L 3 U 338/76

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 338/76
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. März 1976 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten in Bezug auf die bei dieser gegen Krankheit versicherte Schülerin U. F. die Erstattung von verauslagten Kosten nach § 1509 a Reichsversicherungsordnung –RVO– in Höhe von insgesamt 4.268,15 DM. In dieser Höhe sind ihm aufgrund der stationären Behandlung und des Transportes der F. zur Aufnahme in eine Klinik Kosten aus Anlaß eines Ereignisses am 26. Juni 1973 entstanden. An diesem Tage war die 1961 geborene F. Schülerin der O. Schule in M. (in folgendem: Grundschule). Nach der förmlichen Unfallanzeige hatte der Unterricht um 8.00 Uhr begonnen. Gegen 10.20 Uhr wurde F. vom Hausmeister Th. (Tb.) im Schulhof liegend aufgefunden. Ihre Untersuchung nach Verbringung in die Chirurgische Universitätsklinik Marburg ergab dem Durchgangsarztbericht des Prof. Dr. M. zufolge eine Sprunggelenkstrümmerfraktur rechts, Frakturen der Lendenwirbelkörper 1 und 2 sowie multiple Prellungen. Außerdem teilte Prof. Dr. M. mit, F. leide unter Epilepsie und stehe unter einer Dauermedikation. Der Rektor der Grundschule äußerte am 23. Juli 1973 gegenüber dem Kläger, er habe zunächst an einen epileptischen Anfall geglaubt. Nach Wiedererlangung des Bewußtseins habe diese aber behauptet, sie sei aus einem Fenster gefallen. Dies sei aber nicht glaubhaft. Die Schulfenster seien so hoch, daß man nicht unbeabsichtigt aus diesen fallen könne. Der Kläger zog die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Marburg (9 PLs 2391/73) bei. Nach diesen hatte der Hausmeister Th. u.a. angegeben, er habe das Geschehen nicht beobachtet, jedoch gesehen, daß im Schulgebäude in Höhe der Stelle, an der er F. im Schulhof gefunden habe, sowohl das Fenster im Erdgeschoß als auch das im 1. Stockwert geöffnet gewesen seien. Die Mutter der F. sagte zunächst aus, daß sie von ihrer Tochter zu dem Unfall nichts habe erfahren können. Es könne sein, daß sie einen ihrer Anfälle bekommen habe und dadurch gestürzt sei. Im übrigen leide sie ständig unter Luftnot; es komme daher öfter vor, daß sie ans Fenster gehe, um Luft zu holen. Später teilte sie fernmündlich der Kriminalpolizei in M. mit, daß ihre Tochter F. als Grund des Sprunges aus dem Fenster angegeben habe, dadurch die Aufnahme in eine Klinik wegen ihrer Krankheit erreichen zu wollen. Hierauf lehnte der Kläger gegenüber F. mit dem inzwischen bestandskräftigen Bescheid vom 24. Oktober 1974 die Gewährung einer Entschädigung ab, da kein versicherter Arbeitsunfall vorgelegen habe. Es fehle an einem schulbezogenen Anlaß für den Sprung aus dem Fenster. Nach § 553 RVO bestehe im übrigen kein Anspruch auf Entschädigung, wenn der Verletzte den Arbeitsunfall absichtlich oder vorsätzlich verursacht habe.

Nachdem die Beklagte die Befriedigung des vom Kläger geltend gemachten Ersatzanspruches abgelehnt hatte, hat dieser bei dem Sozialgericht in Frankfurt am Main (SG) am 14. Mai 1975 deswegen Zahlungsklage erhoben. Das SG hat mit Urteil vom 5. März 1976 die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Aufwendungen für die Schülerin F. wegen der Verletzungen vom 26. Juni 1973 in gesetzlichem Umfange zu erstatten. Es liege kein Arbeitsunfall vor, da die Schülerin F. aus dem Fenster gesprungen sei, um wegen ihrer Epilepsie in einem Krankenhaus behandelt zu werden.

Gegen dieses ihr gegen Empfangsbekenntnis am 1. April 1976 zugestellte Urteil hat die Beklagte bei dem Hessischen Landessozialgericht schriftlich am 22. April 1976 Berufung eingelegt.

Es ist im Berufungsverfahren der Sachverhalt weiter aufgeklärt worden. Die Grundschule hat am 15. November 1976 die am Unfalltag geltende Hausordnung und eine Beurteilung der F. vom 15. Dezember 1973 übersandt. Hiernach handelte es sich bei F. um eine verschlossene, kontaktarme, von der Klassengemeinschaft isolierte und desinteressierte Schülerin, die wegen ihrer Epilepsie vom Turnunterricht befreit war. Ihr war auf ärztliche Empfehlung aufgegeben, dem von der Klassenlehrerin S. gegebenen Turnunterricht als Zuschauerin beizuwohnen. Im einzelnen wir – auch wegen der ärztlichen Gegebenheiten – auf die erteilten Auskünfte vom 15. November 1976 und vom 28. März 1977 verwiesen. Außerdem sind die Klassenlehrerin S. die Mutter der F., A. F., und F. selbst vor dem Senat als Zeuginnen gehört worden. Die Zeugin S. hat bekundet, daß sie sich an die Vorgänge im einzelnen nicht mehr erinnern könne. Sie wisse nicht, ob F. am Turnunterricht von Anfang dabei gewesen sei. Jedenfalls habe sie wegen der Beobachtung der anderen Kinder im Unterricht auch nicht bemerkt, ob F. vorzeitig die Turnstunde verlassen habe. Während derselben könne die Turnhalle jederzeit auch von außen betreten werden. Die Zeugin F. hat ausgesagt, daß sie zur Turnstunde zu spät gekommen sei und die Tür zur Turnhalle nicht habe öffnen können. Sie sei daher in die Schule zu dem im 1. Stockwerk gelegene Klassenzimmer gegangen, das aber verschlossen gewesen sei. Auf Befragen der vorbeigehenden Sekretärin des Rektors der Grundschule habe sie angegeben, auf die Klassenlehrerin zu warten. Im Flur allein habe sie nunmehr eine Chance für ihr Vorhaben, sich aus einem Fenster zu stürzen, um zur Behandlung ihres Leidens in ein Krankenhaus eingewiesen zu werden, gesehen und deshalb zunächst mehrere Fenster zur Schulhofseite geöffnet. Sodann habe sie sich außerhalb eines Fensters auf ein mit Schiefer bedecktes schiefes Dach gesetzt, sich aber noch am Fensterrahmen festgehalten. Plötzlich habe sie den Mut verloren und ihren Plan aufgegeben. Sie sei dennoch hinuntergefallen, da sie sich nicht mehr habe festhalten können. Die Mutter der F. hat bekundet, daß es durchaus möglich sei, daß ihre Tochter F. über einen Sturz aus dem Fenster einen Klinikaufenthalt habe erreichen wollen. Über eine solche Behandlung sei zu Beginn des Jahres 1973 bereits gesprochen worden. An das Geschehen am Unfalltag könne sie sich nicht mehr erinnern. Wenn sie gegenüber der Kriminalpolizei damals fernmündlich angegeben habe, ihre Tochter habe sich aus dem Fenster gestützt, um eine stationäre Heilbehandlung zu erreichen, so werde dies richtig sein, erinnern könne sie sich daran aber nicht mehr. Im übrigen meine sie, daß der Unterricht der F., am Unfalltag bereits um 8.00 Uhr begonnen habe. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf die Anlagen zur Sitzungsniederschrift vom 27. April 1977 verwiesen.

Die Beklagte bringt zur Begründung der Berufung vor:

Das angefochtene Urteil gehe von eine unbewiesenen Sachverhalt aus. Es lasse unbeachtet, daß F. nach dem Sturz erklärt habe, sie sei aus dem Fenster gefallen. Im Durchgangsarztbericht werde ebenfalls ein Fallen aus dem Fenster ihres Klassenraumes im 2. Stock angegeben. Nach Angaben der Mutter leide F. unter ständiger Luftnot und begebe sieh deshalb öfters ans offene Fenster. Ohne Verletzung der schulischen Aufsichtspflicht hätte es zu dem Unfall nicht kommen können. Der Kläger habe im ablehnenden Bescheid vom 12. März 1974 gegenüber F. auch einen Arbeitsunfall angenommen, die Entschädigung aber nur deshalb versagt, weil diese den Unfall angeblich vorsätzlich und absichtlich herbeigeführt habe. Hierfür obliege ihm die Beweislast.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 5. März 1976 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor: Die Begründung des ablehnenden Bescheides könne ihn gegenüber der Beklagten nicht binden. Maßgeblich sei, daß nach Auskunft der Mutter der F. gegenüber der Kriminalpolizei diese aus dem Fenster gesprungen sei, um dadurch die stationäre Behandlung ihrer Epilepsie zu erzwingen. F. habe dies als Zeugin vor dem Senat bestätigt. Ein Zusammenhang mit dem Schulbesuch bestehe nicht. F. habe, wie auch die Beklagte nicht ausschließe, in einer Bewußtseinstrübung gehandelt. Der Unfall beruhe daher auf innerer Ursache. Die Grundschule habe auch nicht die Aufsichtspflicht verletzt, wie deren im Berufungsverfahren erteilten Auskünfte erwiesen. Außerdem habe F. gar nicht am Turnunterricht teilgenommen, da sie verspätet zur Schule gekommen sei. Es habe deshalb keine Aufsichtspflicht entstehen können.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Streitgegenstand ist die Ersatzpflicht der Beklagten wegen der von dem Kläger für F. im Zusammenhang mit einer Heilbehandlung angewendeten Kosten über insgesamt 4.268,15 DM. Da der Streitwert den Betrag von 1.000,– DM übersteigt, liegt der Berufungsausschließungsgrund nach § 149 Sozialgerichtsgesetz –SGG– nicht vor.

Die mithin statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig.

Sie ist jedoch unbegründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil konnte nicht aufgehoben werden, da das SG – im Ergebnis – zu Recht die Ersatzpflicht der Beklagten angenommen hat (§ 1509 a RVO). Die Zeugin F. erlitt am 26. Juni 1973 keinen versicherten Schul-(Arbeits-)Unfall i.S. von § 539 Abs. 1 Nr. 14 b RVO, als sie an diesem Tage aus einem Fenster ihrer Grundschule in den Schulhof stürzte. Sie ist vielmehr einer selbst geschaffenen Gefahrenlage erlegen, ohne daß eine Verletzung der schulischen Aufsichtspflicht wesentlich mitgewirkt hätte.

Hierzu stellt der Senat aufgrund der Ermittlungen des Klägers im Verwaltungsverfahren, der Kriminalpolizei in M. und im Berufungsverfahren fest: Entgegen der Angeben der Grundschule im Verwaltungs- und Berufungsverfahren hat die Zeugin F. am Unfalltag weder bereits ab 8.00 Uhr am allgemeinen Schulunterricht in der Klasse noch an der von der Zeugin S. gegebenen Turnstunde teilgenommen. Zwar heißt es in der Unfallanzeige, daß der Unterricht um 8.00 Uhr begonnen habe. Es kann offen bleiben, ob diese Angabe zutreffend ist. Nach den klaren und bestimmten Aussagen der Zeugin F. hat sie erst – "als 2. Stunde” – am Unterricht mit dem Beginn der Turnstunde teilnehmen wollen und sich zu dieser verspätet. Die Mutter der F. meinte zwar, daß ihre Tochter wie immer früh zur Schule gegangen sei. Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß F. sich die ersten Stunden an anderer Stelle als in der Grundschule oder zu Hause aufhielt. Außerdem hatte die Zeugin A. F. keine Erinnerung mehr an die Vorgänge am Unfalltag im einzelnen. Die Zeugin S. unterrichtete an diesem Tage in ihrer Klasse erstmalig ab der Turnstunde. Sie sagte zwar zunächst aus, daß F. zu Beginn derselben dabei gewesen sei. Dieser Aussage kommt gegenüber den insoweit klaren und bestimmten Bekundungen der Zeugin F. jedoch kein Beweiswert zu. Die Zeugin S. hat einerseits einräumen müssen, daß sie das angebliche Weggehen der Zeugin F. aus der Turnstunde nicht bemerkt habe. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß sie sich insoweit irrt und das Fehlen der F. von Anfang an nicht wahrgenommen hat. Bei rund 30 Schülern in einer Klasse, die ein Lehrer im Verlaufe eines Unterrichtstages erstmals zur Turnstunde sieht, ist dies durchaus möglich. Hinzu kommt, daß die Zeugin S. sich an die Einzelheiten heute nicht mehr erinnern kann. Nach alledem sieht der Senat als erwiesen an, daß F. am Unfalltag die Grundschule erst zur Turnstunde aufsuchte, dort aber verspätet eintraf, jedoch nicht in die Turnhalle gelangte, obwohl einer der durch jeweils zwei Türen verschließbaren Zugänge unverschlossen war.

Nach diesen Feststellungen vertritt die Beklagte zu Unrecht die Auffassung, daß für die Grundschule ganz allgemein und für die Zeugin S. als Klassenlehrerin besonders eine Aufsichtspflicht gegenüber F. entstanden, sei und das Geschehen lediglich auf deren Verletzung beruht habe. Es gehört zwar zu den Dienstpflichten eines Lehrers und Erziehers – und damit auch der Schulleitung – die ihnen anvertrauten Schüler zu beaufsichtigen, um den diesen drohenden Schaden in der Schule zu verhüten (vgl. im einzelnen § 52 Abs. 2 Hess. Schulverwaltungsgesetz i.V.m. I 1.1; 1.2 des Erlasses des Hess. Kultusministers vom 22.8.1969 – E IV 817/220 in Amtsblatt des Hess. Kultusministers 1969, 860 ff.; Amberg in "Unfallverhütung in der Arbeitslehre”, Sonderdruck zum werkpädagogischen Kongreß IV in Hannover 1972, herausgegeben von der Bundesarbeitsgemeinschaft der gemeindliches Unfallversicherungsträger e.V., S. 12 unter Hinweis auf RG in JW 1920, 1032; Vollmar, Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten, ohne Auflage, in Schriftenreihe der Zeitschrift; Wege zur Sozialversicherung, Heft 75, 30 –Stichworts Pausen, 39, 56 und 110). Führt die Verletzung der Aufsichtspflicht auch bei einer mit dem Schulbesuch nicht unmittelbar zusammenhängenden Betätigung im Schulbereich zu einer Körperverletzung, so wird, sofern nicht besondere Ausschlußtatbestände vorliegen, ein versicherter Arbeitsunfall im allgemeinen bejaht (vgl. hierzu Vollmer a.a.O.; BSG, Urteile vom 25.3.1964 – 2 RU 242/61 – in SR Nr. 68 zu § 542 RVO a.F.; 30.9.1970 – 2 RU 150/68 – in BG 1971, 233; 29.8.1974 – 2 RU 65/74 – in BKK 1975, 202). Eine solche Aufsichtspflicht konnte hier aber nicht entstehen, weil die Zeugin F. nicht unter die Obhut ihrer Klassenlehrerin, der Zeugin S., gelangte, obwohl dies ohne die Überwindung von Hindernissen sehr einfach möglich gewesen wäre. Diese Aufsichtspflicht entstand hier auch nicht etwa deshalb ganz allgemein, weil F., wenn auch verspätet, die Grundschule betreten und nach dem mißglückt Versuch, in die Turnhalle zu gelangen, sich im Flur des 1. Stockwerkes des Schulgebäudes in der Nähe des Klassenzimmers aufhalten konnte. Insoweit ist die Schule allgemein zugänglich. Das Klassenzimmer war ordnungsgemäß verschlossen, wie die Zeugin S. bekundete. Die Zeugin F. stürzte auch aus einem Fenster, das nicht zu ihrem Klassenzimmer gehörte, sondern sich im Flur zur Hofseite, also auf der entgegengesetzten Seite des Klassenzimmers, befand. Ferner meint die Beklagte zu Unrecht, daraus eine Aufsichtspflichtverletzung herleiten zu können, daß kurz vor dem Geschehen F. ihrer Bekundung als Zeugin zufolge vom der Sekretärin des Rektors der Grundschule gesehen und nach dem Grund ihres Verweilens im Flur befragt worden war, diese aber nichts unternommen habe. Zunächst gehört eine Schulsekretärin nicht zu den Lehrern und Erziehern einer Schule. Ihr obliegen nicht die gleichen Dienstpflichten gegenüber den Schülern wie diesen. Außerdem will die Zeugin F. dieser Sekretärin erklärt haben, sie warte auf ihre Lehrerin. Es stellt eine Überspitzung dar, in einem solchen Fall eine Verletzung der schulischen Aufsichtspflicht anzunehmen.

Die Zeugin F. ist auch nicht einer typischen Schulgefahr erlegen. Wie sie glaubhaft bekundete, sah sie, als sie sich allein im Flur befand, zunächst im Hinblick auf ihr epileptisches Leiden die Chance gekommen, endlich durch einen Sturz aus einem Fenster in klinische Behandlung zu gelangen. Der Senat sieht als erwiesen an, daß F. als sie sich nach außerhalb eines der von ihr geöffneten zur Hofseite gelegenen Fenster und auf das anschließende schräg ablaufende Schieferdach begab, zunächst den Entschluß gefaßt hatte, hinab zu springen. Bloße Neugier, ungebändigter jugendlicher Spieltrieb oder sonst leichtsinniges Verhalten eines Jugendlichen scheiden hier aus. Auch wenn F. damals erst kurz vor Vollendung ihres 12. Lebensjahres stand und nach der Beurteilung der Zeugin S. als ein besondere schwieriges Kind anzugehen war, so kann hieraus nicht gefolgert werden, daß sie nicht wußte, was sie tat. Als sie sich nur Außenseite des Flurfensters begab, handelte sie bewußt und durchaus planmäßig, mochte auch der ihrer Ansieht nach günstige Augenblick zu einem Sprung aus dem Fenster zunächst unerwartet und zufällig gekommen sein. Sie hat jedoch sodann bekundet, außerhalb des Fensters sitzend habe sie der Mut verlassen hinunterzuspringen. Sie habe vor etwas ihr unbekanntem Angst bekommen, eine Art Krampf in der Hand verspürt und sich dann losgelassen. Dabei habe sie jedoch nicht vorgehabt, sich aus dem Fenster zu stürzen, um in ein Krankenhaus zur Behandlung ihrer Epilepsie zu kommen. Diese Bekundungen hält der Senat für glaubhaft, da sie von der Zeugin erkennbar nicht leichtfertig sondern nach gründlichem Nachdenken, gemacht wurden und sie an dem Ausgang dieses Rechtsstreits kein eigenes Interesse hat. Es kann daher nicht festgestellt werden, daß F. den Unfall absichtlich verursachte, so daß sich der Kläger und ihm folgend das Sozialgericht nicht auf die Ausschlußvorschrift des § 553 RVO berufen können. Der rechtserhebliche Sachverhalt ist insoweit von ihnen nicht aufgeklärt worden. Zu Unrecht haben sowohl der Kläger als auch das SG eine schriftlich festgehaltene telefonische Äußerung der Zeugin A. F. gegenüber einer Polizeibeamtin vom 12. Juli 1973 als zutreffend unterstellt, in der es heißt, ihre Tochter habe ihr gesagt, sie sei von selbst aus dem Fenster gesprungen, weil sie wegen ihrer Krankheit in eine Klinik wolle. Ein solcher schriftlicher Vermerk ist jedoch prozeßrechtlich nicht verwertbar, weil es sich dabei weder um einen Zeugen- noch einen Urkundenbeweis handelt. Die Angaben in dem Vermerk enthalten zudem keine eigenen Wahrnehmungen über das Unfallgeschehen. Die hierzu als Zeugin vernommene A. F. hat eine solche Äußerung ihrer Tochter ihr gegenüber auch nicht bestätigen können. Sie konnte sich nicht erinnern, welche Angaben sie damals gegenüber der Polizei machte. Es ist daher möglich, daß ihre Aussagen unrichtig niedergeschrieben wurden oder F. ihr gegenüber damals falsche Angaben gemacht hatte.

Demgegenüber ist nach dem Ergebnis der erst im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme festzustellen, daß die Zeugin F. einer selbst geschaffenen Gefahrenlage erlegen ist. Nach der Rechtsprechung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit liegt diese dann vor, wenn sich der Versicherte derart sorglos und vernunftwidrig verhält, daß für den Eintritt des Unfalls nicht mehr die betriebliche Tätigkeit sondern diese Gefahrenlage die rechtlich wesentliche Unfallursache ist. Das ist stets dann der fall, wenn sich das Tun nach dem Beweggrund und Zweck als eindeutig betriebsfremd darstellt, d.h., der Verletzte sich bewußt in eine selbstgewählte Gefahr begeben hat (vgl. BSG, Urt. v. 31.8.1972 – 2 RU 51/71 – in SGb 1972, 394 Nr. 13; Bayr. LSG, Urt. v. 23.9.1976 – L 8/U – 141/75 – mitgeteilt im Rundschreiben Nr. 57/76 der Bundesarbeitsgemeinschaft für Unfallversicherungsträger der Öffentlichen Hand e.V. vom 25.11.1976; Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 52 zu § 548 RVO mit weiteren zahlreichen Nachweisen). Das ist hier aufgrund der oben getroffenen Feststellungen zu bejahen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schulunterricht der F. und der in einem unbeobachteten Augenblick von ihr selbst geschaffenen Gefahrenlage ist nicht erkennbar. Ein versicherter Schulunfall lag nach alledem nicht vor.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 SGG.
Rechtskraft
Aus
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