L 5 V 364/74

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 4 V 177/72
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 364/74
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Sind die Vorschriften der §§ 27, 28 Abs. 2 VfG (KOV) und des § 4 Abs. 2 VwZG – Vermerk des Sachbearbeiters über den Tag der Aufgabe der Sendung zur Post – von der Versorgungsbehörde korrekt eingehalten worden und läßt sich durch das Ergebnis der Nachforschung bei der Bundespost der Tag der Auslieferung beweisen, kann vom Empfänger nicht mit Erfolg behauptet werden, daß die Sendung statt mehrerer Widerspruchsbescheide nur einen enthalten habe. In diesem Falle kehrt sich die Beweislast um.
2) Im Gegensatz zu einem Prozeßbeteiligten darf sich dessen Vertreter für ein Verschulden seiner Hilfsperson an der Versäumung der Klagefrist exculpieren, falls die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung gewahrt ist.
Auf die Berufungen des Klägers werden die Urteile des Sozialgerichts Darmstadt vom 6. Februar 1974 aufgehoben.

Die Sachen werden zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand:

Der 1898 geborene Kläger erhielt als Teilnehmer des ersten Weltkrieges durch Bescheide vom 23. Juli 1951 und 29. Januar 1964 Rente nach einem Grade der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 v.H. wegen

"1) schwere Deformierung der rechten Schulter mit größeren Narbenbildungen im Schulter- und Brustbereich und praktische Versteifung des Schultergelenks.

Bewegungseinschränkung im Ellenbogenscharnier- und Drehgelenk rechts, Hochstand der rechten Schulter und leichte Verbiegung der oberen Brust- wie unteren Halswirbelsäule nach rechts.

2) Insuffizienzerscheinungen der Schulter-Nackenmuskulatur” als Schädigungsfolgen nach dem BVG. Der Bescheid vom 14. Juli 1970 erhöhte die MdE ab 1. Januar 1970 auf 100 v.H. und ergänzte die Bezeichnung der Schädigungsfolgen in Ziff. 1) um "entzündliche Knochenprozesse in der rechten Schulter-Oberarmgegend”.

Am 23. August 1963 beantragte der Kläger bei dem Versorgungsamt D. Kleiderverschleißzulage, worauf der ablehnende Bescheid vom 13. August 1965 erging. Diesem widersprach der Kläger ohne Erfolg. Auch der Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 1972 verneinte die Entstehung außergewöhnlicher Kosten für Kleider und Wäsche durch die anerkannten Schädigungsfolgen.

Mit Schreiben vom 21. Juni 1967 wiederholte der Kläger zuvor gestellte Anträge auf Anerkennung seines besonderen beruflichen Betroffenseins und Gewährung von Berufsschadensausgleich, worauf das Versorgungsamt die Mitteilung vom 15. November 1967 erließ. Sie enthält die Begründung, mit dem Antrag seien keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht worden, welche Anlaß zum nochmaligen Eintritt in eine sachliche Prüfung geben würden. Der den Widerspruch zurückweisende Bescheid vom 10. Juli 1972 verwies zusätzlich darauf, durch Bescheid vom 29. Januar 1964 sei bereits über das Nichtvorliegen besonderen beruflichen Betroffenseins bindend entschieden worden. Über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich sei noch ein Verfahren bei dem Hessischen Landessozialgericht anhängig, dessen Ausgang abzuwarten sei.

Unter dem 29. und 30. Oktober ergingen Neufeststellungsbescheide unter Anrechnung des Renteneinkommens des Klägers und unter Zahlung von Ausgleichsrente, Ehegatten- und Kinderzuschlag ab 1. Januar 1964 bis einschließlich 1968 sowie vorläufig ab 1. Januar 1969. Auch diesen widersprach der Kläger und beantragte einmal, seine Invalidenrente von der Anrechnung frei zu lassen, zum anderen, höheren Ehegatten- und Kinderzuschlag zu gewähren. Der Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 1972 half seinem Begehren nicht ab.

Den am 14. August 1968 gestellten Antrag des Klägers auf Pflegezulage beschied das Versorgungsamt am 7. August 1969 abschlägig. Bei der am 9. Mai 1969 durchgeführten versorgungsrechtlichen Untersuchung sei festgestellt worden, daß er für die im täglichen Leben regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen nicht dauernd fremder Hilfe bedürfe. Der Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 1972 beließ es bei diesem Ergebnis.

Im Berufungsverfahren in der Streitsache L 5 V – 663/67 begehrte der Kläger am 21. Januar 1970 Neufeststellung und Erteilung eines Zugunstenbescheides, da inzwischen im Bereich der anerkannten Schädigungsfolgen eine Verschlimmerung eingetreten sei, welche gleichzeitig die Unrichtigkeit des Bescheides vom 29. Januar 1964 aufzeige. Diese Anträge führten sowohl zu der durch Bescheid vom 14. Juli 1970 vorgenommenen Neufeststellung mit der Folge einer Erhöhung der MdE ab 1. Januar 1970 auf 100 v.H. als auch zur Ablehnung eines Zugunstenbescheides (Bescheid vom 27. Juli 1970). Die medizinische und versorgungsrechtliche Überprüfung habe ergeben, daß die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen nicht als neue Tatsachen oder Beweismittel angesehen werden könnten. Eine frühere Aktivität des osteomyelitischen Knochenprozesses im Oberarm-Schulterbereich lasse sich auch bei rückblickender Würdigung der Verhältnisse nicht ausreichend begründen. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 13. und 14. Juli 1972). Ersterer verwies zur Begründung auf § 60 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wonach Beschädigtenversorgung erst ab Antragsmonat zustehe. Letzterer bestätigte, daß der Bescheid vom 29. Januar 1964 nicht zweifelsfrei unrichtig sei.

Gegen den von Amts wegen erlassenen Bescheid vom 21. Dezember 1970, der die Leistungen ab 1. Januar 1971 neu feststellte, erhob der Kläger gleichfalls Widerspruch. Er fühlte sich dadurch beschwert, daß dieser ihm erst am 8. Februar 1971 zugestellt worden sei. Der Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 1972 fand insoweit keinen Anlaß zu Beanstandungen. Die Beträge seien auch richtig errechnet.

Am 26. Februar 1972 beantragte der Kläger die Erstattung von Fahrtkosten durch Gewährung eines Kilometergeldes für seine Ehefrau, die ihn während seines Krankenhausaufenthaltes vom 27. Dezember 1971 bis 9. Februar 1972 täglich persönlich gepflegt habe. Der durch Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 1972 bestätigte ablehnende Bescheid vom 16. März 1972 verwies auf die Bestimmungen des § 24 BVG. Die Erstattung Familienangehörigen zum Zwecke des Besuchs von Beschädigten im Krankenhaus entstandener Fahrtkosten sei weder bei Benutzung des eigenen Kraftfahrzeuges noch in Höhe von Kosten für öffentliche Verkehrsmittel möglich.

Gegen sämtliche 8 Widerspruchsbescheide, die laut Vermerken des Sachbearbeiters sämtlich am 19. Juli 1972 mittels eingeschriebenen Briefes an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers zur Post aufgegeben worden sind, hat dieser Klagen erhoben, die am 12. Oktober 1972 bei dem Sozialgericht Darmstadt eingegangen sind. Er hat behauptet, sein Prozeßbevollmächtigter habe keinen Widerspruchsbescheid erhalten. Aufgrund eines Telefonanrufes sei diesem die Tatsache deren Erlasses zufällig bekannt geworden, worauf er im September 1972 die Versorgungsakten eingesehen habe. Über eine Zustellung habe sich dabei nichts feststellen lassen. Die Klagefrist sei daher als gewahrt anzusehen.

Vorsorglich hat der Kläger Widereinsetzung in den vorigen Stand begehrt. Ihn treffe für den unterstellten Fall, die Widerspruchsbescheide seien in dem Büro seines Prozeßbevollmächtigten verlorengegangen, ebenso wie diesen kein Verschulden. Dessen seit 1959 im Büro mitarbeitende überaus zuverlässige Ehefrau trage sämtliche Fristen ein, ohne daß es je zu seiner Versäumnis gekommen sei. Das versichere sie eidesstattlich. Sein Prozeßbevollmächtigter überwache selbst laufend die Fristenwahrung.

Mit Urteilen von 6. Februar 1974 hat das Sozialgericht die Klagen als unzulässig verworfen. Es hat die Frist für versäumt gehalten, nachdem Nachforschungen des Beklagten bei der Postanstalt 108 in F. ergeben hatten, daß die Einschreibesendung am 21. Juli 1972 einem Bevollmächtigten des Rechtsanwalts H. postordnungsgemäß ausgeliefert worden sei. Wiedereinsetzung komme nicht in Betracht. Den Prozeßbevollmächtigten treffe zwar kein eigenes Verschulden. Er müsse sich jedoch ein Verschulden seines gesetzlichen oder auch gewillkürten Vertreters wie sein eigenes anrechnen lassen, was unmittelbar aus § 67 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) folge. Wenn die Ehefrau des Prozeßbevollmächtigten eingeräumt habe, sie habe die Notierung der Klagefrist vergessen, so liege in jedem Falle ein solches Verschulden vor.

Gegen diese sämtlich am 11. April 1974 zugestellten Urteile richten sich die am 29. April 1974 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangenen Berufungen. Durch Beschluss vom 23. Oktober 1974 hat der Senat sie gemäß § 113 Abs. 1 SGG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Zur Begründung trägt der Kläger vor, auch wenn der Einschreibebrief seinem Prozeßbevollmächtigten am 21. Juli 1972 zugestellt worden sei, so sei damit nicht gesagt, daß er sämtliche 8 angefochtenen Widerspruchsbescheide enthalten habe. Das habe der Beklagte zu beweisen. Zutreffend habe das Sozialgericht im übrigen ausgeführt, daß weder ihn, den Kläger, noch seinen Prozeßbevollmächtigten ein Verschulden an der Fristversäumnis treffe. Indessen müssen sie sich ein Verschulden der Ehefrau als Hilfsperson nicht zurechnen lassen, da sie geschult, erfahren und überwacht sei.

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Darmstadt vom 6. Februar 1974 aufzuheben und die Streitsachen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.

Er hält die angefochtenen Urteile für zutreffend.

In der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 1974 hat der Senat den Prozeßbevollmächtigten des Klägers zur Sache gehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Frau A. H. als Zeugin. Wegen der Einzelheiten der Angaben und Bekundungen wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Die Akten des Versorgungsamtes D. mit der Grundlistennr. haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen, welche der Senat gemäß § 113 Abs. 1 SGG durch Beschluss vom 23. Oktober 1974 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat, sind zulässig, sie sind insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG). In der Sache hatten sie mit der aus dem Tenor zu entnehmenden Maßgabe Erfolg. Entgegen der vordergerichtlichen Auffassung war davon auszugehen, daß den Kläger kein – abgeleitetes – Verschulden an der Versäumung der Klagefrist gegen die acht Widerspruchsbescheide vom 10. Juli 1972 trifft. Ihm war daher Wiedereinsetzung zu gewähren.

Zuvor war davon auszugehen, daß die Bekanntgabe der Widerspruchsbescheide nach §§ 27, 28 Abs. 2 des Verfahrensgesetzes der Kriegsopferversorgung (VfG – KOV –) ordnungsgemäß, d.h. durch eingeschriebenen Brief an den Prozeßbevollmächtigten, erfolgt ist. Dabei wurde die Form des § 4 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) gewählt. Die Grundsätze über eine Ersatzzustellung im Sinne der §§ 180 bis 186 und 195 der Zivilprozeßordnung (ZPO) gelten im Rahmen dieser Vorschrift nicht (BSG in SozEntsch. BSG I/4 § 63 Nr. 2; Sgb 1966 S. 412). Die Ehefrau des Prozeßbevollmächtigten durfte nach § 4 Abs. 1 VwZG schon wegen ihres familiären Status die Sendung befugt entgegennehmen. Abgesehen davon ist laut Nachforschungsmitteilung der Bundespost vom 25. Januar 1973 die Übergabe an eine Person mit Postvollmacht erfolgt. Ob es sich dabei um die Zeugin H. oder eine Büroangestellte handelte, konnte in Ansehung der einschlägigen Bestimmungen offenbleiben.

Nach § 4 Abs. 2 VwZG i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 19. Mai 1972 (in Kraft seit 26. Mai 1972) ist der Tag der Aufgabe einer Sendung zur Post in den Akten zu vermerken. Das ist vorliegend bei allen acht Widerspruchsbescheiden geschehen. Das Verfahrensgesetz der Kriegsopferversorgung schreibt entgegen dem klägerischen Berufungsvorbringen nun aber nicht vor, daß eine Sammelsendung, wie hier von acht Verwaltungsakten, nicht erfolgen darf. Das wäre schon aus praktischen und verwaltungstechnischen Gründen nicht einzusehen. Die von dem Prozeßbevollmächtigten in den Absätzen 1 und 2 seiner Berufungsbegründung geäußerte gegenteilige Meinung ist rechtlich nicht haltbar. Selbst wenn mehrere Bescheide in einem gemeinsamen Umschlag nach § 4 Abs. 1 VwZG zugestellt werden, muß die gesetzliche Vermutung dieser Vorschrift gelten (s. hierzu auch Peters-Sautter-Wolff Anm. zu § 4 Abs. 1 VwZG innerhalb des § 63 SGG, S. 186/61 ff.). Sie bezieht sich dann eben auf alle in dem Umschlag befindlichen Schriftstücke, wenn deren Aufgabe zur Post, wie hier, formell richtig in den Akten vermerkt worden ist. Da sowohl die Behauptung des Prozeßbevollmächtigten im Verlaufe der ersten Instanz, ihm seien gar keine Widerspruchsbescheide zugegangen, als auch die der zweiten Instanz, er habe allenfalls einen erhalten, wobei nicht festzustellen sei, um welchen der streitigen acht es sich gehandelt habe, durch diese ordnungsgemäßen Vermerke in den Versorgungsakten, überdies insbesondere aber noch durch das Ergebnis des Nachforschungsauftrags widerlegt ist (er hat die Auslieferung der Einschreibesendung am 21. Juli 1972 ergeben), kehrt sich die Beweislast um. Das bedeutet, daß der Kläger das Nachforschungsergebnis seinerseits beweiskräftig widerlegen müßte. Das hat er indessen nicht getan, so daß alle acht streitigen Widerspruchsbescheide als am 22. Juli 1972 zugestellt gelten. Die Klagefrist war deshalb am 12. Oktober 1972 eindeutig versäumt.

Bezüglich der beantragten Widereinsetzung in den vorigen Stand hat das Vordergericht unterlassen, zunächst gemäß § 67 Abs. 2 Satz 1 SGG zu prüfen, ob der entsprechende Antrag überhaupt binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt worden ist. Erwägungen hierüber hätten sich jedoch auch aus seiner Sicht aufgedrängt. Denn die Entscheidung über ein Verschulden nach § 67 Abs. 1 SGG findet erst bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 67 Abs. 2 Satz 1 oder nach Widereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf diese Vorschrift statt.

Beim Nachholen der erforderlichen Überprüfung hatte der Senat den Inhalt des in den Streitakten L 5/V-138/72 befindlichen Schriftsatzes vom 4. September 1972 zu würdigen, in dem der amtlich bestellte Vertreter des Rechtsanwalts H. angibt, er habe durch das Landesversorgungsamt vom Erlaß und der Übersendung der acht Widerspruchsbescheide erfahren. Wäre damit der Wegfall des Hindernisses kundgetan, dann wäre die Frist bis zum Eingang des Antrages bei Gericht am 12. Oktober 1972 verstrichen gewesen. Trotz einiger Bedenken, die sich insbesondere auf die Führung des vorgelegten Fristenkalenders gründen, ist der Senat aber letztlich doch zu der Überzeugung gelangt, daß Rechtsanwalt H. am 4. September 1972 noch nicht erkannt hatte oder hätte erkennen müssen (vgl. hierzu BGH in NJW 1956, S. 1879), daß die Auskunft des Landesversorgungsamtes zutreffend war. Diese Kenntnis durfte sein amtlich bestellter Vertreter sich nach Lage des Falles durch Akteneinsicht verschaffen, die in der Geschäftsstelle des erkennenden Senats am 12. September 1972 erfolgt ist. So betrachtet ist die Antragsfrist des § 67 Abs. 2 Satz 1 SGG gerade noch gewahrt.

Zur Verschuldensfrage i.S. des Abs. 1 dieser Vorschrift ist vorab davon auszugehen, daß der Kläger Verschulden seines Vertreters wie eigenes zu vertreten hat (siehe hierzu BSGE 11, 160 und NJW 1957, S. 1496). Ein Prozeßbevollmächtigter ist ein solcher – gewillkürter – Vertreter, wobei dieser seine entsprechende Stellung erst mit Annahme des Auftrages erhält (s. Peters-Sautter-Wolff Anm. 7 zu § 67 S. 215). Daß diese Voraussetzung erfüllt ist, hält der Senat in Wertung des Inhalts der Versorgungsakten für zweifelsfrei. Die Frage ist alsdann in allen acht verbundenen Streitsachen gleichermaßen, ob Rechtsanwalt H. ein den Kläger treffendes Verschulden an der Versäumung der Klagefrist trifft. Um das zu bejahen, hat das Sozialgericht zwar einerseits gesagt, den Prozeßbevollmächtigten treffe kein eigenes Verschulden. Andererseits hat es aber sofort angefügt, daß dieser sich das Verschulden seines gewillkürten Vertreters – hier meint es die Zeugin Haßloch – wie ein eigenes Verschulden anrechnen lassen müsse. Diese Auffassung geht am Kern des Problems vorbei. Denn ein Prozeßbevollmächtigter darf sich für Verschulden seiner Hilfsperson – eine solche ist die Zeugin vorliegend nach rechtlich einwandfreier Ansicht – exkulpieren, welche Möglichkeit der Prozeßbeteiligte in bezug auf seinen von ihm ausgesuchten Vertreter nicht hat.

Die richtige Fragestellung im Rahmen des § 67 Abs. 1 SGG wäre hiernach für den Vorderrichter gewesen, ob Rechtsanwalt H. zu vertreten habe, daß seine Ehefrau als seine Hilfsperson weder den Tag der Zustellung der acht Widerspruchsbescheide noch den Beginn und das Ende der Klagefrist notiert hat. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat als zweite Tatsacheninstanz diese Frage verneint. Denn es ist nicht zu widerlegen, daß die Zeugin seit 1959 eingehende Anwaltspost öffnet und Fristen notiert, ohne daß es bisher je zu einer Versäumnis gekommen ist. Ist das glaubhaft, so kommt weiter hinzu, daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers sein Büropersonal einschließlich seiner mithelfenden Ehefrau überwacht und in genügend kurzen Abständen Belehrungen über die Einhaltung von Fristen und die technische Durchführung erteilt. Damit hat er die zu erwartende Sorgfaltspflicht erfüllt (vgl. BVerwG in NJW 1970 S. 108; BSGE 6 S. 3; BSG in MDR 1965 S. 167).

Ein Fehlverhalten der Zeugin in bezug auf die am 21. Juli 1972 zugestellten acht Widerspruchsbescheide kann ihm deshalb nicht zugerechnet werden. Damit entfällt jegliches prozessuales Verschulden des Klägers.

Wer hiernach im Gegensatz zur Auffassung des Sozialgerichts Darmstadt Wiedereinsetzung zu gewähren, so war ferner i.S. der Vorschrift des § 159 Abs. 1 Ziffer 1 SGG zu verfahren. Insbesondere aus Gründen des anderenfalls nicht vermeidbaren Verlustes einer Tatsacheninstanz erschien es geboten, die Fülle des materiell-rechtlichen Streitstoffes zunächst erstinstanzlich überprüfen und möglicherweise erforderlich werdende Ermittlungen dort durchführen zu lassen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Rechtskraft
Aus
Saved