Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 19 AL 2459/99
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7/10 AL 184/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11a AL 73/05 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 27. April 2004 wird zurückgewiesen.
II. Der Bescheid der Beklagten vom 9. September 2005 wird aufgehoben.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Eintritt einer Sperrzeit von 12 Wochen im Streit.
Die 1943 geborene Klägerin war ausweislich der Verwaltungsakte der Beklagten von 1952 bis 1995 in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen als Buchhalterin und in der Zeit vom 1. Februar 1995 bis 25. Juni 1995 arbeitslos im Leistungsbezug. Es folgte eine Teilzeitbeschäftigung bei der Firma B. GmbH/E. vom 26. Juni 1995 bis zum 15. November 1995 mit anschließender Arbeitslosigkeit bis zur Aufnahme einer Beschäftigung bei der Firma P. GmbH in F. als Bürohilfe. Hier erzielte die Klägerin, die zuvor bei der Firma B. GmbH zu einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von 3.532,00 DM bei 130 Arbeitsstunden beschäftigt war, in der Zeit vom 17. März bis 31. März 1998 ein Bruttoarbeitsentgelt von 1.069,50 DM und vom 1. bis 15. April 1998 ein solches von 1.124,83 DM bei einer 38,5 Stundenwoche. Dieses Arbeitsverhältnis endete ausweislich der Arbeitsbescheinigung durch Kündigung der Klägerin zum 15. April 1998. Am selben Tag nahm die Klägerin eine Beschäftigung als Buchhalterin bei der Firma D. GmbH in F. mit einem Bruttoentgelt von 4.895,00 DM bei einer 38,5 Stundenwoche auf. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers vom 29. Dezember 1998 war das Arbeitsverhältnis bei Abschluss des Arbeitsvertrages bis zum 31. Dezember 1998 befristet. Vom 1. Januar 1999 bis zum 25. Januar 1999 war die Klägerin arbeitsunfähig mit Bezug von Krankengeld und meldete sich am 25. Januar 1999 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg) aus ihrem Restanspruch von 37 Tagen. Mit Bescheid vom 17. Februar 1999 stellte die Beklagte den Eintritt einer 12-wöchigen Sperrzeit vom 16. April 1998 bis 8. Juli 1998 fest. Alg könne nicht mehr gezahlt werden, weil der Anspruch wegen der Sperrzeit erschöpft sei. Die Klägerin habe ihr Beschäftigungsverhältnis bei der Firma P. GmbH selbst aufgegeben und die Arbeitsaufgabe sei für den Eintritt der Arbeitslosigkeit ursächlich geblieben, denn das Anschluss-Arbeitsverhältnis sei von vornher befristet gewesen. Die Klägerin widersprach am 3. März 1999 mit der Begründung, sie habe den Arbeitsvertrag mit der Firma P. GmbH in einer Zwangslage zu sehr schlechten Bedingungen und zudem unter Vereinbarung einer Probezeit von einem halbem Jahr vereinbart.
Mit Bescheid vom 25. Juni 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück; die Klägerin habe ihre Arbeitslosigkeit ab dem 1. Januar 1999 selbst herbeigeführt und auch keinen wichtigen Grund für die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Firma P. GmbH gehabt. Auf die Begründung im Einzelnen wird Bezug genommen.
Mit am 9. Juli 1999 beim Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) erhobener Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter und trug vor, von der Firma P. über die Arbeitsbedingungen getäuscht worden zu sein. Ihr späterer Arbeitgeber habe ihr schon nach wenigen Tagen aufgrund ihrer zufriedenstellenden Arbeit ein befristetes Stellenangebot unterbreitet, das später verlängert worden sei. Das neue Arbeitsverhältnis sei keineswegs unsicherer als das vorangegangene gewesen. Tatsächlich sei ihr von der Firma P. bereits am 6. oder 7. Tag während der Probezeit gekündigt worden.
Vom SG wurde die Klägerin persönlich gehört und der Klage mit Urteil vom 27. April 2004 stattgegeben. Der Klägerin habe ein wichtiger Grund im Sinne von § 144 Abs. 1 SGB III zur Seite gestanden. Die Kammer sah insoweit vor allem die unterschiedlichen finanziellen Arbeitsbedingungen in den betreffenden Arbeitsverhältnissen als einen derartigen wichtigen Grund an. Bei der Beurteilung sei die grundrechtlich geschützte Berufswahlfreiheit zu berücksichtigen. Die Auffassung der Beklagten negiere die im vergangenen Jahrzehnt eingetretenen Veränderungen in der Arbeitswelt und erschwere die berufliche Mobilität von Arbeitnehmern. Ein veränderungswilliger Arbeitnehmer habe regelmäßig nur die Wahl, den angebotenen befristeten Arbeitsvertrag zu schließen oder gar keinen (unter Bezugnahme auf Sozialgericht Duisburg vom 29. Oktober 2002, Info als 2003, S. 151, 153). Zur Berufsfreiheit des Arbeitnehmers gehöre daher vor allem auch, bei auf Dauer unzumutbaren Arbeitsbedingungen und der Aussicht auf einen Arbeitsplatz mit günstigeren Arbeitsbedingungen diese Chance ergreifen zu können, ohne dass bei Verlust des neuen Arbeitsplatzes arbeitslosenversicherungsrechtliche Sanktionen drohten (Bezugnahme auf Sozialgericht Fulda, Urteil vom 26. März 2003, Info also 2004, S. 71, 74). Die Klägerin habe bei der neuen Stelle nahezu das Doppelte des vorangegangenen Entgelts verdient und damit auch höhere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet, ohne dass ihr, die vor der erneuten Arbeitslosigkeit keinen neuen Anspruch auf Alg erworben habe, hieraus leistungsrechtliche Vorteile erwachsen seien. Mangels Antragstellung sei über einen evtl. Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nicht zu entscheiden. Auf die Entscheidungsgründe im Einzelnen wird ergänzend Bezug genommen.
Die Zustellung erfolgte am 22. Juli 2004.
Die Beklagte hat am 12. August 2004 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die Klägerin habe die wesentliche Ursache für den Eintritt der Arbeitslosigkeit gesetzt, denn bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrages habe sie nicht erwarten können, eine nicht nur vorübergehende wesentliche Verbesserung ihrer arbeitsvertraglichen Bedingungen zu erreichen. Der Eintritt der Arbeitslosigkeit bei Fristablauf sei angesichts der seinerzeit ungünstigen Arbeitsmarktsituation bereits höher als die Wahrscheinlichkeit auf eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gewesen. Die Klägerin habe ihre Arbeitslosigkeit auch zumindest grob fahrlässig herbeigeführt und ihr stehe auch kein wichtiger Grund für die Kündigung zur Seite. Das höhere Arbeitsentgelt könne einen wichtigen Grund zur Beendigung des unbefristeten Arbeitsverhältnisses nicht begründen, weil zugleich mit der finanziellen Besserstellung das Risiko der ohne weitere Kündigung eintretenden Beendigung des neuen Arbeitsverhältnisses verbunden gewesen sei. Der nur zeitweise finanziellen Besserstellung habe der absehbare Arbeitsplatzverlust und die damit einhergehende finanzielle Schlechterstellung gegenübergestanden. Das Arbeitsverhältnis bei der Firma P. GmbH sei nicht unzumutbar und die besseren Arbeitsbedingungen bei der Firma D. nur von kurzer Dauer gewesen. Das Risiko solcher Arbeitsplatzwechsel dürfe nicht auf die Versichertengemeinschaft abgewälzt werden. Die rechtspolitischen Ausführungen des SG verleugneten, dass es nicht Sinn von Politik und Arbeitsverwaltung sein könne, dass Beschäftigte sich in Arbeitslosigkeit manövrierten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 27. April 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen sowie den Bescheid vom 9. September 2005 aufzuheben.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 9. September 2005 hat die Beklagte den Bescheid vom 17. Februar 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 1999 abgeändert und den Eintritt der Sperrzeit für den Zeitraum 1. Januar 1999 bis 25. März 1999 festgestellt.
Die Klägerin hat im Berufungsverfahren einen befristeten Arbeitsvertrag der Firma D. GmbH vom 8. April 1998 mit einem Beendigungsdatum vom 15. Oktober 1998 sowie einen Verlängerungsvertrag vom 5. Oktober 1998 mit einem Beendigungsdatum vom 31. Dezember 1998 vorgelegt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III tritt eine Sperrzeit von 12 Wochen ein, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind vorliegend nicht zu Lasten der Klägerin erfüllt, wie das SG im angefochtenen Urteil zutreffend und überzeugend ausgeführt hat, weshalb der Senat sich die Entscheidungsgründe zur Vermeidung von Wiederholungen zu Eigen macht (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin unmittelbar nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der P. GmbH ein Anschlussarbeitsverhältnis bei der Firma D. GmbH hatte und damit im dazwischen liegenden Zeitraum auch nicht arbeitslos war. Da in § 121 Abs. 5 SGB III ausdrücklich bestimmt ist, dass eine Beschäftigung nicht wegen ihrer Befristung unzumutbar ist, führt die Handhabung der Beklagten in derartigen Fällen zu einem Wertungswiderspruch, wenn sie aus dem Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages die Sperrzeitsanktion ableitet, zumal die Sperrzeiten nach dem Willen des Gesetzgebers einheitlich mit dem Tag nach dem leistungsbegründenen Ereignis beginnen sollen (so überzeugend Niesel, SGB III, Kommentar, 3. Auflage 2005, § 144 Rz. 19 unter Hinweis auf BSG SozR 3-1500, § 144 Nr. 12 S. 26).
Der Klägerin ist darüber hinaus nicht vorzuwerfen, dass sie wegen der Befristung des neuen Arbeitsverhältnisses quasi "sehenden Auges" – gleichsam aufschiebend bedingt – das Risiko der Arbeitslosigkeit nach dem neuen Arbeitsverhältnis eingegangen und damit den Versicherungsfall bewusst herbeigeführt habe (dazu vgl. BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004 - Aktenzeichen: B 7 AL 98/03 R). Denn tatsächlich beweist der von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegte zweite befristete Arbeitsvertrag vom 5. Oktober 1998, dass nämlich keinesfalls eine Weiterbeschäftigung kategorisch ausgeschlossen gewesen ist.
In seinem einen vergleichbaren Sachverhalt betreffenden rechtskräftigen Urteil vom 15. April 2005 (L 7/10 AL 119/04) hat der Senat darüber hinaus noch Folgendes ausgeführt:
"Letztlich entscheidend ist nach Auffassung des erkennenden Senats in Fällen wie dem vorliegenden, dass die Auslegung der Sperrzeitregelung durch die Beklagte das Grundrecht der Arbeitslosen auf Freiheit der Berufswahl gem. Art. 12 Abs. 1 GG verletzen würde, welches die freie Wahl des Arbeitsplatzes garantiert und sich gegen alle staatlichen Maßnahmen richtet, welche diese Wahlfreiheit beschränken. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Staat den Einzelnen am Erwerb eines zur Verfügung stehenden Arbeitsplatzes hindert oder ihn zur Annahme eines bestimmten Arbeitsplatzes zwingt (vgl. Leibholz/Rinck/Hesselberger, Grundgesetz-Kommentar, 33. Lfg. 1998, Art. 12 Rz. 86 unter Bezugnahme auf BVerfGE 84, 146; 92, 150; 96, 163). Dabei kann der besondere Freiheitsraum, den Art. 12 Abs. 1 GG sichern will, auch durch Vorschriften berührt werden, die infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet sind, die Freiheit der Berufswahl mittelbar zu beeinträchtigen, obwohl sie keinen unmittelbar berufsregelnden Charakter tragen (Leibholz/Rinck/Hesselberger, a. a. O., Rz. 371 m. w.N.). Um eine solche Norm handelt es sich nach Ansicht des erkennenden Senats aber bei § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III jedenfalls dann, wenn man der Auslegung der Beklagten folgt. Der Eingriff in die Berufsfreiheit wäre deshalb nur dann hinzunehmen, wenn er durch überwiegende Gemeinschaftsinteressen, zu denen auch besondere sozialpolitische Vorstellungen und Ziele gehören, gedeckt ist (vgl. dies, a. a. O., Rz. 411). Die hier einschlägige Variante des § 144 SGB III soll die Versichertengemeinschaft vor willkürlicher Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen durch selbst herbeigeführte Versicherungsfälle schützen, weshalb die Regelung als solche grundsätzlich gerechtfertigt erscheint. Jedoch erfordert die von der Klägerin in Anspruch genommene "Grundrechtsaktivierung", dass nicht sie als Grundrechtsinhaber, sondern die Versichertengemeinschaft in derartigen Fällen wie dem vorliegenden ihre Interessen darlegen muss (so zu Recht Weber, Roland, Sperrzeit bei Anschlussarbeitsverhältnis, AuB 4/2004, S. 97 (99); siehe auch Schweiger, NZS 2002, S. 97). Dass der Versichertengemeinschaft durch das Verhalten der Klägerin aber tatsächlich ein - durch die Klägerin vorhersehbarer - Schaden entstanden sei, wurde von der Beklagten nicht dargetan und kann auch nicht generell unterstellt werden; denn das würde voraussetzen, dass verlassene Arbeitsplätze im Allgemeinen und der von der Klägerin verlassene Arbeitsplatz im Besonderen nicht wiederbesetzt werden bzw. wurde und dies der Klägerin hätte bewusst sein müssen. Davon kann indes keine Rede sein. Vorliegend ist deshalb kein Grund ersichtlich, der zugunsten der Versichertengemeinschaft gewichtiger ist als das Interesse der Klägerin an einer besser bezahlten Beschäftigung, die in der Regel zugleich ihre künftigen Vermittlungschancen verbessern dürfte, was wiederum im wohlverstandenen Interesse der Gemeinschaft liegt. Während diese Umstände zugleich zugunsten der Klägerin einen "wichtigen Grund" im Sinne des Gesetzes schaffen, vermag der Senat deshalb anderseits hier auch keine Fahrlässigkeit der Klägerin zu erkennen."
An diesen Überlegungen, die für den vorliegenden Fall ebenso gelten, hält der Senat fest.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und die Zulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 Ziff. 1 SGG.
II. Der Bescheid der Beklagten vom 9. September 2005 wird aufgehoben.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Eintritt einer Sperrzeit von 12 Wochen im Streit.
Die 1943 geborene Klägerin war ausweislich der Verwaltungsakte der Beklagten von 1952 bis 1995 in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen als Buchhalterin und in der Zeit vom 1. Februar 1995 bis 25. Juni 1995 arbeitslos im Leistungsbezug. Es folgte eine Teilzeitbeschäftigung bei der Firma B. GmbH/E. vom 26. Juni 1995 bis zum 15. November 1995 mit anschließender Arbeitslosigkeit bis zur Aufnahme einer Beschäftigung bei der Firma P. GmbH in F. als Bürohilfe. Hier erzielte die Klägerin, die zuvor bei der Firma B. GmbH zu einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von 3.532,00 DM bei 130 Arbeitsstunden beschäftigt war, in der Zeit vom 17. März bis 31. März 1998 ein Bruttoarbeitsentgelt von 1.069,50 DM und vom 1. bis 15. April 1998 ein solches von 1.124,83 DM bei einer 38,5 Stundenwoche. Dieses Arbeitsverhältnis endete ausweislich der Arbeitsbescheinigung durch Kündigung der Klägerin zum 15. April 1998. Am selben Tag nahm die Klägerin eine Beschäftigung als Buchhalterin bei der Firma D. GmbH in F. mit einem Bruttoentgelt von 4.895,00 DM bei einer 38,5 Stundenwoche auf. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers vom 29. Dezember 1998 war das Arbeitsverhältnis bei Abschluss des Arbeitsvertrages bis zum 31. Dezember 1998 befristet. Vom 1. Januar 1999 bis zum 25. Januar 1999 war die Klägerin arbeitsunfähig mit Bezug von Krankengeld und meldete sich am 25. Januar 1999 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg) aus ihrem Restanspruch von 37 Tagen. Mit Bescheid vom 17. Februar 1999 stellte die Beklagte den Eintritt einer 12-wöchigen Sperrzeit vom 16. April 1998 bis 8. Juli 1998 fest. Alg könne nicht mehr gezahlt werden, weil der Anspruch wegen der Sperrzeit erschöpft sei. Die Klägerin habe ihr Beschäftigungsverhältnis bei der Firma P. GmbH selbst aufgegeben und die Arbeitsaufgabe sei für den Eintritt der Arbeitslosigkeit ursächlich geblieben, denn das Anschluss-Arbeitsverhältnis sei von vornher befristet gewesen. Die Klägerin widersprach am 3. März 1999 mit der Begründung, sie habe den Arbeitsvertrag mit der Firma P. GmbH in einer Zwangslage zu sehr schlechten Bedingungen und zudem unter Vereinbarung einer Probezeit von einem halbem Jahr vereinbart.
Mit Bescheid vom 25. Juni 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück; die Klägerin habe ihre Arbeitslosigkeit ab dem 1. Januar 1999 selbst herbeigeführt und auch keinen wichtigen Grund für die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Firma P. GmbH gehabt. Auf die Begründung im Einzelnen wird Bezug genommen.
Mit am 9. Juli 1999 beim Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) erhobener Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter und trug vor, von der Firma P. über die Arbeitsbedingungen getäuscht worden zu sein. Ihr späterer Arbeitgeber habe ihr schon nach wenigen Tagen aufgrund ihrer zufriedenstellenden Arbeit ein befristetes Stellenangebot unterbreitet, das später verlängert worden sei. Das neue Arbeitsverhältnis sei keineswegs unsicherer als das vorangegangene gewesen. Tatsächlich sei ihr von der Firma P. bereits am 6. oder 7. Tag während der Probezeit gekündigt worden.
Vom SG wurde die Klägerin persönlich gehört und der Klage mit Urteil vom 27. April 2004 stattgegeben. Der Klägerin habe ein wichtiger Grund im Sinne von § 144 Abs. 1 SGB III zur Seite gestanden. Die Kammer sah insoweit vor allem die unterschiedlichen finanziellen Arbeitsbedingungen in den betreffenden Arbeitsverhältnissen als einen derartigen wichtigen Grund an. Bei der Beurteilung sei die grundrechtlich geschützte Berufswahlfreiheit zu berücksichtigen. Die Auffassung der Beklagten negiere die im vergangenen Jahrzehnt eingetretenen Veränderungen in der Arbeitswelt und erschwere die berufliche Mobilität von Arbeitnehmern. Ein veränderungswilliger Arbeitnehmer habe regelmäßig nur die Wahl, den angebotenen befristeten Arbeitsvertrag zu schließen oder gar keinen (unter Bezugnahme auf Sozialgericht Duisburg vom 29. Oktober 2002, Info als 2003, S. 151, 153). Zur Berufsfreiheit des Arbeitnehmers gehöre daher vor allem auch, bei auf Dauer unzumutbaren Arbeitsbedingungen und der Aussicht auf einen Arbeitsplatz mit günstigeren Arbeitsbedingungen diese Chance ergreifen zu können, ohne dass bei Verlust des neuen Arbeitsplatzes arbeitslosenversicherungsrechtliche Sanktionen drohten (Bezugnahme auf Sozialgericht Fulda, Urteil vom 26. März 2003, Info also 2004, S. 71, 74). Die Klägerin habe bei der neuen Stelle nahezu das Doppelte des vorangegangenen Entgelts verdient und damit auch höhere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet, ohne dass ihr, die vor der erneuten Arbeitslosigkeit keinen neuen Anspruch auf Alg erworben habe, hieraus leistungsrechtliche Vorteile erwachsen seien. Mangels Antragstellung sei über einen evtl. Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nicht zu entscheiden. Auf die Entscheidungsgründe im Einzelnen wird ergänzend Bezug genommen.
Die Zustellung erfolgte am 22. Juli 2004.
Die Beklagte hat am 12. August 2004 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, die Klägerin habe die wesentliche Ursache für den Eintritt der Arbeitslosigkeit gesetzt, denn bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrages habe sie nicht erwarten können, eine nicht nur vorübergehende wesentliche Verbesserung ihrer arbeitsvertraglichen Bedingungen zu erreichen. Der Eintritt der Arbeitslosigkeit bei Fristablauf sei angesichts der seinerzeit ungünstigen Arbeitsmarktsituation bereits höher als die Wahrscheinlichkeit auf eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gewesen. Die Klägerin habe ihre Arbeitslosigkeit auch zumindest grob fahrlässig herbeigeführt und ihr stehe auch kein wichtiger Grund für die Kündigung zur Seite. Das höhere Arbeitsentgelt könne einen wichtigen Grund zur Beendigung des unbefristeten Arbeitsverhältnisses nicht begründen, weil zugleich mit der finanziellen Besserstellung das Risiko der ohne weitere Kündigung eintretenden Beendigung des neuen Arbeitsverhältnisses verbunden gewesen sei. Der nur zeitweise finanziellen Besserstellung habe der absehbare Arbeitsplatzverlust und die damit einhergehende finanzielle Schlechterstellung gegenübergestanden. Das Arbeitsverhältnis bei der Firma P. GmbH sei nicht unzumutbar und die besseren Arbeitsbedingungen bei der Firma D. nur von kurzer Dauer gewesen. Das Risiko solcher Arbeitsplatzwechsel dürfe nicht auf die Versichertengemeinschaft abgewälzt werden. Die rechtspolitischen Ausführungen des SG verleugneten, dass es nicht Sinn von Politik und Arbeitsverwaltung sein könne, dass Beschäftigte sich in Arbeitslosigkeit manövrierten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 27. April 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen sowie den Bescheid vom 9. September 2005 aufzuheben.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 9. September 2005 hat die Beklagte den Bescheid vom 17. Februar 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 1999 abgeändert und den Eintritt der Sperrzeit für den Zeitraum 1. Januar 1999 bis 25. März 1999 festgestellt.
Die Klägerin hat im Berufungsverfahren einen befristeten Arbeitsvertrag der Firma D. GmbH vom 8. April 1998 mit einem Beendigungsdatum vom 15. Oktober 1998 sowie einen Verlängerungsvertrag vom 5. Oktober 1998 mit einem Beendigungsdatum vom 31. Dezember 1998 vorgelegt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III tritt eine Sperrzeit von 12 Wochen ein, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind vorliegend nicht zu Lasten der Klägerin erfüllt, wie das SG im angefochtenen Urteil zutreffend und überzeugend ausgeführt hat, weshalb der Senat sich die Entscheidungsgründe zur Vermeidung von Wiederholungen zu Eigen macht (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin unmittelbar nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der P. GmbH ein Anschlussarbeitsverhältnis bei der Firma D. GmbH hatte und damit im dazwischen liegenden Zeitraum auch nicht arbeitslos war. Da in § 121 Abs. 5 SGB III ausdrücklich bestimmt ist, dass eine Beschäftigung nicht wegen ihrer Befristung unzumutbar ist, führt die Handhabung der Beklagten in derartigen Fällen zu einem Wertungswiderspruch, wenn sie aus dem Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages die Sperrzeitsanktion ableitet, zumal die Sperrzeiten nach dem Willen des Gesetzgebers einheitlich mit dem Tag nach dem leistungsbegründenen Ereignis beginnen sollen (so überzeugend Niesel, SGB III, Kommentar, 3. Auflage 2005, § 144 Rz. 19 unter Hinweis auf BSG SozR 3-1500, § 144 Nr. 12 S. 26).
Der Klägerin ist darüber hinaus nicht vorzuwerfen, dass sie wegen der Befristung des neuen Arbeitsverhältnisses quasi "sehenden Auges" – gleichsam aufschiebend bedingt – das Risiko der Arbeitslosigkeit nach dem neuen Arbeitsverhältnis eingegangen und damit den Versicherungsfall bewusst herbeigeführt habe (dazu vgl. BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004 - Aktenzeichen: B 7 AL 98/03 R). Denn tatsächlich beweist der von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegte zweite befristete Arbeitsvertrag vom 5. Oktober 1998, dass nämlich keinesfalls eine Weiterbeschäftigung kategorisch ausgeschlossen gewesen ist.
In seinem einen vergleichbaren Sachverhalt betreffenden rechtskräftigen Urteil vom 15. April 2005 (L 7/10 AL 119/04) hat der Senat darüber hinaus noch Folgendes ausgeführt:
"Letztlich entscheidend ist nach Auffassung des erkennenden Senats in Fällen wie dem vorliegenden, dass die Auslegung der Sperrzeitregelung durch die Beklagte das Grundrecht der Arbeitslosen auf Freiheit der Berufswahl gem. Art. 12 Abs. 1 GG verletzen würde, welches die freie Wahl des Arbeitsplatzes garantiert und sich gegen alle staatlichen Maßnahmen richtet, welche diese Wahlfreiheit beschränken. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Staat den Einzelnen am Erwerb eines zur Verfügung stehenden Arbeitsplatzes hindert oder ihn zur Annahme eines bestimmten Arbeitsplatzes zwingt (vgl. Leibholz/Rinck/Hesselberger, Grundgesetz-Kommentar, 33. Lfg. 1998, Art. 12 Rz. 86 unter Bezugnahme auf BVerfGE 84, 146; 92, 150; 96, 163). Dabei kann der besondere Freiheitsraum, den Art. 12 Abs. 1 GG sichern will, auch durch Vorschriften berührt werden, die infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet sind, die Freiheit der Berufswahl mittelbar zu beeinträchtigen, obwohl sie keinen unmittelbar berufsregelnden Charakter tragen (Leibholz/Rinck/Hesselberger, a. a. O., Rz. 371 m. w.N.). Um eine solche Norm handelt es sich nach Ansicht des erkennenden Senats aber bei § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III jedenfalls dann, wenn man der Auslegung der Beklagten folgt. Der Eingriff in die Berufsfreiheit wäre deshalb nur dann hinzunehmen, wenn er durch überwiegende Gemeinschaftsinteressen, zu denen auch besondere sozialpolitische Vorstellungen und Ziele gehören, gedeckt ist (vgl. dies, a. a. O., Rz. 411). Die hier einschlägige Variante des § 144 SGB III soll die Versichertengemeinschaft vor willkürlicher Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen durch selbst herbeigeführte Versicherungsfälle schützen, weshalb die Regelung als solche grundsätzlich gerechtfertigt erscheint. Jedoch erfordert die von der Klägerin in Anspruch genommene "Grundrechtsaktivierung", dass nicht sie als Grundrechtsinhaber, sondern die Versichertengemeinschaft in derartigen Fällen wie dem vorliegenden ihre Interessen darlegen muss (so zu Recht Weber, Roland, Sperrzeit bei Anschlussarbeitsverhältnis, AuB 4/2004, S. 97 (99); siehe auch Schweiger, NZS 2002, S. 97). Dass der Versichertengemeinschaft durch das Verhalten der Klägerin aber tatsächlich ein - durch die Klägerin vorhersehbarer - Schaden entstanden sei, wurde von der Beklagten nicht dargetan und kann auch nicht generell unterstellt werden; denn das würde voraussetzen, dass verlassene Arbeitsplätze im Allgemeinen und der von der Klägerin verlassene Arbeitsplatz im Besonderen nicht wiederbesetzt werden bzw. wurde und dies der Klägerin hätte bewusst sein müssen. Davon kann indes keine Rede sein. Vorliegend ist deshalb kein Grund ersichtlich, der zugunsten der Versichertengemeinschaft gewichtiger ist als das Interesse der Klägerin an einer besser bezahlten Beschäftigung, die in der Regel zugleich ihre künftigen Vermittlungschancen verbessern dürfte, was wiederum im wohlverstandenen Interesse der Gemeinschaft liegt. Während diese Umstände zugleich zugunsten der Klägerin einen "wichtigen Grund" im Sinne des Gesetzes schaffen, vermag der Senat deshalb anderseits hier auch keine Fahrlässigkeit der Klägerin zu erkennen."
An diesen Überlegungen, die für den vorliegenden Fall ebenso gelten, hält der Senat fest.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und die Zulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 Ziff. 1 SGG.
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