Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Kg 695/74
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 11. Juni 1974 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die im Jahre 1938 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige. Sie ist seit dem Jahre 1950 verheiratet. Sie hat drei eheliche Kinder – N., geb. 1954, Ne., geb. 1957, Nus., geb. 1959 –. Die Klägerin arbeitet in der Bundesrepublik seit August 1971. Sie wohnt seitdem mit ihren Kindern N. und Ne. in der Bundesrepublik in Darmstadt.
Das eheliche Kind Nus. blieb bei dem Ehemann der Klägerin, M. E., in I. in der Türkei. Der Ehemann der Klägerin arbeitete dort als Kellner. Außer dem Kind Nus. wohnten bei dem Ehemann der Klägerin noch die Kinder E., geb. 1962, Nez., geb. 1963 und die Zwillinge R. und A., geb. 1971. Bei diesen Kindern handelt es sich um von dem Ehemann der Klägerin abstammende nichtehelich Kinder.
Das am 22.12.1971 unter Berücksichtigung aller sieben Kinder der Klägerin bewilligte Kindergeld wurde mit Bescheid vom 22.1.1975 mit Wirkung ab September 1972 wieder entzogen, soweit die nichtehelichen vier Kinder berücksichtigt worden waren. Das Kindergeld wurde nur noch unter Berücksichtigung der drei ehelichen Kinder gewährt. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg; er wurde durch Widerspruchsbescheid vom 22.1.1973 zurückgewiesen.
Am 6.3.1973 ging bei der Beklagten ein von der türkischen Sozialversicherungsanstalt angeforderter Bericht vom 2.3.1973 über die Kindschaftsverhältnisse ein. In dem Bericht wurde ausgeführt, die Kinder Nez., E., R. und A. seien "Stiefkinder” der Klägerin. Ihr Unterhalt werde mit dem von der Klägerin geschickten Geld bestritten.
Mit ihrer Klage trug die Klägerin vor, ihr alleiniger ständiger Haushalt sei der in I. in der Türkei, den sie nach wie vor mit ihrem Ehemann führe und in dem auch die nichtehelichen Kinder lebten. Ihre Wohnung in Darmstadt sei ein zufälliger und vorübergehender Behelf, weil sie durch die Beschäftigung in der Bundesrepublik ihre Familie unterhalten müsse. Sie stelle ihrem Ehemann alles, was sie erübrigen könne, für den Unterhalt der bei diesem lebenden Kinder Nus., E., Nez, R. und A. zur Verfügung. Im Jahre 1972 seien dies an Bargeld 2.880,– DM und Kleidungsstücke im Werte von 1.000,– DM gewesen. Die nicht ehelichen Kinder seien in ihrer Familie voll integriert. Diesen Kindern stünde andere familiäre Bindung auch nicht zur Verfügung. Ihre Ehe, die wegen der Verhältnisse ihres Ehemannes mit anderen Frauen vorübergehend gelitten habe, sei inzwischen wieder in Ordnung. Sie sei der Ansicht, daß die nichtehelichen Kinder E., Nez., R. und A. als Stiefkinder einzuordnen seien und deshalb bei der Bewilligung des Kindergeldes berücksichtigt werden müßten. Sie würden durch die türkischen Behörden auch als Stiefkinder bezeichnet.
Die Beklagte vertrat die Ansicht, daß es sich bei den nichtehelichen Kindern des Ehemannes im Verhältnis zur Klägerin nicht um Stiefkinder handele. Das Sozialamt Darmstadt wies durch Urteil vom 11.6.1976 die Klage ab mit der Begründung, die nichtehelichen Kinder E., Nez., R. und A. könnten für die Bemessung des Anspruchs der Klägerin auf Kindergeld keine Berücksichtigung finden. Diese Kinder, die sich gewöhnlich in der Türkei aufhielten, seien als sog. Ehebruchskinder nicht als Stiefkinder im Sinne des Art. 30 des deutsch-türkischen Abkommens über soziale Sicherheit vom 30.4.1964 (BGBl. II 1965, S. 1170) anzusehen. Zudem fehle es bei diesen Kindern an der erforderlichen Aufnahme in den Haushalt des Berechtigten, weil die Wohnung der Klägerin in D. als ihr Haushalt anzusehen sei, zumal zwei ihrer ehelichen Kinder dort mit ihr lebten. Die vier nichtehelichen Kinder könnten allenfalls in einem Pflegeschaftsverhältnis zu der Klägerin stehen. Selbst wenn man dies annehmen würde, könnten sie für den Kindergeldanspruch der Klägerin keine Berücksichtigung finden. Pflegekinder seien in Art. 33 Abs. 2 des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommen als für den Kindergeldanspruch zu berücksichtigende Kinder nicht erwähnt.
Gegen dieses der Klägerin am 19.7.1974 zugestellte Urteil richtet sich die am 29.7.1974 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung der Klägerin. Die Klägerin vertritt weiterhin die Auffassung, daß es sich bei den vier nichtehelichen Kindern um Stiefkinder handelt, die in ihren Haushalt aufgenommen seien. Bei der Auslegung des Begriffs "Stiefkind” sei nicht entscheidend, ob das Kind in die Ehe eingebracht oder erst während der bestehenden Ehe geboren worden sei. Bei einer solchen Unterscheidung würde sich eine nichtgerechtfertigte ungleiche Behandlung ergeben. Wie sie durch ihre Eintragungen im Reisepass belegen könne, sei sie in den Zeiten vom 9.9.1972 bis 14.10.1972, 30.7.1973 bis 30.8.1973, 7.7.1974 bis 2.8.1974, also jährlich jeweils zu längeren Zeiten bei ihrer Familie in der Türkei gewesen. Die eheliche Gemeinschaft mit ihrem Ehemann sei ungebrochen gewesen. Dies könne Frau E. K. aus D., die sie in der Zeit vom 7.7. bis 2.8.1974 in die Türkei begleitet habe, bestätigen. Frau K. habe Gelegenheit gehabt, ihr Familienleben mitzuerleben. In den Jahren 1972 bis 1975 habe sie laufend insgesamt 11.000,– DM an Bargeld und Kleidungsstücke und sonstige Gegenstände im Werte von 3.000,– DM für den Unterhalt ihrer in der Türkei lebenden Familie aufgewandt. Die Geldbeträge sowie die Kleidungsstücke und sonstigen Gegenstände habe sie persönlich ihrer Familie ausgehändigt. Im Jahre 1975 sei ein Geldbetrag von ihrer Tochter Na. der Familie in der Türkei überbracht worden. Dies könne die Tochter als Zeugin bestätigen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 11. Juni 1974 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 1973 aufzuheben und auch ab September 1972 das Kindergeld unter Berücksichtigung der Kinder Nez., E., R. und A. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt aus, daß während der bestehenden Ehe geborene nichteheliche Kinder eines Ehegatten von vornherein nicht als "Stiefkinder” im Sinne des BKGG und des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens angesehen werden könnten. Zudem fehle des Merkmal der gemeinsamen Haushaltsführung, welches nach dem deutsch-türkischen Abkommen als weitere Voraussetzung erfüllt sein müsse.
In einem Schreiben an das Landessozialgericht vom 18.11.1976 gab die Klägerin an, ihr Ehemann sei mit den vier nichtehelichen Kindern und dem ehelichen Kind Nus. vor etwa zwei Monaten aus der Türkei zu ihr in die Bundesrepublik gezogen. Die gesamte Familie lebe von ihrem Einkommen. Ihr Ehemann habe eine Aufenthaltserlaubnis, jedoch keine Arbeitserlaubnis.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der Leistungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig; denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch statthaft (vgl. §§ 143, 151 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Gemäß § 22 BKGG wird das Kindergeld von Amts wegen u.a. dann entzogen, soweit die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorgelegen haben. Danach ist die mit dem Bescheid vom 21.9.1972 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.2.1973 getroffene Entscheidung nicht zu beanstanden. Denn die Anspruchsvoraussetzungen für das Kindergeld haben nicht vorgelegen, soweit die nichtehelichen Kinder des Ehemannes der Klägerin – E., Nez., R. und A. – bei der Bemessung des Kindergeldanspruchs der Klägerin berücksichtigt worden sind. Weil sich diese Kinder gewöhnlich in der Türkei aufhalten, sind sie nur nach den Vorschriften des deutsch-türkischen SV-Abkommens für den Kindergeldanspruch der Klägerin berücksichtigungsfähig. In Art. 33 dieses Abkommens sind enumerativ die Kinder aufgeführt, die bei der Feststellung des Anspruchs berücksichtigt werden können. Als Kinder gelten danach
a) eheliche Kinder,
b) Stiefkinder, die in den Haushalt des Stiefvaters oder der Stiefmutter aufgenommen sind,
c) für ehelich erklärte Kinder,
d) an Kindes statt angenommene Kinder und
e) uneheliche Kinder (im Verhältnis zu dem Vater jedoch nur, wenn eine Vaterschaft oder seine Unterhaltspflicht festgestellt ist)
des Berechtigten.
Art. 33 des deutsch-türkischen SV-Abkommens gibt die jeweils speziellen Kindschaftsverhältnisse erschöpfend an. Nur diese Kinder können bei dem Elternteil, zu dem das jeweilige Kindschaftsverhältnis besteht, zur Erhöhung des Anspruchs beitragen. Bei der Klägerin kommt hinsichtlich der Kinder E., Nez., R. und A. nur das Kindschaftsverhältnis zu b) in Betracht. Das Vorliegen eines anderen Kindschaftsverhältnisses der bezeichneten Art wird von der Klägerin selbst auch nicht behauptet. Hinsichtlich dieser Kinder ist ferner in dem Ermittlungsbericht des Generaldirektoriums der türkischen Sozialversicherungsanstalt vom 2.3.1973 kein anderes Kindschaftsverhältnis als das als "Stiefkinder” angegeben.
Im maßgebenden Kindschaftsverhältnis zur Klägerin sind die vier Kinder E., Nez., R. und A. für den Kindergeldanspruch der Klägerin aber nicht berücksichtigungsfähig, weil es jedenfalls an dem Merkmal der Haushaltsaufnahme fehlt. Selbst wenn man diese Kinder als Stiefkinder im Sinne der angeführtem Bestimmungen ansehen wollte, könne sie aus diesem Grunde zur Erhöhung des Kindergeldanspruchs der Klägerin nicht beitragen. Für die Annahme einer Aufnahme in den Haushalt von Stiefeltern reicht es nicht aus, daß das Stiefkind nur "Kostgänger” ist, also ganz oder wenigstens teilweise von dem Stiefelternteil unterhalten wird, sondern es muß wie "zur Familie zugehörig” angesehen und behandelt werden. Dazu gehört, daß in tatsächlicher Hinsicht zwischen dem Stiefelternteil und dem Kind bzw. den Kindern eine Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis besteht, (vgl. BSG, Urt. v. 22.11.1963 – 7 RKg 2/61 –). Dies ist von Rechtsprechung und Schrifttum inzwischen fast einhellig für die Begründung eines Pflegekindschaftsverhältnisses gefordert worden (vgl. BSG Urt. v. 24.4.1975 – 8/7 RKg 4/73 – und die dort angeführte Rechtsprechung und Literatur). Diese einhellige Auffassung muß auch für die Begründung einer "Haushaltsaufnahme” von Stiefkindern bei Stiefeltern gelten. Nirgendwo ist ein sachgerechter oder vernunftsbedingter Grund erkennbar, Stiefkinder im Hinblick auf die Kindergeldberechtigung von Stiefeltern anders zu behandeln als Pflegekinder im Verhältnis zu Pflegeeltern. Stiefmutter (Stiefvater) und Stiefkinder stehen zueinander nicht in verwandtschaftlichen Beziehungen. Wenn der Gesetzgeber trotz der engen verwandtschaftlichen Bande der Kinder zu Großeltern und Geschwistern diese Kinder nur dann in den Haushalt von Großeltern oder Geschwistern als aufgenommen ansieht, falls sie von diesen wenigstens überwiegend unterhalten werden (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 7 BKGG) und sie weiterhin bei ihnen Heimat und Erziehung finden, d.h. ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis die Grundlage einer familienähnlichen ideellen Dauerverbindung bildet (vgl. BSG-Urt. v. 25.4.1963 – 4 RJ 341/61 – und vom 12.9.1963 – 4 RJ 151/62), so spricht kein Umstand dafür, warum ein Stiefelternteil, obwohl bei ihm verwandtschaftliche Beziehungen zu seinen Stiefkindern fehlen, Anspruch auf Kindergeld haben sollte, sofern jene für das Vorliegen eines Pflegekindschaftsverhältnisses als notwendig angesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind (vgl. BSG-Urt. v. 22.11.1963 – 7 RKg 2/61 –).
Bei Stiefkindern liegen mithin die Voraussetzungen einer Haushaltsaufnahme nicht vor, wenn die Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsfunktionen von einer Kindergeldbegehrenden, als Stiefelternteil auftretenden Person – wenn überhaupt – nur gelegentlich und in ungewöhnlich langen Abständen wahrgenommen werden können. Die "Haushaltsaufnahme” beruht – wie beim Pflegekindschaftsverhältnis – nicht auf einem Rechtsverhältnis, sondern ist vielmehr aus den tatsächlichen Gesamtumständen abzuleiten. Nach ihrem eigenen Vorbringen beschränkt sich die Klägerin als "Stiefelternteil” aber nur auf relativ kurzfristige (etwa einmonatige), in jährlichen Abständen erfolgende Besuche. Während der ganzen übrigen Zeit werden die "Stiefkinder” von ihrem leiblichen Vater, dem Ehemann der Klägerin, beaufsichtigt, erzogen und betreut.
Ob die Klägerin seit der Beschäftigungsaufnahme in der Bundesrepublik zu den Kosten des Unterhalts der "Stiefkinder” erheblich beiträgt, kann hier dahinstehen.
Selbst wenn dies der Fall wäre, würde dies allein nicht ausreichen, das Merkmal der "Haushaltsaufnahme” durch den Kindergeldberechtigten zu begründen. Denn durch die Beschäftigungsausübung und die damit verbundene Aufenthaltsaufnahme in der Bundesrepublik kann die Klägerin die Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsfunktion der "Stiefkinder” nur gelegentlich und in ungewöhnlich langen Abständen wahrnehmen. Weil die "Haushaltsaufnahme” aus den tatsächlichen Gesamtumständen abzuleiten ist, kommt es auch nicht entscheidend darauf an, ob wirtschaftliche Gründe, insbesondere solche der Familienunterhaltssicherung, die Klägerin gerade zur Beschäftigungsausübung in der Bundesrepublik veranlaßt haben. Ferner ist es nicht entscheidend, ob ein elternähnliches Band zwischen der Klägerin und den "Stiefkindern” vor der Beschäftigungsaufnahme in der Bundesrepublik bestanden hat, denn die mit dieser Beschäftigungsaufnahme verbundenen Umstände haben im Falle der Klägerin dieses Band jedenfalls nicht nur vorübergehend getrennt. Insbesondere die Aufnahme ihrer beiden ältesten Kinder N. und Ne. in Deutschland weist deutlich darauf hin, daß die Beschäftigungsausübung und damit die Aufenthaltsaufnahme in der Bundesrepublik von der Klägerin von vornherein für längere Zeit beabsichtigt gewesen ist.
Die von der Klägerin in ihrem Schreiben vom 18.11.1976 gemachten Angaben geben keinen Anlaß zu einer anderen Beurteilung. In Anbetracht der bisherigen Sachlage und insbesondere des Umstandes, daß der Ehemann der Klägerin und Vater der nichtehelichen Kinder Nez., E., R. und A. keine Arbeitserlaubnis besitzt, fehlen hinreichende Anhaltspunkte, daß die nunmehrige Wohnsitznahme bei der Klägerin überhaupt auf Dauer beabsichtigt ist. Aus der bisherigen nur kurzzeitigen Wohnsitznahme kann deshalb unter den vorliegenden Gesamtumständen nicht abgeleitet werden, daß nunmehr die Klägerin die Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsfunktionen hinsichtlich der nichtehelichen Kinder ihres Ehemannes nicht nur vorübergehend übernommen hat und deshalb die "Haushaltsaufnahme” dieser Kinder durch die Klägerin anzunehmen ist, was jedenfalls auch nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 6 BKGG Voraussetzung für eine Berücksichtigung dieser Kinder wäre. Im übrigen ist es der Klägerin unbenommen, später höheres Kindergeld bei der Beklagten zu beantragen (§ 17 Abs. 1 BKGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil die entschiedene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die im Jahre 1938 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige. Sie ist seit dem Jahre 1950 verheiratet. Sie hat drei eheliche Kinder – N., geb. 1954, Ne., geb. 1957, Nus., geb. 1959 –. Die Klägerin arbeitet in der Bundesrepublik seit August 1971. Sie wohnt seitdem mit ihren Kindern N. und Ne. in der Bundesrepublik in Darmstadt.
Das eheliche Kind Nus. blieb bei dem Ehemann der Klägerin, M. E., in I. in der Türkei. Der Ehemann der Klägerin arbeitete dort als Kellner. Außer dem Kind Nus. wohnten bei dem Ehemann der Klägerin noch die Kinder E., geb. 1962, Nez., geb. 1963 und die Zwillinge R. und A., geb. 1971. Bei diesen Kindern handelt es sich um von dem Ehemann der Klägerin abstammende nichtehelich Kinder.
Das am 22.12.1971 unter Berücksichtigung aller sieben Kinder der Klägerin bewilligte Kindergeld wurde mit Bescheid vom 22.1.1975 mit Wirkung ab September 1972 wieder entzogen, soweit die nichtehelichen vier Kinder berücksichtigt worden waren. Das Kindergeld wurde nur noch unter Berücksichtigung der drei ehelichen Kinder gewährt. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg; er wurde durch Widerspruchsbescheid vom 22.1.1973 zurückgewiesen.
Am 6.3.1973 ging bei der Beklagten ein von der türkischen Sozialversicherungsanstalt angeforderter Bericht vom 2.3.1973 über die Kindschaftsverhältnisse ein. In dem Bericht wurde ausgeführt, die Kinder Nez., E., R. und A. seien "Stiefkinder” der Klägerin. Ihr Unterhalt werde mit dem von der Klägerin geschickten Geld bestritten.
Mit ihrer Klage trug die Klägerin vor, ihr alleiniger ständiger Haushalt sei der in I. in der Türkei, den sie nach wie vor mit ihrem Ehemann führe und in dem auch die nichtehelichen Kinder lebten. Ihre Wohnung in Darmstadt sei ein zufälliger und vorübergehender Behelf, weil sie durch die Beschäftigung in der Bundesrepublik ihre Familie unterhalten müsse. Sie stelle ihrem Ehemann alles, was sie erübrigen könne, für den Unterhalt der bei diesem lebenden Kinder Nus., E., Nez, R. und A. zur Verfügung. Im Jahre 1972 seien dies an Bargeld 2.880,– DM und Kleidungsstücke im Werte von 1.000,– DM gewesen. Die nicht ehelichen Kinder seien in ihrer Familie voll integriert. Diesen Kindern stünde andere familiäre Bindung auch nicht zur Verfügung. Ihre Ehe, die wegen der Verhältnisse ihres Ehemannes mit anderen Frauen vorübergehend gelitten habe, sei inzwischen wieder in Ordnung. Sie sei der Ansicht, daß die nichtehelichen Kinder E., Nez., R. und A. als Stiefkinder einzuordnen seien und deshalb bei der Bewilligung des Kindergeldes berücksichtigt werden müßten. Sie würden durch die türkischen Behörden auch als Stiefkinder bezeichnet.
Die Beklagte vertrat die Ansicht, daß es sich bei den nichtehelichen Kindern des Ehemannes im Verhältnis zur Klägerin nicht um Stiefkinder handele. Das Sozialamt Darmstadt wies durch Urteil vom 11.6.1976 die Klage ab mit der Begründung, die nichtehelichen Kinder E., Nez., R. und A. könnten für die Bemessung des Anspruchs der Klägerin auf Kindergeld keine Berücksichtigung finden. Diese Kinder, die sich gewöhnlich in der Türkei aufhielten, seien als sog. Ehebruchskinder nicht als Stiefkinder im Sinne des Art. 30 des deutsch-türkischen Abkommens über soziale Sicherheit vom 30.4.1964 (BGBl. II 1965, S. 1170) anzusehen. Zudem fehle es bei diesen Kindern an der erforderlichen Aufnahme in den Haushalt des Berechtigten, weil die Wohnung der Klägerin in D. als ihr Haushalt anzusehen sei, zumal zwei ihrer ehelichen Kinder dort mit ihr lebten. Die vier nichtehelichen Kinder könnten allenfalls in einem Pflegeschaftsverhältnis zu der Klägerin stehen. Selbst wenn man dies annehmen würde, könnten sie für den Kindergeldanspruch der Klägerin keine Berücksichtigung finden. Pflegekinder seien in Art. 33 Abs. 2 des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommen als für den Kindergeldanspruch zu berücksichtigende Kinder nicht erwähnt.
Gegen dieses der Klägerin am 19.7.1974 zugestellte Urteil richtet sich die am 29.7.1974 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung der Klägerin. Die Klägerin vertritt weiterhin die Auffassung, daß es sich bei den vier nichtehelichen Kindern um Stiefkinder handelt, die in ihren Haushalt aufgenommen seien. Bei der Auslegung des Begriffs "Stiefkind” sei nicht entscheidend, ob das Kind in die Ehe eingebracht oder erst während der bestehenden Ehe geboren worden sei. Bei einer solchen Unterscheidung würde sich eine nichtgerechtfertigte ungleiche Behandlung ergeben. Wie sie durch ihre Eintragungen im Reisepass belegen könne, sei sie in den Zeiten vom 9.9.1972 bis 14.10.1972, 30.7.1973 bis 30.8.1973, 7.7.1974 bis 2.8.1974, also jährlich jeweils zu längeren Zeiten bei ihrer Familie in der Türkei gewesen. Die eheliche Gemeinschaft mit ihrem Ehemann sei ungebrochen gewesen. Dies könne Frau E. K. aus D., die sie in der Zeit vom 7.7. bis 2.8.1974 in die Türkei begleitet habe, bestätigen. Frau K. habe Gelegenheit gehabt, ihr Familienleben mitzuerleben. In den Jahren 1972 bis 1975 habe sie laufend insgesamt 11.000,– DM an Bargeld und Kleidungsstücke und sonstige Gegenstände im Werte von 3.000,– DM für den Unterhalt ihrer in der Türkei lebenden Familie aufgewandt. Die Geldbeträge sowie die Kleidungsstücke und sonstigen Gegenstände habe sie persönlich ihrer Familie ausgehändigt. Im Jahre 1975 sei ein Geldbetrag von ihrer Tochter Na. der Familie in der Türkei überbracht worden. Dies könne die Tochter als Zeugin bestätigen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 11. Juni 1974 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 1973 aufzuheben und auch ab September 1972 das Kindergeld unter Berücksichtigung der Kinder Nez., E., R. und A. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt aus, daß während der bestehenden Ehe geborene nichteheliche Kinder eines Ehegatten von vornherein nicht als "Stiefkinder” im Sinne des BKGG und des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens angesehen werden könnten. Zudem fehle des Merkmal der gemeinsamen Haushaltsführung, welches nach dem deutsch-türkischen Abkommen als weitere Voraussetzung erfüllt sein müsse.
In einem Schreiben an das Landessozialgericht vom 18.11.1976 gab die Klägerin an, ihr Ehemann sei mit den vier nichtehelichen Kindern und dem ehelichen Kind Nus. vor etwa zwei Monaten aus der Türkei zu ihr in die Bundesrepublik gezogen. Die gesamte Familie lebe von ihrem Einkommen. Ihr Ehemann habe eine Aufenthaltserlaubnis, jedoch keine Arbeitserlaubnis.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der Leistungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig; denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch statthaft (vgl. §§ 143, 151 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Gemäß § 22 BKGG wird das Kindergeld von Amts wegen u.a. dann entzogen, soweit die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorgelegen haben. Danach ist die mit dem Bescheid vom 21.9.1972 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.2.1973 getroffene Entscheidung nicht zu beanstanden. Denn die Anspruchsvoraussetzungen für das Kindergeld haben nicht vorgelegen, soweit die nichtehelichen Kinder des Ehemannes der Klägerin – E., Nez., R. und A. – bei der Bemessung des Kindergeldanspruchs der Klägerin berücksichtigt worden sind. Weil sich diese Kinder gewöhnlich in der Türkei aufhalten, sind sie nur nach den Vorschriften des deutsch-türkischen SV-Abkommens für den Kindergeldanspruch der Klägerin berücksichtigungsfähig. In Art. 33 dieses Abkommens sind enumerativ die Kinder aufgeführt, die bei der Feststellung des Anspruchs berücksichtigt werden können. Als Kinder gelten danach
a) eheliche Kinder,
b) Stiefkinder, die in den Haushalt des Stiefvaters oder der Stiefmutter aufgenommen sind,
c) für ehelich erklärte Kinder,
d) an Kindes statt angenommene Kinder und
e) uneheliche Kinder (im Verhältnis zu dem Vater jedoch nur, wenn eine Vaterschaft oder seine Unterhaltspflicht festgestellt ist)
des Berechtigten.
Art. 33 des deutsch-türkischen SV-Abkommens gibt die jeweils speziellen Kindschaftsverhältnisse erschöpfend an. Nur diese Kinder können bei dem Elternteil, zu dem das jeweilige Kindschaftsverhältnis besteht, zur Erhöhung des Anspruchs beitragen. Bei der Klägerin kommt hinsichtlich der Kinder E., Nez., R. und A. nur das Kindschaftsverhältnis zu b) in Betracht. Das Vorliegen eines anderen Kindschaftsverhältnisses der bezeichneten Art wird von der Klägerin selbst auch nicht behauptet. Hinsichtlich dieser Kinder ist ferner in dem Ermittlungsbericht des Generaldirektoriums der türkischen Sozialversicherungsanstalt vom 2.3.1973 kein anderes Kindschaftsverhältnis als das als "Stiefkinder” angegeben.
Im maßgebenden Kindschaftsverhältnis zur Klägerin sind die vier Kinder E., Nez., R. und A. für den Kindergeldanspruch der Klägerin aber nicht berücksichtigungsfähig, weil es jedenfalls an dem Merkmal der Haushaltsaufnahme fehlt. Selbst wenn man diese Kinder als Stiefkinder im Sinne der angeführtem Bestimmungen ansehen wollte, könne sie aus diesem Grunde zur Erhöhung des Kindergeldanspruchs der Klägerin nicht beitragen. Für die Annahme einer Aufnahme in den Haushalt von Stiefeltern reicht es nicht aus, daß das Stiefkind nur "Kostgänger” ist, also ganz oder wenigstens teilweise von dem Stiefelternteil unterhalten wird, sondern es muß wie "zur Familie zugehörig” angesehen und behandelt werden. Dazu gehört, daß in tatsächlicher Hinsicht zwischen dem Stiefelternteil und dem Kind bzw. den Kindern eine Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis besteht, (vgl. BSG, Urt. v. 22.11.1963 – 7 RKg 2/61 –). Dies ist von Rechtsprechung und Schrifttum inzwischen fast einhellig für die Begründung eines Pflegekindschaftsverhältnisses gefordert worden (vgl. BSG Urt. v. 24.4.1975 – 8/7 RKg 4/73 – und die dort angeführte Rechtsprechung und Literatur). Diese einhellige Auffassung muß auch für die Begründung einer "Haushaltsaufnahme” von Stiefkindern bei Stiefeltern gelten. Nirgendwo ist ein sachgerechter oder vernunftsbedingter Grund erkennbar, Stiefkinder im Hinblick auf die Kindergeldberechtigung von Stiefeltern anders zu behandeln als Pflegekinder im Verhältnis zu Pflegeeltern. Stiefmutter (Stiefvater) und Stiefkinder stehen zueinander nicht in verwandtschaftlichen Beziehungen. Wenn der Gesetzgeber trotz der engen verwandtschaftlichen Bande der Kinder zu Großeltern und Geschwistern diese Kinder nur dann in den Haushalt von Großeltern oder Geschwistern als aufgenommen ansieht, falls sie von diesen wenigstens überwiegend unterhalten werden (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 7 BKGG) und sie weiterhin bei ihnen Heimat und Erziehung finden, d.h. ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis die Grundlage einer familienähnlichen ideellen Dauerverbindung bildet (vgl. BSG-Urt. v. 25.4.1963 – 4 RJ 341/61 – und vom 12.9.1963 – 4 RJ 151/62), so spricht kein Umstand dafür, warum ein Stiefelternteil, obwohl bei ihm verwandtschaftliche Beziehungen zu seinen Stiefkindern fehlen, Anspruch auf Kindergeld haben sollte, sofern jene für das Vorliegen eines Pflegekindschaftsverhältnisses als notwendig angesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind (vgl. BSG-Urt. v. 22.11.1963 – 7 RKg 2/61 –).
Bei Stiefkindern liegen mithin die Voraussetzungen einer Haushaltsaufnahme nicht vor, wenn die Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsfunktionen von einer Kindergeldbegehrenden, als Stiefelternteil auftretenden Person – wenn überhaupt – nur gelegentlich und in ungewöhnlich langen Abständen wahrgenommen werden können. Die "Haushaltsaufnahme” beruht – wie beim Pflegekindschaftsverhältnis – nicht auf einem Rechtsverhältnis, sondern ist vielmehr aus den tatsächlichen Gesamtumständen abzuleiten. Nach ihrem eigenen Vorbringen beschränkt sich die Klägerin als "Stiefelternteil” aber nur auf relativ kurzfristige (etwa einmonatige), in jährlichen Abständen erfolgende Besuche. Während der ganzen übrigen Zeit werden die "Stiefkinder” von ihrem leiblichen Vater, dem Ehemann der Klägerin, beaufsichtigt, erzogen und betreut.
Ob die Klägerin seit der Beschäftigungsaufnahme in der Bundesrepublik zu den Kosten des Unterhalts der "Stiefkinder” erheblich beiträgt, kann hier dahinstehen.
Selbst wenn dies der Fall wäre, würde dies allein nicht ausreichen, das Merkmal der "Haushaltsaufnahme” durch den Kindergeldberechtigten zu begründen. Denn durch die Beschäftigungsausübung und die damit verbundene Aufenthaltsaufnahme in der Bundesrepublik kann die Klägerin die Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsfunktion der "Stiefkinder” nur gelegentlich und in ungewöhnlich langen Abständen wahrnehmen. Weil die "Haushaltsaufnahme” aus den tatsächlichen Gesamtumständen abzuleiten ist, kommt es auch nicht entscheidend darauf an, ob wirtschaftliche Gründe, insbesondere solche der Familienunterhaltssicherung, die Klägerin gerade zur Beschäftigungsausübung in der Bundesrepublik veranlaßt haben. Ferner ist es nicht entscheidend, ob ein elternähnliches Band zwischen der Klägerin und den "Stiefkindern” vor der Beschäftigungsaufnahme in der Bundesrepublik bestanden hat, denn die mit dieser Beschäftigungsaufnahme verbundenen Umstände haben im Falle der Klägerin dieses Band jedenfalls nicht nur vorübergehend getrennt. Insbesondere die Aufnahme ihrer beiden ältesten Kinder N. und Ne. in Deutschland weist deutlich darauf hin, daß die Beschäftigungsausübung und damit die Aufenthaltsaufnahme in der Bundesrepublik von der Klägerin von vornherein für längere Zeit beabsichtigt gewesen ist.
Die von der Klägerin in ihrem Schreiben vom 18.11.1976 gemachten Angaben geben keinen Anlaß zu einer anderen Beurteilung. In Anbetracht der bisherigen Sachlage und insbesondere des Umstandes, daß der Ehemann der Klägerin und Vater der nichtehelichen Kinder Nez., E., R. und A. keine Arbeitserlaubnis besitzt, fehlen hinreichende Anhaltspunkte, daß die nunmehrige Wohnsitznahme bei der Klägerin überhaupt auf Dauer beabsichtigt ist. Aus der bisherigen nur kurzzeitigen Wohnsitznahme kann deshalb unter den vorliegenden Gesamtumständen nicht abgeleitet werden, daß nunmehr die Klägerin die Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsfunktionen hinsichtlich der nichtehelichen Kinder ihres Ehemannes nicht nur vorübergehend übernommen hat und deshalb die "Haushaltsaufnahme” dieser Kinder durch die Klägerin anzunehmen ist, was jedenfalls auch nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 6 BKGG Voraussetzung für eine Berücksichtigung dieser Kinder wäre. Im übrigen ist es der Klägerin unbenommen, später höheres Kindergeld bei der Beklagten zu beantragen (§ 17 Abs. 1 BKGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil die entschiedene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist.
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