L 1 Kg 300/80

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 5 Kg 12/79
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Kg 300/80
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ausländer, die in der Bundesrepublik Deutschland leben, erhalten für ihre Kinder, die in ihrem Heimatland die Schule besuchen und sich nur während der Schulferien bei den Eltern im Bundesgebiet aufhalten, kein volles Kindergeld, wenn diese Kinder während der Schulzeit im Haushalt der Großeltern, älterer Geschwister oder sonstiger Personen leben, mit denen sie durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden sind. Dagegen besteht ein Anspruch auf volles Kindergeld dann, wenn das Kind während des Schulbesuches im Ausland in einem Internat, einer Pension oder einem Heim untergebracht ist.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 29. Januar 1980 aufgehoben, soweit es die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von vollem Kindergeld für das Kind V. des Klägers für die Zeit vom 1. Oktober 1978 bis 30. Juni 1979 betrifft; insoweit wird die Klage abgewiesen.

II. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Beklagte hat dem Kläger drei Fünftel seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Kindergeld in der in § 10 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) festgesetzten Höhe für das zweite Kind des Klägers für die Zeit vom 1. Oktober 1978 bis 31. August 1980.

Der Kläger, ein spanischer Staatsangehöriger, der 1970 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland einreiste, wohnte in der Zeit vom 3. April 1970 bis 9. August 1980 in K ... Am 1. Juni 1972 kamen auch seine Ehefrau und seine beiden Kinder, der 1967 geborene Sohn S. und der 1969 geborene Sohn V., für den das hier streitige Kindergeld begehrt wird, ebenfalls als spanische Staatsangehörige aus V. (C.), dem Geburtsort der Kinder, nach K ... Am 4. September 1978 kehrte der Sohn V., für den die Beklagte für die Zeit bis zum 30. September 1978 volles Kindergeld in der in § 10 BKGG festgesetzten Höhe gezahlt hatte, nach S. zurück, um dort die Schule zu besuchen. Er war in der Zeit bis zum 30. Juni 1979, dem Ende des Schuljahres 1978/79, bei den Großeltern mütterlicherseits in C. (J.) untergebracht; während der Weihnachtsferien 1978 hielt er sich drei Wochen lang bei den Eltern in K. auf. Nach dem Schuljahresende verbrachte er auch die bis Mitte September 1979 dauernden Sommerferien bei den Eltern in K. und besuchte dann im Schuljahr 1979/80 ab dem 15. September 1979 bis zum 30. Juni 1980 eine Schule in B. (T.), etwa 300 km von C. entfernt, wo er während dieser Zeit in einem Internat der Schule untergebracht war; diese internatsmäßige Unterbringung erfolgte deshalb, weil die Großeltern alters- und krankheitsbedingt ihn nicht mehr wie bisher versorgen konnten; diesmal hielt er sich während der Osterferien 1980 drei Wochen lang bei den Eltern in K. auf. Auch nach dem Ende dieses Schuljahres verbrachte er wiederum die Sommerferien bis zur Rückkehr der gesamten Familie nach V. am 9. August 1980 bei den Eltern in K ... Seit dem 10. August 1980 hält er sich mit seinen Eltern ununterbrochen in S. auf und besucht seit September 1980 die Schule in seinem Heimatort V. Während der gesamten Zeit vom 1. Juni 1972 bis 9. August 1980 war er mit Hauptwohnung in K. bei den Eltern polizeilich gemeldet.

Aufgrund einer Verfügung der Beklagten vom 19. Oktober 1978 erhielt der Kläger für die Zeit ab 1. Oktober 1978 für das Kind V. Kindergeld nur in der nach Art. 40 Abs. 1 Nr. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem S. Staat über Soziale Sicherheit vom 4. Dezember 1973 (BGBl. 1977 II S. 687) in der Fassung des Art. 2 des Ergänzungsabkommens vom 17. Dezember 1975 (BGBl. 1977 II S. 722) vorgesehenen Höhe. Mit Schreiben vom 30. April 1979, eingegangen beim Arbeitsamt K. am 2. Mai 1979, begehrte er volles Kindergeld mit der Begründung, daß das Kind bei ihm in K. mit erstem Wohnsitz gemeldet sei und hier regelmäßig seine Schulferien verbringe.

Mit Bescheid – ohne Rechtsmittelbelehrung – vom 15. Juni 1979 lehnte die Beklagte dies ab, da das Kind durch die Ableistung der Schulausbildung in S. seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland aufgegeben habe; bei einer Gegenüberstellung mit einem deutschen Staatsangehörigen könne dem Kläger zugemutet werden, daß das Kind in Deutschland eine entsprechende Schule besuche. Am 19. Juli 1979 wandte der Kläger hiergegen ein, daß sich das Kind nur vorübergehend zum Schulbesuch in S. aufhalte; am 3. August 1979 legte er ergänzend förmlich Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Oktober 1979, aufgegeben zur Post am 24. Oktober 1979, wies die Beklagte diesen Widerspruch als unbegründet zurück, wobei sie sich darauf stützte, daß ein Kind eines ausländischen Staatsangehörigen, wenn es sich in sein Herkunftsland begebe und sich dort länger aufhalte als z.B. im allgemeinen die Schulferien dauerten, damit in der Regel auch seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland aufgebe. Der Auslandsaufenthalt eines solchen Kindes unterliege einer anderen Betrachtungsweise als der eines deutschen Kindes, das vorübergehend sein Heimatland verlasse. Das Kind eines Ausländers kehre nämlich in das Land seiner Staatsangehörigkeit zurück, dem es durch eigene Herkunft oder Herkunft der Eltern, verwandtschaftliche Beziehungen, Kultur, Sprache und Denkweise verbunden sei, dem es sich zugehörig fühle und das als sein Heimatland zu betrachten sei. Daran ändere auch nichts die Absicht, zu einem späteren Zeitpunkt wieder in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen. Das gelte auch für Kinder, die im Heimatland einer Schul- oder Berufsausbildung nachgingen und ihre Eltern in den Ferien regelmäßig besuchten. Ein Wohnsitz der Eltern mit ausländischer Staatsangehörigkeit in der Bundesrepublik Deutschland sei daher allein noch kein Anhaltspunkt dafür, daß das Kind diesen Wohnsitz teile.

Am 23. November 1979 hat der Kläger beim Sozialgericht Kassel schriftlich Klage erhoben und dabei ergänzend vorgebracht, das Kind habe in der Wohnung in Kassel sein Bett, Kleidung und andere persönliche Gegenstände; er wolle mit seiner Familie auf unbestimmte Zeit in Deutschland bleiben und habe das Kind nur gezwungenermaßen, nämlich um eine erfolgreiche Schulausbildung sicherzustellen, vorübergehend nach S. geschickt. Die Beklagte hat demgegenüber an der Begründung ihres Widerspruchsbescheides festgehalten.

Mit Urteil vom 29. Januar 1980 hat das Sozialgericht Kassel, entsprechend dem Antrag des Klägers, den Bescheid vom 15. Juni 1979 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 1979 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab Oktober 1978 für sein Kind V. weiterhin Kindergeld nach dem BKGG zu zahlen. Es ist dabei davon ausgegangen, daß das Kind auch trotz des Schulbesuches in S. seinen Wohnsitz in K. behalten habe, und hat dies damit begründet, daß ein minderjähriges Kind grundsätzlich den Wohnsitz der Eltern teile und ihn behalte, bis es ihn mit Willen der Eltern aufgebe. Eine solche Aufgabe des Wohnsitzes sei aber vorliegend nicht gegeben; sie sei nur dann zu bejahen, wenn der Sohn des Klägers den Umständen nach nicht mehr nach Deutschland zurückkehren werde. Das lasse sich jedoch nicht sagen, solange ihm die Wohnung bei den Eltern jederzeit zur Benutzung zur Verfügung stehe und er sie auch in den Ferien tatsächlich benutze.

Gegen dieses der Beklagten am 13. Februar 1980 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, eingelegt mit einem am 12. März 1980 beim Hessischen Landes Sozialgericht in Darmstadt eingegangenen Schriftsatz der Beklagten vom selben Tage.

Die Beklagte macht geltend, das Kind des Klägers habe infolge des Schulbesuches den räumlichen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse nach S. verlagert und damit dort seinen Wohnsitz begründet, ebenso wie es dort, und zwar bereits ab dem Beginn des Schulbesuches in C., (wieder) seinen gewöhnlichen Aufenthalt genommen habe.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 29. Januar 1980 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beruft sich seinerseits ergänzend darauf, für die Begründung eines Wohnsitzes des Kindes in K. sei ausreichend, daß die Wohnung durch das Kind mit gewisser Regelmäßigkeit aufgesucht worden sei. Im übrigen solle das Kind nach Deutschland zurückkehren, wenn seine Schulausbildung in S. abgeschlossen sei; er selbst sei jetzt nur deshalb nach S. zurückgegangen, weil ihm von seinem Arbeitgeber wegen Krankheit gekündigt worden sei und er eingesehen habe, daß er aufgrund seiner Krankheit kaum eine neue Arbeit in der Bundesrepublik finden würde.

Im übrigen wird wegen des weiteren Sach- und Streitstandes ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Kindergeldakten der Beklagten, Arbeitsamt K., Kg-Nr. und der den Kläger betreffenden, vom Senat beigezogenen Ausländerakten des Oberbürgermeisters der Stadt K. – Allgemeine Polizeibehörde –, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Sie ist frist- und formgerecht eingelegt (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz –SGG–) sowie an sich statthaft (§ 143 SGG). Insbesondere greift der Ausschlußgrund des § 27 Abs. 2 Halbsatz 1 2. Alternative BKGG, wonach die Berufung nicht zulässig ist, soweit sie nur das Kindergeld für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft, nicht ein, da für die Statthaftigkeit der Berufung auf den Zeitpunkt ihrer Einlegung abzustellen ist (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 2. Aufl., 1981, Vor § 143 SGG, Rdnr. 10, mit weiteren Nachweisen), zu diesem Zeitpunkt (12. März 1980) die Berufung der Beklagten sich aber gegen die Verurteilung zu einer (noch) laufenden Kindergeldzahlung gerichtet hat.

Die Berufung ist auch teilweise begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 29. Januar 1980 war insoweit mit der Folge der Klageabweisung aufzuheben, als es die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von vollem Kindergeld für das Kind V. des Klägers für die Zeit vom 1. Oktober 1978 bis 30. Juni 1979 betrifft. Für diese Zeit steht dem Kläger kein Anspruch auf Kindergeld in der in § 10 BKGG festgesetzten Höhe für sein zweites Kind zu, da die diesbezüglichen gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Dagegen ist die Berufung unbegründet, soweit sie das Begehren des Klägers auf Zahlung von Kindergeld für die Zeit vom 1. Juli 1979 bis 31. August 1980 bzw. die diesbezügliche Verurteilung der Beklagten betrifft. Insoweit ist das angefochtene Urteil rechtlich nicht zu beanstanden, da für diese Zeit die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch des Klägers auf Kindergeld für das Kind V. in der in § 10 BKGG festgesetzten Höhe erfüllt sind.

Nach § 2 Abs. 5 Satz 1 BKGG in der hier maßgeblichen Fassung des Art. 90 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) vom 14. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3341) werden Kinder, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG haben, nicht berücksichtigt. Es gilt mit anderen Worten der sog. Territorialitätsgrundsatz (vgl. BSG, Urt. v. 22. Januar 1981 – 10/8b RKg 7/79SozR 5870 § 2 Nr. 21). Ausnahmen hiervon kommen vorliegend nicht in Betracht, da der Kläger in der Zeit bis zum 31. Dezember 1978 nicht selbst mindestens 15 Jahre lang einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BKGG gehabt hat (§ 2 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BKGG in der bis zum 31. Dezember 1978 geltenden Fassung – vgl. Art. 1 Nr. 1 und Art. 4 des achten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes vom 14. November 1978 – BGBl. I S. 1757) und auch nicht zum Kreis der nach § 1 Nr. 2 BKGG Berechtigten gehört (§ 2 Abs. 5 Satz 2 BKGG in der Fassung des Gesetzes vom 14. November 1978).

Bei Anwendung der Bestimmung des § 2 Abs. 5 Satz 1 BKGG, gegen die verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestehen, ergibt sich, daß das Kind V. des Klägers in der Zeit vom 1. Oktober 1978 bis 30. Juni 1979, also in der Zeit, als es während des Schuljahres 1978/79 bei den Großeltern in S. untergebracht war, weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland als dem Geltungsbereich des BKGG hatte. Anders verhält es sich dagegen für die sich anschließende Zeit vom 1. Juli 1979 bis 31. August 1980. Während dieser Zeit des tatsächlichen Aufenthalts in K. und der internatsmäßigen Unterbringung in S. während des Schuljahres 1979/80 hatte das Kind V. wiederum wenigstens seinen Wohnsitz bei den Eltern in K. und damit im Geltungsbereich des BKGG.

Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt bestimmen sich seit dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil (SGB I) vom 11. Dezember 1975 (BGBl. I S. 3015), d.h. seit dem 1. Januar 1976 (Art. II § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB 1), auch für das Kindergeldrecht nach der Legaldefinition des § 30 Abs. 3 SGB I. Danach, hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 30 Abs. 3 Satz 1 SGB I); den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (§ 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Insoweit ist der Gesetzgeber der steuerrechtlichen Begriffsbestimmung (vgl. §§ 13 und 14 Abs. 1 Steueranpassungsgesetz – StAnpG – bzw. nunmehr §§ 8, 9 der Abgabenordnung vom 16. März 1976 – BGBl. I S. 613 – AO 1977) gefolgt (vgl. Bericht des Bundestags-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, Bundestags-Drucksache 7/3786, S. 5 zu § 30 des Entwurfs des SGB I; BSG, Urt. v. 31. Januar 1980 – 8b RKg 4/79BSGE 49, 254 = SozR 5870 § 1 Nr. 6), d.h., die Begriffe "Wohnsitz” und "gewöhnlicher Aufenthalt” gelten nach der gesetzlichen Regelung inhaltsgleich im Steuer- und Kindergeldrecht (vgl. auch BSG, Urt. v. 25. Oktober 1977 – 8/12 RKg 8/77BSGE 45, 95 = SozR 5870 § 8 Nr. 3; BSG, Urt. v. 27. April 1978 – 8 RKg 2/77 – SozSich 1978, 221 = Praxis 1978, 333).

Im einzelnen sind, schon nach dem Gesetzeswortlaut, für die Bestimmung des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthaltes, um einen Mißbrauch bzw. Manipulationen zu verhindern (vgl. Bericht des Bundestags-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, a.a.O.; v. Maydell in Burdenski/v. Maydell/Schellhorn, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil, 2. Aufl., 1981, § 30 SGB I, Rdnr. 39), die tatsächlichen Umstände, die tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Einzelfalles maßgebend, nicht, wie nach §§ 7 und 8 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), der diesbezügliche Wille des Betreffenden (vgl. BSG, Urt. v. 27. April 1978 und 31. Januar 1980, jeweils a.a.O.; BSG, Urt. v. 26. Juli 1979 – 8b RKg 12/78 – SozR 5870 § 1 Nr. 4; BFH, Urt. v. 24. April 1964 – VI 236/62 U – BFHE 79, 626 = BStBl. III 1964, 462; BFH, Urt. v. 4. Juni 1964 – IV 29/64 U – BFHE 80, 169 = BStBl. III 1964, 535). Unerheblich ist eine polizeiliche Meldung (vgl. BSG, Urt. v. 26. Juli 1979, a.a.O.); ebensowenig kommt es auf die Staatsangehörigkeit an (vgl. BSG, Urt. v. 26. Juni 1980 – 8b RKg 10/79SozR 5870 § 10 Nr. 4; BSG, Urt. v. 28. Februar 1980 – 8b RKg 6/79 – SozR 5870 § 1 Nr. 7 = FRES 6, 187).

Der Besitz einer Wohnung, d.h. die tatsächliche Verfügungsgewalt über Wohnräume, begründet noch keinen "Wohnsitz” am Ort dieser Wohnung. Sie muß dem Betreffenden vielmehr tatsächlich als Bleibe dienen, er muß sie ständig oder doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Gewohnheit aufsuchen und benutzen (vgl. BSG, Urt. v. 27. April 1978, a.a.O.; BFH, Urt. v. 24. April 1964 und 4. Juni 1964, jeweils a.a.O.; BFH, Urt. v. 26. Juli 1972 – I R 138/70 – BFHE, 106, 537 = BStBl. II 1972, 949). Durch eine vorübergehende Unterbrechung im Innehaben einer (inländischen) Wohnung wird der (inländische) Wohnsitz nicht beendet, falls die Umstände bestehen bleiben, die auf die Beibehaltung der Wohnung schließen lassen (vgl. BSG, Urt. v. 27. April 1978, a.a.O. BFH, Urt. v. 26. Juli 1972, a.a.O.; Spanner in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., Lfg. 90, August 1978, § 8 AO 1977, Rdnr. 28, 37). Soweit Kinder im Rahmen einer Ausbildung an einem auswärtigen Ausbildungsort untergebracht sind, ist davon auszugehen, daß die Begründung des Wohnsitzes durch die Eltern in der Regel auch die Errichtung eines Wohnsitzes für die in ihrem Haushalt lebenden minderjährigen Kinder bedeutet (vgl. Spanner, a.a.O., Rdnr. 38) und daß die durch die Aufnahme in den Haushalt begründete Bindung an das Elternhaus durch die auswärtige Unterbringung nicht verlorengeht (vgl. Tipke-Kruse, Abgabenordnung, Kommentar, 10. Aufl., Lfg. 28, Juni 1977, § 8 AO 1977, Rdnr. 4); zumindest minderjährige ledige Kinder in der Ausbildung, die sich wirtschaftlich noch nicht vom Elternhaus gelöst haben, behalten daher in der Regel ihren Wohnsitz bei den Eltern bei (vgl. Tipke-Kruse, a.a.O.; Spanner, a.a.O., Rdnr. 20; FG Münster, Urt. v. 28. April 1976 – V 213/75 L – EFG 1976, 472). Schließlich gilt ganz allgemein, daß dann, wenn für einen Ort die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Wohnsitzes objektiv erfüllt sind, einem etwaigen Willen, an diesem Ort keinen Wohnsitz zu begründen, keine Bedeutung zukommt (vgl. BFH, Urt. v. 4. Juni 1964, a.a.O.).

Auch der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthaltes” knüpft grundsätzlich, ohne auf den Willen des Betreffenden abzustellen, an äußere Merkmale, an den äußeren Sachverhalt an (vgl. Tipke-Kruse, § 9 AO 1977, Rdnr. 1; Spanner, § 9 AO 1977, Rdnr. 15, aber auch BFH, Urt. v. 3. August 1977 – I R 210/75BFHE 123, 441 = BStBl. II 1978, 118). Er setzt keine ständige Anwesenheit an einem bestimmten Ort voraus (vgl. BFH, Urt. v. 27. Juli 1962 – VI 156/59 U – BFHE 75, 447 = BStBl. III 1962, 429; Tipke-Kruse, a.a.O., Rdnr. 2); auch eine geringere Dauer als sechs Monate kann den Tatbestand erfüllen (vgl. Tipke-Kruse, a.a.O., Rdnr. 3). Angesichts der dehnbaren Begriffsbestimmung läßt sich nicht allgemeingültig sagen, wo das vorübergehende Verweilen aufhört und der gewöhnliche Aufenthalt beginnt; die Abgrenzung ist nach dem Gesamtbild der Umstände des Einzelfalls zu treffen (vgl. BFH, Urt. v. 9. Februar 1966 – I 244/63 BFHE 85, 540 = BStBl. III 1966, 522). Verläßt jemand das Inland, so ist entscheidend, ob die Abwesenheit zu einer wesentlichen Lockerung des Bandes zum Inland führt (vgl. BFH, Urt. v. 27. Juli 1962, a.a.O.; Tipke-Kruse, a.a.O., Rdnr. 7). Der gewöhnliche Aufenthalt ist ein Zustandsverhältnis, das auch bei längerer Abwesenheit nicht ohne weiteres beendet wird, wenn es an einem entsprechenden Willen fehlt. Er erlischt hiernach nicht allein durch die körperliche Entfernung, sondern erst dann, wenn neben der körperlichen Anwesenheit auch der Wille zur Rückkehr entfallen ist (vgl. BFH, Urt. v. 27. Juli 1962, a.a.O.; BFH, Urt. v. 24. Januar 1964 – III 252/61 HFR 1965, 80; Spanner, a.a.O., Rdnr. 19), wobei insoweit allerdings bezüglich der Erkennbarkeit nach außen wiederum objektive Maßstäbe anzulegen sind. Bei auswärts zur Ausbildung untergebrachten Kindern gilt, daß sie regelmäßig am Ausbildungsort auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen (vgl. Tipke-Kruse, a.a.O., Rdnr. 4; Spanner, § 8 AO 1977, Rdnr. 20; FG Münster, Urt. v. 28. April 1976, a.a.O.).

Wendet man diese allgemeinen Überlegungen auf die vorliegende Fallgestaltung an, daß in der Bundesrepublik Deutschland lebende Ausländer ihre Kinder zur Schulausbildung zurück in ihr Heimatland bringen, so entstehen, ganz allgemein, zunächst erhebliche Schwierigkeiten daraus, daß über die Gewährung bzw. Weitergewährung von Kindergeld zu einem Zeitpunkt entschieden werden muß, zu dem die zukünftige – objektive – Entwicklung bezüglich des Wohnsitzes und Aufenthaltes der Familie und des betreffenden Kindes noch nicht feststeht, meistens auch noch gar nicht absehbar ist. Dies bedeutet nicht nur, daß spätere Ereignisse, die etwa erst im Laufe eines längeren Rechtsstreites eintreten, wie z.B. die (endgültige) Rückkehr der gesamten Familie in das Heimatland, rechtlich außer Betracht bleiben müssen. Vielmehr müssen, unter Einbeziehung allgemeiner Erfahrungssätze und bezogen auf den Zeitpunkt des Beginns des Auslandsaufenthaltes des Kindes, allgemeine Grundsätze, generalisierende Leitlinien über die Bejahung bzw. Verneinung des Vorliegens eines – inländischen – Wohnsitzes bzw. gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes während seiner Ausbildung im Ausland aufgestellt werden. Insoweit erweist sich eine Differenzierung danach, ob das Kind während der Schulzeit im Ausland im Haushalt der Großeltern, älterer Geschwister oder sonstiger Personen lebt, mit denen es durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, oder ob es – ohne dieses Familien – bzw. familienähnliche Band in einem Internat, einer Pension, einem Heim oder sonstwie untergebracht ist, als sachgerecht, insbesondere auch als systemkonform mit den Grundsätzen der (deutschen) Kindergeldgewährung (vgl. insoweit § 2 Abs. 1 BKGG).

Im Falle einer Internats-, pensions- oder heimmäßigen Unterbringung ist von einer Beibehaltung der Wohnung bei den Eltern und damit von einem fortbestehenden Wohnsitz im Inland auszugehen. Diese Wohnung dient dem Kind als Bleibe, zumindest bis es die Ausbildung beendet und sich wirtschaftlich selbständig macht, hierhin kehrt es zurück, wenn es die Ausbildung unterbricht oder vorzeitig aufgeben muß. Die Wohnung der Eltern ist ihm Heimstatt, wie sich etwa auch daran zeigt, daß das Kind sie während der Zeit des ausländischen Schulbesuchs in der Regel während eines längeren Krankheitsaufenthaltes aufsuchen wird. Aber auch der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes im Inland bleibt aufrechterhalten. Die Unterbringung im Ausland ist dadurch gekennzeichnet, daß sie in ihrer konkreten Ausgestaltung von vornherein ein Provisorium darstellt. Das durch die Familienbeziehung geknüpfte Band zum Inland bleibt bestehen; der – hypothetische – Wille zur Rückkehr ins Inland wird dadurch hinreichend dokumentiert, daß es an der Begründung einer auch nur annähernd vergleichbar intensiven familienmäßigen Beziehung während der Zeit der Ausbildung im Ausland fehlt. Allenfalls könnte hiergegen eingewandt werden, die Schulausbildung im Heimatland lasse Schlußfolgerungen auf einen weiteren Lebensweg des Kindes in seinem Heimatland zu. Entsprechend sichere Erfahrungssätze bestellen insoweit jedoch nicht; zumindest ist nicht auszuschließen, daß das Kind nach Beendigung der Ausbildung seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt wieder ständig im Bundesgebiet nimmt bis zu einer eventuellen Rückkehr seiner Eltern in ihr Heimatland. Dies zeigt, daß bei der Fallgestaltung der nicht-familienmäßigen Unterbringung im Ausland keine hinreichenden Gegenargumente bestehen, um den Grundsatz, daß das Kind während seiner Ausbildung bis zu deren Abschluß in einer Wohn (sitz) gemeinschaft mit den Eltern lebt, aufzugeben (im Ergebnis ebenso Wickenhagen/Krebs, Bundeskindergeldgesetz, Kommentar, 9. Lfg., Juli 1979, § 2 BKGG, Rdnr. 31).

Anders, nämlich entgegengesetzt, ist das Ergebnis dagegen, wenn das Kind im Ausland in einer Familien- oder familienähnlichen Beziehung, insbesondere bei den Großeltern, lebt. Allein die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Wohnräume bei den Eltern während der Schulferien ist, jedenfalls dann, wenn die Dauer der Schulzeit und damit des Aufenthalts im Ausland, wie vorliegend, länger ist als die Dauer der Ferien und damit des Aufenthalts im Inland, nicht ausreichend, um einen inländischen Wohnsitz beizubehalten. Vielmehr ist davon auszugehen, daß das Kind, wenn es im Heimatland, dem es durch Staatsangehörigkeit sowie Sprache und Kultur, zumindest seiner Eltern, verbunden ist, in einer – neuen – wenigstens familienähnlichen Beziehung lebt, dadurch eine neue Bleibe gefunden hat, daß es in den Schulferien zu den Eltern, ohne dort zu bleiben, quasi nur besuchsweise zurückkehrt, daß es in der Regel auch während nicht vorhersehbarer Unterbrechungen des Schulbesuchs, etwa wegen Krankheit, von den Angehörigen im Ausland betreut und versorgt wird. Diese – objektiv gegebene Lockerung des Bandes zu den Eltern im Inland führt, jedenfalls dann, wenn die Zeit des Auslandsaufenthalts die des Inlandsaufenthalts während eines Kalenderjahres überwiegt, aber nicht nur zur Verneinung eines inländischen Wohnsitzes, sondern auch zur Verneinung eines inländischen gewöhnlichen Aufenthalts. Ein Wille zur Rückkehr zu den Eltern ist bei dieser zweiten Fallgestaltung, mag er auch im Einzelfall subjektiv bestehen, zumindest nicht mehr, wie dies erforderlich wäre, an äußeren Umständen erkennbar; die im Ausland begründete Beziehung stellt nicht von vornherein, quasi von ihrem objektiven Erklärungswert her, ein Provisorium dar; sie kann ebenso wie die Beziehung zu den Eltern über die Zeit der Ausbildung hinaus auf Dauer angelegt sein.

Die aufgezeigte, von den Begriffen des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthaltes ausgehende Differenzierung wird schließlich auch dem Zweck des Kindergeldes am besten gerecht. Dieser Zweck besteht (u.a.) darin, diejenigen finanziell zu entlasten, die das Kind (überwiegend) versorgen und betreuen, die es in ihren Haushalt aufnehmen, ihm so eine Heimstatt bieten und sich um sein persönliches Wohl sowie um seine Erziehung kümmern (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28. April 1970 – 1 BvL 4/68BVerfGE 28, 206, 212f; BVerfG, Beschl. v. 7. Mai 1968 – 1 BvR 133/67BVerfGE 23, 258, 263f; BVerfG, Beschl. v. 11. Juli 1967 – 1 BvL 23/64BVerfGE 22, 163, 170, 173; BSG, Urt. v. 22. Januar 1981, a.a.O.). Die Eltern sind dies aber nur dann, wenn das Kind nicht während der überwiegenden Zeit des Jahres im Ausland in einer – neuen – familienähnlichen Beziehung lebt. Ebenso kann gegen die vorstehende Lösung nicht eingewandt werden, sie privilegiere in nicht vertretbarer Weise die Eltern, die finanziell in der Lage seien, ihren Kindern im Ausland eine tendenziell bessere, nämlich internatsmäßige Ausbildung zukommen zu lassen. Unterstellt man, daß diese Ausbildung von den Eltern in der Regel höhere Aufwendungen erfordert, als sie bei einer familienmäßigen Unterbringung des Kindes bei Verwandten anfallen, so erweist es sich vielmehr auch von daher als sachgerecht, den betreffenden Eltern das volle Kindergeld zuzusprechen und ansonsten die Eltern im Hinblick auf ihre regelmäßig geringeren Aufwendungen auf das regelmäßig niedrigere sog. Abkommens-Kindergeld zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision hat der Senat zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimißt (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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