L 1 An 1261/69

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 An 1261/69
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Wer am Tage des Inkrafttretens des Finanzänderungsgesetzes (1.1.1968) in keinem angestelltenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat, kann die Befreiungsmöglichkeit des Art. 2 § 1 AnVNG/FÄG nicht für sich in Anspruch nehmen.
2) Der spätere Wiedereintritt in ein solches Beschäftigungsverhältnis stellt den notwendigen ursächlichen Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des FÄG nicht mehr her.
3) Art. 2 § 1 AnVG/FÄG verstösst weder gegen Art. 2 Abs. 1 noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 15. Oktober 1969 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger war bis einschließlich Dezember 1967 als kaufmännischer Angestellter mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von mehr als 1.800,– DM tätig und hatte ab Januar 1961 freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten gezahlt. Ab 1. Januar 1968 arbeitete er als selbständiger Handelsvertreter.

Am 20. und 26. Juni 1968 beantragte er bei der Beklagten Befreiung von der Versicherungspflicht nach Art. 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) in der Fassung des Finanzänderungsgesetzes (FÄG) 1967, weil er eine dem Gesetz entsprechende Lebensversicherung abgeschlossen habe. Die A. Lebensversicherungs-AG bescheinigte ihm unter dem 17. Juli 1968, daß er vier ab 1. Dezember 1961 laufende Lebensversicherungsverträge über insgesamt 100.000,– DM Versicherungssumme abgeschlossen habe. Sein letzter Arbeitgeber teilte am 25. Juni 1968 mit, er habe für den Kläger keine Pflichtbeiträge abgeführt, da dieser bis zum 31. Dezember 1967 wegen der Höhe seines Jahresarbeitsverdienstes in der Rentenversicherung der Angestellten versicherungsfrei gewesen sei.

Mit Bescheid vom 20. August 1968 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger gehöre als freiberuflich Tätiger nicht zu dem Personenkreis der Angestellten, der gemäß Art. 2 § 1 AnVNG/FÄG ab 1. Januar 1968 unter bestimmten Voraussetzungen von der Versicherungspflicht befreit werden könne. Eine Befreiung im Hinblick auf eine spätere abhängige Beschäftigung sei nicht möglich.

Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. Durch Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 1969 wurde der angefochtene Bescheid mit der Begründung bestätigt, antragsberechtigt im Hinblick auf die Befreiung von der Versicherungspflicht seien nur Angestellte, die wegen Überschreitung der Jahresarbeitsverdienstgrenze vor dem 1. Januar 1968 nicht versicherungspflichtig gewesen und aufgrund des FÄG, das eine solche Grenze nicht mehr kenne, versicherungspflichtig geworden seien. Die Aufnahme einer nichtversicherungspflichtigen Beschäftigung ab 1. Januar 1968 stehe der Befreiung entgegen. Da das Gesetz auf dieses Datum abstelle, könne eine vorsorgliche Befreiung zu einem späteren Zeitpunkt nicht erfolgen.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Wiesbaden hat der Kläger vorgetragen, er arbeite ab 1. Januar 1969 wieder als Angestellter mit Bezügen, die über der bis zum 1. Januar 1968 festgelegten Grenze lägen. Daß er zu diesem Zeitpunkt keine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt habe, sei unbeachtlich. Sollte die Auffassung der Beklagten dem Wortlaut des Gesetzes entsprechen, dann verstoße die einschlägige Bestimmung gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), so daß Anlaß bestehe, das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht einen Vorlagebeschluß zuzuleiten.

Demgegenüber hat die Beklagte ausgeführt, der Kläger gehöre deshalb nicht zu dem Personenkreis, der nach Art. 2 § 1 AnVNG/FÄG von der Versicherungspflicht befreit werden könne, weil er nicht am 1. Januar 1968, sondern erst ab 1. Januar 1969 in einem angestelltenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Um seinem Begehren Rechnung zu tragen, bedürfe es einer neuen gesetzlichen Regelung. Verfassungswidrig sei die in Betracht kommende Vorschrift nicht.

Mit Urteil vom 15. Oktober 1969 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, der Kläger könne die Übergangsregelung des Art. 2 § 1 AnVNG/FÄG nicht in Anspruch nehmen. Es fehle an dem ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Inkrafttreten dieser Vorschrift und der Tatsache seiner Versicherungspflicht ab 1. Januar 1969. Sein Antrag könne nur Erfolg haben, wenn der Gesetzgeber in §§ 7, 8 AVG enthaltenen allgemeinen Vorschriften über die Befreiung von der Angestelltenversicherungspflicht erweitere. Der Rechtsstreit sei nicht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen gewesen, da keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit bestünden.

Gegen dieses Urteil, das dem Kläger am 21. November 1969 zugestellt worden ist, richtet sich seine am 17. Dezember 1969 bei dem Hess. Landessozialgericht eingegangene Beratung. Zur Begründung wiederholt er sein bisheriges Vorbringen.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 15. Oktober 1969 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. August 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 1969 zu verpflichten, ihn von der Versicherungspflicht zur Angestelltenversicherung freizustellen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Versichertenakten der Beklagten haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden, §§ 143, 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 20. August 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 1969, der nach § 80 Ziff. 2 SGG zu erlassen war und ordnungsgemäß erlassen worden ist (§ 85 Abs. 2 SGG), ist nicht rechtswidrig. Die Beteiligten streiten vorliegend darum, ob der Kläger ab 1. Januar 1968 von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung zu befreien war oder nicht.

Rechtsgrundlage ist Art. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG in der durch das FÄG 1967 (BGBl. I. S. 1259) eingeführten Fassung, wonach Angestellte, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze vor dem 1. Januar 1968 nicht versicherungspflichtig waren und aufgrund des FÄG versicherungspflichtig werden, auf Antrag von der Versicherungspflicht zu befreien sind, wenn sie u.a. mit einem privaten Versicherungsunternehmen für sich und ihre Hinterbliebenen einen Versicherungsvertrag für den Fall des Todes und des Erlebens des 65. Lebensjahres oder eines niedrigeren Lebensjahres bis zum 30. Juni 1968 mit Wirkung vom 1. Januar 1968 oder früher abgeschlossen haben und für diese Versicherung mindestens ebensoviel aufgewendet wird, wie für sie Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten zu zahlen wären. Die Befreiung von der Versicherungspflicht ist dabei nur zulässig, wenn der Betreffende sie bis zum 30. Juni 1968 bei der Beklagten beantragt hat. In diesem Falle erfolgt die Befreiung mit Wirkung vom 1. Januar 1968 an.

Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen im Falle des Klägers nicht sämtlich vor.

Zwar gehörte er zu den Angestellten, die vor dem 1. Januar 1968 wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht mehr versicherungspflichtig waren. Denn er hat bis zum 31. Dezember 1967 als kaufmännischer Angestellter in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden, in dem er mehr als 1.800,– DM brutto monatlich verdient hat. Sein früherer Arbeitgeber hat demgemäß bescheinigt, daß Pflichtbeiträge für ihn nicht abgeführt worden sind. Der Kläger ist aber nicht aufgrund des FÄG ab 1. Januar 1968 versicherungspflichtig geworden, auf welchem Zeitpunkt gemäß Art. 2 § 1 Abs. 1, vorletzter Satz AnVNG/FÄG abzustellen ist. Von diesem Tage an war er freiberuflich tätig, bis er am 1. Januar 1969 wieder eine unselbständige Arbeitnehmertätigkeit aufgenommen hat. Dieser Umstand führt dazu, ihn dem von Art. 2 § 1 AnVNG/FÄG erfaßten Personenkreis nicht zuzurechnen. Die gesetzliche Folge dieser Vorschrift wäre bei ihm nämlich nur eingetreten, falls er bei Inkrafttreten des FÄG eine Angestelltentätigkeit ausgeübt hätte. Nur wenn er am 1. Januar 1968 in einem Arbeitsverhältnis der in § 2 AVG genannten Art gestanden haben würde, hätte er durch dieses Gesetz, d.h. hier durch dessen Inkrafttreten, versicherungspflichtig werden können. Denn es muß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Wirksamwerden der neuen Rechtssituation und dem Versicherungspflichtigwerden bestehen. Dieser Zusammenhang fehlt jedoch, wenn am Tage des Inkrafttretens des FÄG keine Angestellteneigenschaft vorliegt, die Versicherungspflicht zur Folge haben kann. Hierbei folgt der Senat der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, das in seinem Urteil vom 26. Februar 1969 (Az.: 1 RA 23/68) über einen insofern gleichgelagerten Fall unter den Gesichtspunkt des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes entschieden hat. Danach und nach Auffassung des Senats ist davon auszugehen, daß der Kläger, der am 1. Januar 1968 in keinem Angestelltenverhältnis gestanden hat, vom Inkrafttreten des FÄG und von dem darin geregelten Wegfall der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht berührt wurde.

Bei seinem Eintritt in das neue Beschäftigungsverhältnis am 1. Januar 1969 war der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Inkrafttreten des FÄG und dem Wiedereintritt der Versicherungspflicht nicht mehr gegeben. Der Kläger unterlag nunmehr wie jeder andere, der an diesem Tage erstmalig oder wieder eine unselbständige Beschäftigung aufnahm, der durch das FÄG geschaffenen Lage in Bezug auf den Wegfall der Jahresarbeitsverdienstgrenze (Art. 1 § 2 Ziff. 1 FÄG). Denn Sinn und Zweck der übergangsweise eingeführten Befreiungsvorschrift des Art. 2 § 1 AnVNG/FÄG ist nur, den versicherungsfrei gewesenen Angestellten, die infolge des Wegfalles der Versicherungspflichtgrenze erstmals oder erneut versicherungspflichtig wurden und die in der Regel schon anderweitig in eigener Verantwortung für ihr Alter und ihre Hinterbliebenen vorgesorgt hatten, für eine beschränkte Zeit die Möglichkeit zu belassen, damit ihnen eine doppelte finanzielle Belastung erspart blieb. Die Einräumung eines dahingehenden Wahlrechts ist aber nur für die Angestellten sinnvoll, deren Beschäftigungsverhältnis auch am 1. Januar 1968 bestanden hatte. Denn nur dann ist der in Art. 2 § 1 AnVNG/FÄG vorausgesetzte ursächliche Zusammenhang zwischen Inkrafttreten des Gesetzes einerseits und Versicherungspflicht andererseits vorhanden. Die Befreiungsvorschrift auch auf solche Personen anzuwenden, die bei Inkrafttreten des FÄG nicht Angestellte waren, sondern das erst längere Zeit danach wieder geworden sind, kann nicht in der Absicht des Gesetzes liegen (vgl. BSG a.a.O.). Dabei ist es nach Ansicht des Senats ohne rechtliche Bedeutung, welche Gründe im einzelnen dazu geführt haben, daß die Angestellteneigenschaft am 1. Januar 1968 gefehlt hat.

Von der Möglichkeit des Art. 100 Abs. 1 GG Gebrauch zu machen, hatte der Senat keinen Anlaß. Denn er sieht Art. 2 § 1 AnVNG/FÄG nicht als verfassungswidrig an.

Das Individualrecht im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG ist nicht berührt, da es zum Schutze von Personengruppen eingeschränkt werden darf, wenn dieser Schutz einen vernünftigen Grund hat und sich in der Sicherstellung von Einkommen oder Unterhalt äußert. Das ist aber hier der Fall. Daß einem bestimmten Kreis von Angestellten durch die Übergangsregelung des Art. 2 § 1 AnVNG/FÄG unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit gegeben worden war, sich durch eigene Vorsorge individuell gegen wirtschaftliche Not im Rentenalter abzusichern, spricht nicht dagegen. Dadurch wird der Schutz der Individualrechte gerade gewährleistet. Die Tatsache, daß die Übergangsregelung befristet war, ist gleichfalls nicht verfassungswidrig. Den es ist vernünftig, eine generelle Regelung von einem bestimmten Zeitpunkt an eintreten zu lassen, wenn vorher genügend Zeit gegeben worden ist, eigene Entschlüsse zu fassen und auszuführen.

Art. 3 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht verletzt, weil ab 1. Januar 1963 sämtliche Angestellte ohne Rücksicht auf ihr Einkommen der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung unterliegen. Begünstigende oder verschlechternde Sonderregelungen für Einzelne bestehen nicht. Die zeitlich begrenzte und enge Voraussetzungen enthaltene Übergangsregelung des Art. 2 § 1 AnVNG/FÄG hat keine diesen Tatbestand umgehende oder verletzende Sondersituation geschaffen. Denn unbeschadet seiner Verpflichtung, gleichgelagerte Fälle in Ansehung des Art. 3 Abs. 1 GG generalisieren zu wollen, darf der Gesetzgeber aus wohlerwogenen und vernünftigen Gründen Ausnahmen schaffen, die an den Sinn und Zweck der Vorschrift im Grundsatz nichts ändern und den Eintritt des Gesamterfolges nicht hindern.

Nach alledem war der Berufung der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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