L 9 AS 235/06 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 26 AS 707/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 235/06 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Im Bereich der einstweiligen Anordnung ist unter Berücksichtigung der besonderen Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbegehrens auch die Antragsgegnerin gehalten, zu einer Beschleunigung des Verfahrens beizutragen.
Das Rechtsschutzbedürfnis der Antragsgegnerin (Beschwerdeführerin) im Beschwerdeverfahren ist ausnahmsweise zu verneinen, wenn Umstände die Annahme rechtfertigen, dass das Interesse an der Durchführung des Verfahrens entfallen ist. Das ist dann der Fall, wenn die Beschwerdeführerin auf mehrere Anfragen des Gerichts nicht reagiert und die Behördenakten nicht vorlegt. Ein derartiges Verhalten ist von einer Interessenlosigkeit an einer gerichtlichen Entscheidung geprägt mit der Folge des Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 20. September 2006 wird verworfen.

Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Es geht in dem vorliegenden Verfahren um die Sicherung des Lebensunterhaltes der Antragstellerin für den Monat September 2006. Die Antragstellerin bezog von der Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB 2). Zuletzt mit Bescheid vom 5. Juli 2006 bewilligte die Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 412,47 EUR für die Zeit von August bis November 2006. Tatsächlich erbrachte die Antragsgegnerin Leistungen bis zum 31. August 2006; mit Bescheid vom 25. August 2006 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass die Leistungen zum 31. August 2006 eingestellt würden, da die Antragstellerin ab 1. September 2006 eine schulische Ausbildung in der Fachrichtung Hauswirtschaft bei A. in B-Stadt beginnen werde. Die Antragstellerin hat zwar nach Aufforderung durch die Antragsgegnerin einen Antrag bei der Beigeladenen auf Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) gestellt, jedoch die Antragsgegnerin gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die benötigten Einkommensbescheinigungen der Eltern nicht sogleich erbracht werden könnten, da sie mit ihren Eltern zerstritten sei. Mit Antrag vom 27. August 2006 begehrte die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Kassel den Erlass einer einstweiligen Anordnung hinsichtlich der Gewährung der bisherigen Leistungen für den Monat September 2006, da ein Härtefall gemäß § 7 Abs. 5 (2) SGB 2 vorliege. Mit Schreiben vom 4. September 2006 konkretisierte die Antragstellerin ihr Begehren dahin, dass sie von der Antragsgegnerin ein Darlehen wolle. Diese lehnte eine Darlehensgewährung mit der Begründung ab, die Antragstellerin habe sich nicht umgehend um die Beantragung der BAB gekümmert und auch keinen Antrag bei der Beigeladenen gemäß § 326 Abs. 1 Nr. 3 SGB 3 auf vorläufige Entscheidung über die BAB gestellt. Die Beigeladene lehnte eine vorläufige Entscheidung jedoch u. a. auch deshalb ab, da die Einkommensverhältnisse der Eltern der Antragstellerin unbekannt seien.

Mit Beschluss vom 20. September 2006 hat das Sozialgericht Kassel die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für September 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB 2 in Höhe von 412,47 EUR als Darlehen zu gewähren. In der Begründung hat es u. a. ausgeführt, das Begehr der Antragstellerin sei jedenfalls durch ihre Folgeschriftsätze konkret erkennbar geworden. Es lägen sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund vor. Die besondere Eilbedürftigkeit ergebe sich aus dem existenzsichernden Charakter der streitbefangenen Leistung. Der Anordnungsanspruch ergebe sich aus § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB 2. Ein besonderer Härtefall liege vor. Die Beigeladene habe über den Anspruch der Antragstellerin nach dem SGB 3 noch nicht entschieden und es könne auch nicht von ihr verlangt werden, vorläufig gemäß § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB 3 zu entscheiden. Insofern fehlten noch erforderliche Unterlagen. Die Antragstellerin könne im September 2006 dagegen weder einen Anspruch auf Ausbildungsvergütung noch auf BAB realisieren. Ermessen habe die Antragsgegnerin nicht ausgeübt; eine Verurteilung zur ermessensfehlerfreien Entscheidung verzögere die Rechtsschutzgewährung und führe zu einem nicht hinnehmbaren Rechtsschutzdefizit. Dies führe zu einer Verdichtung einer nur noch ermessensfehlerfreien Entscheidung dahingehend, dass allein eine Leistungsgewährung im Wege des Darlehens rechtmäßig sei. Die übrigen Leistungsvoraussetzungen des § 7 SGB 2 seien zwischen den Beteiligten unstreitig. Insoweit seien keine Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen gegenüber dem Bewilligungsbescheid vom 5. Juli 2006 ersichtlich. Daraus ergebe sich auch die Höhe der Leistung. Hiergegen hat die Antragsgegnerin am 19. Oktober 2006 Beschwerde eingelegt und eine Begründung innerhalb von zwei Wochen angekündigt. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (19.10.2006). Seither haben sich weder die Antragsgegnerin noch die Antragstellerin bei Gericht gemeldet. Die Antragsgegnerin wurde mit gerichtlichem Schreiben vom 24. Oktober 2006 aufgefordert, die Beschwerdebegründung sowie die Verwaltungsakten zu übersenden; mit Schreiben vom 20. November 2006 wurde dringend erinnert und angefragt, ob der angefochtene Beschluss zwischenzeitlich ausgeführt worden sei und gegebenenfalls um entsprechende Vorlage des Ausführungsbescheides gebeten; mit Schreiben vom 1. Dezember 2006 wurde dringend erinnert.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und an sich statthafte Beschwerde ist unzulässig geworden. Es mangelt der Antragsgegnerin am Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der Fortführung der Beschwerde (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8. Aufl. vor § 51 RdNr. 16b, Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8. Aufl. vor § 143 RdNr. 5). Gerade im Bereich der einstweiligen Anordnung ist unter Berücksichtigung der – hier vom Sozialgericht zutreffend festgestellten – besonderen Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbegehrens der Antragstellerin auch die Beschwerdeführerin gehalten, zu einer Beschleunigung des Verfahrens beizutragen. Das Einlegen der Beschwerde und das nachfolgende Nichtbetreiben der Beschwerde und Nichtvorlage der Verwaltungsakten trotz wiederholter Aufforderung kann nach Auffassung des erkennenden Senates zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses führen. Zwar ist das Rechtsschutzbedürfnis bei gegebener Beschwer der Beschwerdeführerin regelmäßig zu bejahen. Das Rechtsschutzbedürfnis ist aber ausnahmsweise dann zu verneinen, wenn Umstände die Annahme rechtfertigen, dass das Interesse der Beschwerdeführerin an der Durchführung des Verfahrens entfallen ist. Das ist dann der Fall, wenn die Beschwerdeführerin – wie hier – auf mehrere Anfragen des Gerichts nicht reagiert und die Behördenakten nicht vorlegt. Ein derartiges Verhalten ist von einer Interesselosigkeit an einer gerichtlichen Entscheidung geprägt und lässt somit das Rechtsschutzbedürfnis entfallen. Bezüglich Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund wird hilfsweise und ergänzend auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen, § 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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