L 1 Ar 17/77

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 18/3 Ar 17/76
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Ar 17/77
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Schadensersatzanspruch nach § 145 AFG kann, jedenfalls soweit er auf die nicht richtige Ausfüllung einer Arbeitsbescheinigung gestützt wird, durch Verwaltungsakt geltend gemacht werden. Rechtliche Ermächtigungsgrundlage hierfür ist das zwischen den Arbeitgeber als dem Aussteller der Bescheinigung und der Bundesanstalt für Arbeit spätestens mit der Vorlage der Bescheinigung beim Arbeitsamt begründete Sozialrechtsverhältnis.
2. Die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs gegenüber dem Arbeitgeber als dem Aussteller der Arbeitsbescheinigung setzt nicht die vorrangige erfolglose Inanspruchnahme des Leistungsempfängers durch die Bundesanstalt für Arbeit voraus.
3. Aus dem Sozialrechtsverhältnis folgt für die Bundesanstalt für Arbeit die Pflicht, den Arbeitgeber als den Aussteller der Arbeitsbescheinigung vor vermeidbarem Schaden zu bewahren. Sie muß ihn deshalb auf offensichtliche bzw. evidente Unrichtigkeiten, die aus der Bescheinigung selbst heraus für jeden verständigen Adressaten ohne weiteres erkennbar sind, hinweisen und auf deren Behebung drängen.
4. Verletzt die Bundesanstalt für Arbeit diese Verpflichtung, kann sie jedenfalls dann keinen Schadensersatzanspruch geltend machen, wenn dem Arbeitgeber hinsichtlich der nicht richtigen Ausfüllung der Arbeitsbescheinigung nicht Vorsatz oder wenigstens grobe Fahrlässigkeit anzulasten sind. Dies ergibt sich aus dem auch im Sozialrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), aus einer entsprechenden Anwendung und Fortentwicklung der Grundsätze zum sozialrechtlichen Schadensersatz – bzw. Herstellungsanspruch sowie aus einer entsprechenden Anwendung der Grundsätze des § 254 BGB.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 22. November 1976 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beklagten gegen die Klägerin ein Schadensersatzanspruch wegen nicht richtigen Ausfüllens einer Arbeitsbescheinigung zusteht (§ 145 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz – AFG –).

Am 7. Januar 1974 meldete sich die frühere Montagearbeiterin der Klägerin Y. C. beim Arbeitsamt Frankfurt am Main arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg). In einer von der Klägerin am 14. Januar 1974 ausgefüllten Arbeitsbescheinigung ist für den Lohnabrechnungszeitraum vom 5. Februar 1973 bis 28. Februar 1973 für 19 Arbeitstage und eine Gesamtzahl von 150 Arbeitsstunden ein Bruttoarbeitsentgelt von 882,85 DM genannt. In der nächsten Zeile der Bescheinigung ist für den Lohnabrechnungszeitraum vom 1. März 1973 bis 24. März 1973 für 17 Arbeitstage und eine Gesamtzahl von 136 Arbeitsstunden ein Bruttoarbeitsentgelt von 1.668,05 DM eingetragen. In einer dritten Zeile ist für eine Gesamtzahl von 36 Arbeitstagen und 286 Arbeitsstunden ein Gesamt-Bruttoarbeitsentgelt von wiederum 1.668,05 DM aufgeführt.

In der Alg-Verfügung vom 29. Januar 1974 wurde von dem Sachbearbeiter der Beklagten zunächst als Arbeitsentgelt für 286 Arbeitsstunden ein Betrag von 1.668,05 DM eingetragen; dieser Betrag wurde sodann durchgestrichen und berichtigt in 2.550,90 DM. Aufgrund dieser Berichtigung wurde das der Arbeitslosen Celebi gewährte Alg berechnet. Tatsächlich betrug das Arbeitsentgelt der Arbeitslosen für die Zeit vom 1. März 1973 bis 24. März 1973 785,20 DM.

Mit Bescheid vom 5. Februar 1975 forderte die Beklagte von der Klägerin einen Betrag von 1.739,– DM als Schadensersatz, weil die Klägerin durch Ausstellung einer unrichtigen Arbeitsbescheinigung eine Überzahlung an die Arbeitslose C. in dieser Höhe verschuldet habe. Im einzelnen handelte es sich um Leistungen, die der Arbeitslosen in der Zeit vom 7. Januar 1974 bis 12. Dezember 1974 gewählt worden waren. Am 13. Februar 1975 legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie räumte ein, versehentlich sei von ihr für die Zeit vom 1. März 1973 bis 24. März 1973 der Gesamtverdienst der Monate Februar und März 1973 eingetragen werden. Gleichzeitig machte sie jedoch geltend, der betreffende Sachbearbeiter der Beklagten habe bei gewissenhafter und sorgfältiger Prüfung unbedingt erkennen müssen, daß der Betrag von 1.668,05 DM für die angegebene Gesamtzeit gelte; den Verdienst für März 1973 habe er dann leicht durch Abzug des für Februar 1973 genannten Betrages von 882,85 DM ermitteln können. Jedenfalls sei es erforderlich gewesen, rechtzeitig vor Auszahlung des Alg bei ihr, der Klägerin, eine entsprechende Rückfrage zu halten.

Aufgrund einer Verfügung vom 18. November 1975 erhöhte die Beklagte in einem undatierten Änderungsbescheid den von der Klägerin geforderten Betrag auf insgesamt 2.251,17 DM, indem sie zusätzlich für die Arbeitslose C. gezahlte Krankenkassenbeiträge in Höhe von 512,17 DM ersetzt verlangte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 1975, zugestellt am 11. Dezember 1975, wurde der Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Die Beklagte stützte diese Zurückweisung darauf, für das Bestehen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs sei ausreichend, daß der Klägerin hinsichtlich der unrichtigen Ausfüllung der Arbeitsbescheinigung leichte Fahrlässigkeit anzulasten sei.

Am 9. Januar 1976 hat die Klägerin durch Einreichen einer Klageschrift bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben. Sie hat sich darauf berufen, die Fehlerhaftigkeit der Bescheinigung sei so offensichtlich gewesen, daß sie gar nicht habe übersehen werden können; deshalb sei ihr Verschulden nicht ursächlich für den eingetretenen Schaden. Die Beklagte hat demgegenüber geltend gemacht, die Ursächlichkeit des Verhaltens der Klägerin werde selbst dann nicht unterbrochen, wenn auch einer ihrer Bediensteten einen offensichtlichen Fehler bei der Ausstellung der Bescheinigung schuldhaft nicht erkannt habe.

Mit Urteil vom 22. November 1976 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main entsprechend den Antrag der Klägerin den Bescheid der Beklagten vom 5. Februar 1975 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 1975 aufgehoben. Im einzelnen ist das Urteil darauf gestützt, ein Schadensersatzanspruch der Beklagten könne nicht durch Leistungsbescheid, sondern nur im Wege der Leistungsklage geltend gemacht werden; im übrigen könne die Beklagte nur dann von der Klägerin Schadensersatz verlangen, wenn sie vorher die Arbeitslose erfolglos wegen einer Rückforderung der Überzahlung in Anspruch genommen habe; schließlich sei die Anwendung des § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) von der Beklagten noch nicht geprüft worden; insoweit handele es sich um eine Entscheidung, die zunächst von der Beklagten getroffen werden müsse, bevor eine gerichtliche Überprüfung möglich sei. Abschließend heißt es in dem Urteil, daß daher der Klage unter Aufhebung des Leistungsbescheides, abgeändert durch den Bescheid ohne Datum, in Form des Widerspruchsbescheides stattzugeben gewesen sei.

Gegen dieses ihr am 10. Dezember 1976, zugestellte Urteil richtet sich die mit Schriftsatz vom 5. Januar 1977, eingegangen beim Hessischen Landessozialgericht am 6. Januar 1977, eingelegte Berufung der Beklagten.

Die Beklagte ist der Auffassung, sie sei befugt, den Schadensersatzanspruch im Wege des Verwaltungsaktes geltend zu machen und brauche auch vorher nicht gegen die Arbeitslose C. vorzugehen, abgesehen davon, daß ihr insoweit kein Rückforderungsanspruch zustehen auch ein Mitverschulden brauche sie sich nicht anrechnen zu lassen, da sie auf die Angaben der Klägerin habe vertrauen dürfen und selbst keine Ursache für den Schadenseintritt gesetzt habe.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 22. November 1976 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht ergänzend geltend, daß keine Überzahlung von Alg eingetreten wäre, wenn von seiten der Beklagten der für 286 Arbeitsstunden genannte – zutreffende – Endbetrag von 1.668,05 DM der Alg-Berechnung zugrunde gelegt worden wäre.

Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Leistungsakten der Arbeitslosen C., Stamm-Nr. , Arbeitsamt Frankfurt am Main, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist frist- und formgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 151 Abs. 1, 143 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Sie ist jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 22. November 1976 ist in seinem Ergebnis der Aufhebung der von der Klägerin angefochtenen Bescheide der Beklagten, wenn auch nicht in seiner Begründung, zutreffend. Der Beklagten steht gegen die Klägerin kein Schadensersatzanspruch nach § 145 Nr. 1 AFG wegen nicht richtigen Ausfüllens einer Arbeitsbescheinigung zu.

Nach § 145 Nr. 1 AFG – und zwar sowohl in der Fassung vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 582) als auch in der seit dem 20. Juli 1974 geltenden und damit während der Leistungsgewährung an die Arbeitslose C. in Kraft getretenen Neufassung des Gesetzes über Konkursausfallgeld vom 17. Juli 1974 (BGBl. I S. 1481) – ist u.a. derjenige, der – vorsätzlich oder fahrlässig – eine Arbeitsbescheinigung nach § 133 AFG nicht, nicht richtig oder nicht vollständig ausfüllt, der Bundesanstalt für Arbeit zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. Hinsichtlich des Inhaltes der Arbeitsbescheinigung bestimmte § 133 Satz 2 AFG in der zum Zeitpunkt der Ausstellung der Bescheinigung der Klägerin (14. Januar 1974) geltenden Fassung vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 582), daß das Arbeitsentgelt und sonstige Leistungen (§ 117 Abs. 2 AFG die der Arbeitnehmer aus dem Beschäftigungsverhältnis erhalten oder noch zu beanspruchen hatte, anzugeben waren; insoweit besteht Übereinstimmung mit der jetzt geltenden Regelung des § 133 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AFG. Im vorliegenden Falle sind, wie der Senat nicht verkennt, die genannten gesetzlichen Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch der Beklagten an sich dem Grunde nach erfüllt. Die Klägerin ist ihrer bereits unmittelbar aus § 133 AFG folgenden Verpflichtung, in der Arbeitsbescheinigung zutreffende Angaben über die Höhe des Arbeitsentgeltes zu machen, nicht nachgekommen. Sie hat in der von ihr am 14. Januar 1974 ausgestellten Bescheinigung das von der Arbeitslosen C. im Lohnabrechnungszeitraum vom 1. März 1973 bis 24. März 1973 erzielte Bruttoarbeitsentgelt nicht richtig eingetragen und dadurch die Bescheinigung nicht richtig ausgefüllt. Dieses Arbeitsentgelt betrug nicht, wie von der Klägerin angegeben, 1.668,05 DM, sondern nur 785,20 DM. Hinsichtlich des Zustandekommens dieser nicht richtigen Angaben ist der Klägerin, die in entsprechender Anwendung des § 278 BGB ein Verschulden der Personen, deren sie sich zur Ausstellung der Arbeitsbescheinigung bediente, in gleichem Umfange wie eigenes Verschulden zu vertreten hat, auch – wenigstens – leichte Fahrlässigkeit anzulasten. Wie die Klägerin selbst einräumt, wurde von ihr versehentlich für die Zeit vom 1. März 1973 bis 24. März 1973 der Gesamtverdienst der Monate Februar und März 1973 eingetragen. Diese nicht richtige Eintragung war auch – in adäquater Weise – ursächlich für den Eintritt des von der Beklagten der Klägerin gegenüber geltend gemachten Schadens. Die nicht richtige Ausfüllung der Bescheinigung kann nicht hinweggedacht werden, ohne daß der Schadenseintritt entfiele; die Möglichkeit des Eintritts dieses Schadens liegt auch nicht so außerhalb aller Wahrscheinlichkeit, daß sie vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen werden konnte. Eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch das Handeln des die Alg-Festsetzung vornehmenden Sachbearbeiters der Beklagten ist nicht gegeben. Die Alg-Festsetzung ging von den nicht richtigen Angaben der Klägerin aus; diese wurden der Leistungsgewährung zugrunde gelegt. Damit kamen aber lediglich die in der nicht richtig ausgefüllten Arbeitsbescheinigung von Anfang an enthaltenen Fehlermöglichkeiten voll zum Tragen. Von einem Abbrechen oder einer Unterbrechung der Kausalkette kann angesichts dieses Geschehensablaufes nicht gesprochen werden.

Der Beklagten kann auch nicht verwehrt werden, einen Schadensersatzanspruch nach § 145 AFG im Wege einseitiger hoheitlicher Regelung durch Verwaltungsakt geltend zu machen. Der erkennende Senat hält insoweit nach erneuter Überprüfung an seiner bisherigen Rechtsprechung (Urt. v. 4.3.1973 – L 1/Ar – 1104/71; Urt. vom 31.5.1979 – L 1/Ar – 296/78) fest, zumal der hier vertretene Standpunkt der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur entspricht (vgl. Bayer. LSG, Urt. v. 25.10.1973 – L 9/Al – 73/71 – Breithaupt 1974, 539; LSG Rheinland Pfalz, Urt. v. 10.2.1978 – L 1/Ar – 53/77; Bayr. LSG, Urt. v. 28.9.1978 – L 5/Al – 7/78 – Breithaupt 1979, 178; LSG Niedersachsen, Urt. v. 31.10.1978, L 3/Ar-30/78; Bayer. LSG, Urt. v. 14.12.1978 – L 9/Al – 187/77; Hennig/Kühl/Hauer, Kommentar zum Arbeitsförderungsgesetz, § 145 AFG, Anm. 1; Schönefelder/Kranz/Wanka, Kommentar zum Arbeitsförderungsgesetz, § 145 AFG, Rdnr. 3; a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 1.2.1973 – L 16/Ar – 50/72 – Breithaupt 1973, 843; s. allgemein im Sinne einer Bejahung der Möglichkeit, Schadensersatzforderungen mittels eines Verwaltungsaktes geltend zu machen, auch BSG, Urt. v. 10.11.1977 – 3 RK 44/75BSGE 45, 119, 120).

Zwar ist nicht zu verkennen, daß § 145 AFG nur eine materiell-rechtliche Regelung der Schadensersatzpflicht enthält und da eine spezialgesetzliche Grundlage, die eine Geltendmachung der Schadensersatzforderung durch Verwaltungsakt ausdrücklich zuläßt, fehlt. Auch aus der Vorschrift des § 133 AFG über die Arbeitsbescheinigung können insoweit ebensowenig irgendwelche Schlußfolgerungen gezogen werden wie aus der Bußgeldvorschrift des § 230 Abs. 1 Nr. 4 AFG, wonach ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 133 AFG eine Arbeitsbescheinigung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig ausstellt. Weiterhin bestehen zwischen dem Arbeitgeber und der Bundesanstalt für Arbeit keine einem besonderen Gewaltverhältnis im klassischen Sinne vergleichbare rechtliche Sonderbeziehungen, die kraft – freiwilliger oder unfreiwilliger – Unterwerfung die Befugnis zu einseitiger hoheitlicher Regelung begründen könnten. Andererseits ist aber zwischen der Bundesanstalt für Arbeit und dem Arbeitgeber im Hinblick auf dessen gesetzliche Verpflichtung zur Ausstellung einer – richtigen – Arbeitsbescheinigung ein – gesetzliches – verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis im Sinne eines Sozialrechtsverhältnisses vorhanden, wobei hier dahinstehen kann, ob dieses Sozialrechtsverhältnis bereits allein durch die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Ausstellung einer Arbeitsbescheinigung oder erst durch ein Verlangen des Arbeitnehmers oder des Arbeitsamtes auf Ausstellung dieser Bescheinigung begründet wird oder ob es vielleicht sogar erst mit der Ausstellung einer konkreten Bescheinigung entsteht. Jedenfalls besteht spätestens bei der Ausstellung einer Arbeitsbescheinigung, und zwar gegenüber dem Arbeitsamt, eine rechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers zu richtigen und vollständigen Angaben, ebenso wie jedenfalls spätestens mit der Vorlage der Bescheinigung beim Arbeitsamt konkrete sozialrechtliche Rechtsbeziehungen zwischen dem Arbeitsamt und dem Arbeitgeber als Aussteller der Bescheinigung mit wechselseitigen Rechten und Pflichten hergestellt werden. Aus dem Sozialrechtsverhältnis folgt aber typischerweise und ohne daß es insoweit einer speziellen gesetzlichen Legitimation bedarf, jedenfalls bei gesetzlich ausdrücklich normierten Rechten und Pflichten, die Befugnis des Leistungsträgers zum Tätigwerden mittels Verwaltungsaktes, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Akte der Leistungsverwaltung oder um Akte der Eingriffsverwaltung handelt. Das Sozialrechtsverhältnis zwischen der Bundesanstalt für Arbeit und dem Arbeitgeber bildet mit anderen Worten die rechtliche Ermächtigungsgrundlage zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs nach § 145 AFG durch Erlaß eines Verwaltungsaktes gegenüber dem Arbeitgeber.

Der Schadensersatzanspruch der Beklagten wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß diese nicht erfolglos versucht hat, die Leistungsempfängerin C. vorrangig in Anspruch zu nehmen. Auch ohne eine solche Inanspruchnahme sind alle rechtlichen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs gegenüber der Klägerin erfüllt. Insbesondere liegt bereits allein aufgrund der – materiell – ungerechtfertigten Leistungsgewährung an die Arbeitslose ein Schaden der Beklagten vor. Die Verpflichtung zur vorrangigen erfolglosen Inanspruchnahme möglicher sonstiger Ersatzpflichtiger stellt im Schadensersatzanspruch nicht den Regel-, sondern vielmehr den Ausnahmefall dar (s. z.B. die Regelung des Amtshaftungsrechts in § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der Gesetzgeber hätte deshalb in § 145 AFG die Solidarität der Haftung des Arbeitgebers ausdrücklich anordnen müssen; dies hat er jedoch nicht getan (s. zur Ablehnung einer Subsidiarität auch Bayer. LSG, Urt. v. 14.12.1978 – L 9/Al – 187/77; Hennig/Kühl/Heuer, a.a.O., Anm. 4).

Der an sich dem Grunde nach gegebene und auch ohne vorrangige Inanspruchnahme der Arbeitslosen C. durch Verwaltungsakt durchsetzbare Schadensersatzanspruch der Beklagten wird jedoch dadurch ausgeschlossen, daß eine Offensichtlichkeit bzw. Evidenz der Unrichtigkeit der Arbeitsbescheinigung vorliegt und die Beklagte, obwohl sie hierzu verpflichtet und in der Lage war, diese Unrichtigkeit nicht durch entsprechende Rückfragen bei der Klägerin behoben hat.

Aus dem spätestens mit der Vorlage der nicht richtig ausgefüllten Arbeitsbescheinigung bei dem Arbeitsamt zwischen dem Aussteller der Bescheinigung und der Bundesanstalt für Arbeit mit wechselseitigen Rechten und Pflichten begründeten Sozialrechtsverhältnis ergibt sich für die Bundesanstalt für Arbeit nach dem auch im Sozialgericht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) die (Neben-)Pflicht, alles in ihren Kräften Stehende und ihr Zumutbare zu tun, um den Aussteller vor vermeidbaren, das Sozialrechtsverhältnis betreffendem Schaden zu bewahren (so hinsichtlich des Sozialversicherungsverhältnisses BSG, Urt. v. 23.3.1972 – 5 BJ – 63/70 – BSGE 34, 124). Sie braucht zwar die ihr vorgelegten Bescheinigung nicht auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen (vgl. Bayer. LSG, Urt. v. 28.9.1978 – L 5/Al – 7/78 – Breithaupt 1979, 178, 180), sie muß andererseits jedoch aufgrund der Verpflichtung, den Aussteller der Bescheinigung vor vermeidbaren Schaden zu bewahren, auf offensichtliche bzw. evidente Unrichtigkeiten, die aus der Bescheinigung selbst heraus für jeden verständigen Adressaten ohne weiteres erkennbar sind, achten und auf ihre Aufklärung und Behebung drängen. Sie darf nicht eine erkennbar unrichtige Bescheinigung der Leistungsgewährung zugrunde legen und den infolge einer Überzahlung eintretenden Schaden dann gegenüber dem Aussteller der Bescheinigung in Gestalt eines Schadensersatzanspruchs geltend machen. Vielmehr muß sie den Schaden, der dem Aussteller dann entsteht, wenn er der Bundesanstalt einer bei ihr eingetretenen Schaden zu ersetzen hat, im Rahmen des ihr Möglichen und Zumutbaren von vornherein von dem Aussteller fernhalten.

Verletzt die Bundesanstalt für Arbeit diese Pflicht, so kann sie jedenfalls dann keinen Schadensersatzanspruch nach § 145 AFG geltend machen, wenn keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche oder wenigstens grobfahrlässige unrichtige Ausfüllung der Arbeitsbescheinigung durch den Aussteller bestehen. Dies ergibt sich aus den folgenden, sich ergänzenden und gegenseitig verstärkenden, letztlich aber in dem übergeordneten Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zusammenhängenden Überlegungen:

Einmal folgt bereits unmittelbar aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, daß ein Leistungsträger keine Rechte ausüben und damit auch keine Ansprüche geltend machen darf, wenn er sich dadurch in treuwidriger Weise zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch setzt (sog. venire contra proprium, s. BSG, Urt. v. 17.11.1970 – 1 RA 233/68BSGE 32, 60, 63; BSG, Urt. v. 26.4.1977 – 4 RJ – 35/76 – SozR 2200 § 1286 Nr. 3; BSG, Urt. v. 22.11.1979 – 8 b RKg – 3/79). Ein solcher Widerspruch liegt jedoch vor, wenn die Bundesanstalt für Arbeit unter Verletzung ihrer aus dem Sozialrechtsverhältnis nach Treu und Glauben folgenden Pflicht zur Herbeiführung einer Berichtigung offensichtlich unrichtige Angaben in einer Arbeitsbescheinigung nicht aufklärt, sie vielmehr unbeanstandet der Leistungsgewährung zugrunde legt und anschließend, gestützt auf diese unrichtigen Angaben, einen Schadensersatzanspruch gegen den Aussteller der Bescheinigung geltend macht. Sie handelt dabei jedenfalls dann treuwidrig und muß diese Geltendmachung unterlassen, wenn dem Aussteller seinerseits nicht wiederum Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit anzulasten sind.

Zum zweiten bietet sich in derartigen Fällen die Übernahme der in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum sog. sozialrechtlichen Schadensersatz – bzw. Herstellungsanspruch entwickelten Grundsätze und deren Fortentwicklung an. Nach diesen Grundsätzen ist ein Leistungsträger dann, wenn er eine sich aus dem Sozialrechtsverhältnis ergebende (Neben-)Pflicht verletzt, verpflichtet, den durch die betreffende Pflicht Geschützten so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Leistungsträger sich pfichtgemäß verhalten hätte (vgl. aus der neuesten Rechtsprechung insbesondere BSG, Urt. v. 9.5.1979 – RV-20/78; BSG, Urt. v. 20.6.1979 – 5 RKn-16/78; BSG, Urt. v. 17.7.1979 – 12 RAr 15/78; BSG, Urt. v. 4.9.1979 – 7 RAr-115/78; BSG, Urt. v. 12.10.1979 – 12 RK-47/77; BSG, Urt. v. 28.11.1979 – 5 RK-64/77, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Wendet man diese Grundsätze auf die vorliegende Fallgestaltung – entsprechend – an, so ergibt sich folgendes: hätte die Bundesanstalt für Arbeit nach der Vorlage einer offensichtlich unrichtigen Arbeitsbescheinigung ihre Pflicht, den Aussteller um Aufklärung und Behebung des Fehlers zu ersuchen, erfüllt und der Aussteller, wovon dann im Wege der Unterstellung auszugehen ist, eine entsprechende Richtigstellung vorgenommen, so würde der Aussteller stehen, daß er der Bundesanstalt gegenüber nicht zum Schadensersatz verpflichtet ist. Die Bundesanstalt kann daher von ihm auch nicht den Schaden ersetzt verlangen, der ihr dadurch entstanden ist, daß sie die ihr obliegende Aufklärung pflichtwidrig unterlassen hat. Etwas anderes würde, und zwar im Sinne einer Quotelung der Schadensersatzforderung, nur dann gelten, wenn die Bundesanstalt dem Aussteller ein Mitverschulden entgegenhalten könnte. Dieser Einwand ist ihr jedoch, wie im folgenden näher dargelegt wird, wiederum dann verwehrt, wenn dem Aussteller nicht wenigstens Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit anzulasten sind.

Drittens ergibt sich nämlich der Wegfall des Schadensersatzanspruchs aus einer – entsprechenden – Anwendung der Grundsätze des § 254 BGB, die ihrerseits wiederum zugleich eine besondere Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben darstellen (vgl. Palandt-Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 39. Aufl., 1980, § 254 BGB, Anm. 1 a). Nach § 254 Abs. 1 BGB hängt, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt hat, die Verpflichtung zum Ersatze sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teile verursacht worden ist. Aus § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB folgt, daß dies u.a. auch dann gilt, wenn sich das Verschulden des Beschädigten darauf beschränkt, daß er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden. Diese Grundsätze gelten, ebenso wie der Grundsatz von Treu und Glauben im öffentlichen Recht und damit auch im Sozialrecht entsprechend (vgl. Palandt-Heinrichs, a.a.O., Anm. 2 c mit weiteren Nachweisen). Auch auf den Schadensersatzanspruch des § 145 AFG sind sie daher anzuwenden (so bereits das Urteil des erkennenden Senates vom 31. Mai 1979 – L 1/AR – 296/78; a.A. Bayer. LSG, Urt. v. 28.9.1978, a.a.O., S. 180). Sie laufen letztlich auf eine Abwägung hinaus, bei der in erster Linie auf das Maß der beiderseitigen Verursachung und erst in zweiter Linie auf das Maß des beiderseitigen Verschuldens abzustellen ist. Diese Abwägung kann, wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 254 Abs. 1 BGB ergibt, im Einzelfall zu einem (völligen) Wegfall der Ersatzpflicht führen (vgl. Palandt-Heinrichs, a.a.O., Anm. 4 a, 4 b).

Ein derartiger Wegfall der Ersatzpflicht ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn der Schaden eingetreten ist, obwohl der Arbeitsbescheinigung die offensichtliche Unrichtigkeit der dort gemachten Angaben ohne weiteres zu entnehmen gewesen ist. Wägt man bei dieser Fallgestaltung das Maß der beiderseitigen Verursachung gegeneinander ab, so tritt die von dem Aussteller herrührende Verursachung, auch wenn insoweit keine Unterbrechung des Kausalzusammenhanges eintritt, ganz in den Hintergrund im Verhältnis zu der in der Sphäre der Bundesanstalt liegenden Verursachung. In dem Augenblick, in dem die von dem Arbeitgeber gemachten Angaben von der Bundesanstalt der Leistungsgewährung zugrunde gelegt worden, wird die entscheidende Ursache für den späteren Schadenseintritt gesetzt. An dieser Stelle, an der die in der Bescheinigung enthaltenen Angaben erstmals überhaupt eine praktische Bedeutung gewinnen, muß, zumal diese Angaben nur für die Bundesanstalt, nicht aber auch für den Aussteller von Interesse sind, wenigstens eine Plausibilitätskontrolle ihrer Richtigkeit, eine Überprüfung auf offensichtliche, aus der Bescheinigung selbst heraus ohne weiteres erkennbare Fehler erfolgen. Falls die betreffenden Angaben unrichtig sind, wirkt sich diese Unrichtigkeit nämlich hier, und nur hier, aus, wenn es um die Leistungsfestsetzung geht. Die Unterlassung einer solchen Überprüfung bzw. die Nichtbeanstandung – möglicherweise nicht erkennbar – offensichtlicher Fehler in der Sphäre der Bundesanstalt begründet aber auch, wenn man in zweiter Linie auf das Maß des beiderseitigen Verschuldens abstellt, regelmäßig einen so schwerwiegenden Schuldvorwurf, daß demgegenüber eine nur leichte Fahrlässigkeit auf seiten des Ausstellers als rechtlich unerheblich zurücktreten muß. Erst bei von dem Aussteller vorsätzlich oder wenigstens grobfahrlässig herbeigeführten unrichtigen Angaben kommt – immer unterstellt, daß die Unrichtigkeit der Angaben evident ist – eine Schadensquotelung in Betracht, wobei, entgegen der Ansicht des Gerichts erster Instanz, immer davon auszugehen ist, daß die Gerichte die diesbezüglichen Abwägungen, da es sich insoweit nicht um Ermessensentscheidungen oder um Entscheidungen mit einem gerichtlich nicht voll nachprüfbaren Beurteilungsspielraum handelt, selbst vornehmen können, so wie dies auch in der ordentlichen Gerichtsbarkeit bei Anwendung des § 254 BGB geschieht.

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt sich, daß die von der Klägerin am 14. Januar 1974 ausgestellte Arbeitsbescheinigung aus sich heraus offensichtlich bzw. evident unrichtig ist. Es liegt auf der Hand, daß die Arbeitslose C. nicht einerseits in der Zeit vom 5. Februar 1973 bis 28. Februar 1973 als Montagearbeiterin für eine Gesamtzahl von 150 Arbeitsstunden 882,85 DM und andererseits bei derselben ausgeübten Tätigkeit in der sich anschließenden Zeit vom 1. März 1973 bis 24. März 1973 für eine Gesamtzahl von nur 136 Arbeitsstunden 1.668,05 DM verdienen konnte. Hier mußte sich jedem verständigen Adressaten der Bescheinigung bereits auf den ersten Blick die Überzeugung aufdrängen, daß eine der beiden Verdienstangaben nicht richtig sein konnte. Die Unrichtigkeit der Angaben war weiterhin auch insoweit offensichtlich, als für die Gesamtzahl von 286 Arbeitsstunden wiederum der Betrag vom 1.668,05 DM genannt war. Das gleiche Arbeitsentgelt konnte nicht einerseits für 136, andererseits gleichzeitig für 286 Arbeitsstunden erzielt worden sein. Diese offensichtlichen Unstimmigkeiten hätten den betreffenden Sachbearbeiter der Beklagten veranlassen müssen, sich mit der Klägerin wegen einer entsprechenden Klarstellung und Berichtigung in Verbindung zu setzen. Dies hat er jedoch nicht getan, sondern statt dessen nach eigenem Gutdünken einer unrichtigen Gesamtbetrag von 2.550,90 DM errechnet und eingetragen, obwohl es weitaus näher lag, den Betrag von 1.668,05 DM für den Monat März als den unrichtigen Betrag anzusehen. Bei alledem ist auch der Vorwurf schuldhaften Verhaltens so offensichtlich begründet, daß im einzelnen dahinstehen kann, ob und in welchem Umfang die angeführten rechtlichen Begründungen für das Entfallen des Schadensersatzanspruchs der Beklagten ein Verschulden voraussetzen (vgl. insoweit aus Herstellungsanspruch insbesondere die zitierten Urteile des BSG vom 9.5.1979, 4.9.1979 und 12.10.1979).

Anhaltspunkte für ein vorsätzliches oder auch nur grobfahrlässiges Verhalten der Klägerin bzw. ihrer als Erfüllungsgehilfen tätig gewordenen Angestellten bestehen andererseits nicht. Bei der unrichtigen Angabe bezüglich des Arbeitsentgelts für den Monat März 1973 handelt es sich, wie nach den Vorbringen der Klägerin zur Überzeugung des Senats feststeht, um einen Übertragungsfehler, der nur, wenn auch insoweit unzweifelhaft, den Vorwurf leichter Fahrlässigkeit zu rechtfertigen vermag. Der Vorwurf einer wenigstens groben Fahrlässigkeit wäre nur dann zu vertreten gewesen, wenn die von der Klägerin genannten Zahlen als solche unrichtig gewesen wären. Der für den Monat genannte Betrag war jedoch als solcher zutreffend; er gab das Gesamtarbeitseinkommen für 286 Arbeitsstunden richtig wieder. Insoweit wäre es auch nicht zu einer Überzahlung gekommen, wenn dieser in der Alg-Verfügung vom 29. Januar 1974 zunächst richtig eingetragene Betrag nicht nachträglich im unzutreffender Weise abgeändert worden wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision hat der Senat zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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