Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 9 Ar 826/95
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 10 Ar 1371/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. November 1995 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 6. Dezember 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1996 wird abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen Erstattungsbescheide, die die Beklagte auf der Grundlage des § 128 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) erlassen hat.
Die Klägerin ist ein Unternehmen der Automobilindustrie. Bei ihr war seit dem 26. März 1965 bis zum 30. Juni 1994 der am 1935 geborene K. J. (J.), zuletzt als Meister beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde im Rahmen eines Sozialplans durch Aufhebungsvertrag vom 30. Dezember 1993 mit Wirkung zum 30. Juni 1994 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 4.000,– DM zugunsten des Arbeitnehmers beendet. Am 7. Juni 1994 meldete sich J. arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 18. Juli 1994 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit gemäß § 119 AFG vom 1. Juli bis 22. September 1994 fest. Anschließend gewährte die Beklagte dem J. aufgrund Leistungsverfügung vom gleichen Tag Arbeitslosengeld ab 23. September 1994 in Höhe von 625,20 DM wöchentlich, nachdem J. am 7. Juni 1994 die Möglichkeit des § 105 c AFG in Anspruch genommen hatte, das Arbeitslosengeld unter erleichterten Voraussetzungen zu beziehen. Seit dem 1. Juli 1995 bezieht er Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.
Nachdem die Beklagte der Klägerin Gelegenheit gegeben hatte, zu der beabsichtigten Geltendmachung eines Erstattungsanspruches gemäß § 128 AFG Stellung zu nehmen, teilte sie ihr durch Bescheid vom 22. Februar 1995 mit, die Klägerin sei dazu verpflichtet, der Bundesanstalt für Arbeit (BA) das an ihren ehemaligen Arbeitnehmer gezahlte Arbeitslosengeld sowie die hierauf entfallenen Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung ab 23. September 1994 für längstens 624 Tage zu erstatten. Umstände für den Nichteintritt der Erstattungspflicht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 7 bzw. Abs. 2 Nr. 2 AFG seien nicht ersichtlich. Trete hinsichtlich der festgestellten Erstattungspflicht eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen ein, werde darüber in einem besonderen Bescheid entschieden. Die fällig werdenden Erstattungsbeträge würden jeweils in gesonderten Abrechnungsentscheidungen – bezogen auf den kalendermäßig abgelaufenen Zeitraum von drei Monaten seit der Entstehung des Erstattungsanspruchs – mitgeteilt. Hiergegen legte die Klägerin am 3. März 1995 Widerspruch ein. Mit weiterem Bescheid vom 6. April 1995 teilte die Beklagte sodann mit, die Klägerin habe für den Abrechnungszeitraum vom 23. September 1994 bis zum 28. Februar 1995 insgesamt 21.335,71 DM (Arbeitslosengeld 14.046,20 DM, Beiträge zur Krankenversicherung 3.522,96 DM und Beiträge zur Rentenversicherung 3.766,55 DM) zu erstatten; der Bescheid werde Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens. Gleichzeitig erfolgte durch die Beklagte die Kassenanordnung im Einziehungsverfahren.
Der gegen beide Bescheide erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 1995).
Die Klägerin erhob daraufhin am 30. Mai 1995 Klage beim Sozialgericht Darmstadt (SG). Sie machte geltend, daß die Befreiungstatbestände des § 128 Abs. 1 Ziff. 4 und Ziff. 5 sowie des § 128 Abs. 1 Satz 2 2. Alternative und 3. Alternative Ziff. 5 AFG vorlägen.
Auf entsprechende Antragen der Beklagten vom 12. Juni 1995 und vom 8. November 1995 teilte J. mit, Anspruch auf andere Sozialleistungen habe er nicht und sein Ausscheiden sei durch den Sozialplan veranlaßt worden; gesundheitliche Gründe seien nicht maßgeblich gewesen.
Mit weiterem Schreiben vom 8. November 1995 teilte die Beklagte der Klägerin mit, J. habe in der Zeit vom 1. März 1995 bis zum 30. Juni 1995 Arbeitslosengeld einschließlich Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 17.351,57 DM bezogen. Vor Erlaß einer Abrechnungsentscheidung für diesen Zeitraum bestehe die Gelegenheit zur Stellungnahme.
Durch Urteil vom 27. November 1995 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Gründe der Entscheidung wird Bezug genommen.
Mit weiterem Bescheid vom 6. Dezember 1995 machte die Beklagte auch die Erstattung für die Zeit vom 1. März 1995 bis zum 30. Juni 1995 in Höhe von insgesamt 17.351,57 DM geltend. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 1996 als unbegründet zurück.
Bereits am 22. Dezember 1995 hat die Klägerin gegen das ihr am 22. Dezember 1995 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Berufung eingelegt. Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen und macht geltend, daß es im wesentlichen nicht auf die Form der Auflösung des Arbeitsverhältnisses ankomme, sondern darauf, weshalb das Arbeitsverhältnis aufgelöst worden sei. Das SG habe die Notwendigkeit unberücksichtigt gelassen, eine ausgewogene Altersstruktur bei der Belegschaft der Klägerin zu gewährleisten. Eine Amtsermittlungspflicht bestehe schließlich nicht nur bei der Erstellung des Grundlagenbescheides, sondern auch vor Erlaß der Abrechnungsbescheide.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. November 1995 sowie die Bescheide vom 22. Februar 1995 und vom 6. April 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 1995 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1996 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen sowie die Klage gegen den Bescheid vom 6. Dezember 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1996 abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide sowie das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. November 1995 für rechtmäßig.
Wegen des weiteren Sachvortrags der Beteiligten und des Sachverhalts im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtakte sowie der Verwaltungsakte Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. November 1995 ist nicht zu beanstanden. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind zu Recht ergangen. Die Beklagte hat gegen die Klägerin Anspruch auf Erstattung von insgesamt 38.687,28 DM.
Der Bescheid vom 6. Dezember 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1996 ist gemäß § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Nach der genannten Vorschrift wird, wenn nach Klageerhebung der Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt wird, auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Entsprechendes gilt für das Berufungsverfahren (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 SGG). Über den neuen Verwaltungsakt (Bescheid vom 6. Dezember 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1996) hatte der Senat – anders als über die Bescheide vom 22. Februar 1995, 6. April 1995 und den Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 1995 – nicht als Berufungsgericht (§ 143 SGG), wohl aber – auf den Antrag der Klägerin vom 19. Februar 1996 – erstinstanzlich zu entscheiden. Daß der Bescheid vom 6. Dezember 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1996 die früheren Bescheide vom 22. Februar 1995, vom 6. April 1995 und der Widerspruchsbescheide vom 8. Mai 1995 abänderten, ist im Hinblick auf die weite Auslegung des § 96 Abs. 1 SGG (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 96, Rdnrn. 4 und 5) nicht zweifelhaft. Die Vorschrift erfaßt auch Verwaltungsakte, die – ohne daß sie sich auf den Streitgegenstand im engeren Sinne beziehen – im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses ergehen und das streitige Rechtsverhältnis für einen weiteren Zeitraum regeln, der sich an den anschließt, in bezug auf den der frühere Verwaltungsakt ergangen ist (BSGE 34, 255). So liegt es hier.
Die Erstattungsbescheide beruhen auf der seit dem 1. Januar 1993 geltenden Neufassung des § 128 AFG. Danach ist der Arbeitgeber der Bundesanstalt für Arbeit gegenüber zur Erstattung des Arbeitslosengeldes verpflichtet, wenn der Arbeitslose, der Arbeitslosengeld erhält, bei ihm mindestens 720 Kalendertage beitragspflichtig beschäftigt war, diese Beschäftigung innerhalb einer Frist von vier Jahren vor dem Tag der Arbeitslosigkeit lag und der arbeitslose frühere Arbeitnehmer zwischen 58 und 65 Jahren alt ist. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelung bestehen nicht; das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 23. Januar 1990; BVerfGE 81, 156) hält es für zulässig, daß bei einem einvernehmlichen Ausscheiden von Arbeitnehmern ab Vollendung des 56. Lebensjahres der Arbeitgeber die Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit zu erstatten hat. Der damit verfolgte gesetzgeberische Zweck, die sog. Frühverrentung zu verhindern, sei legitim, um eine vermehrte Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld und Rentenleistungen zu verhindern. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hält das Bundesverfassungsgericht die Erstattungszahlungen für zumutbar, weil der Arbeitgeber für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses allein verantwortlich sei. Dies bedeutet, daß die Verantwortungsgemeinschaft, die mit dem Arbeitsverhältnis entstanden ist, diese Belastung des Arbeitgebers rechtfertigt. Durch den Abschluß der Ausscheidensvereinbarung hat der Arbeitgeber die wesentliche Ursache dafür gesetzt, daß das Arbeitslosengeld beansprucht und damit das Sozialversicherungssystem belastet wird. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben sind bei der Neuregelung des § 128 AFG beachtet worden. Dazu zählt insbesondere, daß zu den Tatbestandsvoraussetzungen der Erstattungspflicht nach § 128 AFG auch das Fehlen eines Anspruchs des Arbeitslosen auf eine anderweitige Sozialleistung gehört (§ 128 Abs. 1 Satz 2 AFG).
Das Fehlen der Voraussetzungen für den Bezug einer anderen Sozialleistung, bei deren Zuerkennung kein Anspruch auf Auszahlung von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bestehen würde, hat die Beklagte in ausreichender Weise festgestellt und damit der ihr obliegenden Amtsermittlungspflicht nach § 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (– SGB X –) genügt. Die Bundesanstalt für Arbeit hat – ausgehend von den Angaben des J. im Antrag auf Arbeitslosengeld – keine Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs auf eine anderweitige Sozialleistung gefunden. Die Angaben des J. lassen nicht den Schluß zu, er erfülle die Voraussetzungen für eine der in § 118 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2–4 AFG genannten Leistungen oder für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Nur bei insoweit bestehenden Zweifeln wäre aber die Beklagte zu weitergehenden Ermittlungen verpflichtet gewesen. Insbesondere hat sie nicht in jedem Falle "automatisch” sowohl den Arbeitslosen, den Arbeitgeber und die Sozialversicherungsträger zu befragen. Dies wäre im Hinblick auf die der Bundesanstalt für Arbeit obliegenden Massenverwaltung kaum praktikabel und entspräche auch nicht den Intentionen des Gesetzgebers. Im Regierungsentwurf der Neuregelung des § 128 AFG ist ausdrücklich davon die Rede, daß die Bundesanstalt für Arbeit eine weitergehende Feststellungspflicht nur treffe, wenn begründete Anhaltspunkte für einen anderen Sozialleistungsanspruch sprächen. Die Voraussetzungen, etwa für die Erwerbsunfähigkeit des Arbeitslosen, seien deshalb nicht in jedem Fall zu prüfen; es genüge, wenn sie im Zusammenhang mit der Prüfung des Arbeitslosengeldes getroffen würden (BT-Drucks. 12/3211, S. 25). Für gesundheitliche Einschränkungen in der Person des ehemaligen Arbeitnehmers hat auch das Bundesverfassungsgericht eine besondere Ermittlungspflicht nur dann für geboten erachtet, wenn diesbezügliche Anhaltspunkte gegeben sind (BVerfGE a.a.O., 203).
Die Klägerin ist auch nicht aufgrund eines der übrigen in § 128 Abs. 1 Satz 2 genannten Tatbestandes von der Erstattungspflicht ausgenommen. Weder ist das Arbeitsverhältnis vor Vollendung des 56. Lebensjahres des J. beendet worden noch hat die Klägerin nachgewiesen, daß einer der Fälle des Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1–7 von § 128 AFG gegeben ist. Die Klägerin beruft sich zwar auf § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AFG, wonach die Erstattungspflicht entfällt, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet hat, außerdem beruft sie sich auf § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AFG, der die Erstattungspflicht ausschließt, wenn der Arbeitgeber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt war, das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist oder mit sozialer Auslauffrist zu kündigen. Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt. Das zu J. bestehende Arbeitsverhältnis wurde nicht durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet, sondern durch einen Aufhebungsvertrag. Außerdem ist nicht ersichtlich, daß die Klägerin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund berechtigt gewesen sein soll. Ihr Interesse an der Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur jedenfalls rechtfertigt eine außerordentliche Kündigung nicht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der vorliegend gebotenen verfassungskonformen Auslegung des Begriffs des wichtigen Grundes. Auch wenn Arbeitnehmer im Rahmen eines Sozialplans "freigesetzt” werden, so beseitigt dies nicht die die Erstattungspflicht begründende Verantwortung des Arbeitgebers für die Freisetzung des Arbeitnehmers und damit für die Aufwendungen der Arbeitslosenversicherung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer – wie vorliegend – aus gesundheitlichen Gründen nicht daran gehindert ist, die von ihm vertraglich übernommene Arbeit auf Dauer zu verrichten.
Die Erstattungspflicht entfällt auch nicht nach § 128 Abs. 2 Nr. 2 AFG. Es ist nämlich nicht nachgewiesen, daß die Erstattung für die Klägerin eine unzumutbare Belastung bedeuten würde, weil durch die Erstattung der Fortbestand des Unternehmens oder die nach Durchführung des Personalabbaus verbleibenden Arbeitsplätze gefährdet wären.
Wenn die Klägerin – wie vorliegend – in der Lage ist, Abfindungen zu zahlen, kann sie auch ihrer Erstattungspflicht nach § 128 AFG nachkommen. Die "Freisetzung” älterer Arbeitnehmer mag zwar geeignet sein, die Arbeitsplätze der jüngeren Arbeitnehmer zu sichern. Dies rechtfertigt die Anwendung der 2. Alternative des Absatzes 2 von § 128 AFG jedoch nicht. Erst wenn die nach Durchführung des Personalabbaus verbleibenden Arbeitsplätze durch die Erstattung des Arbeitslosengeldes gefährdet wären, könnte die die Klägerin grundsätzlich treffende Erstattungspflicht entfallen. Dieser Ursachenzusammenhang zwischen Erstattung einerseits und Arbeitsplatzgefährdung andererseits ist aber nicht nachgewiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG vorliegen; die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen Erstattungsbescheide, die die Beklagte auf der Grundlage des § 128 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) erlassen hat.
Die Klägerin ist ein Unternehmen der Automobilindustrie. Bei ihr war seit dem 26. März 1965 bis zum 30. Juni 1994 der am 1935 geborene K. J. (J.), zuletzt als Meister beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde im Rahmen eines Sozialplans durch Aufhebungsvertrag vom 30. Dezember 1993 mit Wirkung zum 30. Juni 1994 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 4.000,– DM zugunsten des Arbeitnehmers beendet. Am 7. Juni 1994 meldete sich J. arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 18. Juli 1994 stellte die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit gemäß § 119 AFG vom 1. Juli bis 22. September 1994 fest. Anschließend gewährte die Beklagte dem J. aufgrund Leistungsverfügung vom gleichen Tag Arbeitslosengeld ab 23. September 1994 in Höhe von 625,20 DM wöchentlich, nachdem J. am 7. Juni 1994 die Möglichkeit des § 105 c AFG in Anspruch genommen hatte, das Arbeitslosengeld unter erleichterten Voraussetzungen zu beziehen. Seit dem 1. Juli 1995 bezieht er Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.
Nachdem die Beklagte der Klägerin Gelegenheit gegeben hatte, zu der beabsichtigten Geltendmachung eines Erstattungsanspruches gemäß § 128 AFG Stellung zu nehmen, teilte sie ihr durch Bescheid vom 22. Februar 1995 mit, die Klägerin sei dazu verpflichtet, der Bundesanstalt für Arbeit (BA) das an ihren ehemaligen Arbeitnehmer gezahlte Arbeitslosengeld sowie die hierauf entfallenen Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung ab 23. September 1994 für längstens 624 Tage zu erstatten. Umstände für den Nichteintritt der Erstattungspflicht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 7 bzw. Abs. 2 Nr. 2 AFG seien nicht ersichtlich. Trete hinsichtlich der festgestellten Erstattungspflicht eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen ein, werde darüber in einem besonderen Bescheid entschieden. Die fällig werdenden Erstattungsbeträge würden jeweils in gesonderten Abrechnungsentscheidungen – bezogen auf den kalendermäßig abgelaufenen Zeitraum von drei Monaten seit der Entstehung des Erstattungsanspruchs – mitgeteilt. Hiergegen legte die Klägerin am 3. März 1995 Widerspruch ein. Mit weiterem Bescheid vom 6. April 1995 teilte die Beklagte sodann mit, die Klägerin habe für den Abrechnungszeitraum vom 23. September 1994 bis zum 28. Februar 1995 insgesamt 21.335,71 DM (Arbeitslosengeld 14.046,20 DM, Beiträge zur Krankenversicherung 3.522,96 DM und Beiträge zur Rentenversicherung 3.766,55 DM) zu erstatten; der Bescheid werde Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens. Gleichzeitig erfolgte durch die Beklagte die Kassenanordnung im Einziehungsverfahren.
Der gegen beide Bescheide erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 1995).
Die Klägerin erhob daraufhin am 30. Mai 1995 Klage beim Sozialgericht Darmstadt (SG). Sie machte geltend, daß die Befreiungstatbestände des § 128 Abs. 1 Ziff. 4 und Ziff. 5 sowie des § 128 Abs. 1 Satz 2 2. Alternative und 3. Alternative Ziff. 5 AFG vorlägen.
Auf entsprechende Antragen der Beklagten vom 12. Juni 1995 und vom 8. November 1995 teilte J. mit, Anspruch auf andere Sozialleistungen habe er nicht und sein Ausscheiden sei durch den Sozialplan veranlaßt worden; gesundheitliche Gründe seien nicht maßgeblich gewesen.
Mit weiterem Schreiben vom 8. November 1995 teilte die Beklagte der Klägerin mit, J. habe in der Zeit vom 1. März 1995 bis zum 30. Juni 1995 Arbeitslosengeld einschließlich Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 17.351,57 DM bezogen. Vor Erlaß einer Abrechnungsentscheidung für diesen Zeitraum bestehe die Gelegenheit zur Stellungnahme.
Durch Urteil vom 27. November 1995 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Gründe der Entscheidung wird Bezug genommen.
Mit weiterem Bescheid vom 6. Dezember 1995 machte die Beklagte auch die Erstattung für die Zeit vom 1. März 1995 bis zum 30. Juni 1995 in Höhe von insgesamt 17.351,57 DM geltend. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 1996 als unbegründet zurück.
Bereits am 22. Dezember 1995 hat die Klägerin gegen das ihr am 22. Dezember 1995 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Berufung eingelegt. Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen und macht geltend, daß es im wesentlichen nicht auf die Form der Auflösung des Arbeitsverhältnisses ankomme, sondern darauf, weshalb das Arbeitsverhältnis aufgelöst worden sei. Das SG habe die Notwendigkeit unberücksichtigt gelassen, eine ausgewogene Altersstruktur bei der Belegschaft der Klägerin zu gewährleisten. Eine Amtsermittlungspflicht bestehe schließlich nicht nur bei der Erstellung des Grundlagenbescheides, sondern auch vor Erlaß der Abrechnungsbescheide.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. November 1995 sowie die Bescheide vom 22. Februar 1995 und vom 6. April 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Mai 1995 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1996 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen sowie die Klage gegen den Bescheid vom 6. Dezember 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1996 abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide sowie das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. November 1995 für rechtmäßig.
Wegen des weiteren Sachvortrags der Beteiligten und des Sachverhalts im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtakte sowie der Verwaltungsakte Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. November 1995 ist nicht zu beanstanden. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind zu Recht ergangen. Die Beklagte hat gegen die Klägerin Anspruch auf Erstattung von insgesamt 38.687,28 DM.
Der Bescheid vom 6. Dezember 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1996 ist gemäß § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Nach der genannten Vorschrift wird, wenn nach Klageerhebung der Verwaltungsakt durch einen neuen abgeändert oder ersetzt wird, auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Entsprechendes gilt für das Berufungsverfahren (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 SGG). Über den neuen Verwaltungsakt (Bescheid vom 6. Dezember 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1996) hatte der Senat – anders als über die Bescheide vom 22. Februar 1995, 6. April 1995 und den Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 1995 – nicht als Berufungsgericht (§ 143 SGG), wohl aber – auf den Antrag der Klägerin vom 19. Februar 1996 – erstinstanzlich zu entscheiden. Daß der Bescheid vom 6. Dezember 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1996 die früheren Bescheide vom 22. Februar 1995, vom 6. April 1995 und der Widerspruchsbescheide vom 8. Mai 1995 abänderten, ist im Hinblick auf die weite Auslegung des § 96 Abs. 1 SGG (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 96, Rdnrn. 4 und 5) nicht zweifelhaft. Die Vorschrift erfaßt auch Verwaltungsakte, die – ohne daß sie sich auf den Streitgegenstand im engeren Sinne beziehen – im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses ergehen und das streitige Rechtsverhältnis für einen weiteren Zeitraum regeln, der sich an den anschließt, in bezug auf den der frühere Verwaltungsakt ergangen ist (BSGE 34, 255). So liegt es hier.
Die Erstattungsbescheide beruhen auf der seit dem 1. Januar 1993 geltenden Neufassung des § 128 AFG. Danach ist der Arbeitgeber der Bundesanstalt für Arbeit gegenüber zur Erstattung des Arbeitslosengeldes verpflichtet, wenn der Arbeitslose, der Arbeitslosengeld erhält, bei ihm mindestens 720 Kalendertage beitragspflichtig beschäftigt war, diese Beschäftigung innerhalb einer Frist von vier Jahren vor dem Tag der Arbeitslosigkeit lag und der arbeitslose frühere Arbeitnehmer zwischen 58 und 65 Jahren alt ist. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelung bestehen nicht; das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 23. Januar 1990; BVerfGE 81, 156) hält es für zulässig, daß bei einem einvernehmlichen Ausscheiden von Arbeitnehmern ab Vollendung des 56. Lebensjahres der Arbeitgeber die Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit zu erstatten hat. Der damit verfolgte gesetzgeberische Zweck, die sog. Frühverrentung zu verhindern, sei legitim, um eine vermehrte Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld und Rentenleistungen zu verhindern. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hält das Bundesverfassungsgericht die Erstattungszahlungen für zumutbar, weil der Arbeitgeber für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses allein verantwortlich sei. Dies bedeutet, daß die Verantwortungsgemeinschaft, die mit dem Arbeitsverhältnis entstanden ist, diese Belastung des Arbeitgebers rechtfertigt. Durch den Abschluß der Ausscheidensvereinbarung hat der Arbeitgeber die wesentliche Ursache dafür gesetzt, daß das Arbeitslosengeld beansprucht und damit das Sozialversicherungssystem belastet wird. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben sind bei der Neuregelung des § 128 AFG beachtet worden. Dazu zählt insbesondere, daß zu den Tatbestandsvoraussetzungen der Erstattungspflicht nach § 128 AFG auch das Fehlen eines Anspruchs des Arbeitslosen auf eine anderweitige Sozialleistung gehört (§ 128 Abs. 1 Satz 2 AFG).
Das Fehlen der Voraussetzungen für den Bezug einer anderen Sozialleistung, bei deren Zuerkennung kein Anspruch auf Auszahlung von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bestehen würde, hat die Beklagte in ausreichender Weise festgestellt und damit der ihr obliegenden Amtsermittlungspflicht nach § 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (– SGB X –) genügt. Die Bundesanstalt für Arbeit hat – ausgehend von den Angaben des J. im Antrag auf Arbeitslosengeld – keine Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs auf eine anderweitige Sozialleistung gefunden. Die Angaben des J. lassen nicht den Schluß zu, er erfülle die Voraussetzungen für eine der in § 118 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2–4 AFG genannten Leistungen oder für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Nur bei insoweit bestehenden Zweifeln wäre aber die Beklagte zu weitergehenden Ermittlungen verpflichtet gewesen. Insbesondere hat sie nicht in jedem Falle "automatisch” sowohl den Arbeitslosen, den Arbeitgeber und die Sozialversicherungsträger zu befragen. Dies wäre im Hinblick auf die der Bundesanstalt für Arbeit obliegenden Massenverwaltung kaum praktikabel und entspräche auch nicht den Intentionen des Gesetzgebers. Im Regierungsentwurf der Neuregelung des § 128 AFG ist ausdrücklich davon die Rede, daß die Bundesanstalt für Arbeit eine weitergehende Feststellungspflicht nur treffe, wenn begründete Anhaltspunkte für einen anderen Sozialleistungsanspruch sprächen. Die Voraussetzungen, etwa für die Erwerbsunfähigkeit des Arbeitslosen, seien deshalb nicht in jedem Fall zu prüfen; es genüge, wenn sie im Zusammenhang mit der Prüfung des Arbeitslosengeldes getroffen würden (BT-Drucks. 12/3211, S. 25). Für gesundheitliche Einschränkungen in der Person des ehemaligen Arbeitnehmers hat auch das Bundesverfassungsgericht eine besondere Ermittlungspflicht nur dann für geboten erachtet, wenn diesbezügliche Anhaltspunkte gegeben sind (BVerfGE a.a.O., 203).
Die Klägerin ist auch nicht aufgrund eines der übrigen in § 128 Abs. 1 Satz 2 genannten Tatbestandes von der Erstattungspflicht ausgenommen. Weder ist das Arbeitsverhältnis vor Vollendung des 56. Lebensjahres des J. beendet worden noch hat die Klägerin nachgewiesen, daß einer der Fälle des Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1–7 von § 128 AFG gegeben ist. Die Klägerin beruft sich zwar auf § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AFG, wonach die Erstattungspflicht entfällt, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet hat, außerdem beruft sie sich auf § 128 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AFG, der die Erstattungspflicht ausschließt, wenn der Arbeitgeber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt war, das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist oder mit sozialer Auslauffrist zu kündigen. Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt. Das zu J. bestehende Arbeitsverhältnis wurde nicht durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet, sondern durch einen Aufhebungsvertrag. Außerdem ist nicht ersichtlich, daß die Klägerin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund berechtigt gewesen sein soll. Ihr Interesse an der Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur jedenfalls rechtfertigt eine außerordentliche Kündigung nicht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der vorliegend gebotenen verfassungskonformen Auslegung des Begriffs des wichtigen Grundes. Auch wenn Arbeitnehmer im Rahmen eines Sozialplans "freigesetzt” werden, so beseitigt dies nicht die die Erstattungspflicht begründende Verantwortung des Arbeitgebers für die Freisetzung des Arbeitnehmers und damit für die Aufwendungen der Arbeitslosenversicherung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer – wie vorliegend – aus gesundheitlichen Gründen nicht daran gehindert ist, die von ihm vertraglich übernommene Arbeit auf Dauer zu verrichten.
Die Erstattungspflicht entfällt auch nicht nach § 128 Abs. 2 Nr. 2 AFG. Es ist nämlich nicht nachgewiesen, daß die Erstattung für die Klägerin eine unzumutbare Belastung bedeuten würde, weil durch die Erstattung der Fortbestand des Unternehmens oder die nach Durchführung des Personalabbaus verbleibenden Arbeitsplätze gefährdet wären.
Wenn die Klägerin – wie vorliegend – in der Lage ist, Abfindungen zu zahlen, kann sie auch ihrer Erstattungspflicht nach § 128 AFG nachkommen. Die "Freisetzung” älterer Arbeitnehmer mag zwar geeignet sein, die Arbeitsplätze der jüngeren Arbeitnehmer zu sichern. Dies rechtfertigt die Anwendung der 2. Alternative des Absatzes 2 von § 128 AFG jedoch nicht. Erst wenn die nach Durchführung des Personalabbaus verbleibenden Arbeitsplätze durch die Erstattung des Arbeitslosengeldes gefährdet wären, könnte die die Klägerin grundsätzlich treffende Erstattungspflicht entfallen. Dieser Ursachenzusammenhang zwischen Erstattung einerseits und Arbeitsplatzgefährdung andererseits ist aber nicht nachgewiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG vorliegen; die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung.
Rechtskraft
Aus
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