L 10 Ar 663/94

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 11 Ar 983/93
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 10 Ar 663/94
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 22. Juni 1994 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Mitgliedschaft zur Krankenversicherung während der Arbeitslosigkeit des Klägers im Streit.

Der im Jahre 1941 geborene Kläger war bei der Deutschen Bundesbahn als Beamter auf Lebenszeit als Lokomotivführer beschäftigt. Nach § 47 Beamtenversorgungsgesetz bezieht er Versorgungsbezüge von der Deutschen Bundesbahn aufgrund Dienstunfähigkeit. Er ist bei der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten (KVB) in Karlsruhe privat krankenversichert, ohne Anspruch auf Krankengeld zu haben. Die Versorgungsbezüge erhält der Kläger ab 1. Januar 1993. Mit Bescheid der Landesversicherungsanstalt Hessen vom 12. September 1991 wurde er mit Wirkung ab 27. März 1991 von der Versicherungspflicht zur Arbeiterrentenversicherung befreit.

Vom 25. Juni 1985 bis zum 29. August 1992 war der Kläger als Omnibusfahrer bei der privaten Firma B. GmbH L. beschäftigt. Seit dem 1. Januar 1989 (Einführung des Krankenkassenstrukturgesetzes § 6 Abs. 2 Sozialgesetzbuch 5. Buch – SGB V –) war der Kläger nicht mehr krankenversicherungspflichtig.

Der Kläger stellte am 7. September 1992 bei der Beklagten Antrag auf Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 22. Juni 1993 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit ab 7. September 1992 in Höhe von wöchentlich 288,60 DM. Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers und zwar insofern, als mit der Zahlung von Arbeitslosengeld die Feststellung der Beitragspflicht zur Beigeladenen verbunden war.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 1993 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Hierbei berief sie sich auf § 155 Abs. 2 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG). Der Kläger habe während seines Beschäftigungsverhältnisses bei B. GmbH der AOK Bergstraße angehört. Die Entrichtung von Beiträgen an private Krankenversicherungen sei im AFG nicht vorgesehen.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger vor dem Sozialgericht Darmstadt am 17. August 1993 Klage erhoben mit dem Ziel, die angefochtenen Bescheide insoweit abzuändern, als diese Bescheide eine Krankenversicherungspflicht für den Kläger bei der Beigeladenen vorsehen.

Mit Urteil vom 22. Juni 1994 hat das Sozialgericht Darmstadt die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, daß der Grundgedanke der hier anzuwendenden Vorschrift des § 155 Abs. 1 AFG der sei, Arbeitslose, die aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit Leistungen bezögen, im Krankheitsfall ausreichenden Schutz genießen zu lassen. Diese Pflichtversicherung stütze sich allein auf den tatsächlichen Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe und hänge deshalb nicht davon ab, daß vor dem Leistungsbezug ein Krankenversicherungsverhältnis bestanden habe. Folglich sei auch ein Leistungsbezieher, der während seiner Beschäftigung als Beamter nicht krankenversicherungspflichtig sei oder der wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfrei sei, krankenversicherungspflichtig im Sinne des § 155 AFG. Fragen der Versicherungsfreiheit oder der Befreiung von der Versicherungspflicht seien im Zusammenhang mit § 155 AFG nicht zu stellen. Von daher könne auch § 6 Abs. 1 Nr. 6 des Fünften Buches SGB, der eine mögliche Versicherungsfreiheit für Beamte vorsehe, auf § 155 AFG keine Anwendung finden. Der Gesetzgeber habe im übrigen bei der Abfassung des § 155 AFG keine ergänzende Auslegung zugelassen, so daß die Möglichkeit einer Versicherungsfreiheit bei dieser Vorschrift keine Berücksichtigung fände. Zudem würde die Krankenversicherungsverpflichtung für den Kläger keine unzumutbare Belastung darstellen, da die Beiträge von der Beklagten übernommen werden.

Gegen das am 7. Juli 1994 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 25. Juli 1994 beim Hessischen Landessozialgericht.

Die Berufung wird im wesentlichen damit begründet, daß das Sozialgericht den sozialen Schutzgedanken des § 155 AFG verkannt habe. § 155 AFG solle nur gewährleisten, daß Arbeitslose krankenversicherungspflichtig würden. Dies gelte jedoch nicht für den Personenkreis, der ohnehin versichert sei, wie im Falle des Klägers. Andernfalls führe dies unter Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 6 SGB V zu einer Doppelversicherung, die jedoch nicht gewollt sei.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 22. Juni 1994 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 1993 insoweit aufzuheben, als diese Bescheide eine Krankenversicherungspflicht bei der Beigeladenen vorsehen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung werden im wesentlichen die Ausführungen der ersten Instanz wiederholt. Zudem verweist die Beklagte auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 11. Juni 1992, das sich mit der Frage, inwieweit der § 155 bei Versorgungsbezügen anzuwenden ist, auseinandersetzt.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Sie ist der Auffassung, daß es dahingestellt bleiben möge, ob der Gesetzgeber mit der Normierung des § 6 Abs. 1 Nr. 6 SGB V mit Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes auch diesen Personenkreis von der Versicherungsfreiheit ausnehmen wollte, zumal der Sachverhalt, der zu der Befreiung von der Krankenversicherungspflicht geführt habe, hier der Bezug von Ruhegehalt sowie des Anspruchs auf Beihilfe im Krankheitsfalle, auch nach Beendigung der Beschäftigung und während des Leistungsbezuges durch die Beklagte in vollem Umfange weiter bestehe.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und statthaft, jedoch unbegründet.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 22. Juni 1994 ist im Ergebnis zu Recht ergangen und hat die angefochtenen Bescheide der Beklagten zu Recht bestätigt.

Gemäß § 155 Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ist der Bezieher von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Unterhaltsgeld für den Fall der Krankheit versichert. Die Krankenversicherung wird dabei nach den Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt, soweit sich nichts anderes aus den folgenden Vorschriften ergibt. Soweit es sich um die Rechte und Pflichten aus der Krankenversicherung handelt, tritt an die Stelle der Versicherungspflichtigen Beschäftigung der Bezug des Arbeitslosengeldes, der Arbeitslosenhilfe oder des Unterhaltsgeldes. Das Versicherungsverhältnis wird nicht berührt, wenn die Entscheidung, die zu einem Leistungsbezug geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist (§ 155 Abs. 3 AFG).

Die Mitgliedschaft des Versicherten beginnt damit an dem Tage, von dem an Arbeitslosengeld bezogen wird und endet mit dem Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung bezogen wird. Die eindeutige Vorschrift des § 155 AFG verfolgt das Ziel, daß der Arbeitslose, der aufgrund seiner Arbeitslosigkeit Leistungen bezieht, im Krankheitsfall ausreichenden Schutz genießen soll. Deshalb sind die Arbeitslosen in die gesetzliche Krankenversicherung im Sinne einer Pflichtversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) einbezogen. Der Krankenversicherungsschutz nach § 155 AFG knüpft allein an den tatsächlichen Bezug der Leistungen durch die Bundesanstalt für Arbeit an und macht den Krankenversicherungsschutz nicht davon abhängig, daß vor dem Leistungsbezug ein Krankenversicherungsverhältnis bei einem privaten Unternehmen bestanden hat. Folglich ist auch ein Leistungsempfänger, der während seiner Beschäftigung als Beamter nicht krankenversicherungspflichtig war im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB V krankenversicherungspflichtig. Von daher sind auch Bestimmungen über Versicherungsfreiheit oder die Befreiung von der Versicherungspflicht im Rahmen des § 155 AFG grundsätzlich nicht berücksichtigt. Die Versicherungsfreiheit oder die Befreiung in einem Beschäftigungsverhältnis wirkt sich nicht auf die Versicherungspflicht nach § 155 AFG aus.

Die von dem Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 11. Juli 1992 Az.: 11 AK 45/90 angedeuteten Bedenken, ob der Automatismus der Krankenversicherungspflicht für Arbeitslose im Rahmen des § 155 AFG noch als zeitgemäß angesehen werden könne, insbesondere bei Beziehern von Versorgungsansprüchen, ist für diesen Fall nicht von entscheidender Bedeutung. Es bleibt der Grundsatz, daß die Bezieher von Leistungen durch die Bundesanstalt für Arbeit krankenversicherungspflichtig im Rahmen des § 155 AFG werden. Da an den tatsächlichen Bezug angeknüpft wird, spielt es auch keine Rolle, ob bei Beamten, wie im vorliegenden Fall der Kläger ein Krankenversicherungsschutz überhaupt notwendig ist. Der Vergleich von § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V mit § 6 Abs. 3 SGB V zeigt, daß die Nummer 2 des § 5 SGB V, nämlich die Leistungsempfänger nach dem Arbeitsförderungsgesetz ausdrücklich von der Versicherungsfreiheit des § 6 ausgenommen werden.

§ 6 Abs. 3 SGB V bezieht sich also gerade nicht auf die Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V. Der Grundgedanke des § 155 AFG behält demgemäß auch hier Bestand, eine Ausnahmeregelung hat der Gesetzgeber bewußt nicht vorgesehen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision hat der Senat zugelassen, da er diesem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung im Rahmen des § 160 Abs. 2 Satz 1 SGG zumißt.
Rechtskraft
Aus
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