L 7/10 AL 174/04

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 1 AL 4487/02
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7/10 AL 174/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2002 unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 25. Mai 2004 ganz aufgehoben.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist eine sechswöchige Sperrzeit im Streit.

Dem 1957 geborenen Kläger, der nach dem Akteninhalt bereits seit 1998 mit Unterbrechungen im Bezug von Arbeitslosenhilfe (Alhi) stand, wurde mit Schreiben vom 9. Oktober 2001 ein Stellenangebot im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bei der S. unterbreitet. Die Anforderungen waren beschrieben mit "Verschönerung, Erhöhung der Sicherheit und zusätzliche Serviceleistungen im Parkhausbereich und S-Bahn-Station in S.". Zu "Lohn" und "Gehalt" hieß es: "Nach Vereinbarung". Dem Antragsschreiben des Vereins vom 31. Oktober 2001 zufolge hatte sich der Kläger dort am 30. Oktober 2001 vorgestellt und erklärt, er könne aus finanziellen Gründen die Arbeit nicht annehmen. Hierzu gehört, erklärte der Kläger am 7. November 2001: "Zum einen ist mir der Verdienst zu gering. Des Weiteren möchte ich mich nicht in S. hinstellen und die Straße, bzw. Parks reinigen. Im Übrigen handelt es sich um Schichtarbeit, die ich ebenso ablehne (für dieses Gehalt). Diese Tätigkeit kann ich aus gesundheitlichen Gründen (Bandscheibenprobleme) nicht annehmen." Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Untersuchung durch ihren Ärztlichen Dienst. Dabei gelangte die Arbeitsamtsärztin Dr. H. am 31. Januar 2002 zu dem Ergebnis, dass dem Kläger mittelschwere Arbeiten vollschichtig im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen in der Tages- sowie Früh- und Spätschicht zumutbar seien. Die Arbeitsablehnung sei aus gesundheitlichen Gründen nicht gerechtfertigt gewesen.

Mit Bescheid vom 29. Mai 2002 stellte die Beklagte daraufhin den Eintritt einer Sperrzeit vom 31. Oktober 2001 bis zum 22. Januar 2002 fest. Dem Kläger sei eine Arbeit als Anleiter/Maßnahmeteilnehmer bei der S. im T. vom Arbeitsamt angeboten worden, dieses Arbeitsangebot sei zumutbar gewesen, der Kläger sei ferner über die Konsequenzen für ein verschuldetes Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses belehrt worden; auf den Bescheid im Einzelnen wird Bezug genommen (Bl. 544 f. der Verwaltungsakte). Der Kläger widersprach am 4. Juni 2002 mit der Begründung, es habe sich nicht um ein Arbeitsangebot gehandelt, sondern um eine Praktikanten-Vereinbarung mit einer befristeten Praktikumszeit vom 5. November 2001 bis 30. November 2001. Er legte dazu die Kopie einer entsprechenden Vereinbarung vom 29. Oktober 2001 vor. Durch fernmündliche Rücksprache am 27. September 2002 beim Verein S. brachte die Beklagte in Erfahrung, dass die Stelle mit 2.809,00 DM brutto zuzüglich Zulagen dotiert gewesen war und die Tätigkeit ab dem 1. Dezember 2001 beginnen sollte. Es sei üblich, dass der Tätigkeit ein Praktikum zur Erprobung vorangehe. Dem Kläger sei kein Praktikum angeboten worden, weil er die Stelle von vornherein abgelehnt habe. Dem ist der Kläger unter Hinweis auf den ihm ausgehändigten Praktikumsvertrag entgegengetreten. Es habe kein ordnungsgemäßes Arbeitsangebot vorgelegen, sondern nur eine fachpraktische Qualifizierung. Es sei ihm auch nicht erklärt worden, dass seine Leistung während des Praktikums weiterliefe. Tatsächlich sei als Beschäftigungsbeginn der November 2001 im Angebot angegeben gewesen, jedoch hätte der Arbeitsvertrag einen Beginn erst für den 1. Dezember 2002 vorsehen sollen.

Mit Bescheid vom 5. Dezember 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es habe sich um einen Vermittlungsvorschlag im Sinne des § 144 Abs. 1 SGB III mit dem Ziel des Eintritts in eine Beschäftigung gehandelt. Dies habe der Kläger abgelehnt. Ein wichtiger Grund für die Ablehnung sei nicht erkennbar. Auf den Bescheid im Einzelnen wird Bezug genommen (Bl. 615 ff. der Verwaltungsakte).

Mit seiner am 31. Dezember 2002 beim Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Man habe ihm keine Leistungen während der Erprobung zugesagt, tatsächlich seien ihm von der Beklagten auch keine Leistungen gewährt worden. Deshalb habe er "aus finanziellen Gründen" nicht an dieser Maßnahme teilnehmen können, er habe in dieser Zeit nämlich aushilfsweise Taxi fahren müssen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Vom SG wurde der Kläger persönlich gehört und der Klage mit Urteil vom 25. Mai 2004 insoweit teilweise stattgegeben, als die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden eine über 6 Wochen hinausgehende Sperrzeit festgestellt hatte. Bei dem Stellenangebot habe es sich um einen den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes, hinreichend konkretisiertes Angebot gehandelt. Die Praktikanten-Vereinbarung stünde dem nicht entgegen, denn dem Gesetz lasse sich nicht entnehmen, dass eine vor Einmündung in eine Festeinstellung vorgeschaltete Maßnahme nicht als Arbeitsangebot im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III zu werten wäre. Die Beklagte habe den Kläger nach Aktenlage auch hinreichend über die Rechtsfolgen der Ablehnung des Angebotes belehrt und der Kläger habe dennoch das Angebot nicht angenommen. Die Vermittlung in ein Arbeitsverhältnis, dem zunächst eine Praktikantenzeit vorausgehe, sei einem Arbeitslosen auch nicht generell unzumutbar, weshalb zugunsten des Klägers kein wichtiger Grund für die Ablehnung ersichtlich sei. Jedoch sei die Sperrzeit wegen einer besonderen Härte auf 6 Wochen zu verkürzen gewesen, da zugunsten des Klägers zunächst zu berücksichtigen sei, dass ihm nach seinen Angaben unbekannt gewesen sei, dass zunächst eine Praktikanten-Vereinbarung hätte abgeschlossen werden sollen. Zugunsten des Klägers sei weiter zu berücksichtigen, dass die in der Akte befindliche Praktikanten-Vereinbarung vom 29. Oktober 2001 keine Gehaltsregelung treffe. Die Wertung des Klägers in diesem Zusammenhang, dass sein Lebensunterhalt dann nicht sichergestellt sei, sei nicht zu beanstanden gewesen. Auch seine weitere Angabe, dass es hätte offen bleiben sollen, ob ein Arbeitsvertrag nach Abschluss des Praktikums abgeschlossen werden könne, sei ihm nicht zu widerlegen. Im Hinblick auf die damit verbundenen Unklarheiten sowie die dem Kläger zustehende EigenWertung des Sachverhaltes habe im vorliegenden Fall von einer besonderen Härte ausgegangen werden müssen. Dies werde durch die Angabe der Vertreterin der Beklagten zur mündlichen Verhandlung vom 25. Mai 2004 bestätigt, wonach eine Zuweisung zur S. im T. nur dann erfolge, wenn Interesse bestehe. Insofern sei von der Beklagten angegeben worden, dass der Kläger tatsächlich Interesse bekundet habe. Deshalb sei es dem Kläger offensichtlich nicht darum gegangen, die Arbeitsaufnahme zu vereiteln, sondern vielmehr darum, seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Dass dies gewährleistet gewesen wäre, hätte er allerdings ohne Weiteres durch einen Anruf bei der Beklagten erfahren können. Auf die Entscheidungsgründe im Einzelnen wird Bezug genommen.

Gegen dieses ihm am 30. Juni 2004 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 27. Juli 2004, zu deren Begründung der Kläger auf sein erstinstanzliches Vorbringen verweist und ergänzend vorträgt, es sei im Rahmen der Härtefallprüfung falsch, wenn das SG in seiner Entscheidung davon ausgehe, dass der Kläger ohne Weiteres durch einen Anruf bei der Beklagten hätte erfahren können, dass sein Lebensunterhalt während des Praktikums gesichert gewesen wäre. Das Gericht übersehe insoweit, dass dem Kläger zu dieser Zeit gar keine Leistung von der Beklagten gewährt worden sei, da gegen ihn bereits eine vorläufige Sperrzeit ausgesprochen gewesen sei. Hierauf habe der Kläger die Beklagte auch mehrfach aufmerksam gemacht (Bezugnahme auf Bl. 510 f. der Leistungsakte). Auch hierauf sei bisher nicht eingegangen worden. Ferner übersehe das Gericht, dass der Kläger eine der Beklagten bekannte Nebentätigkeit verrichtete, auf welche er mit Aufnahme des Praktikums hätte verzichten und damit seine letzte Einnahmequelle versiegen lassen müssen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2002 unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 25. Mai 2004 in vollem Umfang aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die angefochtene Entscheidung sei zutreffend. Es werde akzeptiert, dass die Sperrzeit wegen einer besonderen Härte auf 6 Wochen zu verkürzen sei. Die Einstellung der Zahlung von Arbeitslosenhilfe habe allein der Vermeidung einer Leistungsüberzahlung dienen sollen, weil im Zusammenhang mit der Arbeitsablehnung der Eintritt einer Sperrzeit geprüft worden sei. Der Kläger hätte während des vorgeschalteten Praktikums weiter Leistungen von der Beklagten erhalten, die Ausübung einer Nebentätigkeit könne nicht als wichtiger Grund für die Ablehnung der Arbeit anerkannt werden, zumal dies die Frage aufwerfe, ob überhaupt Verfügbarkeit vorliege.

Der Senat hat den Kläger persönlich gehört, der erklärte, er habe um 16:00 Uhr bei der S. vorgesprochen und bei dieser Gelegenheit erfahren, dass er sofort am nächsten Morgen um 8:00 Uhr mit dem Praktikum anfangen solle. Man habe ihm dann die Praktikantenvereinbarung vorgelegt, was ihn total überrascht habe, da er bis zu dieser Sekunde eigentlich von einem Arbeitsvertrag ausgegangen sei. Eine Klärung hinsichtlich möglicher Leistungsansprüche sei zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht mehr möglich gewesen. Wäre es ein Arbeitsvertrag gewesen, hätte er diesen selbstverständlich unterzeichnet. Auf die Niederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Senat ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig; insbesondere ist die Grenze einer Beschwer von 500,00 EUR gemäß § 144 Abs. 1 Ziffer 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) überschritten, denn im fraglichen Leistungszeitraum ergibt sich ein wöchentlicher Leistungssatz von 284,20 DM.

Die Berufung ist auch begründet.

Gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung tritt eine Sperrzeit von 12 Wochen dann ein, wenn der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Arbeit nicht angenommen oder nicht angetreten hat. Entgegen der Auffassung des SG im angefochtenen Urteil liegen diese Voraussetzungen tatsächlich nicht vor. Das dem Kläger unterbreitete Angebot enthielt nämlich keinerlei Hinweise auf den Umstand, dass es sich zunächst nur um einen Praktikumseinsatz handeln sollte. Das Arbeitsangebot muss im Hinblick auf die Rechtsfolgen aber hinreichend konkretisiert sein. Neben den im Gesetz genannten Mindestanforderungen sind insbesondere dann weitere Angaben erforderlich, wenn hinsichtlich des Arbeitsplatzes Besonderheiten oder unübliche Arbeitsbedingungen bestehen; konkrete Angaben über das Arbeitsentgelt sind ebenfalls erforderlich (so zutreffend Niesel in SGB III, Kommentar, 3. Auflage, § 144 Randziffer 54). Damit liegen die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit schon tatbestandlich nicht vor.

Selbst wenn man jedoch entgegen dieser Auffassung mit dem SG das Vorliegen dieser Voraussetzung des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III annehmen wollte, stünde dem Kläger jedenfalls ein wichtiger Grund für sein Verhalten zur Seite. Eine Sperrzeit soll nur dann eintreten, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft bzw. der Allgemeinheit ein anderes Verhalten zugemutet werden kann. Letztlich ist für die Anerkennung eines wichtigen Grundes die Schutzbedürftigkeit des Arbeitslosen in seiner konkreten Situation entscheidend (vgl. Niesel, a.a.O., Randziffer 77 – m.w.N.). Insoweit ist zu beachten, dass gemäß § 121 Abs. 3 SGB III eine Beschäftigung auch bei Langzeitarbeitslosen dann nicht zumutbar ist, wenn das daraus erzielbare Nettoeinkommen unter Berücksichtigung der mit der Beschäftigung zusammenhängenden Aufwendungen niedriger ist als das Arbeitslosengeld. Das war vorliegend jedoch der Fall, da das Praktikum ohne jegliches Arbeitsentgelt abgeleistet werden und die Beklagte solange mit ihren Leistungen eintreten sollte. Dadurch wird hinreichend deutlich, dass es sich letztlich um eine Art Trainingsmaßnahme oder eine Maßnahme zur beruflichen Eingliederung im Sinne des § 144 Abs. 1 Ziffer 3 SGB III, nicht jedoch um ein Arbeitsangebot gemäß Ziffer 2 gehandelt hat. Auch das SG hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass die in der Akte befindliche Praktikantenvereinbarung vom 29. Oktober 2001 keine Gehaltsregelung traf und dass das Gericht dem Kläger deshalb nicht widerlegen könne, dass dieser davon ausging, dass eine Gehaltszahlung nicht erfolgen würde. Auch sei die Wertung des Klägers in diesem Zusammenhang, dass nämlich sein Lebensunterhalt dann nicht sichergestellt sei, nicht zu beanstanden. Anders als das SG sieht der erkennende Senat in diesen Umständen jedoch keine besondere Härte, sondern das Vorliegen eines wichtigen Grundes als gegeben an.

Fest steht jedenfalls, dass der Kläger sich bei dem potentiellen Arbeitgeber gemeldet hat und dort erfahren musste, dass es sich nicht um die ihm konkret benannte Tätigkeit handelte. Wenn die Beklagte dem Kläger insoweit anlastet, dieser hätte sich noch am selben Nachmittag bei ihr wegen der fraglichen Fortsetzung der Leistungsgewährung erkundigen können, ändert dies am Fehlen der tatbestandlichen Voraussetzungen nichts, sondern die Beklagte konstruiert damit einen neuen, weder im Gesetz selbst noch in der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG) anerkannten Sperrzeitgrund genereller Vorwerfbarkeit eines vielleicht tatsächlich nicht völlig kooperativen Verhalten eines Arbeitslosen. Wenn das BSG eine Tatbestandsverwirklichung durch lediglich "vorwerfbares Verhalten" angenommen hat, betraf dies jedoch einen ganz anders gearteten Sachverhalt, in welchem nämlich der Arbeitslose nach vorheriger Kontaktaufnahme mit dem Arbeitgeber wegen Überlastung durch eine Vielzahl von Angeboten "vergaß", sich vorzustellen (BSG v. 14.7.2004 - B 11 AL 67/03 R). Davon kann vorliegend jedoch keine Rede sein, zumal der Kläger glaubhaft darlegen konnte, am Spätnachmittag nach 16:00 Uhr keine Gelegenheit mehr zur telefonischen Rücksprache mit der Beklagten gesehen zu haben, und der Beklagten selbst Fehler beim Vermittlungsvorschlag unterlaufen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Ziffern 1 und 2 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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