hilfen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.

Mit der f-w gGmbH schloss der Kläger am 21. Oktober 2010 einen "Honorarvertrag". Diesen kündigte der freie Träger mit Schreiben vom 20. Januar 2015. Die Kündigung focht der Kläger bei dem Arbeitsgericht Berlin an (20 Ca 2195/15).

Auf Veranlassung der f-w gGmbH stellte der Kläger am 3. Dezember 2010 bei der Beklagten einen "Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbständige mit einem Auftraggeber" und erbat eine befristete Befreiung für Existenzgründer nach § 6 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Das Antragsformular war nur oberflächlich und bruchstückhaft ausgefüllt; es fehlten jegliche Angaben zur Art und zum Inhalt der Tätigkeit. Mit Schreiben vom 9. Mai 2011, 20. Juni 2011 und 5. September 2011 bat die Beklagte deshalb um weitere Angaben u.a. zum Einkommen und zum Beginn der behaupteten selbständigen Tätigkeit. Sämtliche Schreiben der Beklagten ließ der Kläger unbeantwortet.

Mit einem ersten Bescheid vom 3. November 2011 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er sei ab dem 12. Oktober 2010 nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung und habe daher Pflichtbeiträge in Höhe des halben Regelbeitrages zu zahlen. Die Berechtigung zur Zahlung des halben Regelbeitrages bestehe längstens bis zum 31. Dezember 2013.

In einem zweiten Bescheid vom 11. Juni 2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er sei vom 2. April 2012 bis zum 12. Oktober 2013 nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI als Selbständiger mit einem Auftraggeber von der Rentenversicherungspflicht befreit. Er schulde einen Betrag in Höhe von 4.900,74 Euro.

Mit einem dritten Bescheid vom 5. Februar 2013, gegen den der Kläger – wie gegen die beiden vorangegangenen Bescheide – keinen Widerspruch einlegte, teilte die Beklagte ihm mit, er sei vom 12. Oktober 2010 bis zum 12. Oktober 2013 als Selbständiger mit einem Auftraggeber gemäß § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI von der Rentenversicherungspflicht befreit. Die Befreiung erfolge, weil es sich bei der Aufnahme der Tätigkeit um die erste bzw. zweite Existenzgründung im Sinne der Befreiungsvorschrift des § 6 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 SGB VI handele. Der Bescheid ergehe aufgrund des Antrages vom 3. Dezember 2010 und beziehe sich auf die selbständige Tätigkeit als Sozialarbeiter. Sämtliche Forderungsbescheide ab 3. November 2011 sowie der Bescheid vom 11. Juni 2012 würden zurückgenommen.

Am 25. Februar 2015 – also kurz nach der Beendigung seiner Tätigkeit für die f-w gGmbH – stellte der Kläger bei der Beklagten einen "Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status" in seiner Tätigkeit bei der f-w gGmbH in der Zeit vom 1. Oktober 2010 bis zum 31. Januar 2015. Er fügte Unterlagen bei, aus denen er ableitete, dass es sich bei der Tätigkeit um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis gehandelt habe.

Mit Bescheid vom 11. März 2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass dem Antrag auf Statusfeststellung nicht entsprochen werden könne. Es sei bereits über den sozialversicherungsrechtlichen Status in der zur beurteilenden Tätigkeit als Sozialarbeiter im betreuten Einzelwohnen entschieden worden; danach handele es sich um eine selbständige Tätigkeit. Ein Statusfeststellungsverfahren sei von der Beklagten daher nicht mehr durchzuführen.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 18. Januar 2016 zurück. Nach der Regelung in § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV sei ein Statusfeststellungsverfahren ausdrücklich ausgeschlossen, wenn die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet habe. Eine derartige Feststellung beinhalte auch die Entscheidung eines Rentenversicherungsträgers über die Rentenversicherungspflicht als Selbständiger im Rahmen der §§ 2 und 4 SGB VI oder die Entscheidung über die Befreiung von dieser Versicherungspflicht nach § 6 SGB VI, wenn diese Entscheidung das im Antragsverfahren aktuell zur Beurteilung gestellte Vertragsverhältnis erfasse. Für seine Tätigkeit bei der f-w gGmbH habe der Kläger bereits im Dezember 2010 eine Klärung beantragt. Die daraufhin getroffene Feststellung einer Selbständigkeit beinhalte die Feststellung des Nichtvorliegens einer Beschäftigung. Die Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens sei daher nicht mehr möglich.

Mit der dagegen am 16. Februar 2016 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren, eine inhaltliche Bescheidung seines Statusfeststellungsantrages zu erreichen, weiter. Er hat wiederum Bezug auf sein Vorbringen im arbeitsgerichtlichen Verfahren genommen und meint, die Beklagte sei zu einer inhaltlichen Bescheidung seines Antrages verpflichtet.

Mit Gerichtsbescheid vom 17. Juni 2016 hat das Sozialgericht Berlin der Klage stattgegeben, den Bescheid vom 11. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Januar 2016 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, über den Statusfeststellungsantrag vom 25. Februar 2015 zu entscheiden.

Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt: Anders als die Beklagte meine, stehe einer inhaltlichen Entscheidung über den Antrag des Klägers nicht entgegen, dass die Beklagte bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet bzw. beendet habe. Mit dem Bescheid vom 5. Februar 2013 sei nur entschieden worden, dass der Kläger in der Zeit vom 12. Oktober 2010 bis zum 12. Oktober 2013 von der Rentenversicherungspflicht als Selbständiger mit einem Auftraggeber befreit sei. Ein "Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung" sei insoweit gerade nicht durchgeführt worden. Zwar könne eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1a in Verbindung mit § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI nur ergehen, wenn ein selbständig Tätiger betroffen sei. Dies stelle aber nur eine Vorfrage und nicht den Inhalt der Befreiungsentscheidung dar. Die Befreiungsentscheidung erstrecke sich nur darauf, dass in der Zeit ab dem 12. Oktober 2010 und auch nur bis zum 12. Oktober 2013 eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht erteilt werde. § 7 a SGB IV ermächtige dagegen nicht zur elementartigen Feststellung des Vorliegens einer abhängigen Beschäftigung. Vielmehr habe die Beklagte auch eine Entscheidung über die Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung zu treffen. Diese Entscheidung sei noch an keiner Stelle getroffen worden.

Gegen den ihr am 23. Juni 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 20. Juli 2016 Berufung eingelegt.

Der Senat hat das Berufungsverfahren auf Antrag der Beteiligten mit Beschluss vom 12. August 2016 im Hinblick auf das bei dem Bundessozialgericht geführte Revisionsverfahren B 12 R 5/14 R zum Ruhen gebracht.

Am 7. März 2017 hat der Senat das Verfahren wieder aufgenommen. Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor: Im Raum stehe die Frage, ob von der Clearingstelle ein Statusfeststellungsverfahren durchzuführen sei, wenn bereits eine andere Stelle der Beklagten eine Entscheidung zur Rentenversicherungspflicht nach § 2 Nr. 9 SGB VI getroffen habe. Die durch Bescheid vom 5. Februar 2013 getroffene Entscheidung hindere die Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens. Denn die Entscheidung zur Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ziele zumindest mittelbar auf die Feststellung einer Beschäftigung. Damit entfalte das vormalige Verfahren Sperrwirkung. Die am 5. Februar 2013 getroffene Entscheidung habe eine Statusentscheidung beinhaltet. Denn die positive Feststellung einer Selbständigkeit beinhalte die negative Feststellung einer Beschäftigung. Die Clearingstelle dürfe danach nicht erneut tätig werden.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 17. Juni 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Mit Beschluss vom 20. November 2017 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger bei der Beklagten vorsorglich die Überprüfung des Bescheides vom 5. Februar 2013 beantragt.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beiden Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 20. November 2017 die Berufung dem Berichterstatter zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen hat.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht die Beklagte zur Entscheidung über den Statusfeststellungsantrag des Klägers verurteilt.

Nach § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV können die Beteiligten eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet. Über den Antrag entscheidet die Deutsche Rentenversicherung Bund (Satz 3), und zwar auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles (Abs. 2). Die Vorschrift räumt dem Antragsbefugten ein subjektives Recht auf eine Entscheidung über den Statusfeststellungsantrag ein.

Diesen Anspruch auf eine Entscheidung zur Sache hat die Beklagte noch nicht erfüllt. Denn zu Unrecht beruft sie sich auf die in § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV geregelte Sperrwirkung eines anderweitigen Verfahrens auf Feststellung des versicherungsrechtlichen Status. Das für den Kläger durchgeführte und mit Bescheid vom 5. Februar 2013 abgeschlossene Verfahren auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI stellt kein solches dar, das eine Sperrwirkung entfalten könnte.

Sperrwirkung nach § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV entfalten jedenfalls Entscheidungen der Einzugsstelle über das Bestehen bzw. Nichtbestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nach § 28h Abs. 2 SGB IV, des zuständigen Rentenversicherungsträgers anlässlich einer Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 SGB IV oder der Künstlersozialkasse, indem für den Auftragnehmer eine selbständige künstlerische oder publizistische Tätigkeit nach § 1 KSVG festgestellt wird (vgl. Pietrek in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, Rdnr. 16 zu § 7a SGB IV).

Mit den genannten Verfahren ist das für die Rentenversicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI i.V.m. § 6 Abs. 1a Satz 1 SGB VI durchzuführende Befreiungsverfahren nicht vergleichbar. Denn letzteres erstreckt sich nur auf einen Zeitraum von drei Jahren, betrifft nur die Sparte der gesetzlichen Rentenversicherung und entfaltet keine Bindungswirkung für die übrigen Sparten der Sozialversicherung. Es ist daher kein (universelles) "Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung" im Sinne von § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV.

Der Regelungsgehalt der Statusfeststellung nach § 7a Abs. 1 SGB IV einerseits und die zeitlich beschränkte Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI i.V.m. § 6 Abs. 1a Satz 1 SGB VI andererseits sowie der damit einhergehende Prüfungsumfang und -inhalt unterscheiden sich in versicherungs- und beitragsrechtlicher Hinsicht erheblich voneinander (vgl. Pietrek, a.a.O., Rdnr. 17; s.a. Bundessozialgericht, Beschluss vom 4. September 2013, B 12 KR 87/12 B, zitiert nach juris, dort Rdnr. 7). Es wäre daher verfehlt, dem rentenversicherungsrechtlichen Befreiungsverfahren eine Sperrwirkung im Sinne von § 7a Abs. 1 SGB IV zukommen zu lassen.

Unabhängig davon darf dem konkreten für den Kläger durchgeführten rentenversicherungsrechtlichen Befreiungsverfahren auch aus einzelfallbezogenen Gründen keine Sperrwirkung nach § 7a Abs.1 SGB IV zukommen: Die Beklagte hat bei Erlass des Bescheides vom 5. Februar 2013 nämlich alles andere als eine "Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles" (vgl. § 7a Abs. 2 SGB IV) vorgenommen, sondern die dreijährige Befreiung von der Rentenversicherungspflicht gleichsam blind erteilt, indem auf jede Prüfung des Einzelfalles – und hier insbesondere der Selbständigkeit des Klägers – verzichtet wurde. Warum der Bescheid vom 5. Februar 2013 auf derart ungesicherter Tatsachengrundlage und ins Blaue hinein erging, erschließt sich umso weniger, als die Beklagte selbst in ihren Schreiben an den Kläger vom 9. Mai 2011, 20. Juni 2011 und 5. September 2011 um weitere Sachaufklärung bemüht war; weil diese Schreiben sämtlich unbeantwortet gebliebenen sind, hätte der unsubstantiierte Befreiungsantrag vom 3. Dezember 2010 abgelehnt werden müssen. Dem gleichwohl ergangenen Bescheid vom 5. Februar 2013 Sperrwirkung für ein Statusfeststellungsverfahren zukommen zulassen, verkehrte die Intention des Gesetzes geradezu in ihr Gegenteil.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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