L 1 Ar 738/80

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 5 Ar 243/79
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Ar 738/80
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ehegatten von Arbeitnehmern, die nur die Voraussetzungen des damaligen § 2 Abs. 5 AEVO (Härteregelung) vor dem 1. Oktober 1978 erfüllt haben, können keinen Anspruch auf Erteilung einer besonderen Arbeitserlaubnis nach § 2 Abs. 1 AEVO aus § 15 Abs. 4 AEVO herleiten.
2. Umstände, die in der Person des Ehegatten des Arbeitnehmers einen Härtefall begründen, rechtfertigen nicht zugleich deshalb auch die Annahme eines Härtefalles in der Person des Arbeitnehmers. Vielmehr müssen Umstände vorliegen, die unmittelbar in der Person des Arbeitnehmers selbst nach seinen besonderen persönlichen Verhältnissen einen Härtefall begründen.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 22. April 1980 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer besonderen Arbeitserlaubnis.

Die Klägerin, eine türkische Staatsangehörige, hält sich seit dem 23. Februar 1973 ununterbrochen rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sie besitzt eine bis zum 24. Januar 1983 geltende Aufenthaltserlaubnis. Ihr Ehemann, ebenfalls ein türkischer Staatsangehöriger, hält sich hier seit dem Jahre 1970 auf und besitzt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Die Eheleute haben drei Kinder im Alter von 18, 15 und 12 Jahren.

Dem Ehemann der Klägerin wurde unter Anerkennung eines Härtefalles (nicht zu vertretende unerlaubte Tätigkeit in der Zeit vom 30. Mai 1975 bis 22. Januar 1976 und vom 23. Januar 1978 bis 25. April 1978 aufgrund vom Arbeitgeber übernommener, aber versäumter Beantragung der Erteilung bzw. Verlängerung einer Arbeitserlaubnis) eine besondere Arbeitserlaubnis für die Zeit vom 4. September 1979 bis 3. September 1984 erteilt.

Am 26. September 1979 beantragte die Klägerin, die bis dahin in der Bundesrepublik Deutschland nur im Jahre 1973 für kurze Zeit als Putzfrau tätig gewesen war, ebenfalls die Erteilung einer besonderen Arbeitserlaubnis. Mit Bescheid vom 28. September 1979 wurde dieser Antrag abgelehnt mit der Begründung, gemäß § 15 Abs. 4 der Arbeitserlaubnisverordnung –AEVO– vom 2. März 1971 (BGBl. I S. 152) in der Fassung der 4. Änderungsverordnung vom 29. August 1978 (BGBl. I S. 1531) sei zwar Ehegatten von Arbeitnehmern, die die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AEVO vor dem 1. Oktober 1978 erfüllt haben, die Arbeitserlaubnis nach § 2 Abs. 1 AEVO zu erteilen, wenn sie sich in den letzten fünf Jahren vor dem 1. Oktober 1978 ununterbrochen rechtmäßig im Geltungsbereich der AEVO aufgehalten haben; da der Ehemann der Klägerin jedoch nur eine Arbeitserlaubnis nach § 2 Abs. 6 AEVO vom 2. März 1971 in der Fassung vom 29. August 1978 (Härteregelung) besitze, sei die Erteilung der beantragten besonderen Arbeitserlaubnis nicht zulässig.

Den am 5. Oktober 1979 eingelegten Widerspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, die Voraussetzungen des § 15 Abs. 4 AEVO seien erfüllt, da es in diesem Zusammenhang unerheblich sei, daß ihr Ehemann seine besondere Arbeitserlaubnis nur im Rahmen der Härteregelung erhalten habe, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 1979, zugestellt am 30. Oktober 1979, als unbegründet zurück. Ergänzend führte sie aus, daß die Versagung der Arbeitserlaubnis auch für die Klägerin selbst keine Härte bedeute.

Am 7. November 1979 hat die Klägerin zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Kassel Klage erhoben und sich dabei auf die Begründung ihres Widerspruchs bezogen. Die Beklagte hat demgegenüber an der Begründung ihrer Bescheide festgehalten.

Mit Urteil vom 22. April 1980 hat das Sozialgericht Kassel die Beklagte entsprechend dem Antrag der Klägerin verurteilt, dieser eine Arbeitserlaubnis nach § 2 Abs. 6 AEVO zu erteilen und diese Verurteilung dabei auf das Vorliegen eines Härtefalles gestützt. Im einzelnen wird diesbezüglich ausgeführt, daß dann, wenn der Arbeitgeber des Ehemannes der Klägerin die entsprechenden Anträge rechtzeitig gestellt hätte, der Ehemann der Klägerin die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AEVO vor dem 1. Oktober 1978 erfüllt hätte und die Klägerin selbst dann in diesem Falle einen Anspruch auf Erteilung einer Arbeitserlaubnis gemäß § 15 Abs. 4 AEVO hätte. Es sei daher nicht gerechtfertigt, daß die Klägerin die Folgen von Versäumnissen des Arbeitgebers des Ehemannes zu tragen habe. Die begehrte Arbeitserlaubnis sei ihr zu erteilen, obwohl die Voraussetzungen des § 15 Abs. 4 AEVO nicht gegeben seien.

Gegen dieses der Beklagten am 19. Mai 1980 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, eingelegt mit einem am 18. Juni 1980 beim Hessischen Landes Sozialgericht eingegangenen Schriftsatz der Beklagten vom selben Tage.

Die Beklagte macht im wesentlichen geltend, aus den Umständen, die bei dem Ehemann der Klägerin einen Härtefall begründeten, lasse sich nicht auch zugleich für die Klägerin eine besondere Härte herleiten. In § 15 Abs. 4 AEVO fehle eine entsprechende Verweisung auf die Härteregelung in § 2 Abs. 6 AEVO vom 2. März 1971 bzw. § 2 Abs. 7 AEVO vom 12. September 1980 (BGBl. I S. 1755); es dürften deshalb über eine direkte Anwendung dieser Härtefallregelung keine Ergebnisse erzielt werden, die darauf hinausliefen, als ob in § 15 Abs. 4 AEVO eine entsprechende Verweisung enthalten sei.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 22. April 1980 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren keine Stellungnahme abgegeben. In ihrer Person liegende Gründe für das Vorliegen einer besonderen Härte hat sie trotz entsprechender Aufforderung nicht vorgebracht.

Im übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Arbeitserlaubnisakten und der Vermittlungsunterlagen der Klägerin und ihres Ehemannes sowie der vom Oberbürgermeister der Stadt K. beigezogenen Ausländerakten der Klägerin, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist frist- und formgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz –SGG–) sowie an sich statthaft (§ 143 SGG).

Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 22. April 1980 ist rechtlich zu beanstanden und hat unter gleichzeitiger Abweisung der Klage aufgehoben werden müssen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer besonderen Arbeitserlaubnis. Die diesbezüglichen Voraussetzungen sind nicht gegeben.

In Betracht kommt vorliegend lediglich ein Anspruch nach der Übergangsvorschrift des § 15 Abs. 4 AEVO oder unmittelbar nach der Härteregelung des § 2 Abs. 6 AEVO vom 2. März 1971 in der Fassung vom 29. August 1978 bzw. § 2 Abs. 7 AEVO vom 12. September 1980. Gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 AEVO ist Ehegatten von Arbeitnehmern, die die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AEVO vor dem 1. Oktober 1978 erfüllt haben, die Arbeitserlaubnis nach § 2 Abs. 1 AEVO zu erteilen, wenn sie sich in den letzten fünf Jahren vor dem 1. Oktober 1978 ununterbrochen rechtmäßig im Geltungsbereich der AEVO aufgehalten haben. Diese Tatbestandsmerkmale sind vorliegend nicht gegeben. Der Ehemann der Klägerin hat die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AEVO – ununterbrochene rechtmäßige Ausübung einer unselbständigen Tätigkeit im Geltungsbereich der AEVO in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Geltungsdauer der Arbeitserlaubnis – vor dem 1. Oktober 1978 nicht erfüllt. Er war vom 30. März 1975 bis 22. Januar 1975 und vom 23. Januar 1978 bis 25. April 1978 unerlaubt, nämlich ohne Arbeitserlaubnis, tätig und bekam eine besondere Arbeitserlaubnis nur aufgrund der Härteregelung – damals des § 2 Abs. 6 AEVO alter Fassung – a.F. – – erteilt. Eine Erfüllung nur der Voraussetzungen der Härteregelung durch den Ehegatten des Arbeitnehmers vor dem 1. Oktober 1978 begründet jedoch keinen Anspruch auf Erteilung einer aus der Person dieses Ehegatten abgeleiteten Arbeitserlaubnis. § 15 Abs. 4 Satz 1 AEVO nimmt nur auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 AEVO, nicht auch auf die vor dem 1. Oktober 1978 geltende Härteregelung in dem damaligen § 2 Abs. 5 AEVO vom 2. März 1971 Bezug. Auch in § 15 Abs. 4 Satz 2 AEVO werden lediglich die Regelungen in § 2 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 4 und 5 Satz 1 AEVO a.F. bzw. in § 2 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 5 und 6 Satz 1 AEVO neuer Fassung –n.F.– für entsprechend anwendbar erklärt. Wenn der Verordnungsgeber die Einbeziehung der Härteregelung in den Anwendungsbereich des § 15 Abs. 4 AEVO gewollt hätte, hätte er dies ohne weiteres anordnen können, da bei Schaffung der 4. Änderungsverordnung vom 29. August 1978 die Härteregelung bereits bestand und daher davon auszugehen ist, daß sie dem Verordnungsgeber bekannt war. Indem er von einer entsprechenden Einbeziehung abgesehen hat, hat er in einer speziellen Bestimmung über die Regelung des Anspruchs auf eine abgeleitete Arbeitserlaubnis eine eindeutige Entscheidung dahingehend getroffen, daß allein die Erfüllung der Voraussetzungen der Härteregelung durch den Ehegatten keinen Anspruch auf Erteilung einer besonderen Arbeitserlaubnis begründet.

Diese Entscheidung des Verordnungsgebers würde aber in ihr Gegenteil verkehrt, wenn ein solcher Anspruch durch einen unmittelbaren Rückgriff auf die Härteregelung in § 2 Abs. 6 bzw. Abs. 7 AEVO begründet würde. Ein solcher Rückgriff ist mithin bereits von daher ausgeschlossen. Vielmehr läßt sich ein widerspruchsfreier systematischer Zusammenhang zwischen den Regelungen der §§ 15 Abs. 4 und 2 Abs. 6 bzw. Abs. 7 AEVO nur dann herstellen, wenn man die Härteregelung in § 2 Abs. 6 bzw. Abs. 7 AEVO dahingehend interpretiert, daß der Härtefall unmittelbar in der Person des Antragstellers selbst begründet sein muß und Umstände, die in der Person des Ehegatten des Antragstellers einen Härtefall begründen, nicht zugleich deshalb auch die Annahme eines Härtefalles in der Person des Antragstellers rechtfertigen. Diese Auslegung der Härtefallregelung wird aber auch unabhängig von dem systematischen Zusammenhang mit § 15 Abs. 4 AEVO durch den Wortlaut des § 2 Abs. 6 bzw. Abs. 7 AEVO bestätigt. Die Versagung der Arbeitserlaubnis muß "nach den besonderen Verhältnissen des Arbeitnehmers” eine Härte bedeuten, das heißt, es ist auf seine speziellen persönlichen Verhältnisse, nicht auf die dritter Personen, abzustellen. Ein weiteres Argument für die Richtigkeit dieser Auslegung ergibt sich aus dem engeren systematischen Zusammenhang des § 2 AEVO. Die Härteregelung stellt eine Ausnahmeregelung für die Fälle dar, in denen die Voraussetzungen der Absätze 1 und 3 des § 2 nicht erfüllt sind und demgemäß an sich kein Anspruch auf Erteilung einer besonderen Arbeitserlaubnis besteht. Als Ausnahmeregelung innerhalb des Rahmens des § 2 AEVO ist die Bestimmung jedoch eng auszulegen. Letztlich rechtfertigen aber auch Sinn und Zweck der Härteregelung diese Auffassung. Der Arbeitnehmer soll eine besondere Erlaubnis erhalten können, wenn ihn die Versagung dieser Arbeitserlaubnis nach den unmittelbar in seiner Person liegenden Umständen hart treffen würde; Gesichtspunkte des Ehegatten- bzw. Familienschutzes können nur dann berücksichtigt werden, wenn sie den Arbeitnehmer selbst betreffen und sich in seinen besonderen persönlichen Verhältnissen auswirken. Der Senat verkennt nicht, daß sich aus dem Verfassungsrecht (Art. 6 Grundgesetz –GG–) und den allgemeinen Bestimmungen des Sozialgesetzbuches (§§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Halbsatz 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – SGB I) gewichtige Argumente für eine Stärkung der Rechtsstellung der Ehegatten ausländischer Arbeitnehmer, insbesondere bezüglich abgeleiteter Rechtsansprüche, ergeben (vgl. insoweit auch Schwerdtfeger, Verhandlungen des 53. Deutschen Juristentages, 1980, Band I, A 65). Diese Argumente wiegen jedoch nicht so schwer, daß sie eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches der Härteregelung erfordern, wie sie das Sozialgericht für richtig erachtet hat, zumal es vorliegend um die Erteilung einer besonderen, nicht nur der einfachen Arbeitserlaubnis geht.

Umstände, die unmittelbar in der Person der Klägerin selbst nach ihren besonderen persönlichen Verhältnissen einen Härtefall begründen, sind jedoch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Daß ein Arbeitnehmer Unterhaltspflichten zu erfüllen hat, wie sie vorliegend die Klägerin gegenüber ihren drei Kindern treffen, rechtfertigt grundsätzlich nicht die Annahme einer Härte (vgl. BSG, Urteil vom 20. Juni 1978 – 7 RAr 7/77 –). Gesichtspunkte für das Vorliegen einer diesbezüglichen Ausnahme sind nicht gegeben, zumal der Ehemann der Klägerin eine besondere Arbeitserlaubnis besitzt und hier einer Beschäftigung nachgeht, die ihn in die Lage versetzt, seine Kinder zu unterhalten. Besonders gelagerte familiäre Verhältnisse oder eine Minderung der Erwerbsfähigkeit, die ebenfalls eine Härte schaffen können (vgl. BSG, Urteil vom 19. Juni 1979 – 7 RAr 49/78SozR 4100 § 103 Nr. 22), bestehen schließlich ebenfalls nicht. Allenfalls könnte das Vorliegen eines Härtefalles danach damit begründet werden, daß, wenn schon der Ehemann der Klägerin die Versäumnisse seines Arbeitgebers nicht zu tragen habe, es "erst recht” nicht gerechtfertigt sei, die Klägerin selbst unter den Folgen dieser Versäumnisse leiden zu lassen. Damit würden aber, so sehr diese Argumentation auf den ersten Blick gesehen plausibel erscheint, lediglich mittelbare Gesichtspunkte aus der Person des Ehegatten des Arbeitnehmers, die den von dem Verordnungsgeber gezogenen Rahmen der Härtefallregelung sprengen, berücksichtigt. Es wäre dem Verordnungsgeber möglich gewesen, diesen Gesichtspunkten durch eine entsprechende Ausgestaltung der Regelung in § 15 Abs. 4 AEVO Rechnung zu tragen; er hat dies jedoch nicht getan und mit dieser Entscheidung zugleich den Rahmen für eine Anwendung der allgemeinen Härteregelung eingeengt. Diese Einengung, die dazu führt, daß nicht alle Gesichtspunkte, die irgendwie eine Härte begründen, berücksichtigt werden können, sondern nur die Gesichtspunkte, die unmittelbar in den besonderen persönlichen Verhältnissen des Arbeitnehmers selbst begründet sind, hat das Gericht im vorliegenden Falle mit der Folge der Verneinung des Anspruchs der Klägerin auf Erteilung einer besonderen Arbeitserlaubnis respektieren müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision hat der Senat zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimißt (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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