L 1 Ar 756/77

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 5 Ar 315/76
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Ar 756/77
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ist bereits über die Rechtsfolgen eines Sperrzeitentatbestandes (AFG § 191 Abs. 1) bindend (SGG § 77) entschieden worden, daß dieser – nur – Anlaß zum Eintritt einer Sperrzeit von 4 Wochen gebe, ohne daß hieran die – verschärften – Folgen des Erlöschens (AFG § 119 Abs. 3) des Alhi-Anspruchs geknüpft werden, so ist die BA nicht berechtigt, nunmehr daraus ohne Beachtung dieses VA das Erlöschen herzuleiten.
Es bedarf vielmehr zusätzlich einer – rechtswirksamen – Aufhebung des bindenden VA; insoweit ist AFG § 151 nicht anwendbar.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 16. Juni 1977 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über das Erlöschen des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Der 1935 geborene Kläger meldete sich am 14. Januar 1972 beim Arbeitsamt Gießen arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg), welches ihm von diesem Tage an mit einer Anspruchsdauer von 78 Wochentagen bewilligt wurde. Der Kläger war zuletzt beschäftigt als Putzer (vom 25. März bis 23. Juli 1971), Bauhelfer (vom 16. August bis 25. September 1971) und als Maurer (vom 22. November bis 31. Dezember 1971). Vorher hatte er zuletzt im Jahre 1968 in Beschäftigung gestanden.

Am 12. Juni 1972 nahm der Kläger eine Beschäftigung als Verputzer auf, die am 21. Juni 1972 wieder endete.

Vom 11. bis 14. September 1972 und am 25. September 1972 war der Kläger als Maurer bei der Bauunternehmung S. in G. beschäftigt. In der Arbeitsbescheinigung der Bauunternehmung S. vom 18. Dezember 1972 wurde ausgeführt, der Kläger habe das Arbeitsverhältnis gelöst, indem er "am 25. September 1972 seine Arbeitsstelle nach 3 Stunden wieder verlassen habe”.

Mit Bescheid vom 4. Januar 1973 wurde daraufhin vom Arbeitsamt Gießen der Eintritt einer Sperrzeit von 4 Wochen vom 26. September 1972 bis 23. Oktober 1972 festgestellt, weil der Kläger seine Arbeit bei der Bauunternehmung S. durch vertragswidriges Verhalten verloren und dadurch den Eintritt der Arbeitslosigkeit grobfahrlässig herbeigeführt habe. Der Bescheid enthielt auch den Hinweis an den Kläger, daß der Leistungsanspruch erlösche, wenn der Kläger erneut Anlaß zum Eintritt einer Sperrzeit von 4 Wochen gebe. Ein Rechtsbehelf gegen diesen Bescheid wurde vom Kläger nicht eingelegt.

Nach Erschöpfung des Alg-Anspruchs wurde dem Kläger ab 27. Dezember 1972 (Alhi sog. Anschluß-Alhi) bewilligt.

Am 12. April 1973 nahm der Kläger wieder eine Beschäftigung als Maurer auf bei der Bauunternehmung P. in S ... Diese Beschäftigung endete am 20. Juni 1973 durch Kündigung seitens des Arbeitgebers. In der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers vom 10. September 1973 wurde aufgeführt, Grund der Kündigung sei mehrmaliges unentschuldigtes Fehlen des Klägers gewesen.

Am 6. August 1973 meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt Gießen wieder arbeitslos und beantragte Alhi, welche ihm von diesem Tage an am 26. September 1973 bewilligt wurde. Ferner wurde mit einem an den Kläger am 26. September 1973 abgesandten und mit dem Datum "21. September 1973” versehenen Bescheid der Eintritt einer Sperrzeit von 4 Wochen vom 21. Juni bis 28. Juli 1973 festgestellt, weil der Kläger seine Arbeit bei der Bauunternehmung B. durch ein vertragswidriges Verhalten verloren und dadurch seine Arbeitslosigkeit grobfahrlässig herbeigeführt habe. In dem Bescheid wurde weiter ausgeführt, der Kläger "erhalte infolgedessen Alhi erst nach Ablauf der Sperrzeit ab 6. August 1973”. Ferner wurde darauf hingewiesen, daß der Anspruch auf Alhi erlösche, wenn der Kläger erneut Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit von 4. Wochen gebe. Auch gegen diesen Bescheid wurde ein Rechtsbehelf vom Kläger nicht eingelegt.

Mit Bescheid vom 8. Oktober 1976 hob die Beklagte "die Entscheidung vom 26. September 1973 über die Bewilligung der Alhi ab 6. August 1973” auf, weil der Alhi-Anspruch des Klägers gemäß § 119 Abs. 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) erloschen sei. In dem Bescheid wurde ausgeführt, durch den Verlust der Arbeit bei der Bauunternehmung P. am 20. Juni durch vertragswidriges Verhalten und die dadurch grobfahrlässig herbeigeführte Arbeitslosigkeit habe der Kläger erneut Anlaß für eine Sperrzeit von 4 Wochen gegeben. Eine Rückforderung der für die Zeit seit 6. August 1973 bereits ausgezahlten Alhi erfolgte nicht.

Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 1976).

Mit seiner Klage vertrat der Kläger die Auffassung, die Aufhebungsentscheidung der Beklagten sei unzutreffend. Das Sozialgericht (SG) Gießen hob mit Urteil vom 16. Juni 1977 den Bescheid vom 8. Oktober 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 1976 auf mit der Begründung, der Kläger habe durch die entlohnte Beschäftigung in der Zeit vom 12. April bis 20. Juni 1973 einen neuen Anspruch auf Alhi erworben, jedenfalls sei aber die erste Sperrzeit vom 26. September bis 23. Oktober 1972 nicht nach Entstehung des Anspruchs auf Alhi eingetreten, sondern vorher während des Alg-Anspruchs; dies erfülle den Erlöschenstatbestand des § 119 Abs. 3 AFG nicht.

Gegen dieses ihr am 11. Juli 1977 zugestellte Urteil richtet sich die am 27. Juli 1977 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung der Beklagten. Sie teilt die Auffassung des SG nicht und hält die mit dem Bescheid vom 8. Oktober 1976 getroffene Entscheidung für zutreffend.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 16. Juni 1977 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Leistungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, denn sie ist form- sowie fristgerecht eingelegt und auch statthaft (vgl. §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Berufungsausschließungsgründe greifen nicht ein, soweit das Erlöschen des Leistungsanspruchs im Streit steht (vgl. BSG, Urteil vom 6. März 1975 – 7 Rar 114/74 – Sozialrecht 1500 Nr. 3 zu § 144 SGG).

Sachlich ist die Berufung jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 8. Oktober 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 1976 ist rechtsfehlerhaft und ist deshalb zutreffend vom Sozialgericht aufgehoben werden. Der angefochtene Bescheid ist darauf gestützt, daß die Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Alhi ab 6. August 1973 nicht vorgelegen haben, weil der Anspruch erloschen sei. Dieser rechtlichen Folgerung der Beklagten steht jedoch entgegen, daß durch einen bindend gewordenen Verwaltungsakt über die Rechtsfolgen des Verlustes der Arbeit des Klägers bei der Bauunternehmung P. aus der die Beklagte in der angefochtenen Entscheidung nunmehr das Erlöschen des Anspruchs des Klägers auf Alhi herleitet, bereits eine andere Entscheidung getroffen worden ist, die zwar den Kläger ebenfalls beschwert, jedoch eine für seine Rechtsstellung günstigere Bedeutung hat.

Diese Entscheidung erging nämlich dahin, daß dieser Arbeitsverlust – nur – Anlaß zum Eintritt einer Sperrzeit von 4 Wochen vom 21. Juni bis 18. Juli 1973 gebe, ohne daß hieran die – verschärften – Folgen des Erlöschens des Alhi-Anspruchs geknüpft wurden (Bescheid vom 21. September 1973). Aus den Gründen dieser Regelung ist der Wille der Verwaltung erkennbar, daß es sich lediglich um eine Sperrzeit nach § 119 Abs. 1 AFG handeln soll, mit der Absicht, die Rechtsposition des Klägers, falls er erneut Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit von 4 Wochen gibt, im Hinblick auf eine Erlöschensentscheidung nach § 119 Abs. 3 AFG zu verschlechtern. Insoweit liegt mit dem Bescheid vom 21. September 1973 ein formeller VA vor (vgl. dazu BSG, Urteil vom 1. Oktober 1975 – 1 RA 35/75), der, weil der gegebene Rechtsbehelf (Widerspruch) nicht eingelegt worden ist, für die Beteiligten in der Sache bindend ist (§ 77 SGG).

Hat die Beklagte somit davon Gebrauch gemacht, über die Folgen des Verlustes der Arbeit des Klägers bei der Bauunternehmung P. durch vertragswidriges Verhalten für den Alhi-Anspruch durch VA eine Entscheidung zu treffen, so muß sie sich die Bindungswirkung dieses VA entgegenhalten lassen. Sie ist nicht berechtigt, nunmehr aus diesem Arbeitsverlust ohne Beachtung des Bescheides vom 21. September 1973 das Erlöschen des Anspruchs des Klägers auf Alhi gemäß § 119 Abs. 3 AFG herzuleiten. Der Verwaltungsakt über den Eintritt einer Sperrzeit von 4 Wochen nach § 119 Abs. 1 AFG ist nach Voraussetzungen, Inhalt und Wirkung ein wesentlich anderer als eine Erlöschensentscheidung nach § 119 Abs. 3 AFG. Zwar sind die Gründe, auf denen sich die verschiedenen Aussagen stützen, gleich. Ihnen kommt jedoch für die Rechtsstellung des Klägers eine unterschiedliche Bedeutung zu.

Bei dieser Sach- und Rechtslage hätte es deshalb noch zusätzlich der Aufhebung des Bescheides vom 21. September 1973 bedurft, um die mit der angefochtenen Entscheidung ausgesprochene Entziehung der Alhi mit Wirkung ab 6. August 1973 mit dem Erlöschen des Leistungsanspruchs zu begründen. Eine solche Entscheidung setzt aber einen auf Aufhebung gerichteten Willen und einen entsprechenden Ausspruch voraus. Da jedoch der angefochtene Bescheid in seinem Tenor lediglich die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi vom 26. September 1973 aufhebt, müßte eine Umdeutung des Tenors erwogen werden. Diese ließe sich aber wiederum nur rechtfertigen, wenn aus den Gründen oder sonstigen Umständen der Wille der Verwaltung zur Aufhebung des Sperrzeitenbescheides vom 21. September 1973 erkennbar wäre. Aus der angefochtenen Entscheidung (Bescheid vom 8. Oktober 1976 und Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 1976) ist ein solcher Wille aber nicht abzulesen, weil gerade davon ausgegangen wird, daß es auf den Bescheid vom 21. September 1973 nicht ankomme, da der gesamte Leistungsanspruch kraft Gesetzes gemäß § 119 Abs. 3 AFG erloschen sei. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Beklagte, die die angeführte Sach- und Rechtslage durch die mit dem VA vom 21. September 1973 getroffene Regelung selbst herbeigeführt hat, überhaupt diesen Verwaltungsakt wieder beseitigen kann, zumal die Regelung des § 151 AFG, die nur für Bewilligungsentscheidungen gilt, hier nicht anwendbar ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob die angefochtene Entscheidung etwa aus anderen Rechtsgründen einer Überprüfung nicht standhält, etwa aus dem Gesichtspunkt des Verbots der sogenannten "reformatio in peius” (d.h. die Schlechterstellung eines Arbeitslosen hinsichtlich der Auswirkungen einer Sperrzeit von 4 Wochen) oder ob etwa – wie das Sozialgericht meint – wegen der hier vom Kläger inzwischen erworbenen erneuten "kleinen Anwartschaft” gemäß § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AFG der Erlöschenstatbestand des § 119 Abs. 3 AFG nicht eingreift.

Daß es dem Erlöschen des Anspruchs nach § 119 Abs. 3 AFG nicht entgegensteht, daß die diesen Tatbestand auslösende Sperrzeit in Bereich des Alhi-Anspruchs liegt, wenn die vorangegangene Sperrzeit im Bereich des Alg-Anspruchs eingetreten ist, hat der Senat bereits entschieden (Urteile vom 29. November 1977 – L-1/Ar – 510/77 – und vom 24. Februar 1978 – L-1/Ar – 614/77).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG aufgeführten Gründe vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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