L 9 AL 277/05

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 AL 172/05
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 AL 277/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7a AL 48/06 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 24. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Es geht in dem Rechtsstreit um die vom Kläger über den 31. Dezember 2004 hinaus begehrte Gewährung von Arbeitslosenhilfe. Der 1945 geborene Kläger bezog von der Beklagten zuletzt bis 20. Juni 1997 Arbeitslosengeld (Anspruch erschöpft) und im Anschluss Arbeitslosenhilfe bis zuletzt am 31. Dezember 2004, und zwar unter den erleichterten Bedingungen des § 428 Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB 3). Die letzte Bewilligung erfolgte mit Bescheid vom 3. Juni 2004 mit einem Ende des Bewiligungsabschnittes zum 31. Dezember 2004. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2004 beantragte der Kläger sinngemäß die Weiterbewilligung von Arbeitslosenhilfe in bisheriger Höhe über den 31. Dezember 2004 hinaus mit der Begründung, die Einführung des Arbeitslosengeldes 2 zum 1. Januar 2005 führe zu einem Vertrauensmissbrauch, da der neue Leistungsanspruch unter der bisherigen Leistungshöhe bei der Arbeitslosenhilfe liege. Mit Bescheid vom 14. Februar 2005 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, mit dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt seien die rechtlichen Grundlagen für die Gewährung der Leistungsart Arbeitslosenhilfe aufgehoben worden. Den hiergegen rechtzeitig eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. April 2005 mit der Begründung zurück, gemäß § 190 Abs. 3 Satz 1 SGB 3 (in der ab 1. April 2004 geltenden Fassung) habe Arbeitslosenhilfe längstens bis zum 31. Dezember 2004 bewilligt werden dürfen. Mit Wirkung zum 1. Januar 2005 seien die Vorschriften der §§ 190 bis 206 SGB 3 ganz aufgehoben worden. Arbeitslosenhilfe könne mithin ab 1. Januar 2005 nicht mehr gewährt werden. An dessen Stelle trete ab 1. Januar 2005 das Arbeitslosengeld 2. Dieses werde bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nahtlos weitergezahlt. Hiergegen hat der Kläger am 11. Mai 2005 Klage erhoben und den bisherigen Vortrag wiederholt und vertieft. Mit Gerichtsbescheid vom 24. Oktober 2005 hat das Sozialgericht Kassel nach Anhörung der Beteiligten die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Bewilligungsentscheidung für den Zeitraum ab 21. Juni 2004 bis zum 31. Dezember 2004 entspreche den bereits ab 1. April 2004 geltenden Bestimmungen des SGB 3. Die Befristung der Arbeitslosenhilfe zum 31. Dezember 2004 sei nicht verfassungswidrig. Auch der Umstand, dass der Kläger die Arbeitslosenhilfe zuletzt unter den erleichterten Bedingungen des § 428 SGB 3 bezogen habe, ändere daran nichts. Denn hierdurch seien lediglich die Rahmenbedingungen bei Arbeitnehmern, die das 58. Lebensjahr vollendet gehabt hätten, erleichtert worden. Ein besonderer Vertrauensschutz im Hinblick auf Dauer und Höhe der Arbeitslosenhilfe habe daraus nicht resultiert. Der Gesetzgeber sei in Zeiten knapper Kassen in allen Sozialleistungsbereichen berechtigt, einen strengeren Bedürftigkeitsmaßstab an ausschließlich steuerfinanzierten Leistungen anzulegen. Infolge des im Sozialrecht besonders weiten Gestaltungsspielraums, der auch nur einer eingeschränkten rechtlichen Kontrolle unterliege (vgl. BVerfGE 81, 156, 205 ff.) sei der vom Gesetzgeber mit der Einführung des Sozialgesetzbuches 2. Buch (SGB 2) verfolgte Zweck der Verringerung der derzeitigen Ausgaben für die Leistungen an (Langzeit-)Arbeitslose eine letztendlich rechtlich nicht angreifbare wertungspolitische Entscheidung. Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Prüfung könne nicht sein, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gefunden habe. Eine Verletzung der Eigentumsgarantie nach Artikel 14 Grundgesetz (GG) durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe ab 2005 scheide schon deshalb aus, weil diese Leistung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht dem Schutzbereich der Eigentumsgarantie unterfalle (BSGE 85, 123, 130; BSGE 91, 94, 103). Es sei auch nicht erkennbar, dass die neue Regelung des SGB 2 gegen das Rechtsstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 3 GG verstoße. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, dass die nach dem SGB 2 vorgesehenen Leistungen der Höhe nach dem Niveau der bisherigen Sozialhilfeleistungen für erwerbsfähige Sozialhilfebezieher angepasst worden seien. Auch zukünftig werde mit dem SGB 2 eine Existenzsicherung des einzelnen Arbeitslosen erreicht.

Gegen den am 31. Oktober 2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 28. November 2005 Berufung eingelegt unter Hinweis auf sein bisheriges Vorbringen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 24. Oktober 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosenhilfe über den 31. Dezember 2004 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf die erstinstanzliche Entscheidung.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden, sowie an sich statthaft und somit insgesamt zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Im Einverständnis mit den Beteiligten konnte der Berichterstatter anstelle des Senats und ohne mündliche Verhandlung entscheiden, §§ 155 Abs. 3 und 4, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2005 ist rechtmäßig, so dass der Kläger nicht beschwert ist (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 - SGG –).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Arbeitslosenhilfe gegen die Beklagte über den 31. Dezember 2004 hinaus. Nach § 190 Abs. 3 Satz 1 SGB 3 in der ab 1. April 2004 geltenden Fassung (Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 – BGBl. I, S. 2954) darf die Arbeitslosenhilfe längstens bis zum 31. Dezember 2004 bewilligt werden. Seit dem 1. Januar 2005 können bedürftigen Erwerbsfähigen daher nur noch Leistungen nach dem SGB 2 von den Leistungsträgern des SGB 2 auf Antrag gewährt werden (BSG, Urteil vom 25. Mai 2005 – B 11a/11 AL 73/04 R). Wie der erkennende Senat im Urteil vom 30. Januar 2006 (L 9 AL 292/04) bereits entschieden hat, ist nicht ersichtlich, dass die Bestimmung des § 190 Abs. 3 Satz 1 SGB 3 mit höherrangigem Recht nicht vereinbar ist. Grundsätzlich hat der Gesetzgeber, insbesondere im Bereich des Sozialrechts, einen besonders weiten Gestaltungsspielraum, der im Übrigen nur einer eingeschränkten rechtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Januar 1990 – 1 BvL 44/86, 1 BvL 48/87BVerfGE 81, 156, 205 ff.). Es steht dem Gesetzgeber daher insbesondere frei, eine bisher gewährte Sozialleistung durch eine andere Sozialleistung zu ersetzen. Eine evtl. verfassungsrechtliche Unvereinbarkeit etwa im Hinblick auf eine Absenkung des Leistungsniveaus betrifft dann nur die neu eingeführte Sozialleistung (hier nach dem SGB 2). Lediglich wenn eine Sozialleistung ersatzlos wegfällt, erfasst die (verfassungs-) rechtliche Prüfung den Wegfall der bisher gewährten Leistung. Im vorliegenden Fall hat der Gesetzgeber mit dem SGB 2 im Rahmen seines Gestaltungsermessens eine neue Sozialleistung geschaffen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Höhe dieser Leistung können damit nur in einem Verfahren, das auf die Bewilligung weiterer Leistungen nach dem SGB 2 gerichtet ist, geltend gemacht werden. Derartige Leistungen können im vorliegenden, das Arbeitsförderungsrecht betreffenden, Verfahren nicht zugesprochen werden. Darüber hinaus ist für Ansprüche des Klägers nach dem SGB 2 nicht die Beklagte zuständig.

Es unterliegt auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das SGB 3 keine Übergangsregelung vorsieht. Auch insoweit liegt es in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, entsprechende Übergangsregelungen zu schaffen. Eine – zusätzliche Leistung nach dem SGB 3 normierende – Übergangsregelung war bei der Umstellung der Leistungen der Arbeitslosenhilfe auf solche der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht geboten. Zwischen der Verabschiedung des Vierten Gesetzes über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (24. Dezember 2003) und dem Inkrafttreten (1. Januar 2005) hat ein Zeitraum von mehr als 12 Monaten gelegen, so dass die Betroffenen die Möglichkeit hatten, sich auf das Ende des Bezuges von Arbeitslosenhilfe einzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 2001 – 1 BvR 2402/97SozSich 2001, 433). Darüber hinaus wirkte die zeitgleich Ende Dezember 2004 erfolgte letzte Zahlung der Arbeitslosenhilfe und die erste Zahlung des Arbeitslosengeldes 2 wie eine Übergangsregelung.

Das Gericht brauchte daher die Frage der Vereinbarkeit des Wegfalls der Bestimmungen über die Arbeitslosenhilfe mit Verfassungsrecht auch nicht nach Artikel 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht zur Begrenzung der Bezugsdauer von originärer Arbeitslosenhilfe durch die Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) entschieden hat, dass Eingriffe in das Leistungsgefüge des Sozialrechts durch Gründe des öffentlichen Interesses gerechtfertigt und verhältnismäßig sind (Beschluss vom 14. März 2001 s.o.). Gegen den Wegfall der Bestimmungen über die Arbeitslosenhilfe und die damit für diesen Personenkreis erfolgte Absenkung des Leistungsniveaus durch das SGB 2 sind in der Rechtsprechung bisher – soweit ersichtlich – keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben worden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 8. September 2005 – L 8 AL 218/05 –; SG Aachen, Urteil vom 21. Dezember 2005 – S 11 AL 82/05 –; SG Chemnitz, Gerichtsbescheid vom 12. Januar 2006 – S 21 AS 491/05 –; SG Dortmund, Gerichtsbescheid vom 23. November 2005 – S 35 AS 22/05 –; SG Oldenburg, Urteil vom 8. Juli 2005 – S 47 AS 69/05 –).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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