L 1 KR 1610/98

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 16/6/10/20 J 3257/94
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 1610/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 12. Januar 1998 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu er- statten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch in Höhe von 11.499,22 DM geltend.

Die Klägerin hatte dem Beigeladenen, der seit dem 2. Juni 1992 arbeitsunfähig erkrankt war, ab dem 14. Juli 1992 Krankengeld gewährt. Den Antrag des Beigeladenen vom 14. Dezember 1992 auf Bewilligung von Rehabilitationsleistungen deutete die Beklagte mit Schriftsatz vom 29. Juni 1993 in einen Rentenantrag um. Vorsorglich meldete die Klägerin daraufhin mit Schriftsatz vom 8. September 1993 einen Erstattungsanspruch bei der Beklagten an, da der Anspruch auf Krankengeld nachträglich für die Zeit entfalle, in der Rente oder Übergangsgeld erbracht werde. Mit Bescheid vom 11. November 1993 bewilligte die Beklagte dem Beigeladenen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit rückwirkend ab dem 1. Dezember 1992. Der Rentenbescheid enthält die Feststellung, für die Zeit vom 1. Dezember 1992 bis zum 31. Dezember 1993 betrage die Nachzahlung 26.764,01 DM. Mit Schreiben vom 13. Dezember 1993 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Abrechnung des Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V i.V.m. § 103 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialdatenschutz und Sozialverwaltungsverfahren – SGB X in Höhe von 23.585,73 DM geltend.

Mit Schreiben vom 9. Dezember 1993 und vom 8. Februar 1994 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie lehne eine Erfüllung des geltend gemachten Erstattungsanspruchs ab, da sie selbst einen Aufrechnungsanspruch gegenüber dem Beigeladenen habe. Obgleich dessen Ehefrau am 11. Mai 1979 verstorben sei, habe dieser deren Rente bis zum 31. Oktober 1993 weiter auf sein Bankkonto erhalten und verbraucht. Der Beigeladene sei mit Schreiben vom 1. Dezember 1993 zur beabsichtigten Aufrechnung angehört worden. Die Aufrechnung gehe dem Erstattungsanspruch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vor, da der Bereicherungsanspruch gegenüber dem Beigeladenen bereits 1979 entstanden sei.

Mit Bescheid vom 9. März 1994 rechnete die Beklagte gegenüber dem Beigeladenen den Rückforderungsbetrag von 74.591,08 DM auf, und zwar derart, dass von der monatlich zu zahlenden Erwerbsunfähigkeitsrente ab dem 1. Mai 1994 monatlich 858,84 DM zur Tilgung einbehalten wurden und für den Nachzahlungszeitraum zur Hälfte aufgerechnet wurde (12.086,46 DM).

Die zweite Hälfte der Nachzahlung leitete die Beklagte an die Klägerin in (Teil) Erfüllung des geltend gemachten Erstattungsanspruchs weiter.

Die Klägerin hat am 16. September 1994 Klage erhoben und vorgetragen, ihr Erstattungsanspruch sei mit der Leistung von Krankengeld für die Zeit vom 1. Dezember 1992 bis zum 13. November 1993 entstanden. Die Anmeldung für den Erstattungsanspruch sei vorsorglich am 8. September 1993 und endgültig am 13. Dezember 1993 erfolgt. Die Aufrechnung sei ihr gegenüber mit Schreiben vom 8. Februar 1994 erklärt worden. Erst mit der Erklärung gemäß § 388 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) werde die Aufrechnung indes wirksam. Der allgemeine Erstattungsanspruch gehe somit dem Aufrechnungsanspruch vor.

Das Sozialgericht hat hinsichtlich des verfügbaren Einkommens des Beigeladenen Auskünfte der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVAG vom 9. Oktober 1997 sowie von der Bau-Berufsgenossenschaft vom 28. Oktober 1997 eingeholt.

Mit Urteil vom 12. Januar 1998 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 11.499,25 DM zu zahlen. In den Entscheidungsgründen hat das Gericht ausgeführt, die Klage sei nach § 103 SGB X begründet, und sich dabei auf die frühere Rechtsprechung des BSG zu § 183 Abs. 3 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) berufen. Nach dieser Rechtsprechung bringe die von einem Rentenversicherungsträger erklärte Aufrechnung mit Beitragsrückständen den Nachzahlungsanspruch auf Rente jedenfalls insoweit nicht zum Erlöschen, als die Krankenkasse die Rentennachzahlung für sich beanspruche. Der Forderungsübergang nach § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO gehe einer nach § 1299 RVO bestehenden Aufrechnungsmöglichkeit vor. Während der Rentenversicherungsträger sich nämlich uneingeschränkt an die noch laufende Rente halten könne, sei die Krankenkasse auf den Nachzahlungsanspruch angewiesen. Für diesen Teil des Rentenanspruchs enthalte § 183 Abs. 2 Satz 3 RVO mithin die speziellere Regelung. Für den vorliegenden Fall halte das Gericht an dieser alten Rechtsprechung des BSG bei der Auslegung des § 103 SGB X und der Frage der Drittwirkung der Aufrechnung fest, da die wirtschaftliche Interessenlage maßgeblich sein müsse und die Klägerin nicht die Bürde tragen müsse, Schulden des Beigeladenen gegenüber der Beklagten zu tilgen. Der Erstattungsanspruch der Klägerin sei nicht mit einem gleichzeitigen Rückforderungsanspruch gegen den Beigeladenen verbunden gewesen, was aber bei den meisten Konkurrenz- und Prioritätsstreitigkeiten der Fall sei. Der Beklagten sei der Rückforderungsanspruch gegen den Beigeladenen verblieben, die Klägerin habe prinzipiell keinen. Bei einem anderen Ergebnis würde das System der Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff. SGB X praktisch unterlaufen und funktionsunfähig gemacht, da die vorleistenden Träger zur eigenen finanziellen Absicherung Zuflucht nehmen müssten zu Abtretungen seitens der Versicherten und zu Prüfungen von deren Bedürftigkeit bei Vorleistung und zu zusätzlichen Rückforderungsbescheiden, was alles durch die §§ 102 ff. SGB X vermieden werden solle. Schließlich verstoße die Beklagte zu ihren eigenen Gunsten und zum Nachteil der Klägerin gegen das Gebot der engen Zusammenarbeit nach § 86 SGB X, indem sie sich hier vorrangig befriedige, obgleich sie die Höhe der Rückforderung gegenüber dem Beigeladenen in zweifacher Hinsicht mitverschuldet habe (Tod 1979, Weiterzahlung trotz Arztanfrage; falsche Höhe des monatlichen Einbehaltungsbetrages wegen grob fahrlässiger Nichtanrechnung der weiteren Bezüge des Beigeladenen von der Berufsgenossenschaft und der ZVK).

Gegen das ihr am 30. März 1998 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28. April 1998 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt. Sie trägt vor, ihr Vorgehen entspreche der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 26. September 1991 – 4/1 RA 33/90). Danach sei eine Anspruchskonkurrenz mit Erstattungsansprüchen nach dem Prioritätsprinzip zu lösen, d.h. vorrangig sei der Anspruch zu erfüllen, der zeitlich früher entstanden sei. Dabei sei nicht die Aufrechnungserklärung maßgeblich, sondern die Aufrechnungslage. Gemäß § 389 BGB würden die Forderungen, soweit sie sich decken, schon zu dem Zeitpunkt als erloschen gelten, in welchem sie sich als zur Aufrechnung geeignet einander gegenüber traten, die Aufrechnungslage also bestand. Das dadurch entstehende – sozialpolitisch missliche – Ergebnis werde auch von ihr gesehen und bedauert. Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung vom 26. September 1991 dieses Ergebnis aber gesehen und eine Änderung ausdrücklich als "Sache des Gesetzgebers" bezeichnet.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 12. Januar 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Auffassung des Sozialgerichts im Ergebnis für zutreffend. Gesetzeszweck der Erstattungsansprüche sei Doppelleistungen mit Lohnersatzfunktion an Versicherte auszuschließen. Die Krankenkasse solle dafür entschädigt werden, dass sie für den eigentlich verpflichteten Träger der Rentenversicherung eingesprungen sei, weil die Rente noch nicht bewilligt war. Letzteres Ziel werde dann nicht erreicht, wenn der Gesetzgeber dies ausdrücklich für bestimmte Fallkonstellationen ausgeschlossen habe, wie beispielsweise bei der Anwendung des § 111 SGB X. Eine solche gesetzgeberische Entscheidung gebe es bei der vorliegenden Fallgestaltung jedoch nicht. Um also die aufgezeigten Ziele zu erreichen, müsse der Forderungsübergang nach § 103 Abs. 1 SGB X einer Aufrechnungsmöglichkeit nach dem § 812 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vorgehen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die Gerichtsakte, sowie die Verwaltungsunterlagen der Klägerin und die Rentenakte der Beklagten verwiesen, die zum Verfahren beigezogen worden waren.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die Berufung der Beklagten ist zulässig; sie ist form- und fristgerecht erhoben und an sich statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 151 Abs. 1 SGG).

In der Sache kann die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben. Das erstinstanzliche Gericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, an die Klägerin auch den restlichen Erstattungsanspruch in Höhe von 11.499,55 DM zu zahlen.

Die von der Klägerin erhobene allgemeine Leistungsklage ist nach § 54 Abs. 5 SGG zulässig gewesen (vgl. Kater in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band II, Stand: 1. September 2003, § 114 SGB X Rdnr. 11).

Die Verpflichtung der Beklagten zur Erfüllung des mit der Klage geltend gemachten restlichen Erstattungsanspruchs der Klägerin ergibt sich aus § 103 SGB X. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Klägerin nicht aufgrund eines vorrangigen Aufrechnungsanspruchs der Beklagten an der Durchsetzung des Erstattungsanspruchs gehindert.

§ 103 SGB X regelt den finanziellen Ausgleich zwischen einem endgültig zu einer Sozialleistung verpflichteten Sozialleistungsträger und einem Träger, der zunächst zu der Leistung verpflichtet war, dessen Leistungsverpflichtung aber später ganz oder teilweise entfallen ist. Der Träger, der die Leistung erbracht hat, soll im Nachhinein möglichst so gestellt werden, wie er gestanden hätte, wenn die entsprechende Leistung vom letztlich verpflichteten Träger sofort erbracht worden wäre. Gemeint ist dabei eine gleichartige zeitgleiche und zweckidentische Leistung, deren doppelte Erbringung § 103 gerade zu vermeiden bezweckt (vgl. Kater, a.a.O., § 103 SGB X Rdnr. 2 und 28). Der originäre Erstattungsanpruch des Berechtigten gegen den zuständigen Leistungsträger schließt indes im Regelfall einen Anspruch des Erstattungsberechtigten gegen den Leistungsempfänger nach § 50 SGB X i.V.m. §§ 45, 48 SGB X aus (Kater,a.a.0.,.§ 103 Rdnr.64 ff).

Vorliegend ist die Verpflichtung der Klägerin zur Leistung von Krankengeld gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB V nachträglich zum 1. Dezember 1992, d.h. mit Beginn der von der Beklagten bewilligten Rente wegen Erwerbsminderung entfallen. Der Anspruch nach § 103 SGB X entsteht dabei mit Bekanntgabe des leistungsgewährenden Bescheides des leistungspflichtigen Leistungsträgers an den Leistungsberechtigten (vgl. Kater, a.a.O., § 111 Rdnr. 32 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung) und ist hier mit der Bekanntgabe des Rentenbescheides vom 11. November 1993 an den Beigeladenen entstanden.

Die von der Beklagten geltend gemachte Aufrechnung einer eigenen Forderung gegen die Rentennachzahlung des Beigeladenen wirkt sich auf die Höhe des Erstattungsanspruches bzw. auf sein Bestehen nicht aus.

Das allgemeine Konkurrenzverhältnis von Erstattungsansprüchen im Verhältnis zu anderen Verfügungen ist gesetzlich nicht geregelt. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 26. September 1991 – 4/1 RA 33/90 - m.w.N.) beurteilt sich das Verhältnis eines Erstattungsanspruchs nach den § 103, 104 SGB X zur Leistungsverpflichtung des eigentlich zuständigen Leistungsträgers aufgrund einer (Voraus-)Verfügung über den Sozialleistungsanspruch wie der Abtretung (§ 53 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - SGB I), der Verpfändung (§ 53 SGB I), der Pfändung (§ 54 SGB I) und entsprechend der Verrechnung (§ 52 SGB I) nach dem sog. Prioritätsprinzip. Vorrangig soll derjenige Anspruch zu erfüllen sein, dessen Anspruchsgrund zeitlich früher entstanden ist, weil auf den Sozialleistungsanspruch nur in dem Umfang zugegriffen werden könne, in dem ihn der Leistungsberechtigte noch hätte durchsetzen können. Der Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers bestehe nur in Höhe des um die zeitlich vorher wirksam entstandenen Belastungen geminderten Anspruchs des Berechtigten gegen den vorrangig verpflichteten Leistungsträger; denn durch die §§ 53 bis 55 SGB I seien Sozialleistungsansprüche in erweitertem Umfang dem Rechtsverkehr bzw. dem Gläubigerzugriff zugänglich gemacht worden. Dieses Ziel würde vereitelt, wenn Sozialleistungen mit Erstattungsansprüchen belastet würden, bevor letztere überhaupt entstanden seien und sich ein Eingreifen des Sozialhilfeträgers abzeichne (BSG, Beschluss vom 22. Juni 1988 - 1 S 4/87 -). Aus der in § 107 Abs. 1 SGB X bestimmten Erfüllungsfiktion lasse sich ein allgemeiner Vorrang des Anspruchs eines Sozialhilfeträgers nicht ableiten, § 107 Abs. 1 SGB X erfasse nicht einen gemäß § 53 SGB I wirksam abgetretenen Teil des Anspruchs gegen den vorrangig verpflichteten Leistungsträger, weil die Erfüllungsfiktion dem Grunde und der Höhe nach das Bestehen eines Erstattungsanspruchs voraussetze und aus dem bloßen Erheben eines Erstattungsanspruchs nicht im Umkehrschluss auf eine Erfüllungsfiktion geschlossen werden könne (BSG, Urteil vom 26. September 1991, a.a.O.).

Nach Auffassung der Beklagten ist vorliegend unter Anwendung dieser Rechtsprechung ihr eigener Anspruch gegenüber dem Beigeladenen aus der Rentennachzahlung vorrangig zu erfüllen, da nach der Rechtsprechung des BSG der Zeitpunkt der Aufrechnungslage maßgeblich sei und der Anspruchsgrund für ihren Anspruch gegen den Beigeladenen schon mit Rentenbeginn am 1. Dezember 1992 und damit vor dem Erstattungsanspruch vorgelegen habe.

Ob der Aufrechnungsanspruch der Beklagten hier tatsächlich zeitlich früher entstanden ist bzw. eine wirksame Vorausverfügung über die Rentennachzahlung vorliegt, obgleich die Aufrechnungserklärung gegenüber dem Beigeladenen (dem anderen Teile, § 388 BGB) erst im März 1994 und damit nach dem Entstehen und der Anmeldung des Erstattungsanspruchs erklärt worden ist, kann dahinstehen. Die Beklagte kann sich jedenfalls gegenüber der Klägerin nicht darauf berufen, die Rentennachzahlung sei mit dem eigenen Aufrechnungsanspruch der Beklagten belastet. Nach Auffassung des Senats kann das Prioritätsprinzip bei einer Sachverhaltsgestaltung wie im vorliegenden Fall nicht angewandt werden. Das BSG selbst hat in bestimmten Fällen Einschränkungen zugelassen und das Prioritätsprinzip durchbrochen. So soll der Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X in jedem Fall Vorrang haben vor dem Anspruch auf Abzweigung nach § 48 SGB I (BSG, Urteil vom 25. April 1990 - 5 RJ 12/89 -), was das BSG mit dem Sinn und Zweck der betreffenden Vorschriften begründet hat. Außerdem soll sich das Prioritätsprinzip nur dann auswirken, wenn die Vorausverfügung in Anwendung der §§ 52 bis 54 SGB I wirksam gewesen ist (vgl. u.a. BSGE 70, 186, 191; Kater, a.a.O., § 104 Rdnr. 47 ff.). In der BSG-Entscheidung vom 14. Februar 1991 (8 RKN 14/89) wird hinsichtlich des Prioritätsprinzips zudem ausdrücklich offen gelassen, ob dieses auch dann zu gelten habe, wenn Rentenempfänger und Kreditgeber in Kenntnis des bevorstehenden Eintritts der Sozialhilfebedürftigkeit bei der Vergabe eines Kredits zum Nachteil des später leistungspflichtig werdenden Fürsorgeträgers zusammenwirken.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den Sachverhalten, auf die das BSG das Prioritätsprinzip nach seiner bisherigen Rechtssprechung angewandt hat, dadurch, dass nicht zu klären ist, ob der endgültig zuständige Leistungsträger die Forderung des (nachträglich) unzuständigen Leistungsträgers oder die eines Dritten vorrangig erfüllen muss. Vielmehr geht es um das Verhältnis einer eigenen Forderung des endgültig verpflichteten Leistungsträgers zu der Forderung des Erstattungsberechtigten im Hinblick auf die Rentennachzahlung. Zu Recht hat das Sozialgericht auf den Wertungswiderspruch hingewiesen, der entsteht, wenn der Aufrechnungsanspruch der Beklagten bei einer solchen Konstellation vorrangig ist; wirtschaftlich gesehen würde dann die Krankenkasse als Träger der Sozialversicherung für die aufrechnungsweise getilgte Verpflichtung des Versicherten aufkommen, obgleich der Rentenversicherungsträger auf die Aufrechnung mit der Rentennachzahlung nicht angewiesen ist; denn im Gegensatz zur Krankenkasse ist er zur Befriedigung seines Anspruchs nicht auf die Rentennachzahlung beschränkt, sondern kann sich an die laufende Rente halten. Die hier (notwendige) Einschränkung des Prioritätsprinzips folgt aus dem in § 86 SGB X enthaltenen Grundsatz, wonach die Leistungsträger verpflichtet sind, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben eng zusammenzuarbeiten. Die Vorschrift beinhaltet nicht lediglich einen Programmsatz, sondern ist eine als unmittelbar geltendes Recht wirkende Anordnung des Gesetzgebers (Seewald in Kasseler Kommentar, Band 2, Stand: 1. September 2003, § 86 SGB X, Rdnr. 96). Der in der Norm enthaltene allgemeine Grundsatz ist dabei durch die Gerichte im Hinblick auf konkrete Rechtspflichten auszufüllen (Seewald, a.a.O., § 86 SGB X, Rdnr. 11). Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, umfasst das Erfordernis der engen Zusammenarbeit für den Fall von sich gegenseitig beeinflussenden Leistungspflichten der Versicherungsträger zumindest die Verpflichtung, bei widerstreitenden gegenseitigen Interessen die Belange des anderen Versicherungsträgers angemessen zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 13. September 1984 - 4 RJ 37/83 -; vgl. auch BSG, Beschluss vom 22. Juni 1988 - 1 S 4/87 -). Nach Auffassung des Senats genügt die Beklagte dieser Verpflichtung vorliegend aber nur, wenn sie bezüglich ihres eigenen Anspruchs gegenüber dem Beigeladenen nicht auf die Rentennachzahlung zurückgreift.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG in der bis zum 2. Januar 2002 geltenden Fassung, da die Berufung vor Inkrafttreten des 6. SGG-Änderungsgesetzes eingelegt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 8. Juli 2002 - B 3 P 3/02 R -).

Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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