L 5 VG 151/94

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 24 Vg 3496/90
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 VG 151/94
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 7. Dezember 1993 aufgehoben und der Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 3. Mai 1990 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 22., 23. und 24. Oktober 1990 verurteilt, den Klägern Hinterbliebenenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz ab dem 1. Juli 1987 zu gewähren.

II. Der Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger zu 1), 2) und 3) begehren von dem Beklagten Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Die 1963 geborene Klägerin zu 1) ist die Witwe, die Klägerin zu 2), geboren 1984, und der Kläger zu 3), geboren 1986, sind die Kinder des 1961 geborenen K. L. (Geschädigter). Der Geschädigte wurde am 7. Juni 1987 gegen 2 Uhr morgens durch W. A. P. (Schädiger) durch ein Messer so schwer verletzt, daß er eine halbe Stunde später an innerer Verblutung verstarb.

Am 10. August 1987 beantragten die Kläger Versorgung nach dem OEG bei dem Beklagten. Der Beklagte zog die Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main mit dem – rechtskräftigen – Urteil des Landgerichts – Schwurgericht – Frankfurt am Main vom 7. Juni 1988 (– 75 JS 15931/87 KS –) bei, durch das W. A. P. von dem Vorwurf des Totschlags freigesprochen worden war, "da nicht ausgeschlossen werden konnte, daß er die Tat in Ausübung berechtigter Notwehr begangen hat”.

Nach den Feststellungen zum Sachverhalt im Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 7. Juni 1988 begegnete die Ehefrau des Schädigers am 6. Juni 1987 auf ihrem Heimweg von dem in Zeilsheim gefeierten "Brunnenfest” um etwa 1 Uhr dem Geschädigten und nahm den ihr bis dahin unbekannten Mann mit zu sich nach Hause. Beide standen unter Alkoholeinfluß. Die Blutalkoholkonzentration betrug bei der Ehefrau des Schädigers um 2 Uhr nachts etwa 1,7 Promille, bei dem Geschädigten um dieselbe Uhrzeit 1,74 Promille. Die Ehefrau des Schädigers setzte sich mit dem Geschädigten in das Wohnzimmer, wo sie der Schädiger vorfand, der durch die Rückkehr seiner Frau in das Haus erwacht war. Der energischen Aufforderung des Schädigers, das Haus zu verlassen, kam der Geschädigte wortlos nach, blieb aber geraume Zeit vor dem Haus auf der Straße stehen und sah dabei zur Haustür hin. Nach den Feststellungen des Landgerichts Frankfurt am Main ergab sich sodann folgender Ablauf:

"Nachdem L. das Haus verlassen hatte, kam es zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau zu einer lautstarken Auseinandersetzung. Der Angeklagte machte seiner Frau wegen ihres erneuten Alkoholgenusses Vorwürfe und wollte sie dazu bewegen, mit ihm in das Obergeschoß zu Bett zu gehen Frau P. wollte der Aufforderung des Angeklagten nicht Folge leisten. Sie war, wie es bei ihr unter Alkoholeinfluß nicht selten war, uneinsichtig, laut und aggressiv. Als der Angeklagte sie packte und sie mit körperlicher Gewalt ins Obergeschoß bringen wollte, wehrte sie sich und ließ sich in den engen, nur 1,10 m breiten und ca. 4 m langen Flur im Erdgeschoß zu Boden fallen. Dabei rief sie auch grundlos um Hilfe. Der Angeklagte gab nunmehr sein Vorhaben, seine Frau zu Bett zu bringen, auf. Da der Angeklagte seit den Mittagsstunden des vergangenen Tages nichts mehr gegessen hatte und, wie es bei ihm häufig vorkam, nach der gehabten Aufregung ein verstärktes Hungergefühl verspürte, ging er, bevor er wieder in das Schlafzimmer zurückkehren wollte, in die im Erdgeschoß von der Haustür aus gesehen gleich links neben der Eingangstür gelegene Küche. Er nahm dort aus dem Kühlschrank einen rohen Schinken und aus einem auf der Arbeitsplatte stehenden Messerblock ein großes Messer mit ca. 20 cm langer, 4 cm breiter, spitz zulaufender Klinge. Mit diesem Messer wollte er sich von dem im Stück aufbewahrten rohen Schinken eine Portion abschneiden und ein Brot zubereiten. In diesem Augenblick entschloß L. sich, vermutlich wegen der kurz zuvor von Frau P. ausgestoßenen Hilferufe, die so laut waren, daß der im Nebenhaus wohnende und im Bett liegende Zeuge Schließmann sie in seinem Schlafzimmer im 1. Stock gehört hatte, zur Rückkehr in das Haus des Angeklagten. Er klopfte zumindest sehr nachdrücklich an die Eingangstür. Es war inzwischen etwa zwei Uhr nachts.

Der Angeklagte, der nicht mit einer Rückkehr Larischs in sein Haus rechnete, sondern eher annahm, einer seiner zahlreichen Bekannten oder ein Nachbar, der wegen des gerade zu Ende gegangenen Brunnenfestes unterwegs war, und das Licht im Haus gesehen hatte, wolle ihn noch aufsuchen, öffnete die Haustür. Diese ist bedingt durch die geringe Breite des Hauses und des Flurs nur etwa über 1,50 m von der Küchentür entfernt. Der Angeklagte hatte für den kurzen Weg zur Haustür das Messer nicht fortgelegt, sondern hielt es in der rechten Hand, während er mit der linken die Tür öffnete.

In diesem Augenblick drang Larisch sofort in den Flur ein – Frau Praß lag zumindest zu diesem Zeitpunkt noch auf dem Boden – und ging mit Faustschlägen unter Verkennung der wahren Situation, gegen den Angeklagten vor, der vor ihm zurückwich und die linke Hand schützend vor seinen Kopf hielt. Mit der rechten Hand, in der er noch das Messer hielt, vollführte er zunächst ungezielte Abwehrbewegungen, bei denen er Larisch in der Mitte der vorderen Flanke zwei oberflächliche Schnittverletzungen zufügte, die den Brustkorb jedoch nicht eröffneten. Als Larisch dennoch nicht von seinen Angriffen abließ, sondern weiterhin versuchte, den Angeklagten mit Faustschlägen zu treffen, was ihm jedoch nicht gelang, stieß dieser zweimal das Messer in den Oberkörperbereich des Larisch. Dabei drang das Messer einmal an der linken Seite neben der linken Brustwarze etwa 1,35 m oberhalb der linken Fußsohle in den Brustraum ein und in einem schräg verlaufenden Stichkanal, der 22 cm lang war, bis zum linken Leberlappen vor. Der zweite Stich in die Brust drang in Höhe von 1,26 m oberhalb der Fußsohle auf der linken Brustkorbseite in einem Abstand von 5 cm von der Mitte des Brustbeins in den Brustraum in einem relativ gerade verlaufenden Stichkanal in die rechte Herzkammer und bis zur rechten Brustbänderwand vor. L. sank nunmehr in sich zusammen und blieb auf dem Fußboden liegen, wobei sein Kopf zur Tür wies und beinahe noch in den Schließwinkel der Haustür hineinragte. Frau P. hatte vorher ihre Lage verändert und versucht, sich um den Verletzten zu kümmern.”

Das Landgericht hielt in den Gründen des Urteils aufgrund des Ergebnisses der Obduktion die Einlassung des Schädigers insoweit für widerlegt, als dieser angegeben hatte, er habe nicht bewußt und gezielt auf den getöteten Geschädigten eingestochen, sondern dieser sei ihm "in das Messer gefallen”. Insbesondere eine der Stichverletzungen, die von der linken Brustseite herkommend, schräg verlaufend bis in den rechten Leberlappen eindrang, könne nicht durch ein "in das Messer fallen” erklärt werden, wofür auch die von dem sachverständigen Gerichtsmediziner Dr. L. festgestellte Winkelform des Stiches spreche. Das Landgericht sah daher als erwiesen an, daß der Schädiger den Geschädigten mit bedingtem Tötungsvorsatz tötete, billigte dem Schädiger indessen zu, daß dieser in berechtigter Notwehr gehandelt hatte. Diesbezüglich hielt das Landgericht die Einlassung des Schädigers für glaubwürdig bzw. für nicht widerlegt, zumal die Ehefrau des Schädigers die Aussage verweigert hatte und nach dem Eindruck, den die Polizeibeamten am Tatort in jener Nacht von ihr gewonnen hatten, erhebliche Zweifel an ihrer Wahrnehmungsfähigkeit und an ihrer Fähigkeit, zuverlässige Angaben zu machen, beständen. Die Annahme, der Geschädigte sei in das Haus des Schädigers nur zurückgekehrt, um der Ehefrau des Schädigers beizustehen, begründete das Landgericht mit der Persönlichkeit des Geschädigten. Dieser sei von seiner Ehefrau, seinem langjährigen Freund (Zeuge K.) und seinem Arbeitgeber (Zeuge Z.) übereinstimmend geschildert worden als zurückhaltender Mensch im Hinblick auf Streitigkeiten sowie als hilfsbereiter Mensch, der sich für Schwächere einsetze und der aufgrund eigener Erlebnisse in seiner Kindheit Gewalt gegen Frauen verabscheute. Das Landgericht ging davon aus, daß der Anblick, der sich dem Geschädigten nach dem Offen der Haustür bot, diesem, der nach Schilderung der Zeugen K. und Z. ohnehin ein schweigsamer und mit Worten ungewandter Mensch war, dazu veranlaßte, den Schädiger sofort anzugreifen, ohne zuvor einen Versuch zu machen, mit dem Schädiger zu reden. Dabei unterstellte das Landgericht dem Geschädigten nicht mehr als die Absicht, den Schädiger zu entwaffnen oder kampfunfähig zu machen, was jedoch für den Schädiger nicht erkennbar gewesen sei. Der Schädiger, der dem Geschädigten von Statur und Körperkraft ohnehin unterlegen und auf den Angriff ungefaßt war und der zuvor schon Angstgefühle in bezug auf den ihm unbekannten Mann empfunden habe, habe in Verteidigungsabsicht das in der Hand geführte Messer eingesetzt. Das Landgericht ging zugunsten des Schädigers davon aus, daß dieser sofort von dem Geschädigten abließ, als der Geschädigte seinerseits infolge der erlittenen Verletzungen seinen Angriff einstellte und zusammenbrach. Die Grenzen der Notwehr hielt das Landgericht durch den Schädiger nicht für überschritten, da der Schädiger 30 Jahre älter als der Geschädigte gewesen, nicht unerheblich kleiner und körperlich durch einen Bandscheibenschaden behindert war. Die bloße Drohung mit einem Messer zur Abwehr hätte nicht ausgereicht. Zugunsten des Schädigers ging das Landgericht davon aus, daß dieser eine Drohung zunächst jedoch erfolglos versucht und dem Geschädigten dabei zwei oberflächliche Schnittverletzungen zugefügt hatte. Der Schädiger – so das Landgericht – durfte auch bei seiner Abwehr das Risiko, daß der Geschädigte tödliche Verletzungen erleiden könnte, in Kauf nehmen und brauchte ihm nicht auszuweichen.

Mit den Bescheiden vom 3. Mai 1990 lehnte der Beklagte den Antrag der Kläger auf Versorgung ab, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme der 21. Großen Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main in der Hauptverhandlung das Verhalten des Täters durch Notwehr gerechtfertigt gewesen sei und somit ein rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne von § 1 OEG nicht vorgelegen habe.

Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch machten die Kläger u.a. geltend, eine kritiklose Übernahme des Strafurteils könne im Rahmen des sozialen Entschädigungsrechtes nicht erfolgen, zumal im Strafurteil der Grundsatz "in dubio pro reo” angewandt werde.

Der Schädiger habe sich nicht in einer Notwehrlage befunden. Jedenfalls habe er die Grenzen der Notwehr weit überschritten, da der Geschädigte nicht nur einen sondern vier Messerstiche erhalten habe. Das Opfer indessen, der Geschädigte, sei nur in das Haus des Schädigers zurückgekehrt, um der Ehefrau des Schädigers beizustehen, die zuvor laut um Hilfe gerufen habe und bei dem Eintreten des Geschädigten in die Wohnung des Schädigers am Boden gelegen habe. Ob der Schädiger seine Ehefrau niedergeschlagen oder mit dem erhobenen Messer bedroht habe, bleibe zumindest offen. Ein Entschädigungsanspruch der Hinterbliebenen könne daher nicht abgelehnt werden.

Mit den Widerspruchsbescheiden vom 22. Oktober 1990 wies der Beklagte die Widersprüche der Kläger mit der Begründung zurück, aus dem rechtskräftigen Urteil des Schwurgerichts beim Landgericht Frankfurt am Main vom 7. Juni 1988 ergebe sich, daß der Ehemann und Vater Klaus Larisch am 7. Juni 1987 in Notwehr getötet worden sei. Die Feststellung des Notwehrtatbestandes beruhe im Gegensatz zu den Ausführungen zur Begründung des Widerspruches nicht nur darauf, daß in Strafsachen im Zweifel zugunsten des Angeklagten entschieden werde. Vielmehr habe die Kammer klipp und klar festgestellt, daß die Tat nach ihrer Überzeugung durch Notwehr geboten war. Das Schwurgericht habe ferner mit wohl abgewogenen und durch ständige Rechtsprechung abgesicherten Erwägungen dargetan, daß die Grenzen der Notwehr nicht überschritten worden sind. Die Versorgungsverwaltung habe sich dem Ergebnis des Strafverfahrens nach eigener Prüfung und Überzeugung in zulässiger Weise angeschlossen. Da die Notwehr die Rechtswidrigkeit ausschließe, seien die Grundvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG nicht erfüllt.

Dagegen haben die Kläger die am 8. November 1990 beim Sozialgericht Frankfurt am Main eingegangene Klage erhoben. Wie im Widerspruchsverfahren haben die Kläger vorgetragen, der Schädiger habe sich nicht in einer Notwehrlage befunden. Für den Täter sei es selbstverständlich gewesen, sich auf "Notwehr” bei der gewaltsamen Tötung eines Menschen zurückzuziehen und seine Verteidigung darauf aufzubauen. Der Geschädigte, das Opfer, habe der geschundenen und gequälten Frau des Schädigers Hilfe leisten wollen und sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts berechtigt gewesen zu diesem Zweck auch große Gefahren auf sich nehmen. Wenn der Schädiger von einem Angriff ausgegangen sei, dann hätte er sich in die Küche zurückziehen können, die vom Eingang nur 1,50 m entfernt war. Zu diesem Zeitpunkt habe die Ehefrau des Schädigers, die dieser vorher körperlich mißhandelt habe und die laut um Hilfe geschrien habe, (noch) im Eingangsflur auf dem Boden gelegen. Eine effektive Hilfe für die Ehefrau des Schädigers habe also nur darin bestehen können, daß der Geschädigte zu der am Boden liegenden Frau vordrang und diese aus der Gewalt ihres Ehemannes befreite. Die Länge der Stichkanäle spreche eindeutig gegen die Schutzbehauptung des Täters, er habe in Notwehr gehandelt. Außerdem bleibe dabei unerklärlich, weshalb der Täter zweimal oder sogar dreimal zugestochen habe. Die Absicht der Hilfeleistung hätte von dem Schädiger nicht verkannt werden können, da die Frau vorher gellend und anhaltend um Hilfe gerufen habe. Auch die Darstellung des Schädigers, er habe sich mit dem Messer ein Stück Schinken abschneiden wollen, sei eine reine Schutzbehauptung im Strafverfahren gewesen. Schon aus zeitlichen Gründen – laute Hilfeschreie der Ehefrau, sofortiges Anklopfen und Eintreten des Geschädigten – sei die (angeblich) dazwischen liegende Zubereitung eines Abendbrotes nicht möglich gewesen.

Mit Urteil vom 7. Dezember 1993 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das Gericht als feststehenden Tatbestand die Feststellungen des Landgerichts – Schwurgericht – Frankfurt am Main im Urteil vom 7. Juni 1988 zugrundegelegt und ausgeführt, weitere eigenständige Ermittlungen zur zusätzlichen Aufklärung des Geschehensablaufs am 7. Juni 1987 in der Zeit zwischen 1 Uhr und dem Tod des K. L. seien nicht möglich. Der Geschädigte sei nicht mehr am Leben, die umfangreichen und ausführlichen Einlassungen des Schädigers W. P. seien aus den Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main und dem Gerichtsurteil der 21. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main zu entnehmen. Ein anderer Vortrag sei nicht zu erwarten, hinsichtlich des größer werdenden zeitlichen Abstandes müßten an der Verwertbarkeit einer neuen Aussage beträchtliche Zweifel angebracht sein. Die Ehefrau des Schädigers habe bereits im Strafverfahren von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und zudem im Zeitpunkt der Tat unter erheblichem Alkoholeinfluß gestanden. Nach eigenständiger Würdigung des Sachverhalts und Beurteilung desselben mittels der anspruchsbegründenden Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG komme das Sozialgericht zu dem Ergebnis, daß ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff gegen die Person des verstorbenen K. L. nicht vorgelegen habe. Aufgrund des Geschehensablaufes ergebe sich, daß der später verstorbene L. einen Angriff gegen den Schädiger P. geführt habe und somit das Tatbestandsmerkmal "vorsätzlich” im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG von selten des Schädigers nicht vorliegen könne. Vielmehr habe sich der Schädiger aus seiner Sicht aufgrund des Angriffs des Geschädigten in einer Notwehrsituation befunden, in der er sich verteidigen mußte. Da er ein Küchenmesser in der Hand gehabt habe, habe er sich mit diesem Messer verteidigt, was aus der subjektiven Sicht des Schädigers verständlich sei, zumal der Geschädigte L. körperlich größer, besser durchtrainiert und wesentlich (etwa 30 Jahre) jünger gewesen sei.

Gegen dieses dem Bevollmächtigten der Kläger mit Empfangsbekenntnis am 2. Februar 1994 zugestellte Urteil haben die Kläger die am 17. Februar 1994 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung eingelegt.

Die Kläger verfolgen ihr Begehren auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz weiter und machen geltend, die Schutzbehauptungen des Schädigers (Schinkenabschneiden; Faustschläge) könnten nicht dazu genutzt werden, den Versorgungsanspruch der Hinterbliebenen abzulehnen. Dies widerspreche der Forderung des Bundessozialgerichts nach einer eigenständigen Beweiswürdigung durch die Tatsachengerichte der Sozialgerichtsbarkeit.

Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 7. Dezember 1993 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 3. Mai 1990 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 22., 23. und 24. Oktober 1990 zu verurteilen, ihnen Hinterbliebenenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz ab 1. Juli 1987 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er ist weiterhin der Auffassung, daß es bereits an den Grundvoraussetzungen des § 1 OEG fehle.

Der Senat hat die Akten der Hessischen Ausführungsbehörde für Unfallversicherung Frankfurt am Main (Aktenzeichen 91/014949) zum Verfahren beigezogen. Nach dem in diesen Akten enthaltenen Bescheid vom 19. Mai 1995 wurden den Klägern aufgrund Hilfeleistung des Geschädigten gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 9 c Reichsversicherungsordnung (RVO) Rentenleistungen bewilligt.

Für den Sach- und Streitstand im übrigen wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten (W-Akten des Versorgungsamtes Frankfurt am Main, Grundlisten-Nr. XXXX, XYXY und YYYY), die Akten der Hessischen Ausführungsbehörde für Unfallversicherung Frankfurt am Main (Band I, II Aktenzeichen ZZZZZ) sowie die Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main (Band I – III, Aktenzeichen 76/77 Js 15931/87), die zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG – in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Opferentschädigungsgesetz – OEG –).

Die Berufung ist auch in der Sache begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 7. Dezember 1993 kann keinen Bestand haben. Die Bescheide des Beklagten vom 3. Mai 1990 in Gestalt der Widerspruchbescheide vom 22., 23. und 24. Oktober 1990 sind rechtswidrig.

Die Kläger, die Hinterbliebenen des verstorbenen Geschädigten K. L. erfüllen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Versorgung. Nach § 1 Abs. 8 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 OEG erhalten die Hinterbliebenen desjenigen, der durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr getötet worden ist, auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Der Senat geht davon aus, daß vorliegend die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG vorliegen, d.h. daß der Geschädigte infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person getötet worden ist.

Dabei legt der Senat hinsichtlich des Geschehensablaufes die Feststellungen des Landgerichts Frankfurt am Main in dem Strafurteil vom 7. Juni 1988 zugrunde. Dieser Geschehensablauf ist auch von den Beteiligten, insbesondere den Klägern, nicht bestritten, soweit er sich auf die Ergebnisse der Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmungen und Sachverständigengutachten bezieht. Soweit es um die Geschehnisse in der Wohnung des Schädigers, insbesondere in der Zeit zwischen 1 Uhr und dem Tod des Geschädigten geht, stand dem Landgericht nur die Einlassung des Schädigers zur Verfügung, da der Geschädigte nicht mehr am Leben ist und die Ehefrau des Schädigers von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machte und zudem, insbesondere auch aufgrund ihres Alkoholgenusses, erhebliche Zweifel an ihrer Wahrnehmungsfähigkeit bestanden und an ihrer Fähigkeit, zuverlässige Angaben zu machen. Wie das Sozialgericht geht auch der Senat davon aus, daß weitere Ermittlungen zur zusätzlichen Aufklärung des Geschehensablaufs in der Wohnung des Schädigers nicht möglich sind, zumal von dem Schädiger im sozialgerichtlichen Verfahren nicht ein anderer Vortrag zu erwarten und der zeitliche Abstand zur Tat bei einer neuen Aussage hinsichtlich der Verwertbarkeit zu berücksichtigen ist. Im übrigen ist der Sachverhalt vorliegend auch nicht unter anderen rechtlichen Kriterien zu prüfen als im Strafverfahren. Nur in einem solchen Fall sowie beim Auftauchen neuer, erfolgversprechender Ansatzpunkte besteht indes eine über die Beiziehung der Strafermittlungsakten hinausgehende Ermittlungspflicht (BSG, Urteil vom 10. November 1993 – 9 RVg 2/93 m.w.N.).

Der Schädiger hat gegen den Geschädigten im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch die Stichverletzungen mit dem Messer einen tätlichen Angriff im Sinne einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung (vgl. BSGE 49, 98, 100) verübt. Dies folgert der Senat aus den Erkenntnissen des Gerichtsmediziners Dr. L. die dieser in seinem Obduktionsbericht dargelegt hat, welcher sich in den Strafakten befindet. Danach kann insbesondere eine der Stichverletzungen, und zwar die mit dem schräg in den Körper hineinverlaufenden Stichkanal und der Winkelform des Stiches, nur durch ein "Zustechen” des Schädigers und nicht durch ein "In-das-Messer-fallen” des Geschädigten erklärt werden. Der Senat geht ebenso wie das Landgericht davon aus, daß der Schädiger das Messer zweimal gezielt gegen den Oberkörper des Geschädigten eingesetzt und dabei dessen Tod jedenfalls in Kauf genommen hat.

Der Senat nimmt weiter an, daß dieser tätliche Angriff durch den Schädiger auf den Geschädigten rechtswidrig war. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hält der Senat die Tat des Schädigers nicht durch Notwehr geboten und gerechtfertigt. Bei der Entscheidung über den Versorgungsanspruch nach § 1 OEG ist der Senat nicht an die rechtskräftig gewordene Beurteilung des Strafgerichts, daß die tödlichen Stiche durch Notwehr gerechtfertigt waren, gebunden (vgl. dazu BSG, Urteil vom 25. Juni 1986 – 9 a RVg 2/84).

Die Notwehr, die eine Rechtswidrigkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ausschließt, ist nach den Rechtsmaßstäben zu beurteilen, die zur Notwehr im Sinne des § 32 Strafgesetzbuch (StGB) im Gesetz festgelegt und ergänzend durch die Rechtsprechung entwickelt worden sind. Insoweit knüpft das OEG an strafrechtliche Begriffe an (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 1986 a.a.O.). Die Stiche, durch die der Geschädigte getötet wurde, waren nicht als Notwehr im Sinne einer Verteidigung geboten, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich (Notwehr) oder einem anderen (Nothilfe) abzuwenden (§ 32 Abs. 2 StGB).

Erforderlich ist die Notwehrhandlung, wenn und soweit sie einerseits zur Abwehr des Angriffs geeignet ist und andererseits das relativ mildeste Gegenmittel darstellt. Stärke und Gefährlichkeit des Angriffs bestimmen dabei Art und Maß der Abwehr. Reicht eine Drohung oder ein Schreckschuß aus, so ist unmittelbare Gewaltanwendung keine Notwehr mehr (siehe dazu Kunz, a.a.O. § 1 Rdnr. 18 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen – BGHSt). Andererseits darf der Angegriffene das Mittel benutzen, das mit Sicherheit eine erfolgreiche Abwehr gewährleistet (BGHSt 24, 358). Unter diesen Voraussetzungen kann auch die Benutzung einer Waffe zulässig sein, selbst wenn der Angreifer unbewaffnet ist (BGHSt 24, 356). Einschränkungen des Notwehrrechts ergeben sich unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmißbrauchs als auch gegenüber Angriffen von schuldlos Handelnden (z.B. schuldloser Irrtum des Angreifers), d.h. in den Fällen, in denen die Prinzipien der Notwehr – Schutz des angegriffenen Rechtsguts, Bewährung der Rechtsordnung im ganzen – an Bedeutung verlieren (Kunz a.a.O., mit weiteren Nachweisen; Schumann, "Zum Notwehrrecht und seinen Schranken – OLG Hamm, NJW 1977, 590” in JUS 1979, Heft 8, S. 559, 564; Lenckner in Schönke-Schröder, Strafgesetzbuch, 25. Aufl., München 1997, § 32 Rdnr. 52). In diesen Fällen kann eine Verteidigung, die über bloße Schutzwehr hinausgeht, unzulässig sein. Aktive Gegenwehr ist nur in einem solchen Rahmen zulässig, in dem die zugefügte Verletzung nicht außer Verhältnis zu dem drohenden Schaden steht (entspr. § 228 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB; s. Lenckner in Schönke-Schröder, a.a.O.; Schumann a.a.O., S. 565).

Bei der gegebenen Sachlage bestehen schon Zweifel, ob die beiden gezielten Stiche in den Brustkorb des Geschädigten die gebotene Abwehrhandlung des Schädigers darstellten. Nach der Rechtsprechung des 9 a-Senates des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 25. Juni 1986 – 9 a RVg 2/84) ist die Verteidigung mit einer Stichwaffe nicht rechtswidrig, wenn sie sich gegen Mißhandlungen richtet, die dem Täter in unzulässiger Selbsthilfe und aus Rache zugefügt werden sollen. Anders als in diesem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall waren vorliegend indes die Motive des Geschädigten, gegen den sich die Abwehr mit der Waffe richtete, nicht rechtsfeindlich, sondern subjektiv rechtstreu.

Bei seinem Angriff mit bloßen Fäusten auf den Schädiger handelte der Geschädigte in dem Irrtum, der bedrängten Ehefrau des Schädigers zu Hilfe kommen zu müssen. Von dem Vorliegen dieser inneren Tatsache bei dem Geschädigten geht der Senat – ebenso wie das Landgericht – aufgrund der äußeren Tatumstände aus, die dem Angriff des Geschädigten vorangingen. Der Geschädigte konnte seinen Irrtum auch bei objektiv sorgfaltspflichtgemäßer Prüfung angesichts der äußeren Umstände nicht vermeiden, denn bei seinem Eintritt in das Haus des Schädigers stand ihm der Schädiger mit einem Messer bewaffnet gegenüber und die Ehefrau des Schädigers, die zuvor laut um Hilfe gerufen hatte, lag auf dem Fußboden im Hausflur. Dem Geschädigten ist somit bei seinem Angriff auf den Schädiger nicht einmal Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Diese Putativ-Nothilfesituation, in der sich der Geschädigte befand, schränkte das Notwehrrecht des Schädigers ein, und zwar selbst dann, wenn der Schädiger den Erlaubnistatbestandsirrtum des Geschädigten nicht erkannte oder nicht erkennen konnte. Die Versagung der Rechtfertigung hängt allein von dem objektiven Vorliegen der notwehrbeschränkenden Umstände ab (vgl. dazu Schumann a.a.O., S. 565). Diese "objektive” Sichtweise entspricht bei der Beurteilung eines Versorgungsanspruches nach § 1 Abs. 1 OEG auch dem Schutzzweck der Vorschrift im Sinne eines "effektiven Opferschutzes” (vgl. BSG, Urteil vom 10. September 1997 – 9 RVg 1/96 – zur Sichtweise beim "tätlichen Angriff” im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG).

Im vorliegenden Fall, in dem das Rechtsbewährungsprinzip zurücktrat und die Notwehrbefugnisse des Schädigers eingeschränkt waren, durfte dieser sein gefährliches Messer auch unter Berücksichtigung seiner körperlichen Unterlegenheit nicht zu gezielten Stichen in den Brustkorbbereich des Geschädigten einsetzen, zumal er von dem Geschädigten bisher in keiner Weise irgendwie verletzt oder überhaupt mit Fäusten getroffen worden war. Es kann dabei dahinstehen, ob dem Schädiger ein Ausweichen (in die nahe gelegene Küche) oder eine Schutzwehr überhaupt möglich gewesen wäre. Eine aktive Gegenwehr, wie sie hierfür verübt wurde und durch die Verletzungen zu befürchten waren, die zu dem durch den Angriff drohenden Schaden außer Verhältnis standen, waren dem Schädiger, den der Geschädigte nur entwaffnen wollte, nicht erlaubt. Das Handeln des Schädigers, der gezielte und lebensgefährliche Einsatz des Messers, war deshalb nicht wegen Notwehr nach § 32 StGB gerechtfertigt.

Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 S. 1 OEG erfordert grundsätzlich, daß der rechtswidrige tätliche Angriff "vorsätzlich” erfolgt ist. Daran fehlt es hier. Nach den Feststellungen des Landgerichts war für den Schädiger nicht erkennbar, daß der Geschädigte nur deshalb auf ihn eindrang, um ihn zu entwaffnen und kampfunfähig zu machen und der – vermeintlich bedrängten – Ehefrau des Schädigers beizustehen. Der Schädiger kannte somit nicht den Irrtum des Geschädigten, der sein eigenes Notwehrrecht diesem gegenüber einschränkte, und übte folglich die gegen einen nicht irrenden Angreifer zulässige Verteidigung aus. Ein derartiger Erlaubnistatbestandsirrtum des Schädigers, der dessen Vorsatz ausschließt (Kunz, a.a.O., § 1 Rdnr. 23 – BSG, Urteil vom 10. September 1997 – 9 RVg 9/95 –), ist indes in § 1 Abs. 1 S. 2 OEG ausrücklich in den Schutzbereich des Gesetzes einbezogen worden. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 OEG wird die Anwendung der Vorschrift nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes gehandelt hat.

Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 OEG liegen somit vor. Es bestehen auch keine Gründe, nach § 2 OEG Leistungen zu versagen. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Hinterbliebene des Geschädigten, wie die Kläger, müssen sich das Verhalten des Geschädigten anrechnen lassen und erhalten keine Versorgung (nach § 1 Abs. 1 OEG in Verbindung mit den §§ 38, 45 BVG), sofern in der Person des Geschädigten ein Versagungsgrund nach § 2 OEG vorliegt (Kunz, a.a.O. § 2 Rdnr. 2).

Für die Frage der Mitverursachung im Sinne des § 2 Abs. 1 1. Alternative OEG kommt es darauf an, ob das Verhalten des Opfers wesentlich ursächlich im Sinne der entschädigungsrechtlichen Kausalitätsnorm, d.h. in etwa gleichwertig mit dem Tatbeitrag des Schädigers gewesen ist. Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat dazu ausgeführt (vgl. u.a. Urteil vom 18. Juni 1996 – 9 RVg 7/94), daß der Tatbeitrag des Opfers im allgemeinen nicht als wesentliche Mitverursachung gelten kann, sofern es sowohl an einer gesetzlichen Mißbilligung als auch an einer Selbstgefährdung fehlt, wobei die Selbstgefährdung wiederum dann unbeachtlich sei, wenn das Opfer sie in der Absicht auf sich genommen habe, einen rechtlich gebilligten Zweck zu verfolgen. Sofern die Umstände der am Opfer begangenen Gewalttat nicht gegen ein wenigstens subjektiv rechtstreues, den strafrechtlichen Vorsatz ausschließendes Verhalten des Opfers bei der Mitverursachung der Gewalttat sprechen, sei zugunsten des Opfers davon auszugehen, daß es die Gewalttat und somit seine Schädigung nicht wesentlich mitverursacht hat.

Auch im vorliegenden Fall hat der Geschädigte nicht durch rechtsfeindliches Verhalten zu der Schädigung beigetragen. Wie schon ausgeführt, handelte der Geschädigte in der irrigen Annahme einer Nothilfesituation, als er der um Hilfe schreienden Ehefrau des Schädigers beistehen wollte.

Das subjektiv rechtstreue Verhalten des Geschädigten steht auch einer "Unbilligkeit” im Sinne von § 2 Abs. 1 2. Alternative OEG entgegen. Ein Versagungsgrund, für den im übrigen der Beklagte die Beweislast trägt (BSG, Urteil vom 18. Juni 1996 – a.a.O.), liegt nicht vor.

Schließlich steht einer Entschädigung nach dem OEG nicht entgegen, daß die Kläger Leistungen wegen derselben Ursache aus der gesetzlichen Unfallversicherung erhalten. Die Regelungen des Opferentschädigungsgesetzes setzen gerade einen Anspruch auf Entschädigung voraus, der nicht auf Fälle konkreter Bedürftigkeit beschränkt ist (BSG, Urteil vom 17. November 1981 – 9 RVg 2/81 –). Nach § 65 BVG ruht der Anspruch nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG vielmehr in entsprechender Höhe, wenn Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung verlangt werden können bzw. bezogen werden. Dies bedeutet, daß der zugrunde liegende Anspruch nach dem OEG bestehen bleibt und nur seine Verwirklichung zu Lasten des anderen Sicherungssystems eingeschränkt ist.

Die Kläger haben somit einen Versorgungsanspruch nach § 1 OEG (i.V.m. § 38 BVG – Witwenrente – bzw. § 45 BVG – Waisenrente –.)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da die Rechtsache grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtskraft
Aus
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