Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 58 AL 5347/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 46/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Februar 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die "Verschiebung" und die Dauer eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) im Zugunstenverfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X).
Der 1963 geborene Kläger war bis 31. Mai 2012 versicherungspflichtig beschäftigt. Er meldete sich am 4. Juni 2012 zum 1. Juni 2012 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg, das ihm die Beklagte mWv 1. Juni 2012 für die Dauer von 360 Tagen bewilligte (Bescheid vom 25. Juni 2012). Der Kläger bezog Alg bis zur Anspruchserschöpfung am 30. Mai 2013.
Unter dem 10. Mai 2013 beantragte der Kläger, der am 7. Juni 2012 Vater eines Sohnes geworden war, die Überprüfung der Alg-Bewilligung mit der Begründung, die Bezugsdauer hätte 15 Monate betragen, wenn er Alg erst ab 1. Juli 2013 nach Vollendung seines 50. Lebensjahres erhalten hätte. Die Zwischenzeit hätte er durch den Bezug von Elterngeld überbrücken können. Die Beklagte habe ihn nicht entsprechend beraten. Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 31. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2013 ab.
Im Klageverfahren hat der Kläger ua vorgetragen, am 24. Juli 2012 anlässlich einer persönlichen Vorsprache mit der Vermittlerin die Möglichkeit des Bezugs von Elterngeld anschließendem Alg angesprochen zu haben. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Gewährung von Alg erst für die Zeit ab 1. Juli 2013 gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 5. Februar 2016). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die ursprüngliche Alg-Bewilligung sei nicht zu beanstanden. Die vom Kläger begehrte Rechtsfolge könne nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fingiert werden, weil für einen Alg-Bezug erst ab 1. Juli 2013 die Anwartschaftszeit nach § 142 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) nicht erfüllt sei. Weitere Versicherungszeiten ab 1. Juni 2012 hätten nur vorgelegen, wenn der Kläger mit dem Tag der Geburt seines dritten Kindes die Elternzeit angetreten hätte.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Auf seinen Schriftsatz vom 25. Mai 2016 wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Februar 2016 und den Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 25. Juni 2012 zu ändern und ihm Arbeitslosengeld für die Zeit ab 1. Juli 2013 für die Dauer von 15 Monaten zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 124 Abs. 1, 155 Abs. 2 und 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat gemäß § 44 SGB X keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 25. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2014 und Gewährung von Alg (erst) für die Zeit ab 1. Juli 2013 für die Dauer von 15 Monaten.
Anspruch auf Alg hat gemäß § 137 Abs. 1 SGB III in der ab dem 1. April 2012 geltenden und hier anwendbaren Fassung, wer (1.) arbeitslos ist, (2.) sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat und (3.) die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Sämtliche der genannten Anspruchsvoraussetzungen hatte der Kläger mWv 1. Juni 2012 – was zwischen den Beteiligten im Übrigen nicht streitig ist – erfüllt, so dass ihm für die Zeit ab 1. Juni 2012 Alg für die Dauer von 12 Monaten zu bewilligen war (vgl § 147 Abs. 2 SGB III idF des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl I 2854)). Bis zur Entscheidung über den Alg-Anspruch hatte der Kläger keine Bestimmung getroffen, dass der Anspruch nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll (vgl § 137 Abs. 2 SGB III).
Eine Änderung dieser bestandskräftigen Bewilligungsentscheidung kommt im Zugunstenverfahren nicht in Betracht, auch nicht auf der Grundlage eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, vgl zB Beschluss vom 16. Dezember 2008 – 4 AS 77/08 B – ; Urteile vom 15. Dezember 1994 – 4 RA 64/93 – und 24. April 2015 – B 4 AS 22/14 R – alle juris) zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I)), verletzt hat. Dabei ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können; (vgl BSG, Urteil vom 3. Dezember 2009 – B 11 AL 28/08 R – juris). Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Gesetzeszweck also nicht widersprechen.
Einem – hier geltend gemachten - Anspruch des Klägers auf Alg ab 1. Juli 2013 steht bereits die fehlende Erfüllung der Anwartschaftszeit bezogen auf diesen Zeitpunkt entgegen. Voraussetzung für einen Anspruch auf Alg ist grundsätzlich die Belegung von zwölf Monaten innerhalb der Rahmenfrist von zwei Jahren, die mit dem Tag vor der Erfüllung aller Voraussetzungen für den Alg-Anspruch beginnt (§§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 SGB III). Die Rahmenfrist des § 142 Abs.1 SGB III liefe dann vom 1. Juli 2011 bis zum 30. Juni 2013. Ein Pflichtversicherungsverhältnis aufgrund einer abhängigen Beschäftigung gemäß den §§ 24, 25 SGB III liegt lediglich bis zum 31. Mai 2012 vor. Damit wäre die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Ein Versicherungspflichttatbestand liegt nach § 26 Abs. 2a SGB II zwar auch in Zeiten vor, in denen ein Kind, dass das 3. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, von einer Person erzogen wird, die unmittelbar vor der Kindererziehung versicherungspflichtig war, eine laufende Entgeltleistung nach SGB III bezogen hat oder eine als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geförderte Beschäftigung ausgeübt hat, die ein Versicherungspflichtverhältnis oder den Bezug einer laufenden Entgeltersatzleistung nach dem SGB III unterbrochen hat. Der hier ggf berücksichtigungsfähige Kindererziehungszeitraum kann aber erst mit der Geburt des Kindes am 7. Juni 2012 beginnen. Somit liegt jedenfalls kein Pflichtversicherungstatbestand in der Zeit zwischen dem 1. und 6. Juni 2012 vor, dh es wären allenfalls 359 Tage in einem Versicherungspflichtverhältnis erfüllt. Im Hinblick auf die vom Kläger begehrte längere Anspruchsdauer wegen Vollendung seines 50. Lebensjahres kann daher von vornherein dahinstehen, ob der Beklagten überhaupt ein Beratungsfehler anzulasten ist, zumal eine entsprechende Beratungspflicht im Juni 2012 (!) vorausgesetzt hätte, dass sich der Beklagten hätte aufdrängen müssen, dass der Kläger diese Gestaltungsmöglichkeit überhaupt in Anspruch hätte nehmen wollen (vgl zB BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 – B 7a AL 22/06 R - juris; Urteil vom 27. Juli 2004 = SozR 4-1200 § 14 Nr 5); hiervon ist indes ausgehend davon, dass die Erfüllung der Lebensaltersstufe noch mehr als ein Jahr in der Zukunft lag, sowie dem Vorbringen der Beteiligten und dem Inhalt der Gesprächsvermerke nicht auszugehen. Darüber hinaus ist die Erfüllung der Anwartschaftszeit in einer geänderten Rahmenfrist nicht herstellbar, wenn der Berechtigte - wie hier der Kläger - bereits tatsächlich Alg bis zur Anspruchserschöpfung bezogen hat. Der tatsächliche Leistungsbezug, der auch rechtmäßig gewesen ist, steht der Herstellung des rechtmäßigen Zustands entgegen, der bestünde, wenn der Kläger unmittelbar sein Wahlrecht dahingehend ausgeübt hätte, dass er erst später Anspruch auf Alg erhebt (vgl BSG, Urteil vom 11. Dezember 2014 – B 11 AL 2/14 R = SozR 4-4300 § 124 Nr 6 Rn 42).
Es fehlte überdies auch an der persönlichen Arbeitslosmeldung zum 1. Juli 2013, die hier deshalb erforderlich gewesen wäre, weil sich der Kläger mWv 1. April 2013 aus der Arbeitsvermittlung abgemeldet hatte und damit die Wirkung der vorherigen Arbeitslosmeldung nach Ablauf von sechs Wochen entfallen war (§ 141 Abs. 2 Nr 1 SGB III). Für die persönliche Arbeitslosmeldung kann nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom 19. März 1986 – 7 RAr 48/84 – und – 7 RAr 17/84 –; Beschluss vom 7. Mai 2009 – B 11 AL 72/08 B –) als geklärt angesehen werden, dass diese als tatsächliche Handlung gerade nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt oder vorverlegt werden kann, weil der Herstellungsanspruch den Versicherungsträger nur zu solchem Tun oder Unterlassen verpflichten kann, das rechtlich zulässig ist. Nach dieser Ansicht muss dieses Handeln zumindest in seiner wesentlichen Struktur im Gesetz vorgesehen sein, woran es aber für den Fall der persönlichen Arbeitslosmeldung fehlt. Im Kern liegt dem die Annahme zugrunde, die Arbeitslosmeldung unterliege als Tatsachenerklärung nicht den Gestaltungsmöglichkeiten einer Willenserklärung, weil sie keine Willenserklärung ist. Die gesetzlich geregelten tatsächlichen Anforderungen an die Arbeitslosigkeit – die fehlende persönliche Arbeitslosmeldung – können damit also in gesetzeskonformer Weise nicht fingiert werden.
Das Gericht sieht auch im Übrigen auch keinen Beratungsfehler der Beklagten. Es drängte sich seinerzeit aus objektiver Sicht keine offensichtlich auf der Hand liegende andere Gestaltungsmöglichkeit auf, über die die Beklagte den Kläger spätestens bis zu ihrer Entscheidung über den Alg-Antrag dahingehend hätte beraten müssen, den Antrag später zu stellen bzw eine Erklärung über die Anspruchsentstehung zu einem späteren Zeitpunkt abzugeben. Der Beklagten war zwar bei der Entscheidung über den Antrag bekannt, dass das dritte Kind geboren war (vgl auch Telefonvermerk vom 11. Juni 2012), auf den möglichen Bezug von Elterngeld durch den Kläger (tatsächlich bezog die Ehefrau diese Leistung) wies dieser indes nach seinem eigenen Vorbringen frühestens in dem Beratungsgespräch am 24. Juli 2012 hin. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte indes über den Alg-Anspruch bereits entschieden. Auf alle denkbaren Gestaltungsmöglichkeiten hat die Beklagte ohne konkreten Anlass nicht hinzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist die "Verschiebung" und die Dauer eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) im Zugunstenverfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X).
Der 1963 geborene Kläger war bis 31. Mai 2012 versicherungspflichtig beschäftigt. Er meldete sich am 4. Juni 2012 zum 1. Juni 2012 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg, das ihm die Beklagte mWv 1. Juni 2012 für die Dauer von 360 Tagen bewilligte (Bescheid vom 25. Juni 2012). Der Kläger bezog Alg bis zur Anspruchserschöpfung am 30. Mai 2013.
Unter dem 10. Mai 2013 beantragte der Kläger, der am 7. Juni 2012 Vater eines Sohnes geworden war, die Überprüfung der Alg-Bewilligung mit der Begründung, die Bezugsdauer hätte 15 Monate betragen, wenn er Alg erst ab 1. Juli 2013 nach Vollendung seines 50. Lebensjahres erhalten hätte. Die Zwischenzeit hätte er durch den Bezug von Elterngeld überbrücken können. Die Beklagte habe ihn nicht entsprechend beraten. Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 31. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2013 ab.
Im Klageverfahren hat der Kläger ua vorgetragen, am 24. Juli 2012 anlässlich einer persönlichen Vorsprache mit der Vermittlerin die Möglichkeit des Bezugs von Elterngeld anschließendem Alg angesprochen zu haben. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Gewährung von Alg erst für die Zeit ab 1. Juli 2013 gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 5. Februar 2016). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die ursprüngliche Alg-Bewilligung sei nicht zu beanstanden. Die vom Kläger begehrte Rechtsfolge könne nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs fingiert werden, weil für einen Alg-Bezug erst ab 1. Juli 2013 die Anwartschaftszeit nach § 142 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) nicht erfüllt sei. Weitere Versicherungszeiten ab 1. Juni 2012 hätten nur vorgelegen, wenn der Kläger mit dem Tag der Geburt seines dritten Kindes die Elternzeit angetreten hätte.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Auf seinen Schriftsatz vom 25. Mai 2016 wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Februar 2016 und den Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 25. Juni 2012 zu ändern und ihm Arbeitslosengeld für die Zeit ab 1. Juli 2013 für die Dauer von 15 Monaten zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 124 Abs. 1, 155 Abs. 2 und 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 31. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat gemäß § 44 SGB X keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 25. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2014 und Gewährung von Alg (erst) für die Zeit ab 1. Juli 2013 für die Dauer von 15 Monaten.
Anspruch auf Alg hat gemäß § 137 Abs. 1 SGB III in der ab dem 1. April 2012 geltenden und hier anwendbaren Fassung, wer (1.) arbeitslos ist, (2.) sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat und (3.) die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Sämtliche der genannten Anspruchsvoraussetzungen hatte der Kläger mWv 1. Juni 2012 – was zwischen den Beteiligten im Übrigen nicht streitig ist – erfüllt, so dass ihm für die Zeit ab 1. Juni 2012 Alg für die Dauer von 12 Monaten zu bewilligen war (vgl § 147 Abs. 2 SGB III idF des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl I 2854)). Bis zur Entscheidung über den Alg-Anspruch hatte der Kläger keine Bestimmung getroffen, dass der Anspruch nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll (vgl § 137 Abs. 2 SGB III).
Eine Änderung dieser bestandskräftigen Bewilligungsentscheidung kommt im Zugunstenverfahren nicht in Betracht, auch nicht auf der Grundlage eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, vgl zB Beschluss vom 16. Dezember 2008 – 4 AS 77/08 B – ; Urteile vom 15. Dezember 1994 – 4 RA 64/93 – und 24. April 2015 – B 4 AS 22/14 R – alle juris) zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder eines Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I)), verletzt hat. Dabei ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden können; (vgl BSG, Urteil vom 3. Dezember 2009 – B 11 AL 28/08 R – juris). Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch darf dem jeweiligen Gesetzeszweck also nicht widersprechen.
Einem – hier geltend gemachten - Anspruch des Klägers auf Alg ab 1. Juli 2013 steht bereits die fehlende Erfüllung der Anwartschaftszeit bezogen auf diesen Zeitpunkt entgegen. Voraussetzung für einen Anspruch auf Alg ist grundsätzlich die Belegung von zwölf Monaten innerhalb der Rahmenfrist von zwei Jahren, die mit dem Tag vor der Erfüllung aller Voraussetzungen für den Alg-Anspruch beginnt (§§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 SGB III). Die Rahmenfrist des § 142 Abs.1 SGB III liefe dann vom 1. Juli 2011 bis zum 30. Juni 2013. Ein Pflichtversicherungsverhältnis aufgrund einer abhängigen Beschäftigung gemäß den §§ 24, 25 SGB III liegt lediglich bis zum 31. Mai 2012 vor. Damit wäre die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Ein Versicherungspflichttatbestand liegt nach § 26 Abs. 2a SGB II zwar auch in Zeiten vor, in denen ein Kind, dass das 3. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, von einer Person erzogen wird, die unmittelbar vor der Kindererziehung versicherungspflichtig war, eine laufende Entgeltleistung nach SGB III bezogen hat oder eine als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geförderte Beschäftigung ausgeübt hat, die ein Versicherungspflichtverhältnis oder den Bezug einer laufenden Entgeltersatzleistung nach dem SGB III unterbrochen hat. Der hier ggf berücksichtigungsfähige Kindererziehungszeitraum kann aber erst mit der Geburt des Kindes am 7. Juni 2012 beginnen. Somit liegt jedenfalls kein Pflichtversicherungstatbestand in der Zeit zwischen dem 1. und 6. Juni 2012 vor, dh es wären allenfalls 359 Tage in einem Versicherungspflichtverhältnis erfüllt. Im Hinblick auf die vom Kläger begehrte längere Anspruchsdauer wegen Vollendung seines 50. Lebensjahres kann daher von vornherein dahinstehen, ob der Beklagten überhaupt ein Beratungsfehler anzulasten ist, zumal eine entsprechende Beratungspflicht im Juni 2012 (!) vorausgesetzt hätte, dass sich der Beklagten hätte aufdrängen müssen, dass der Kläger diese Gestaltungsmöglichkeit überhaupt in Anspruch hätte nehmen wollen (vgl zB BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 – B 7a AL 22/06 R - juris; Urteil vom 27. Juli 2004 = SozR 4-1200 § 14 Nr 5); hiervon ist indes ausgehend davon, dass die Erfüllung der Lebensaltersstufe noch mehr als ein Jahr in der Zukunft lag, sowie dem Vorbringen der Beteiligten und dem Inhalt der Gesprächsvermerke nicht auszugehen. Darüber hinaus ist die Erfüllung der Anwartschaftszeit in einer geänderten Rahmenfrist nicht herstellbar, wenn der Berechtigte - wie hier der Kläger - bereits tatsächlich Alg bis zur Anspruchserschöpfung bezogen hat. Der tatsächliche Leistungsbezug, der auch rechtmäßig gewesen ist, steht der Herstellung des rechtmäßigen Zustands entgegen, der bestünde, wenn der Kläger unmittelbar sein Wahlrecht dahingehend ausgeübt hätte, dass er erst später Anspruch auf Alg erhebt (vgl BSG, Urteil vom 11. Dezember 2014 – B 11 AL 2/14 R = SozR 4-4300 § 124 Nr 6 Rn 42).
Es fehlte überdies auch an der persönlichen Arbeitslosmeldung zum 1. Juli 2013, die hier deshalb erforderlich gewesen wäre, weil sich der Kläger mWv 1. April 2013 aus der Arbeitsvermittlung abgemeldet hatte und damit die Wirkung der vorherigen Arbeitslosmeldung nach Ablauf von sechs Wochen entfallen war (§ 141 Abs. 2 Nr 1 SGB III). Für die persönliche Arbeitslosmeldung kann nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteile vom 19. März 1986 – 7 RAr 48/84 – und – 7 RAr 17/84 –; Beschluss vom 7. Mai 2009 – B 11 AL 72/08 B –) als geklärt angesehen werden, dass diese als tatsächliche Handlung gerade nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt oder vorverlegt werden kann, weil der Herstellungsanspruch den Versicherungsträger nur zu solchem Tun oder Unterlassen verpflichten kann, das rechtlich zulässig ist. Nach dieser Ansicht muss dieses Handeln zumindest in seiner wesentlichen Struktur im Gesetz vorgesehen sein, woran es aber für den Fall der persönlichen Arbeitslosmeldung fehlt. Im Kern liegt dem die Annahme zugrunde, die Arbeitslosmeldung unterliege als Tatsachenerklärung nicht den Gestaltungsmöglichkeiten einer Willenserklärung, weil sie keine Willenserklärung ist. Die gesetzlich geregelten tatsächlichen Anforderungen an die Arbeitslosigkeit – die fehlende persönliche Arbeitslosmeldung – können damit also in gesetzeskonformer Weise nicht fingiert werden.
Das Gericht sieht auch im Übrigen auch keinen Beratungsfehler der Beklagten. Es drängte sich seinerzeit aus objektiver Sicht keine offensichtlich auf der Hand liegende andere Gestaltungsmöglichkeit auf, über die die Beklagte den Kläger spätestens bis zu ihrer Entscheidung über den Alg-Antrag dahingehend hätte beraten müssen, den Antrag später zu stellen bzw eine Erklärung über die Anspruchsentstehung zu einem späteren Zeitpunkt abzugeben. Der Beklagten war zwar bei der Entscheidung über den Antrag bekannt, dass das dritte Kind geboren war (vgl auch Telefonvermerk vom 11. Juni 2012), auf den möglichen Bezug von Elterngeld durch den Kläger (tatsächlich bezog die Ehefrau diese Leistung) wies dieser indes nach seinem eigenen Vorbringen frühestens in dem Beratungsgespräch am 24. Juli 2012 hin. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte indes über den Alg-Anspruch bereits entschieden. Auf alle denkbaren Gestaltungsmöglichkeiten hat die Beklagte ohne konkreten Anlass nicht hinzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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