L 10/1 Ar 86/80

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 16/14 Ar 779/77
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 10/1 Ar 86/80
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei einer in einem anderen EWG-Mitgliedstaat ausgeübten Beschäftigung von mehr als 1 Jahr sind Beiträge an die Arbeitslosenversicherung des Beschäftigungslandes zu entrichten. Art. 67 Abs. 3 der EWGVO 1408/71 stellt den Grundsatz auf, daß ein Arbeitsloser nur dann Leistungen bei Arbeitslosigkeit beanspruchen kann, wenn er unmittelbar zuvor Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten nach den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen beantragt werden, zurückgelegt hat. Eine Ausnahme besteht nur zugunsten der Grenzgänger und bestimmter Wanderarbeitnehmer.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. Oktober 1979 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 5. Januar 1977 bis 17. Januar 1977 und vom 28. Februar 1977 bis 31. Januar 1978.

Der Kläger war vom 1. Oktober 1965 bis 15. April 1972 als Layout-Gruppenleiter bei der Firma A. GmbH M. beschäftigt und aufgrund einer Vereinbarung vom 1. Februar 1972 ab 16. April 1972 als Art-Direktor bei der A. O. Ltd. L./Großbritannien, tätig. Da die deutsche Werbeabteilung der Firma A. GmbH M. 1972 nach L. verlegt worden war, war eine Weiterbeschäftigung des Klägers in seiner Stelle als Layout-Gruppenleiter in M. nicht mehr möglich. Die Position in L. sollte der Kläger für mindestens 24 Monate, gerechnet ab 1. Mai 1972, übernehmen. 1974 wurde der Arbeitsvertrag verlängert und am 27. Januar 1976 zum 30. Juni 1976 von der Arbeitgeberin gekündigt. Die Kündigungsschutzklage des Klägers vor dem Arbeitsgericht M. (Az.: ) endete am 28. September 1976 mit folgendem Vergleich:

1) Die Parteien sind sich darüber einig, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher Arbeitgeberkündigung zum 31. Dezember 1976 beendet wird.

2) Die Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger als Abfindung gemäß §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz 24.000,– netto und 8.667,– DM brutto zu bezahlen.

3) Die Beklagte verpflichtet sich zur Tragung der Kosten für zwei Flüge London Deutschland hin und zurück.

4) Die Beklagte verpflichtet sich zur Zahlung des vereinbarten Mietzuschusses nach den für die AOL-Mitarbeiter gültigen Bestimmungen bis zu dem Tage, an dem der Kläger sein Haus verkauft, längstens jedoch bis 31. Dezember 1976.

5) Der Kläger wird bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Fortzahlung der Bezüge und ohne Anrechnung anderweitigen Verdienstes von der Arbeit freigestellt. Hiermit sind evtl. zustehende Resturlaubsansprüche abgegolten.

6) Mit diesem Vergleich sind sämtliche gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, dessen Beendigung und sonstigen Rechtsgründen abgegolten. Hiervon sind ausgenommen, die Ansprüche des Klägers aus seiner Anwartschaft hinsichtlich der betrieblichen Altersversorgung.

Während seiner Beschäftigung in L. hat der Kläger Beiträge an das Britische Department of Health and Social Security vom 24. April 1972 bis 31. Dezember 1976 gezahlt.

Am 5. Januar 1977 meldete der Kläger sich arbeitslos und beantragte die Zahlung von Alg. Nachdem er sich mit Wirkung ab 18. Januar 1977 beim Arbeitsamt abgemeldet hatte, stellte er am 28. Februar 1977 einen Wiederbewilligungsantrag. Mit Bescheid vom 5. September 1977 und Widerspruchsbescheid vom 17. November 1977 lehnte die Beklagte die Zahlung von Alg ab, da der Kläger die Anwartschaftszeit im Sinne von § 104 AFG in Verbindung mit den Artikeln 67 Abs. 1 und 3 sowie 69 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWG-Verordnung Nr. 1408/71), – Amtsbl. d. Europ. Gemeinschaften Nr. L 149, S. 2 –, nicht erfüllt habe.

Mit der am 22. Dezember 1977 beim Sozialgericht Frankfurt am Main – SG – erhobenen Klage machte der Kläger geltend, er habe sich in Großbritannien nicht arbeitslos gemeldet, da er dort als Deutscher kaum Vermittlungschancen gehabt habe und er auch in die Bundesrepublik Deutschland habe zurückkehren wollen. Er sei der Auffassung, daß er die Anwartschaftszeit im Sinne von § 104 AFG erfüllt habe. Das Arbeitsverhältnis habe mit der in Deutschland ansässigen Arbeitgeberin bestanden und habe sich nach deutschem Recht gerichtet. Er sei lediglich nach England zu einer vorübergehenden Beschäftigung entsandt worden. Sein Gehalt sei in M. gezahlt worden und seine Beschäftigung habe der Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit unterlegen.

Selbst wenn er in Großbritannien einer Versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen sei, so müsse diese Zeit als Anwartschaftszeit mitberücksichtigt werden. Dies ergebe sich aus Art. 67 Abs. 3 i.V.m. Art. 71 Abs. 1 Buchstabe b ii der EWG-Verordnung Nr. 1408/71 Während seiner Tätigkeit in L. habe er seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland beibehalten und immer die Absicht gehabt, dorthin wieder zurückzukehren. Seinen Aufenthalt in Großbritannien habe er als vorübergehend angesehen und nie beabsichtigt, die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr als Mittelpunkt seines Lebens zu betrachten. Zwar sei es richtig, daß er sich in England ein Haus gekauft habe und dieses bewohnt habe, dadurch hätte er aber nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt und den Mittelpunkt seiner Interessen auf Dauer nach Großbritannien verlegt. Er habe nach F. zurückkehren wollen, um seine Verlobte zu heiraten. Bei dieser habe er auch einen Teil seiner Möbel untergestellt. In den Jahren 1972 bis 1976 habe er seinen Urlaub überwiegend in F. verbracht. Hier sei immer der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen gewesen.

Mit Urteil vom 10. Oktober 1979 wies das SG die Klage ab und führte im wesentliche aus, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers in Großbritannien nicht zur deutschen Arbeitslosenversicherung beitragspflichtig gewesen sei und daß die Beklagte nicht verpflichtet sei, die in Großbritannien zurückgelegten Versicherungszeiten zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen des Art. 71 Abs. 1 Buchstabe b ii der EWG-Verordnung 1408/71 seien nicht gegeben, da bei dem Kläger das Wohn- und Beschäftigungsland identisch gewesen seien.

Gegen das am 30. November 1979 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28. Dezember 1979 Berufung eingelegt. Der Kläger verfolgt seinen Anspruch auf Alg weiter und weist im wesentlichen darauf hin, daß sein Arbeitsverhältnis nur mit der Firma A. GmbH in M. bestanden habe. Die Parteien des Arbeitsverhältnisses seien einvernehmlich davon ausgegangen, daß auf das Arbeitsverhältnis deutsches Recht anzuwenden sei. Es habe sich um eine Versicherungspflichtige Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland gehandelt. Im übrigen habe das Sozialgericht auch den Begriff des Wohnsitzes verkannt. Sein Lebensmittelpunkt habe weiterhin in der Bundesrepublik Deutschland bestanden. Hier lebten seine beiden Töchter, auch habe während des fraglichen Zeitraumes ein Verlöbnis zu der als Zeugin benannten R. W. bestanden. Um diese menschlichen Bindungen aufrecht zu erhalten, habe er sich im Durchschnitt etwa viermal jährlich in der Bundesrepublik aufgehalten. In Großbritannien habe er keinerlei über die Kontakte zu Arbeitskollegen hinausgehende Bindungen persönlicher Art gehabt.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. Oktober 1979, sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. September 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 1977 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosengeld vom 5. Januar 1977 bis 17. Januar 1977 und vom 28. Februar 1977 bis 31. Januar 1978 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, es beständen gewisse Zweifel an der Zulässigkeit der Berufung, da letztlich nur noch um den Anspruch auf Alg für die Dauer von 78 Wochentagen gestritten werde und die Berufung daher unzulässig sein könnte, § 144 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Nachdem der Kläger in der Zeit vom 1. Februar 1978 bis 31. Mai 1978 als Grafiker bei der Firma N. beschäftigt gewesen sei und er sich am 1. Juni 1978 erneut arbeitslos gemeldet und Alg beantragt habe, sei diesem Antrag am 20.12.1979 entsprochen worden. Sie habe Alg ab 1. Juli 1978 für die Dauer von 234 Wochentagen bewilligt, da der Kläger nunmehr innerhalb der Rahmenfrist (vom 1. Juni 1975 bis 31. Mai 1978) Beschäftigungszeiten von insgesamt 700 Kalendertagen nachgewiesen habe. Da die Arbeitslosigkeit nunmehr nach einer im Bundesgebiet ausgeübten Tätigkeit eingetreten sei, habe die Beschäftigung in Großbritannien berücksichtigt werden können.

Im übrigen bleibe sie bei ihrer Auffassung, daß der Kläger seinen Wohnsitz nicht in der Bundesrepublik Deutschland während seiner Tätigkeit in Großbritannien beibehalten habe. Er habe seinen Haushalt in der Bundesrepublik aufgelöst und den Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse nach L. verlagert. Eine Leistungsgewährung sei auch im Hinblick auf Art. 69 Abs. 1 a der EWG-Verordnung, 1408/71 nicht möglich, da der Kläger vor seiner Abreise in die Bundesrepublik Deutschland nicht mindestens vier Wochen nach Eintritt seiner Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsverwaltung in Großbritannien arbeitssuchend gemeldet war und dieser auch nicht zur Verfügung gestanden habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Akten der Beklagten und der Akte des Arbeitsgerichts München, Az.: , der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig; denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Gründe, die die Berufung ausschließen könnten, sind nicht gegeben. Insbesondere macht der Kläger keinen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen geltend (§ 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG); denn er begehrt die Zahlung von Alg für ca. 1 Jahr, was die Beklagte ihm versagt hat. Dadurch, daß die Beklagte für einen späteren Zeitraum Alg bewilligt hat, wird die Berufung hier nicht unstatthaft.

Die Berufung ist unbegründet. Die Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden. Streitgegenstand ist die Zahlung von Alg vom 5. Januar 1977 bis 17. Januar 1977 und vom 28. Februar 1977 bis 31. Januar 1978. Für diesen Zeitraum hat der Kläger keinen Anspruch auf Alg, weil er die Anwartschaftszeit – eine der Voraussetzungen für den Bezug von Alg – nicht erfüllt hat. Nach § 104 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist 26 Wochen oder 6 Monate in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168) gestanden hat. Innerhalb der Rahmenfrist (§ 104 Abs. 2 und 3 AFG) vom 5. Januar 1974 bis 4. Januar 1977 hat der Kläger keine beitragspflichtige Beschäftigung im Geltungsbereich des AFG ausgeübt. Für seine Tätigkeit als Art-Direktor in L. waren keine Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit abzuführen. In der Vereinbarung des Klägers mit seiner Arbeitgeberin vom 1. Februar 1972 heißt es zwar, daß auf das Vertragsverhältnis deutsches Arbeitsrecht Anwendung finde, eine Regelung darüber, welches Sozialversicherungsrecht anzuwenden sei, war jedoch weder getroffen, noch ist eine solche Vereinbarung möglich. Für die Frage, ob deutsches oder ausländisches Recht bei Sachverhalten mit Auslandsberührung im Hinblick auf die Sozialversicherung anzuwenden ist, sind die nationalen, internationalen und supranationalen Rechtsnormen anzuwenden (§ 30 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil (SGB I)), die u.a. Kollisionsnormen enthalten. Zu den supranationalen Rechtsnormen, die von überstaatlichen Organen erlassen werden und unmittelbar auf die Bundesrepublik einwirken, gehört die EWG-Verordnung Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971 und die EWG-Verordnung Nr. 574/72 vom 21. März 1972 zur Durchführung dieser Verordnung (Amtsbl. d. Europ. Gemeinschaften Nr. L 74 S. 1). Diese Verordnungen haben Vorrang vor nationalem Recht und gelten einheitlich in allen EWG-Mitgliedsstaaten.

Die Bestimmung des anzuwendenden Rechts ist in Art. 13 EWG-Verordnung 1408/71 geregelt. Nach Abs. 2 a dieses Artikels gilt, soweit nicht die Artikel 14–17 etwas anderes bestimmen, daß ein Arbeitnehmer, der im Gebiet eines Mitgliedsstaates beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt, und zwar auch dann, wenn er im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates wohnt oder sein Arbeitgeber oder das Unternehmen, das ihn beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates hat. Die Annahme, daß der Kläger in der maßgeblichen Zeit nicht beitragspflichtig zur Bundesanstalt für Arbeit versichert war, wird demnach weder dadurch gehindert, daß für die arbeitsrechtliche Seite deutsches Recht anzuwenden ist, noch dadurch, daß die Arbeitgeberin ihren Sitz in München hatte. Entscheidend ist nur, daß der Kläger in Großbritannien beschäftigt war und nicht im Geltungsbereich des AFG.

Wesentliches Merkmal eines Beschäftigungsverhältnisses ist die persönliche Abhängigkeit, die sich hauptsächlich in der Eingliederung in einem Betrieb äußert, womit regelmäßig die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers über Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung verbunden ist (vgl. BSG 37, 10; 35, 20). Wird ein Arbeitnehmer während einer vorübergehenden Beschäftigung im Ausland im Betrieb des ausländischen Unternehmens so eingegliedert, daß er nach Art eines eigenen Betriebsangehörigen der Dienst- und Weisungsbefugnis dieses Unternehmers und damit zugleich auch dessen Fürsorge unterstellt ist, liegt kein Beschäftigungsverhältnis mehr im Geltungsbereich des AFG vor.

Mit Vertrag vom 1. Februar 1972 wurde der Kläger verpflichtet, als Art-Direktor bei der A. O. Ltd. L. zu arbeiten. Eine Weiterbeschäftigung in M. war wegen Verlegung der Werbeabteilung nach L. nicht mehr möglich. Er wurde der Geschäftsleitung der A. O. Ltd. fachlich und disziplinarisch unterstellt. Soweit es die Besonderheiten seines Einsatzes in L. erforderte, galten für ihn die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter von A. O. Ltd. Dies traf insbesondere für Arbeitszeit und Pausen, Feiertagsregelung sowie Spesen zu. Der Kläger hat seine Tätigkeit in L. entsprechend der vertraglichen Regelung aufgenommen und ausgeübt. Er war in das ausländische Unternehmen eingegliedert und unterstand der Dienst- und Weisungsbefugnis dieses Unternehmens.

Die Ausnahmeregelung des Art. 14 EWG-Verordnung 1408/71 greift nicht ein. Art. 14 enthält den Gedanken der Ausstrahlungstheorie, die schon das RVA für Sachverhalte mit Auslandsberührung entwickelt hatte (AN 1885 Nr. 72; 1892 Nr. 1137; 1930 Nr. 3913) und die das BSG weiter ausgebaut hat (BSGE 7, 257; 17, 173; 20, 69; 31, 288; 33, 280; 35, 70; 39, 241). Nach Art. 14 Abs. 1 a i EWG-Verordnung 1408/71 gilt vom Grundsatz des Art. 13 Abs. 2a folgende Ausnahme und Besonderheit:

Ein Arbeitnehmer, der im Gebiet eines Mitgliedsstaates von einem Unternehmen beschäftigt wird, dem er gewöhnlich angehört, und von diesem Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates entsandt wird, unterliegt weiterhin den Rechtsvorschriften des 1. Staates, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit 12 Monate nicht überschreitet und er nicht einen anderen Arbeitnehmer ablöst, für den die Entsendungsart abgelaufen ist; (ii) geht eine solche Arbeit, deren Ausführung aus nicht vorhersehbaren Gründen die ursprünglich vorgesehene Dauer überschreitet, über 12 Monate hinaus, so gelten die Rechtsvorschriften des 1. Staates bis zur Beendigung dieser Arbeitszeit weiter, sofern die zuständige Behörde des Staates, in dessen Gebiet der Arbeitnehmer entsandt wurde, oder die von dieser Behörde bezeichnete Stelle dazu ihre Genehmigung erteilt; diese Genehmigung ist vor Ablauf der 12 Monate zu beantragen; sie darf nicht für länger als 12 Monate erteilt werden.

Der Kläger erfüllt diese Voraussetzung nicht, denn er war nicht zur Ausführung einer Arbeit von der Firma A. GmbH M. für die voraussichtliche Dauer von 12 Monaten nach London entsandt. Die Arbeit des Klägers in L. war nicht von vornherein zeitlich begrenzt, sondern es bestand Übereinstimmung darüber, daß der Kläger diese Position für mindestens 24 Monate, gerechnet ab 1. Mai 1972, übernehmen sollte. Eine Höchstdauer wurde weder festgelegt, noch ergibt sich diese aus der Eigenart der Beschäftigung. Eine Rückkehr des Klägers auf seine alte Stelle in M. war nicht möglich, da die Werbeabteilung der A. GmbH M. insgesamt nach L. verlegt worden war. Auch wurde das Beschäftigungsverhältnis, das zunächst auf mindestens 24 Monate befristet war, am 10. Januar 1974 unbefristet verlängert. Eine befristete Entsendung von 12 Monaten, höchstens jedoch 24 Monaten, war somit nicht gegeben.

Auch die Tatsache, daß der Kläger durch arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 28. September 1976 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 1976 unter Fortzahlung seiner Bezüge von der Arbeit freigestellt wurde, führt nicht zu einer anderen Beurteilung des Falles. Der Beschäftigungsort wurde damit nicht von L. nach M. verlegt, sondern der Kläger wurde nur von seiner Verpflichtung, seine Arbeitsleistung zu erbringen, freigestellt.

Das Beschäftigungsverhältnis des Klägers in der Zeit vom 5. Januar 1974 bis 31. Dezember 1976 unterlag daher den Rechtsvorschriften Großbritanniens. Der Kläger hat auch Beiträge bis 31. Dezember 1976 an das Britische Department of Health and Social Security abgeführt.

Für die Frage, ob bei Auslandsberührung Leistungen zu gewähren sind, ist grundsätzlich dasselbe Recht anzuwenden, das für die Beitragsentrichtung maßgebend war. Daraus folgt, daß für die Leistungsseite der Sitz des Versicherungsträgers, der die sich aus den erbrachten Beiträgen ergebenden Leistungen festzustellen oder zu erbringen hat, der Anknüpfungspunkt im Sinne des internationalen Sozialversicherungsrechts sein muß. Beitrag und Leistung stehen bei einem Versicherungsverhältnis in einer engen gegenseitigen wirtschaftlichen und rechtlichen Abhängigkeit (vgl. BSG, Großer Senat, Beschluss vom 21. Dezember 1971, Gs 6/71; BSGE 33, 280). Ausnahmen von diesem Grundsatz können sich u.a. aus überstaatlichen Regelungen ergeben.

Die Beklagte hat zu Recht die beitragspflichtige Beschäftigungszeit des Klägers in Großbritannien leistungsrechtlich nicht so behandelt, als sei sie im Inland zurückgelegt. Zwar werden nach Art. 67 Abs. 1 EWG-Verordnung 1408/71 für den Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaats zurückgelegt wurden, soweit erforderlich, berücksichtigt. Abs. 3 dieses Artikels bestimmt jedoch, daß Abs. 1 außer in den in Art. 71 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii und Buchst. b Ziff. ii bezeichneten Fällen nur anzuwenden ist, wenn der Arbeitslose unmittelbar zuvor Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen beantragt werden, zurückgelegt hat. Art. 67 Abs. 3 der EWG-Verordnung 1408/71 stellt somit den Grundsatz auf, daß ein Arbeitsloser, außer in Ausnahmefällen, nur dann Leistungen bei Arbeitslosigkeit beanspruchen kann, wenn er unmittelbar zuvor Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, nach den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen beantragt werden, zurückgelegt hat. Der Kläger hat jedoch in der Zeit vom 31. Dezember 1976 bis 4. Januar 1977 im Geltungsbereich des AFG keine beitragspflichtige Beschäftigungszeit zurückgelegt.

Von dem Erfordernis der unmittelbar zuvor beitragspflichtigen Beschäftigungszeit macht Art. 71 Abs. 1 eine Ausnahme und zwar in Buchst. a Ziff. ii zugunsten der Grenzgänger und in Buchst. b Ziff. ii zugunsten bestimmter Wanderarbeitnehmer, die nicht Grenzgänger sind. Maßgebend für die Anwendung des Art. 71 in seiner Gesamtheit ist die Tatsache, daß der Betreffende im Gebiet eines anderen als des Mitgliedsstaates wohnt, dessen Rechtsvorschriften während seiner letzten Beschäftigung für ihn galten (vgl. Urteil des EuGH vom 17. Februar 1977 – Rechtssache 76/76). Die Voraussetzungen des Art. 71 Abs. 1 Buchst. a Ziff. ii EWG-Verordnung Nr. 1408/71 sind schon deshalb nicht gegeben, weil der Kläger nicht Grenzgänger im Sinne von Art. 1 b EWG-Verordnung Nr. 1408/71 war, denn er kehrte nicht in der Regel täglich, mindestens aber einmal wöchentlich in das Gebiet des anderen Mitgliedsstaates zurück. Nach seinen eigenen Angaben fuhr er nur ca. viermal jährlich in die Bundesrepublik.

Auch sind die Voraussetzungen von Art. 71 Abs. 1 Buchst. b Ziff. ii EWG-Verordnung Nr. 1408/71 nicht gegeben. Denn der Kläger hatte während seiner Beschäftigungszeit in L. seinen Wohnort nicht in der Bundesrepublik. "Wohnort” ist nach Art. 1 Buchst. h EWG-Verordnung Nr. 1408/71 der "Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes”, im Gegensatz zum "Aufenthalt” nach Buchst. i, dem "Ort des vorübergehenden Aufenthalts”. Für die Beurteilung der Frage, wo jemand seinen Wohnort hat, sind der gewöhnliche Mittelpunkt seiner Interessen, die familiären Verhältnisse sowie die wirtschaftlichen Umstände zu berücksichtigen. Der Umstand, daß ein Arbeitnehmer seine Familie in dem einen Staat zurückgelassen hat, ist ein Indiz dafür, daß er dort seinen Wohnort beibehalten hat. Dies kann aber für sich allein nicht genügen, um ihm die Ausnahme des Art. 71 Abs. 1 Buchst. b Ziff. ii zu Gute kommen zu lassen. Verfügt nämlich ein Arbeitnehmer in einem Mitgliedsstaat über einen festen Arbeitsplatz, so wird vermutet, daß er dort wohnt, auch wenn er seine Familie in einem anderen Staat zurückgelassen hat. Es sind die Gründe für die Abwanderung und die Art seiner Tätigkeit zu berücksichtigen (vgl. Urteil des EuGH vom 17. Februar 1977, Rechtssache 76/76). Wegen des tatsächlichen Aufenthaltsschwerpunkts im Beschäftigungsland müssen besonders deutliche tatsächliche Anhaltspunkte dafür da sein, daß ein für dauernd gewellter Aufenthaltsschwerpunkt in einem anderen Land bestehen geblieben ist. Solche Anhaltspunkte sind hier nicht gegeben. Der Kläger hat in der Bundesrepublik Deutschland seine Wohnung aufgelöst, einen Teil der Möbel bei seiner damaligen Verlobten und bei Bekannten untergestellt, sich in L. ein Haus gekauft und von seiner Arbeitgeberin finanzielle Leistungen für den Abbruch seiner Bindungen in Deutschland und die abweichenden Bedingungen seiner Arbeit im Ausland erhalten. Daß der Kläger in F. bis 1976 eine Verlobte hatte und bei M. zwei Töchter von ihm wohnen, kann nicht zu der Annahme führen, daß er einen Wohnort in der Bundesrepublik Deutschland gehabt hat. Das Sorgerecht für die beiden Töchter hat seit 1965 die geschiedene Ehefrau des Klägers. Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Kläger auch vorgetragen, in F. wo sich seine zwei Töchter befinden, nie heimisch geworden zu sein. Ein persönliches Interesse am Raum F., weil dort die Verlobte des Klägers wohnte, zu der er bereits 1976 die Beziehungen wieder abgebrochen hatte, führt nicht dazu, hier einen Wohnort des Klägers anzunehmen. Auch kann B., wo der Kläger in Erbengemeinschaft Miteigentümer eines Hauses ist und mit 2. Wohnsitz gemeldet ist, nicht als sein Wohnort angesehen werden, weil er sich hier nicht gewöhnlich aufhielt. Der Kläger hatte vielmehr seinen Wohnort in L. wo er sich ein Haus gekauft hatte und wo er in einem festen Beschäftigungsverhältnis stand. Der Aufenthalt war auch nicht von vornherein auf zwei Jahre befristet, sondern auf mindestens 2 Jahre festgelegt und erstreckte sich dann auf über drei Jahre. Wohn- und Beschäftigungsland war somit Großbritannien, so daß die Voraussetzung des Art. 71 Abs. 1 Buchst. b Ziff. ii EWG-Verordnung Nr. 1408/71 nicht gegeben ist, zumal die Bedeutung der Worte in Art. 71 Abs. 1 Buchst. b Ziff ii "oder in das Gebiet dieses Staates zurückkehren” sich darin erschöpft, daß der Wohnortbegriff einen nicht gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedsstaat nicht zwangsläufig ausschließt (vgl. Urteil des EuGH vom 15. Dezember 1976, Rechtssache 39/76). Die Beklagte konnte somit die in Großbritannien zurückgelegten Beitragszeiten nicht nach Art. 67 Abs. 1 und Abs. 3 EWG-Verordnung Nr. 1408/71 berücksichtigen.

Der Kläger kann auch nicht seinen in Großbritannien erworbenen Leistungsanspruch nach Art. 69 EWG-Verordnung Nr. 1408/71 bei der Beklagten geltend machen. Denn er hat sich nicht vier Wochen vor seiner Abreise aus Großbritannien während mindestens vier Wochen nach Beginn der Arbeitslosigkeit bei der Arbeitsverwaltung in Großbritannien als Arbeitsuchender gemeldet und sich dieser Arbeitsverwaltung zur Verfügung gestellt (Art. 69 Abs. 1 a EWG-Verordnung Nr. 1408/71).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen, da der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung hat, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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