Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Ar 340/74
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 5. März 1974 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob im Falle des Klägers eine Sperrzeit von vier Wochen eingetreten und die Beklagte berechtigt ist, von dem Kläger das für die Zeit vom 16. März 1973 bis zum 12. April 1973 ausgezahlte Arbeitslosengeld zurückzufordern.
Der im Jahre 1929 geborene Kläger, der als Vermessungstechniker bei der Fa. , Dipl. Ing. Sch. und Partner, in dem Büro beschäftigt war, meldete sich am 15. März 1973 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Hierzu gab er an, seinen Arbeitsplatz aufgrund von Streitigkeiten über noch ausstehende Gehaltszahlungen und auch deshalb verloren zu haben, weil er in einem "offenen Brief” an das Unternehmen die Geschäftsleitung gebeten habe, der Belegschaft die Möglichkeit zur Gründung eines Betriebsrates zu geben. Demgegenüber erklärte die Arbeitgeberin des Klägers, dem Kläger sei von ihr zum 15. März 1973 fristlos gekündigt worden, weil er in einem offenen Brief, den er an das schwarze Brett des Büros geheftet habe, den geschäftsführenden Gesellschafter Dipl.-Ing. Sch. beleidigt und ihn außerdem tätlich angegriffen habe.
Der von dem Kläger verfaßte "offene Brief” hat folgenden Wortlaut:
"Ich möchte die Geschäftsleitung der bitten, baldmöglichst die Belegschaft aufzufordern, sowie derselben die Möglichkeit zu geben, die Wahl eines Betriebsrates in die Wege zu leiten.
Nach dem Arbeitsgesetz ist das Unternehmen dazu verpflichtet, wenn die Anregung hierzu nicht aus der Belegschaft selbst kommt. Jede ordentliche Firma hat ein Interesse daran, daß in ihrem Unternehmen ein Betriebsrat die Belange der Arbeitnehmer vertritt.
Außerdem ist es dringend notwendig!
Es kann jedem Kollegen passieren, wie es mir ergangen ist bzw. ergeht, daß man durch betrügerische Machenschaften um sein schriftlich versprochenes Gehalt gebracht wird. Ich selbst habe es auch nicht für möglich gehalten, daß ein Dipl.-Ing., der sogar Offizier der Reserve ist, eine schriftlich gegebene Versprechung nur deshalb gibt, weil er diese Versprechung gar nicht erfüllen will, weil er glaubt, in dem Tarifvertrag eine Lücke zu sehen, die ihm ermöglicht seine Angestellten legal zu betrügen.”
Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab 16. März 1973 für vorläufig 312 Wochentage Arbeitslosengeld und teilte ihm gleichzeitig mit, sie habe die Leistungen vorläufig bewilligt, es sei noch zu prüfen, ob im Zusammenhang mit dem Ausscheiden des Klägers aus der Firma rückwirkend eine Sperrzeit eintrete. Sollte nachträglich eine Sperrzeit eintreten, müsste der für diese Zeit zu Unrecht gewährte Betrag von dem Kläger zurückgefordert werden.
Durch Bescheid vom 17. Juli 1973 teilte die Beklagte dem Kläger mit, gemäß § 119 AVG sei in seinem Fall eine Sperrzeit von vier Wochen eingetreten; die Sperrzeit beginne am 16. März 1973 und ende am 12. April 1973. Während dieser Zeit ruhe der Anspruch auf Arbeitslosengeld. Insoweit werde die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld aufgehoben. Die dem Kläger zu Unrecht gewährte Leistung für die Zeit vom 16. März 1973 bis zum 12. April 1973 in Höhe von 859,20 DM sei von ihm zurückzuzahlen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Kläger habe am 15. März 1973 seinen Arbeitsplatz bei der Firma durch sein vertragswidriges Verhalten verloren und dadurch den Eintritt der Arbeitslosigkeit grobfahrlässig herbeigeführt. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. August 1973).
Mit seiner Klage begehrte der Kläger, die Bescheide der Beklagten aufzuheben. Zur Begründung führte er aus, er habe gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses Klage erhoben. Die Behauptung, seiner Arbeitgeberin, er habe den Gesellschafter Sch. beleidigt, entspreche nicht den Tatsachen. Den offenen Brief habe er im Einvernehmen mit Sch. ausgehängt.
Das Sozialgericht hat den Vermessungsingenieur W. Sch. über die Gründe der Beendigung des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses als Zeuge uneidlich vernommen. Zu der Aussage wird auf den Inhalt der Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 5. März 1974 verwiesen (Blätter 17 bis 18 der Gerichtsakten).
Durch Urteil vom 5. März 1974 hob das Sozialgericht Darmstadt die Bescheide der Beklagten auf und ließ die Berufung zu. In den Entscheidungsgründen führte das Gericht aus, die Voraussetzungen einer Sperrzeit hätten nicht vorgelegen. Zwar müsse davon ausgegangen werden, daß zunächst die außerordentliche Kündigung auf einem vertragswidrigen Verhalten des Klägers beruht habe. Die Äußerungen des Klägers über den Zeugen Sch., die durch den Aushang auch an die Belegschaft gerichtet gewesen seien, stellten eine erhebliche Verfehlung des Klägers als Arbeitnehmer dar; denn sie seien geeignet, den Arbeitsfrieden und das Verhältnis der Belegschaft zur Geschäftsführung zu stören. Die auf dem Verhalten des Klägers beruhende außerordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber könne jedoch für den Eintritt einer Sperrzeit nicht mehr verwertet werden. Aufgrund des arbeitsgerichtlichen Vergleichs vom 4. Juni 1973 sei das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung, sondern durch Aufhebungsvertrag beendet worden. Diese einverständliche Beendigung durch Vertrag ersetze die einseitige durch Kündigung vollständig und trete an ihre Stelle. Aus der zweiten Alternative des § 119 Abs. 1 Nr. 1 AVG sei der Eintritt einer Sperrzeit gleichfalls nicht begründet. Eine Lösung des Arbeitsverhältnisses im Sinne dieser Vorschrift liege bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvereinbarung nur in den Fällen vor, in denen die Initiative der Lösung erkennbar von dem Arbeitslosen selbst ausgegangen sei. Daß bei dieser Interpretation sich das Risiko für die Versichertengemeinschaft besonders erhöhe, sei nicht zu befürchten, da die Fälle, in denen der Arbeitslose, ohne eine andere Stelle in Aussicht zu haben, notgedrungen seine Einwilligung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebe, um eine Kündigung zu vermeiden, nicht zahlreich sein dürften. Darüberhinaus habe der Kläger durch Abschluß des arbeitsgerichtlichen Vergleichs am 4. Juni 1973 nicht seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt. Diese habe als tatsächlicher Zustand vielmehr schon seit dem 15. März 1973 bestanden.
Gegen das ihr am 26. März 1974 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19. April 1974 schriftlich beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, auch nach der Beendigung des geführten Rechtsstreits durch Vergleich könne dem Kläger noch entgegengehalten werden, ihm sei fristlos gekündigt worden. Die spätere Auflösungsvereinbarung könne nichts daran ändern, daß dem Kläger wegen vertragswidrigen Verhaltens zum 15. März 1973 gekündigt und dadurch bereits zu diesem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis im Sinne von § 119 AFG mit der Folge konkreter Arbeitslosigkeit beendet worden sei. Der Kläger habe im übrigen bei seinem Vorgehen mit einer Kündigung rechnen müssen, so daß er den Verlust seines Arbeitsplatzes, d.h., die Arbeitslosigkeit, zumindest grobfahrlässig herbeigeführt habe. Ihm stehe für sein vertragswidriges Verhalten, das eine Beleidigung im strafrechtlichen Sinne darstelle, auch kein wichtiger Grund zur Seite. Hilfsweise werde bemerkt, daß die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Auflösungsvereinbarung eine Lösung im Sinne von § 119 Abs. 1 Nr. 1 AFG darstelle, weil der Kläger durch seine zustimmende Willenserklärung zur einverständlichen Beendigung beigetragen habe. Die Ansicht des Sozialgerichts, die Lösung des Arbeitsverhältnisses seitens des Klägers durch Abschluß des arbeitsgerichtlichen Vergleichs vom 4. Juni 1973 habe in jedem Falle nicht seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt, könne nicht geteilt werden; denn schon nach Auffassung des Sozialgerichts habe die einverständliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Vertrag die einseitige Kündigung vollständig ersetzt und sei an deren Stelle getreten. Damit könne die Arbeitslosigkeit durch den Aufhebungsvertrag nicht erst am 4. Juni 1973, sondern folgerichtig allein nur zum 15. März 1973 herbeigeführt worden sein.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 5. März 1974 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Aus den beigezogenen Akten der von dem Kläger gegen seine Arbeitgeberin vor dem Arbeitsgericht Darmstadt geführten Rechtsstreitigkeiten ergibt sich folgendes:
In dem Verfahren H 2 Ca 88/73 machte der Kläger Gehaltsnachzahlungen in Höhe von 6.358,90 DM geltend. Die Beklagte erkannte das Bestehen des Anspruchs in Höhe von 54,– DM an. Die Beteiligten beendeten den Rechtsstreit am 14. Mai 1973 durch folgenden gerichtlichen Vergleich:
"Ohne Nachgabe im Recht sind sich die Parteien darüber einig, daß die Klageforderungen nicht mehr bestehen.
Die außergerichtlichen Kosten trägt jede Partei selbst. Die baren Auslagen des Gerichts werden geteilt.”
Das Verfahren 2 H Ca 111/73 betraf den Antrag des Klägers, festzustellen, daß das zwischen ihm und seiner Arbeitgeberin bestehende Arbeitsverhältnis durch die von der Firma am 15. März 1973 ausgesprochene fristlose Kündigung nicht aufgelöst worden sei. Der Rechtsstreit wurde am 4. Juni 1973 durch gerichtlichen Vergleich beendet, in dem es hieß:
1) "Die Parteien sind sich darüber einig, daß ihr Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 15. März 1973 sein Ende gefunden hat.
2) Die außergerichtlichen Kosten trägt jede Partei selbst. Die baren Auslagen des Gerichts übernimmt der Beklagte.
3) Dieser Vergleich wird wirksam, wenn er nicht von dem Beklagten bis zum 15. Juni 1973 schriftlich zu den Gerichtsakten widerrufen wird.”
Ein Widerruf des Vergleiches erfolgte nicht.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten, die Leistungsakten der Beklagten sowie die beigezogenen Akten des Arbeitsgerichts Darmstadt (Az.: H 2 Ca 88/73 und H 2 Ca 111/73), deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zugelassene Berufung, die form- und fristgerecht eingelegt worden ist, ist zulässig und in der Sache begründet.
Die Beklagte hat zu Recht die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 16. März 1973 bis 12. April 1973 aufgehoben, da die Leistungsvoraussetzungen nicht vorgeladen haben. Nach § 151 Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) werden Entscheidungen, durch die Leistungen nach diesem Gesetz bewilligt worden sind, insoweit aufgehoben, als die Voraussetzungen für die Leistungen nicht vorgelegen haben oder weggefallen sind.
Im Falle des Klägers ruhte der Anspruch auf Arbeitslosengeld während der streitigen Zeit, da eine Sperrzeit von vier Wochen eingetreten war (§ 119 Abs. 1 Satz 3 AFG). Hat der Arbeitslose das Arbeitsverhältnis gelöst oder durch ein vertragswidriges Verhalten Anlaß für die Kündigung des Arbeitgebers gegeben und hat er dadurch vorsätzlich oder grobfahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben, so tritt eine Sperrzeit von vier Wochen ein (§ 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG).
Dem Kläger ist von seiner Arbeitgeberin fristlos zum 15. März 1973 gekündigt worden. Anlaß für diese Kündigung war ein vertragswidriges Verhalten des Klägers, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat. Der Arbeitnehmer ist aufgrund der arbeitsvertraglichen Treuepflicht verpflichtet, alle Handlungen zu unterlassen, die den Betriebsfrieden stören und das Ansehen seines Arbeitgebers bei den im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern herabsetzen. Gegen diese Pflicht hat der Kläger in gröblicher Weise verstoßen, als er in einem offenen Brief, den er an das schwarze Brett des Betriebes heftete und damit der gesamten Belegschaft zur Kenntnis brachte, den Zeugen Sch. der betrügerischen Machenschaften ihm gegenüber besichtigte. Der Kläger hatte für sein Verhalten keinen wichtigen Grund. War er der Ansicht, sein Arbeitgeber enthalte ihm unberechtigterweise Gehaltsnachzahlungen vor, so brauchte er sich nicht dieser Form des Angriffs zu bedienen, um sein Recht durchzusetzen. Zu diesem Zweck konnte er, falls es zu keiner Einigung mit seiner Arbeitgeberin kam, notfalls gerichtliche Schritte gegen diese einleiten, was er auch bereits vor dem Anheften des offenen Briefes getan hatte. Der Kläger hat aufgrund seines Verhaltens seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt; denn sein Vorgehen gegen seine Arbeitgeberin war der Anlaß zu der fristlosen Kündigung, die wiederum seine Arbeitslosigkeit verursachte. Dabei hat der Kläger zumindest grobfahrlässig gehandelt; denn er hätte ohne Schwierigkeiten erkennen können, daß der Zeuge Sch. aufgrund des Inhalts des offenen Briefes, der die Voraussetzungen einer weiteren Zusammenarbeit zerstört hatte, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger beenden und daß dieser Umstand seine Arbeitslosigkeit herbeiführen werde.
Da am 16. März 1973 die Voraussetzungen der § 119 Abs. 1 AFG erfüllt waren und eine Sperrzeit von vier Wochen für den Kläger nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen nicht eine besondere Härte bedeutet, war die Sperrzeit von vier Wochen (§ 119 Abs. 2 AFG) gerechtfertigt. Eine Änderung der Rechtslage ergibt sich auch nicht dadurch, daß der Kläger mit seiner Arbeitgeberin zu einem späteren Zeitpunkt einen Vergleich dahingehend geschlossen hatte, daß das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 15. März 1973 sein Ende gefunden hat. Die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit lagen während des Zeitraumes der Sperrzeit bereits vor. Eine zeitlich später getroffene Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien über eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann nicht rückwirkend die bereits eingetretene Rechtsfolge des § 119 AFG aufheben; denn die Vorschrift des § 119 AFG soll die Versicherungsgemeinschaft vor einer Manipulierung des Versicherungsfalles bei jeder Art der Aufgabe der Arbeitsstelle selbst dann, wenn Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit objektiv dazu beitragen, schützen (Urteil des Bundessozialgerichts vom 26. August 1965, Az.: RAr 32/74, abgedruckt in SozR Nr. 5 zu § 80 AVAVG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob im Falle des Klägers eine Sperrzeit von vier Wochen eingetreten und die Beklagte berechtigt ist, von dem Kläger das für die Zeit vom 16. März 1973 bis zum 12. April 1973 ausgezahlte Arbeitslosengeld zurückzufordern.
Der im Jahre 1929 geborene Kläger, der als Vermessungstechniker bei der Fa. , Dipl. Ing. Sch. und Partner, in dem Büro beschäftigt war, meldete sich am 15. März 1973 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Hierzu gab er an, seinen Arbeitsplatz aufgrund von Streitigkeiten über noch ausstehende Gehaltszahlungen und auch deshalb verloren zu haben, weil er in einem "offenen Brief” an das Unternehmen die Geschäftsleitung gebeten habe, der Belegschaft die Möglichkeit zur Gründung eines Betriebsrates zu geben. Demgegenüber erklärte die Arbeitgeberin des Klägers, dem Kläger sei von ihr zum 15. März 1973 fristlos gekündigt worden, weil er in einem offenen Brief, den er an das schwarze Brett des Büros geheftet habe, den geschäftsführenden Gesellschafter Dipl.-Ing. Sch. beleidigt und ihn außerdem tätlich angegriffen habe.
Der von dem Kläger verfaßte "offene Brief” hat folgenden Wortlaut:
"Ich möchte die Geschäftsleitung der bitten, baldmöglichst die Belegschaft aufzufordern, sowie derselben die Möglichkeit zu geben, die Wahl eines Betriebsrates in die Wege zu leiten.
Nach dem Arbeitsgesetz ist das Unternehmen dazu verpflichtet, wenn die Anregung hierzu nicht aus der Belegschaft selbst kommt. Jede ordentliche Firma hat ein Interesse daran, daß in ihrem Unternehmen ein Betriebsrat die Belange der Arbeitnehmer vertritt.
Außerdem ist es dringend notwendig!
Es kann jedem Kollegen passieren, wie es mir ergangen ist bzw. ergeht, daß man durch betrügerische Machenschaften um sein schriftlich versprochenes Gehalt gebracht wird. Ich selbst habe es auch nicht für möglich gehalten, daß ein Dipl.-Ing., der sogar Offizier der Reserve ist, eine schriftlich gegebene Versprechung nur deshalb gibt, weil er diese Versprechung gar nicht erfüllen will, weil er glaubt, in dem Tarifvertrag eine Lücke zu sehen, die ihm ermöglicht seine Angestellten legal zu betrügen.”
Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab 16. März 1973 für vorläufig 312 Wochentage Arbeitslosengeld und teilte ihm gleichzeitig mit, sie habe die Leistungen vorläufig bewilligt, es sei noch zu prüfen, ob im Zusammenhang mit dem Ausscheiden des Klägers aus der Firma rückwirkend eine Sperrzeit eintrete. Sollte nachträglich eine Sperrzeit eintreten, müsste der für diese Zeit zu Unrecht gewährte Betrag von dem Kläger zurückgefordert werden.
Durch Bescheid vom 17. Juli 1973 teilte die Beklagte dem Kläger mit, gemäß § 119 AVG sei in seinem Fall eine Sperrzeit von vier Wochen eingetreten; die Sperrzeit beginne am 16. März 1973 und ende am 12. April 1973. Während dieser Zeit ruhe der Anspruch auf Arbeitslosengeld. Insoweit werde die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld aufgehoben. Die dem Kläger zu Unrecht gewährte Leistung für die Zeit vom 16. März 1973 bis zum 12. April 1973 in Höhe von 859,20 DM sei von ihm zurückzuzahlen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Kläger habe am 15. März 1973 seinen Arbeitsplatz bei der Firma durch sein vertragswidriges Verhalten verloren und dadurch den Eintritt der Arbeitslosigkeit grobfahrlässig herbeigeführt. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. August 1973).
Mit seiner Klage begehrte der Kläger, die Bescheide der Beklagten aufzuheben. Zur Begründung führte er aus, er habe gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses Klage erhoben. Die Behauptung, seiner Arbeitgeberin, er habe den Gesellschafter Sch. beleidigt, entspreche nicht den Tatsachen. Den offenen Brief habe er im Einvernehmen mit Sch. ausgehängt.
Das Sozialgericht hat den Vermessungsingenieur W. Sch. über die Gründe der Beendigung des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses als Zeuge uneidlich vernommen. Zu der Aussage wird auf den Inhalt der Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift vom 5. März 1974 verwiesen (Blätter 17 bis 18 der Gerichtsakten).
Durch Urteil vom 5. März 1974 hob das Sozialgericht Darmstadt die Bescheide der Beklagten auf und ließ die Berufung zu. In den Entscheidungsgründen führte das Gericht aus, die Voraussetzungen einer Sperrzeit hätten nicht vorgelegen. Zwar müsse davon ausgegangen werden, daß zunächst die außerordentliche Kündigung auf einem vertragswidrigen Verhalten des Klägers beruht habe. Die Äußerungen des Klägers über den Zeugen Sch., die durch den Aushang auch an die Belegschaft gerichtet gewesen seien, stellten eine erhebliche Verfehlung des Klägers als Arbeitnehmer dar; denn sie seien geeignet, den Arbeitsfrieden und das Verhältnis der Belegschaft zur Geschäftsführung zu stören. Die auf dem Verhalten des Klägers beruhende außerordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber könne jedoch für den Eintritt einer Sperrzeit nicht mehr verwertet werden. Aufgrund des arbeitsgerichtlichen Vergleichs vom 4. Juni 1973 sei das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung, sondern durch Aufhebungsvertrag beendet worden. Diese einverständliche Beendigung durch Vertrag ersetze die einseitige durch Kündigung vollständig und trete an ihre Stelle. Aus der zweiten Alternative des § 119 Abs. 1 Nr. 1 AVG sei der Eintritt einer Sperrzeit gleichfalls nicht begründet. Eine Lösung des Arbeitsverhältnisses im Sinne dieser Vorschrift liege bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvereinbarung nur in den Fällen vor, in denen die Initiative der Lösung erkennbar von dem Arbeitslosen selbst ausgegangen sei. Daß bei dieser Interpretation sich das Risiko für die Versichertengemeinschaft besonders erhöhe, sei nicht zu befürchten, da die Fälle, in denen der Arbeitslose, ohne eine andere Stelle in Aussicht zu haben, notgedrungen seine Einwilligung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gebe, um eine Kündigung zu vermeiden, nicht zahlreich sein dürften. Darüberhinaus habe der Kläger durch Abschluß des arbeitsgerichtlichen Vergleichs am 4. Juni 1973 nicht seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt. Diese habe als tatsächlicher Zustand vielmehr schon seit dem 15. März 1973 bestanden.
Gegen das ihr am 26. März 1974 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19. April 1974 schriftlich beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, auch nach der Beendigung des geführten Rechtsstreits durch Vergleich könne dem Kläger noch entgegengehalten werden, ihm sei fristlos gekündigt worden. Die spätere Auflösungsvereinbarung könne nichts daran ändern, daß dem Kläger wegen vertragswidrigen Verhaltens zum 15. März 1973 gekündigt und dadurch bereits zu diesem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis im Sinne von § 119 AFG mit der Folge konkreter Arbeitslosigkeit beendet worden sei. Der Kläger habe im übrigen bei seinem Vorgehen mit einer Kündigung rechnen müssen, so daß er den Verlust seines Arbeitsplatzes, d.h., die Arbeitslosigkeit, zumindest grobfahrlässig herbeigeführt habe. Ihm stehe für sein vertragswidriges Verhalten, das eine Beleidigung im strafrechtlichen Sinne darstelle, auch kein wichtiger Grund zur Seite. Hilfsweise werde bemerkt, daß die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Auflösungsvereinbarung eine Lösung im Sinne von § 119 Abs. 1 Nr. 1 AFG darstelle, weil der Kläger durch seine zustimmende Willenserklärung zur einverständlichen Beendigung beigetragen habe. Die Ansicht des Sozialgerichts, die Lösung des Arbeitsverhältnisses seitens des Klägers durch Abschluß des arbeitsgerichtlichen Vergleichs vom 4. Juni 1973 habe in jedem Falle nicht seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt, könne nicht geteilt werden; denn schon nach Auffassung des Sozialgerichts habe die einverständliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Vertrag die einseitige Kündigung vollständig ersetzt und sei an deren Stelle getreten. Damit könne die Arbeitslosigkeit durch den Aufhebungsvertrag nicht erst am 4. Juni 1973, sondern folgerichtig allein nur zum 15. März 1973 herbeigeführt worden sein.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 5. März 1974 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Aus den beigezogenen Akten der von dem Kläger gegen seine Arbeitgeberin vor dem Arbeitsgericht Darmstadt geführten Rechtsstreitigkeiten ergibt sich folgendes:
In dem Verfahren H 2 Ca 88/73 machte der Kläger Gehaltsnachzahlungen in Höhe von 6.358,90 DM geltend. Die Beklagte erkannte das Bestehen des Anspruchs in Höhe von 54,– DM an. Die Beteiligten beendeten den Rechtsstreit am 14. Mai 1973 durch folgenden gerichtlichen Vergleich:
"Ohne Nachgabe im Recht sind sich die Parteien darüber einig, daß die Klageforderungen nicht mehr bestehen.
Die außergerichtlichen Kosten trägt jede Partei selbst. Die baren Auslagen des Gerichts werden geteilt.”
Das Verfahren 2 H Ca 111/73 betraf den Antrag des Klägers, festzustellen, daß das zwischen ihm und seiner Arbeitgeberin bestehende Arbeitsverhältnis durch die von der Firma am 15. März 1973 ausgesprochene fristlose Kündigung nicht aufgelöst worden sei. Der Rechtsstreit wurde am 4. Juni 1973 durch gerichtlichen Vergleich beendet, in dem es hieß:
1) "Die Parteien sind sich darüber einig, daß ihr Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 15. März 1973 sein Ende gefunden hat.
2) Die außergerichtlichen Kosten trägt jede Partei selbst. Die baren Auslagen des Gerichts übernimmt der Beklagte.
3) Dieser Vergleich wird wirksam, wenn er nicht von dem Beklagten bis zum 15. Juni 1973 schriftlich zu den Gerichtsakten widerrufen wird.”
Ein Widerruf des Vergleiches erfolgte nicht.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten, die Leistungsakten der Beklagten sowie die beigezogenen Akten des Arbeitsgerichts Darmstadt (Az.: H 2 Ca 88/73 und H 2 Ca 111/73), deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zugelassene Berufung, die form- und fristgerecht eingelegt worden ist, ist zulässig und in der Sache begründet.
Die Beklagte hat zu Recht die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 16. März 1973 bis 12. April 1973 aufgehoben, da die Leistungsvoraussetzungen nicht vorgeladen haben. Nach § 151 Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) werden Entscheidungen, durch die Leistungen nach diesem Gesetz bewilligt worden sind, insoweit aufgehoben, als die Voraussetzungen für die Leistungen nicht vorgelegen haben oder weggefallen sind.
Im Falle des Klägers ruhte der Anspruch auf Arbeitslosengeld während der streitigen Zeit, da eine Sperrzeit von vier Wochen eingetreten war (§ 119 Abs. 1 Satz 3 AFG). Hat der Arbeitslose das Arbeitsverhältnis gelöst oder durch ein vertragswidriges Verhalten Anlaß für die Kündigung des Arbeitgebers gegeben und hat er dadurch vorsätzlich oder grobfahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben, so tritt eine Sperrzeit von vier Wochen ein (§ 119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG).
Dem Kläger ist von seiner Arbeitgeberin fristlos zum 15. März 1973 gekündigt worden. Anlaß für diese Kündigung war ein vertragswidriges Verhalten des Klägers, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat. Der Arbeitnehmer ist aufgrund der arbeitsvertraglichen Treuepflicht verpflichtet, alle Handlungen zu unterlassen, die den Betriebsfrieden stören und das Ansehen seines Arbeitgebers bei den im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern herabsetzen. Gegen diese Pflicht hat der Kläger in gröblicher Weise verstoßen, als er in einem offenen Brief, den er an das schwarze Brett des Betriebes heftete und damit der gesamten Belegschaft zur Kenntnis brachte, den Zeugen Sch. der betrügerischen Machenschaften ihm gegenüber besichtigte. Der Kläger hatte für sein Verhalten keinen wichtigen Grund. War er der Ansicht, sein Arbeitgeber enthalte ihm unberechtigterweise Gehaltsnachzahlungen vor, so brauchte er sich nicht dieser Form des Angriffs zu bedienen, um sein Recht durchzusetzen. Zu diesem Zweck konnte er, falls es zu keiner Einigung mit seiner Arbeitgeberin kam, notfalls gerichtliche Schritte gegen diese einleiten, was er auch bereits vor dem Anheften des offenen Briefes getan hatte. Der Kläger hat aufgrund seines Verhaltens seine Arbeitslosigkeit herbeigeführt; denn sein Vorgehen gegen seine Arbeitgeberin war der Anlaß zu der fristlosen Kündigung, die wiederum seine Arbeitslosigkeit verursachte. Dabei hat der Kläger zumindest grobfahrlässig gehandelt; denn er hätte ohne Schwierigkeiten erkennen können, daß der Zeuge Sch. aufgrund des Inhalts des offenen Briefes, der die Voraussetzungen einer weiteren Zusammenarbeit zerstört hatte, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger beenden und daß dieser Umstand seine Arbeitslosigkeit herbeiführen werde.
Da am 16. März 1973 die Voraussetzungen der § 119 Abs. 1 AFG erfüllt waren und eine Sperrzeit von vier Wochen für den Kläger nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen nicht eine besondere Härte bedeutet, war die Sperrzeit von vier Wochen (§ 119 Abs. 2 AFG) gerechtfertigt. Eine Änderung der Rechtslage ergibt sich auch nicht dadurch, daß der Kläger mit seiner Arbeitgeberin zu einem späteren Zeitpunkt einen Vergleich dahingehend geschlossen hatte, daß das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 15. März 1973 sein Ende gefunden hat. Die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit lagen während des Zeitraumes der Sperrzeit bereits vor. Eine zeitlich später getroffene Vereinbarung zwischen den Arbeitsvertragsparteien über eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann nicht rückwirkend die bereits eingetretene Rechtsfolge des § 119 AFG aufheben; denn die Vorschrift des § 119 AFG soll die Versicherungsgemeinschaft vor einer Manipulierung des Versicherungsfalles bei jeder Art der Aufgabe der Arbeitsstelle selbst dann, wenn Gerichte der Arbeitsgerichtsbarkeit objektiv dazu beitragen, schützen (Urteil des Bundessozialgerichts vom 26. August 1965, Az.: RAr 32/74, abgedruckt in SozR Nr. 5 zu § 80 AVAVG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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