L 5 V 88/73

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 88/73
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Wird ein Zugunstenbescheid bezüglich eines Streitgegenstandes begehrt, über den gemäß § 141 Abs. 1 SGG rechtskräftig entschieden worden ist und lehnt die Versorgungsverwaltung ab, ohne zur Prüfung des – ungeschriebenen – Tatbestandsmerkmales „Unrichtigkeit” innerhalb des § 40 Abs. 1 VfG (KOV) verpflichtet zu sein, dann besteht keine Veranlassung zur Stattgabe eines Antrages nach § 109 Abs. 1 SGG, zumal wenn auch während des gerichtlichen Verfahrens beider Tatsacheninstanzen weder ein substantiierter Angriff gegen den bindenden Erstbescheid noch der Vortrag oder die Glaubhaftmachung neuer Tatsachen und Beweismittel erfolgt ist.
Auseinandersetzung mit dem Fragenkomplex des Erlasses weiterer Bescheide bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 141 Abs. 1 SGG; in Besonderheit mit der Entscheidung des LSG Hamburg in Breithaupt 1971, S. 168 ff., in Anlehnung an das Urteil des BSG vom 24.6.1969 – Az.: 10 RV 282/66–, die darin verwertete Rechtsprechung des 8. Senats des BSG sowie in Fortführung der Gedankengänge des Urteils des BSG vom 30.8.1973 (Az.: 9/8 RV 608/72).
2) Erfolgt trotz Setzens einer geräumigen Frist und einer Nachfrist innerhalb eines Jahres keine Berufungsbegründung und auf gerichtliche Antrage hin keine Bekanntgabe triftiger Hinderungsgründe, dann ist ein Antrag nach § 109 Abs. 1 wegen grober Nachlässigkeit i.S. des § 109 Abs. 2 SGG als verspätet zurückzuweisen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 15. Dezember 1972 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die 1926 geborene aus dem Sudetenland heimatvertriebene Klägerin stellte im Februar 1958 beim Versorgungsamt F. Antrag auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen Schilddrüsen-, Herz- und Nervenstörungen. Diese Leiden seien während Zwangsarbeit in einem Lager und in Form von Außenarbeiten bei tschechischen Bauern vom Sommer 1945 bis zur Ausweisung im Mai 1946 entstanden. Nach internistischer und nervenfachärztlicher Begutachtung durch Ärzte der Versorgungsärztlichen Untersuchungsstelle (VOSt) F. im Dezember 1958 erging der durch Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 1959 bestätigte ablehnende Bescheid vom 20. April 1959. Er enthält den Einwand der Fristversäumnis und stellt ferner fest, es lägen keine Gesundheitsstörungen vor, die ursächlich auf schädigende Einwirkungen im Sinne des BVG zurückgeführt werden könnten. Durch Klagerücknahme vor dem Sozialgericht Frankfurt/Main wurde dieser Bescheid bindend, nachdem der Internist Dr. M. sich in seinem von Gerichts wegen eingeholten Gutachten vom 18. Dezember 1959 den Versorgungsärzten angeschlossen hatte.

Im Mai 1961 beantragte die Klägerin wiederum Versorgung wegen derselben Leiden und deren Verschlimmerung. Durch Bescheid vom 15. Juni 1961 und Widerspruchsbescheid vom 5. September 1961 wurde unter Hinweis auf die fachärztlichen Begutachtungen sachlich negativ entschieden. Das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Frankfurt/Main blieb erfolglos. Im rechtskräftigen Urteil vom 19. März 1962 ist ausgeführt, die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs der festgestellten nervösen Übererregbarkeit und leichten Schilddrüsenüberfunktion mit der kurzen Internierung in den Jahren 1945/46 sei nicht gegeben. Hierzu hätten sich ein Nervenarzt und zwei Internisten zutreffend und überzeugend geäußert. Die festgestellten Befunde seien rein psychisch bedingt bei besonderer erblicher Belastung auf diesem Gebiet.

Am 3. August 1971 stellte die Klägerin abermals Antrag auf Versorgung wegen Nerven-, Herz- und Schilddrüsenleidens und verwies auch auf Gallensteine. Sie berief sich auf die schon aktenkundigen Fakten bezüglich ihres Arbeitseinsatzes von Mai 1945 bis April 1946 und reichte eine Anzahl ärztlicher Atteste und schriftlicher Zeugenbestätigungen ein, u.a. ein amtsärztliches Zeugnis des Gesundheitsamts O. vom 21. September 1970, wonach sie an einer Grenzoligophrenie mit Verdacht einer Psychasthenie leide. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 80 v.H.

Das Versorgungsamt F. berief sich in seinem Bescheid vom 23. September 1971 auf die Bindungswirkung gemäß § 24 des Verfahrensgesetzes der Kriegsopferversorgung (VgG – KOV –) und lehnte die Erteilung eines Zugunstenbescheides ab. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid vom 30. November 1971 ist zur Begründung ausgeführt, es seien keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht worden.

Vor dem Sozialgericht Frankfurt/Main hat die Klägerin geltend gemacht, bei den früheren Bescheiden hätten die schon damals vorliegenden Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) zur Frage der psychischen Einwirkungen von Kriegsgefangenschaft oder Arbeitslager berücksichtigt werden müssen. Da das nicht geschehen sei, komme der Erlaß eines Zugunstenbescheides in Betracht.

Mit Urteil vom 15. Dezember 1972 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, das Festhalten des Beklagten an der Bindungswirkung der früheren Verwaltungsakte sei nicht zu beanstanden.

Gegen dieses Urteil, das am 2. Januar 1973 mittels eingeschriebenen Briefes an die Klägerin abgesandt worden ist, richtet sich ihre am 22. Januar 1973 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Zur Begründung wiederholt sie ihr bisheriges Vorbringen, bittet um Beiziehung einer Anzahl ärztlicher Unterlagen über zwischenzeitlich durchgeführte Behandlungen und Heilverfahren und beantragt nach Eingang derselben die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 15. Dezember 1972 und den Bescheid des Beklagten vom 23. September 1971 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 1971 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Zur mündlichen Verhandlung am 13. Februar 1974 war die Klägerin weder erschienen noch vertreten.

Die Akten des Versorgungsamts F. mit der Archiv-Nr. und die Akten des Sozialgerichts Frankfurt/Main (Az.: S-12/V-163/39 und 99/61) haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakten beider Instanzen wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat auf Antrag des Beklagten gemäß §§ 110, 126 SGG nach Lage der Akten entscheiden konnte, ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG). In der Sache hatte sie keinen Erfolg.

Der Bescheid des Beklagten vom 23. September 1971 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 1971 ist nicht rechtswidrig.

Zu dieser Auffassung ist der Senat gelangt, ohne zuvor den allein im Schriftsatz vom 10. Januar 1974 gestellten und wegen Nichterscheinens zum Termin vom 13. Februar 1974 nicht mündlich erläuterten Anträgen auf Beiziehung einer Anzahl ärztlicher Behandlungsunterlagen über die Klägerin nähertreten zu müssen. Er brauchte nach Lage des Falles insbesondere auch dem im selben Schriftsatz gestellten Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG nicht stattzugeben.

Hierzu bestand zunächst deshalb keine Veranlassung, weil über den Gegenstand des zu überprüfenden Verwaltungsaktes und den Streitgegenstand des Gerichtsverfahrens beider Instanzen bereits ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. Das Sozialgericht Frankfurt/Main hat nämlich am 19. März 1962 dahin entschieden, daß die Klage gegen den Bescheid vom 15. Juni 1961 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides abzuweisen war. Ein Rechtsmittel dagegen ist nicht eingelegt worden. Die Entscheidungsgründe dieses Urteils besagen eindeutig, daß seinerzeit über die Anerkennung von Schilddrüsen-, Herz- und Nervenleiden zu entscheiden war und entschieden worden ist. Mehr oder etwas anderes begehrt die Klägerin im vorliegenden Verfahren nicht.

Zwar hat sie im Formularantrag vom 24. August 1971 überdies noch Gallensteine erwähnt, indessen nicht beantragt zu prüfen, ob insofern eine schädigungsbedingte Gesundheitsstörung vorliegt. Das ist schon im Widerspruchsverfahren nicht geschehen, wenn der Inhalt des Schriftsatzes vom 19. Oktober 1971 ausgewertet wird, geschweige denn im sozialgerichtlichen Verfahren, in dessen Verlauf sie lediglich den Erlaß eines Zugunstenbescheides mit der Begründung begehrt hat, die schon 1961 vorliegenden Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Frage psychischer Einwirkungen von Kriegsgefangenschaft oder Arbeitslager seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Ganz deutlich ist das noch einmal durch ihre Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 15. Dezember 1972 und in zweiter Instanz durch den Schriftsatz vom 10. Januar 1974 geworden. Darin begründet die Klägerin ihr Begehren auf Erlaß eines Zugunstenbescheides wiederum mit dem entsprechenden Zitat des Urteils vom 3. November 1959 (Az.: 9 RV 80/56) und benennt im übrigen eine Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie als Ärztin ihres Vertrauens gemäß § 109 SGG.

Besteht hiernach völlige Kongruenz des Streitgegenstandes, dann bindet das rechtskräftige Urteil vom 19. März 1962 jedoch die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger gemäß § 141 Abs. 1 SGG. Da in dieser Vorschrift, die eine von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit von Amts wegen zu beachtende negative Prozeßvoraussetzung enthält, im Gegensatz zu § 77 SGG die Einschränkung fehlt, "soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist”, hält der Senat den Erlaß eines weiteren sachlichen Bescheides in derselben Sache aus rechtsstaatlichen, rechtssystematischen und insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit ganz grundsätzlich zumindest für unopportun.

Insoweit hatte das erkennende Gericht allerdings vorliegend keine Veranlassung, den gesamten Fragenkomplex zu erörtern, der sich in Rechtsprechung und Literatur (vgl. beispielhaft Vorberg-van Nuis "Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen”, VIII. Teil, 1968, S. 280; Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 4 zu § 141; LSG Hamburg in Breithaupt 1971, S. 168 ff. und die darin zitierten Urteile sowie Literaturstellen; BSG Urteil vom 24.6.1969 in SozR, § 40 VfG (KOV), C a 13) in bezug auf den Erlaß materieller Zweitbescheide, formeller Wiederholungsbescheide und schließlich weiterer gerichtlicher Urteile in der Sache bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 141 Abs. 1 SGG ergeben hat. Eine den Urteilstenor ausfüllende und tragende Stellung zu diesem Punkt war hier deshalb nicht zu beziehen, weil selbst dann, falls der Meinung gefolgt würde, ein Zugunstenbescheid dürfe erteilt werden, wenn schon eine gerichtliche Entscheidung über den erneut geltend gemachten Anspruch vorliegt und daß deren Rechtskraft dem nicht entgegensteht – die Entscheidung des LSG Hamburg a.a.O. führt eine Anzahl recht beachtlicher und überzeugender Gründe dagegen an – hier im Sinne des klägerischen Begehrens trotzdem nicht weiterzukommen wäre. Das gilt auch für den Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG. Denn es steht aktenkundig fest, daß die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 VfG (KOV) vorliegend nicht gegeben sind.

Der Beklagte hatte nach Lage des Falles noch nicht einmal eine erkennbare Verpflichtung, sich mit dem innerhalb dieser Vorschrift ungeschrieben gebliebenen Tatbestandsmerkmal "unrichtig” zu befassen. Er hat es auch tatsächlich nicht getan. Das geht klar aus dem streitigen Bescheid vom 23. September 1971 hervor. Dieser beruft sich auf § 24 VfG (KOV), verweist auf die eingetretene Bindung und zusätzlich auf Rechtskraft. Das Versorgungsamt F. war zuvor in keine Nachprüfung des Sachbescheides vom 15. Juni 1961 eingetreten. Anlaß hierzu hatte nicht bestanden. Denn die Klägerin hat weder in ihrem das streitige Verfahren eröffnenden Antrag vom 3. August 1971 noch in dem ihr von Amts wegen übersandten Formularantrag vom 24. August 1971 neue Tatsachen geschildert. Von der Glaubhaftmachung solcher Tatsachen und der Beibringung neuer Beweise ist gar keine Rede. Was sie eingereicht hat, sind Bescheinigungen, die urkundlich nichts belegen, als was schon bekannt war. Gegen die Richtigkeit der Entscheidung vom 15. Juni 1961 und des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 19. März 1962 können sie nicht sprechen. Sie besagen nur, daß die Klägerin 1945/46 in einem Arbeitslager gewesen ist, schildern die Umstände ihres Lebens dort und berichten über bereits begutachtete Erkrankungen. So war es konsequent und richtig, daß im Widerspruchsbescheid vom 30. November 1971 auch nur wieder mitgeteilt worden ist, es seien keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht worden, die als Nachweis dafür angesehen werden könnten, daß die frühere Entscheidung tatsächlich oder rechtlich unrichtig sei.

Darüber hinaus hat die Klägerin diesen Bescheid vom 15. Juni 1961 noch nicht einmal substantiiert angegriffen, weder während des Verwaltungsverfahrens noch im Verlauf beider Gerichtsinstanzen. Sie hat lediglich behauptet, sie habe das Recht, einen Zugunstenbescheid zu verlangen, weil bei Erlaß der früheren Bescheide und von dem Sozialgericht Frankfurt/Main in dessen Urteil vom 19. März 1962 einschlägige Entscheidungen des BSG zur Frage psychischer Einwirkungen während einer Zeit im Arbeitslager nicht beachtet worden seien. Damit hat sie zunächst das Vorliegen eines Tatbestandes aus § 40 Abs. 2 VfG (KOV) verneint, was im übrigen auch richtig war. Diese Vorschrift ist von vornherein in die rechtliche Prüfung nicht einzubeziehen gewesen. Ferner hat sie mit ihrem Zitat des dem Urteil des BSG vom 3. November 1959 beigegebenen Leitsatzes aber nichts weiter getan, als ihre rechtsirrige Meinung – zum wiederholten Male – kundzutun. Denn dieses Urteil mit dem Az.: 9 RV 80/56 besagt nichts mehr, als daß Gesundheitsstörungen psychischer Art auch dann versorgungsrechtlich zu entschädigen sind, wenn sie nicht aus § 1 Abs. 1, sondern aus Tatbeständen des § 1 Abs. 2 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 BVG zu entnehmen sind. Gewiß können schädigende Vorgänge im Sinne des § 5 Abs. 1 d) BVG, d.h. jene, die infolge einer mit der militärischen Besetzung deutschen oder ehemals deutsch besetzten Gebietes oder mit der zwangsweisen Umsiedlung oder Verschleppung zusammenhängenden besonderen Gefahr entstanden oder eingetreten sind, auch solche psychischer Art sein. Das ist im Falle der Klägerin nie streitig gewesen. Nach eben diesem Urteil des BSG ist eine psychische Einwirkung dabei noch als unmittelbar anzusehen, wenn sie spontan einen Schrecken oder Schock erzeugte, der die behaupteten – und feststellbaren – Gesundheitsstörungen zur Folge hatte. Gerade an solchen mangelt es indessen vorliegend. Allein das ist der entscheidende Punkt.

Insoweit verweist der Senat auf die Angaben der Klägerin im Verlauf der früheren Verwaltungsverfahren, insbesondere auf ihre Anamnesen gegenüber dem Neurologen Dr. M. und dem Internisten Dr. H ... Liest man diese zugleich unbefangen und kritisch, dann ist sogar schon der Nachweis des schädigenden Ereignisses stärkstens anzuzweifeln. In der Schilderung ist nämlich nichts enthalten, was geeignet wäre, die Erzeugung eines spontanen Schocks oder Schreckens oder auch Dauerschocks zu beweisen. Die Klägerin hat im Gegenteil auf ihre schon vorher vorhandengewesene schwächliche Konstitution hingewiesen, derentwegen sie keinen Schulsport mitgemacht habe. Auch hat sie Fakten geschildert, die auf ihre ängstliche Natur hinweisen. Die für die Jahre 1953, 1954 und 1956 (Bl. 7–9 VA) bescheinigten Krankheiten, wie nervlicher Erschöpfungszustand, Schilddrüsenvergrößerung und dadurch hervorgerufene Neurasthenie, sind abgesehen davon ihrer Natur nach ohnehin der Anlagebedingtheit zuzurechnen. Daß sie durch die Zeit im Arbeitslager entstanden oder verschlimmert worden sind, haben die eigenen Ärzte der Klägerin damals nicht angegeben. Dr. M. hat denn auch neurologischerseits Folgen der Internierungszeit weder annehmen noch nachweisen können. Er beschrieb die Klägerin als konstitutionelle Psychopathin mit hypochondrischen Zügen. Dr. H. hat hinzugefügt, daß internistischerseits keine krankhaften Organveränderungen nachzuweisen seien. Es fänden sich lediglich geringe Zeichen einer nervösen Überregbarkeit auf rein konstitutioneller Basis ohne echte Schilddrüsenüberfunktion. Der Facharzt für innere Medizin Dr. M. vermochte dieser Beurteilung bei seiner gerichtsärztlichen Begutachtung vom 18. Dezember 1959 nicht hinzusetzen, befand sich vielmehr in völliger Übereinstimmung mit den Vorgutachtern. Hiernach kann aus dem von der Klägerin mehrfach zitierten Urteil des BSG vom 3. November 1959 keine auf § 40 Abs. 1 VfG (KOV) gerichtete und positive Schlußfolgerung gezogen werden. Vorliegend ist im Gegenteil von vornherein noch nicht einmal wahrscheinlich, daß wegen seelischer Bedrängnisse Krankheiten schädigungsbedingter Art verursacht worden sind, zumal die Klägerin Mißhandlungen nicht ausgesetzt gewesen ist.

Zusammenfassend ist daher erneut zu betonen, daß für den Beklagten kein Anlaß gegeben war, in eine Überprüfung des Tatbestandsmerkmals "Unrichtigkeit” einzutreten. Damit entfällt für den Senat die rechtliche und tatsächliche Veranlassung, dem Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG zu entsprechen und zuvor im Sinne der §§ 103 und 106 SGG in Form der Beiziehung ärztlicher Unterlagen aus jüngerer Zeit tätig zu werden. Zu diesem Ereignis ist in jedem Falle zu gelangen, auch wenn zugunsten der Klägerin bejaht wird, Rechtssystem und insbesondere Rechtssicherheit erlaubten selbst bei Vorhandensein eines rechtskräftigen Urteils im Sinne des § 141 Abs. 1 SGG den Erlaß eines positiven Zugunstenbescheides oder eines negativen Bescheides dieser Art, der nach erneuter sachlichen Überprüfung seitens der Verwaltung ergeht.

Mit dieser Rechtsauffassung befindet sich der erkennende Senat in völliger Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG. Er verweist nicht nur auf das Urteil des 10. Senats des BSG vom 24. Juni 1969 (Az.: 10 RV 282/66) sowie auf die Rechtsprechung des 8. Senats des BSG, wie sie darin zitiert und verwertet worden ist, sondern zusätzlich noch auf die Entscheidung vom 30. August 1973 (Az.: 9/8 RV 608/72). Darin wird der Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 (BGHZ 58, S. 399) zitiert und anschließend gemeint, daß die "besondere Härte” im Sinne des § 89 BVG, ebenso wie der Begriff "unbillig” in § 131 der Abgabenordnung in Wahrheit wohl lediglich Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens bestimme. Hieraus kann nicht von ungefähr geschlossen werden, daß auch im Rahmen des § 40 VfG (KOV) der Begriff der "Unrichtigkeit” eher und zwangsloser dem Ermessensspielraum unterfällt, eine Rechtsansicht, welche der erkennende Senat vor Erlaß des BSG-Urteils vom 24. Juni 1969 geäußert und begründet hatte. Ist das aber so, dann entfällt von vornherein die rechtliche Grundlage für Beweiserhebungen seitens der Sozialgerichte in Fällen, welche Ermessensfragen des § 40 VfG (KOV) betreffen.

Das vorausgeschickt, gleichzeitig hier aber dahingestellt, ist jedenfalls mit dem BSG in der Entscheidung vom 24. Juni 1969 davon auszugehen, daß eine Verpflichtung zur Beschlussfassung nach § 109 SGG dann entfällt, wenn in bezug auf die begehrte Zugunstenentscheidung keinerlei neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht worden sind. Es kann nicht Rechtens sein, in einem Gerichtsverfahren der zweiten Instanz über einen Zugunstenanspruch Beweis zu erheben, wenn dieser erst die Voraussetzungen und Grundlagen für das Begehren überhaupt schaffen soll (vgl. insoweit Urteil des 8. Senats des BSG vom 29. Oktober 1964 in BVBl. 1965 S. 43).

Die Anhörung der von der Klägerin benannten Ärztin im Rahmen des § 109 Abs. 1 SGG konnte darüber hinaus auch entfallen, weil der entsprechende Antrag aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist (§ 109 Abs. 2 SGG). Denn dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, der bei Einlegung der Berufung durch Schriftsatz vom 10. Januar 1973 angegeben hatte, die Begründung werde nachgereicht, ist mit Verfügung vom 8. März 1973 eine Begründungsfrist von drei Monaten eingeräumt worden. Auf seine Mitteilung hin, er befinde sich vom 10. Mai bis 30. Juni 1973 zu einer Kur, wurde die Frist mit Verfügung vom 9. Mai 1973 bis zum 1. August 1973 verlängert. Sie ist nicht eingehalten worden. Ohne daß die Akten eingesehen wurden, was mit Verfügung vom 8. März 1973 erlaubt worden ist und prozeßförderlich gewesen wäre, ging am 15. Januar 1974 der Schriftsatz vom 10. Januar 1974 mit dem Antrag gemäß § 109 SGG ein. Eine Erklärung oder Begründung dafür, weshalb in der gesamten Zwischenzeit keine Bearbeitung der Berufung vorgenommen wurde ist nicht erfolgt. Auf die Verfügung des Gerichts vom 17. Januar 1974 hin kam am 4. Februar 1974 lediglich der Hinweis, der Antrag gemäß § 109 SGG könne nicht als verspätet angesehen werden, da die Berufung erst seit 1973 anhängig sei. Diese Begründung vermag der Senat nicht für stichhaltig anzusehen, um die Anwendung des § 109 Abs. 2 SGG zu verhindern. Er ist vielmehr der Auffassung, daß auch und gerade deshalb, weil schon im Verfahren erster Instanz keine hinlängliche Begründung des Klagebegehrens gegeben worden ist, die Verpflichtung bestanden hätte, im Juli 1973 schriftsätzlich tätig zu werden, zumal die Frist zur Begründung der Berufung bereits einmal verlängert worden war. Wenn bis Januar 1974 nichts geschehen ist, kann nur von grober Nachlässigkeit gesprochen werden.

Lag nach alledem aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anlaß vor, eine weitere Sachaufklärung vorzunehmen und dem Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens stattzugeben, dann war der Rechtsstreit am 13. Februar 1974 auch entscheidungsreif. Dem Begehren der Klägerin auf Erlaß eines Zugunstenbescheides konnte in der Sache nicht entsprochen werden, da kein Hinweis ersichtlich ist, der für die Unrichtigkeit des Bescheides vom 15. Juni 1961 spricht. Bei der aktenkundigen Sach- und Rechtslage besteht noch nicht einmal ein Zweifel an ihrer Richtigkeit.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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