Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 655/75
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 5. Mai 1975 aufgehoben und die Klagen abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger im Jahre 1956 einen Arbeitsunfall erlitten hat und ob gegebenenfalls sein Anspruch auf Unfallentschädigung sowie der Kostenerstattungsanspruch der Beigeladenen gegen die Beklagte gemäß § 1546 Reichsversicherungsordnung alter Fassung – RVO a.F. – ausgeschlossen sind.
Der im Jahre 1939 geborene Kläger erlernte von 1954 bis 1958 den Beruf eines Karosseriebauers bei der Firma A. – Fahrzeugbau. Inhaber H. A., in S. D. In der Zeit vom 29. März 1956 bis zum 9. April 1956 stand er wegen einer Verletzung an der rechten Hand bei dem prakt. Arzt Dr. H. in B. in Behandlung. Die ärztliche Diagnose lautete: Distorsion rechtes Handgelenk. Eine Röntgenuntersuchung wurde nicht veranlaßt. Der Lehrherr des Klägers meldete keinen Arbeitsunfall. Auch der zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkasse wurde kein Arbeitsunfall und keine Arbeitsunfähigkeit des Klägers gemeldet.
Am 30. Juni 1969 ließ sich der Kläger wegen Beschwerden im rechten Handgelenk fachchirurgisch behandeln. Zur Anamnese gab er an, er habe seit 6 Wochen Schmerzen im rechten Handgelenk. Die Röntgenaufnahme des rechten Handgelenks zeigte eine abgedeckelte Handwurzel-Kahnbein-Pseudarthrose mit einer deutlichen Spaltbildung und reaktiven arthrotischen Verbindung. Die Röntgenaufnahme des rechten Handwurzel-Kahnbeines vom 14. November 1970 in drei Ebenen ließen neben der bereits abgedeckelten Kahnbein-Pseudoarthrose auf der Grenze vom mittleren zum körperfernen Drittel eine etwa linsengroße Zystenbildung erkennen. Während einer stationären Behandlung des Klägers in der Chirurgischen Universitätsklinik in F. vom 21. Juni bis zum 2. Juli 1971 wegen Zustandes nach einer alten Navicularis-Fraktur rechts und Navicularis-Pseudoarthrose rechts wurde bei dem Kläger am 24. Juni operativ eine "Matti-Plastik des rechten os naviculare mit spongiosa aus dem rechten Beckenkamm” durchgeführt.
Unter dem 10. November 1971, bei der Beklagten eingegangen am 12. November 1971, meldete der Kläger der Beklagten erstmals die Handverletzung aus dem Jahre 1956 und trug dazu vor, es habe sich um einen Arbeitsunfall in seinem damaligen Lehrbetrieb gehandelt. Er sei über eine Türschwelle gestolpert und auf die Hände gefallen. Den Sturz habe er hauptsächlich mit der rechten Hand abgefangen. Nach ambulanter Behandlung durch Dr. H. sei er wieder gesund geschrieben worden. Die seit 1969 festgestellte Handwurzel-Kahnbein-Pseudoarthrose und die sich daran anschließenden Behandlungen seien Unfallfolgen.
Die von der Beklagten daraufhin angestellten eigenen Ermittlungen führten nicht zu dem einwandfreien Nachweis eines Arbeitsunfalls im März 1956. Insbesondere gelang es der Beklagten nicht, den von dem Kläger als Zeugen benannten W. G. zu ermitteln. Daraufhin lehnte es die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. Oktober 1972 ab, Unfallentschädigung aus Anlaß des vom Kläger benannten Ereignisses zu gewähren. Es sei nicht mehr festzustellen, ob, wann und wo ein als Arbeitsunfall zu wertendes Ereignis stattgefunden habe, das die Falschgelenkbildung des rechten Kahnbeins herbeigeführt haben könnte. Außerdem machte die Beklagte geltend, der erhobene Anspruch sei gemäß § 154 RVO a.F. ausgeschlossen, da die Anmeldefrist von 2 Jahren nach dem Unfall verstrichen sei.
Mit der dagegen vor dem Sozialgericht Frankfurt a.M. (SG) erhobenen Klage – die Klageschrift war am 6. November 1972 bei der Beklagten eingegangen – hat der Kläger vorgetragen, er habe den Unfall am Vormittag des 28. März 1956 im Betrieb der Firma A. erlitten. Die stark angeschwollene Hand habe er sowohl dem Gesellen Geisler als auch dem Juniorchef H. A. gezeigt.
Der als Zeuge gerichtlich vernommene W. G. hat vor dem SG ausgesagt, er erinnere sich an die Lehrzeit des Klägers und wisse, daß dieser sich damals eine Handverletzung zugezogen habe. Er habe den Unfallhergang nicht gesehen, sondern der Kläger habe ihm damals von der Verletzung berichtet und gesagt, es sei bei der Arbeit geschehen. Der Kläger sei nachher auch krank geschrieben gewesen, soweit er sich erinnern könne, über eine Woche lang. In einem schriftlichen Aktengutachten vom 1. Juni 1974 hat die Fachärztin für Radiologie R. ausgeführt, die Pseudarthrose des rechten Kahnbeins sei mit großer Wahrscheinlichkeit Folge der Verletzung des rechten Handgelenks vom März 1956. Zwar sei mangels einer damaligen Röntgenuntersuchung eine Navicularfraktur nicht nachgewiesen, aber die Beschwerden seit dieser Zeit sprächen dafür, daß es damals zu einer Verletzung gekommen sei, die keine Ausheilung erfahren habe. Aus den erst seit 1969 vorhandenen Röntgenaufnahmen der Pseudarthrose lasse sich allerdings deren Alter nicht nachweisen. Eine Pseudarthrose sei nach 1–2 Jahren voll ausgebildet und abgewickelt. Darnach erfahre sie keine röntgenologisch erfaßbaren Veränderungen mehr (Gutachtensnachtrag vom 15. Oktober 1974).
Das SG hat die Allgemeine Ortskrankenkasse Frankfurt a.M. zu dem Rechtsstreit beigeladen, weil über den Klageanspruch und den Anspruch der Beigeladenen gegen die Beklagte auf Erstattung der Kosten für Krankenhilfe wegen der Pseudarthrose des Klägers nur einheitlich entschieden werden könne. Die Beigeladene hat ihre zur Erstattung geltend gemachten Kosten für Krankengeld, Krankenhauskosten und Nebenkosten auf 7.150,50 DM beziffert.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der behauptete Arbeitsunfall sei nicht nachgewiesen. Im übrigen hat sie sich auf den Anspruchsausschluß nach § 1546 RVO A.F. berufen.
Mit Urteil vom 15. Mai 1975 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen der Handwurzelverletzung aus dem Jahre 1956 die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren und an die Beigeladene 7.170,50 DM zu zahlen. Es hat aufgrund der Beweisaufnahme und den Angaben des Klägers dem Arbeitsunfall im März 1956 für nachgewiesen gehalten und die Handwurzel-Kahnbein-Pseudarthrose rechts und ihre Behandlung als Unfallfolge gewertet. Auf die weder im Sitzungsprotokoll noch im Urteilstatbestand erwähnte Frage des Anspruchsausschlusses nach § 1546 RVO a.F. ist es nicht eingegangen.
Gegen das ihr am 24. Juni 1975 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. Juli 1975 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt.
Über die Behauptung des Klägers zum Unfallhergang und zur Information seines damaligen Juniorchefs hat der Senat Beweis erhoben durch Vernehmung der L. H., der ehemaligen Wirtin des Klägers, und des H. A. von der Fa. H. A. Fahrzeugbau in S. als Zeugen auf dem Wege der Rechtshilfe.
Die Zeugin H. hat die damalige Handverletzung bestätigt und ausgesagt, der Kläger habe sie damals auf einen Betriebsunfall zurückgeführt, den er sofort seinem Chef gemeldet habe. Der Zeuge A. hat sich an den Kläger erinnern können, aber angegeben, mangels weiterer Erinnerung könne er die Beweisfragen weder bejahen noch verneinen.
Die Beklagte macht geltend: Der umstrittene Anspruch auf Unfallentschädigung sei gemäß § 1546 RVO a.F. ausgeschlossen. Sie habe sich darauf bereits schriftsätzlich in der ersten Instanz berufen und ihre diesbezüglichen Rechte auch zu keiner Zeit – auch nicht in der mündlichen Verhandlung am 5. Mai 1975 vor dem SG – aufgegeben. Der Anspruch sei auch materiell-rechtlich unbegründet. Sie bestreite, daß sich im März 1956 ein Arbeitsunfall ereignet habe und daß die erstmals 1969, festgestellte Kahnbein-Pseudarthrose Folge dieses behaupteten Arbeitsunfalls sei. Weder die Aussagen der Zeugen G. und H., die den Unfall nicht gesehen hätten, noch das Aktengutachten der Röntgenologin R., die das Alter der Pseudarthrose nicht angeben könne, erbrächten den Nachweis für die Behauptungen des Klägers, letzteres als ausschlaggebenden Beweis anzusehen, sei ein Verfahrensfehler. Stattdessen sei vielmehr aus den Tatsachen, daß der Unfall von dem Betriebsunternehmer nicht gemeldet und auch die zuständige Allgemeine Ortskrankenkasse weder den Unfall noch eine vom Kläger behauptete Arbeitsunfähigkeit verzeichnet habe, zu schließen, daß der geltend gemachte Arbeitsunfall zumindest nicht nachzuweisen sei. Der damalige Betriebsunternehmer H. A. sei Obermeister der Innung gewesen und habe selbst Bagatellunfälle stets gemeldet.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 5. Mai 1975 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Zum Beweis für seine Behauptungen über den Arbeitsunfall am 28. März 1956 beruft er sich auf das Zeugnis des H. A. aus S.
Die Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auch sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie meint: Der Arbeitsunfall des Klägers im März 1956 sei durch das Beweisergebnis in der ersten und zweiten Instanz nachgewiesen. Außerdem habe sie einen ehemaligen Arbeitskollegen des Klägers ausfindig gemacht, der bestätigen könne, den Kläger im März 1956 mit einem Verband an der rechten Hand an seinem Arbeitsplatz gesehen zu haben. Allerdings könne er sich an den Hergang des Unfalls nicht mehr erinnern. Im übrigen habe ihr die Allgemeine Ortskrankenkasse S. mitgeteilt, daß der Betriebsunternehmer H. A. noch mehr Arbeitsunfälle nicht gemeldet habe. Auf § 1546 RVO a.F. könne sich die Beklagte nicht mehr berufen, weil diese Vorschrift aufgehoben worden sei. Falls sie aber im Vorliegenden Fall doch anzuwenden sei, dann müsse zugunsten des Klägers berücksichtigt werden, daß der Ausnahmetatbestand des § 1547 RVO a.F. erfüllt sei. Der Vertreter der Beklagten habe im übrigen in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 5. Mai 1975 zu erkennen gegeben, daß dem § 1546 RVO a.F. keine Bedeutung mehr beizumessen sei. Dadurch habe die Beklagte das Recht verwirkt, sich jetzt noch auf § 1546 RVO a.F. zu berufen.
Im einzelnen wird auf die Gerichts- und Unfallakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist statthaft und somit zulässig. Der Berufungsausschließungsgrund des § 145 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – liegt nicht vor, weil das SG – ohne auf § 1546 RVO a.F. einzugehen – aus materiell-rechtlichen Gründen Unfallentschädigung zugesprochen hat (vgl. BSG, Urt. v. 26.6.1973 – 8/2 RU 177/70) und darüber hinaus auch deswegen, weil gegenüber dem Ausschlußgrund des § 1546 RVO a.F. ein Ausnahmefall des § 1547 RVO a.F. geltend gemacht wird. An dem vorliegenden Rechtsstreit läßt sich entgegen der Ansicht von Zeihe (Soziale Gesetzgebung und Praxis, 4. Auflage, Stand 31.5.1976, Anm. 4 b zu § 145 Nr. 1 SGG) aufzeigen, daß dem einschränkenden Bedingungssatz des § 145 Nr. 1 SGG auch heute noch Bedeutung zukommt. Da für Arbeitsunfälle, wie in dem vorliegenden Fall, die sich vor dem Inkrafttreten des UVNG ereignet haben, gemäß Artikel 4 §§ 1 und 2 UVNG nicht der am 1. Juli 1963 in Kraft getretene § 1546 RVO n.F., sondern noch § 1546 RVO a.F. gilt (vgl. das Urteil des Senats vom 18.11.1971 – L-3/U-280/68), ist zugleich auch § 1547 RVO a.F. anzuwenden mit der Folge, daß bei dessen Geltendmachung die Berufung nach § 145 Nr. 1 SGG nach wie vor nicht ausgeschlossen ist (vgl. BSG, Urteil vom 26.6.1973 – 8/2 RU 177/70).
Die Berufung ist auch begründet.
I.
Zu Unrecht hat das SG die Beklagte dem Grunde nach zur Leistung an den Kläger verurteilt.
Der angefochtene Bescheid, gegen den sich die zulässigen Klageansprüche des Klägers richten, ist rechtlich nicht zu beanstanden. In rechtmäßiger Weise beruft sich die Beklagte darauf, daß Entschädigungsansprüche (§ 547 RVO) wegen des vom Kläger als Arbeitsunfall behaupteten Ereignisses am 28. März 1956 in jeder Hinsicht gemäß § 1546 RVO a.F. ausgeschlossen sind, weil die Anmeldefrist von zwei Jahren versäumt worden ist. Das gilt insbesondere auch für Ansprüche auf Heilbehandlung, stationäre Behandlung und Übergangsgeld (§§ 557, 559 und 560 RVO), deren Gewährung die Feststellung der Folgen des Arbeitsunfalls umfaßten, unabhängig davon, ob der Kläger im Berufungsverfahren den Klageanspruch auf Verletztenrente zurücknimmt oder nicht.
Nach § 1546 RVO a.F. ist dann, wenn die Unfallentschädigung nicht von Amts wegen festgestellt wird, der Anspruch zur Vermeidung des Ausschlusses spätestens 2 Jahre nach dem Unfall bei dem Versicherungsträger anzumelden. Danach ist die Anmeldefrist für den Unfall am 28. März 1956 versäumt worden. Die am 12. November 1971 bei der Beklagten eingegangene Anmeldung der Entschädigungsansprüche hat auch nicht wenigstens die weitere Ausschlußfrist in § 1547 Abs. 2 RVO a.F. gewahrt, nach dem für den Fall, daß eine neue Unfallfolge oder eine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen erst später bemerkbar geworden ist, der Anspruch binnen 3 Monaten nach diesem späteren Zeitpunkt angemeldet werden muß. Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, daß dieser spätere Zeitpunkt bereits in das Jahr 1969 fällt, in dem die Gesundheitsstörungen der rechten Hand des Klägers fachchirurgisch diagnostiziert und behandelt worden sind.
Die Geltendmachung des Anspruchsausschlusses ist auch nicht rechtsmißbräuchlich. Entscheidend ist vor allem, daß der Gesetzgeber des § 1546 RVO a.F. neben dem Rechtsinstitut der Verjährung des Anspruchs auf die einzelnen Leistungen eine besondere Anmeldefrist für erforderlich gehalten hat, deren Versäumung den Entschädigungsanspruch selbst materiell-rechtlich ausschließt. Die Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 23.6.1959 – 2 RU 121/54 – in BSGE 10, 88 mit weiteren Nachweisen) hat diese Vorschrift allerdings nach ihrem Zweck dahin ausgelegt, daß in einzelnen eindeutigen Fällen die Berufung auf den Fristablauf rechtsmißbräuchlich sein kann. An die Voraussetzungen für die Annahme eines solchen Rechtsmißbrauchs sind strenge Voraussetzungen zu stellen. § 1546 RVO a.F. soll den Versicherungsträger dagegen schützen, daß er Ansprüche befriedigen muß, deren Grundlagen infolge Zeitablaufs nur noch unvollständig aufgeklärt werden können. Es wird die Möglichkeit berücksichtigt, daß sich diese Ansprüche unter Umständen als unberechtigt erwiesen hätten, wenn die erforderlichen Ermittlungen in der ersten Zeit nach dem behaupteten Unfallereignis durchgeführt worden wären. Dagegen umfaßt der Zweck dieser Vorschrift nicht auch das Recht des Versicherungsträgers, die Geltendmachung offensichtlich berechtigter Ansprüche von vornherein unmöglich zu machen. Daraus folgt, daß nur dann, wenn die sachliche Berechtigung des verspätet geltend gemachten Anspruchs außer jedem vernünftigen Zweifel steht, die Berufung auf den Fristablauf rechtsmißbräuchlich sein kann.
Tatsächlich ist bereits die Grundvoraussetzung der Entschädigungsansprüche des Klägers, nämlich das Vorliegen eines Arbeitsunfalls (§ 548 RVO), selbst nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (Verwaltungsverfahren, 1. und 2. Rechtszug) nach, wie vor zweifelhaft. Obwohl das Vorliegen eines Arbeitsunfalls voll nachgewiesen sein muß, gibt es hierfür keinen Beweis durch unbeteiligte Augenzeugen oder sonstige Beweismittel. Der Unfallhergang ist bisher nur von dem Kläger selbst geschildert worden. Die Zeugen G. und H. kennen ihn nur von Berichten des Klägers und der von der Beigeladenen angebotene Zeuge Ga. kann sich nach seinen eigenen Erklärungen gegenüber der Beklagten an den Unfallhergang ebenfalls nicht mehr erinnern. Demgegenüber stehen die Tatsachen, daß der Unfall weder der Beklagten noch der zuständigen Krankenkasse als Arbeitsunfall gemeldet worden ist und auch der behandelnde Kassenarzt Dr. H. sich nicht veranlaßt gesehen hat, auf eine Meldung des Unfalls als Arbeitsunfall hinzuwirken. Schließlich ist das Gutachten der Röntgenologin R. – abgesehen von der Frage der Richtigkeit ihrer Schlußfolgerungen – in keiner Weise geeignet, den Zeitpunkt der Erstverletzung oder gar einen Arbeitsunfall zu beweisen. Danach bleibt der begründete Zweifel bestehen, daß sich der Kläger die Handverletzung nicht bei einem Arbeitsunfall während einer nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherten Tätigkeit zugezogen hat. Die Beklagte kann sich nach den von ihr angestellten umfangreichen Ermittlungen ohne Rechtsmißbrauch auf den Fristablauf des § 1546 RVO a.F. berufen. Die gerichtlichen Beweiserhebungen haben bestätigt, daß die Ermittlungen der Beklagten ausreichend gewesen sind.
Angesichts dessen war eine Vernehmung des von der Beigeladenen als Zeugen angebotenen W. Ga. nicht mehr geboten. Dieser ehemalige Arbeitskollege des Klägers hat selbst erklärt, er könne sich an den Unfallhergang nicht mehr erinnern. Der Kläger und die Beigeladene haben auch keine weiteren Tatsachen in das Wissen dieses Mannes gestellt, die einen Arbeitsunfall beweisen können. Der Senat stimmt mit dem Bundessozialgericht darin überein, daß es unter den Voraussetzungen des § 1546 RVO a.F. grundsätzlich nicht Aufgabe das Gerichts ist, erst durch umfangreiche Ermittlungen über die vom Versicherungsträger bestrittenen Anspruchsvoraussetzungen Beweis zu erheben und dann je nach dem Ergebnis der Beweiswürdigung den Anspruch für begründet und die Berufung auf den Ausschluß für mißbräuchlich oder den Anspruch für unbegründet und die Berufung auf den Ausschluß für berechtigt zu erklären (BSG, Urteil v. 23.6.1959 – 2 RU 21/54 a.a.O.).
Die Beklagte hat ihre Rechte aus § 1546 RVO a.F. auch nicht verwirkt. Sie hat sich seit ihrem angefochtenen Bescheid stets auf den Fristablauf berufen. Die Behauptung, der Vertreter der Beklagten habe sich in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 5. Mai 1975 nicht mehr auf § 1546 RVO a.F. berufen, vermag angesichts der vorausgegangenen Schriftsätze der Beklagten keine Verwirkung ihres Rechts zu begründen. Eine rechtswirksame förmliche Verzichtserklärung des Vertreters der Beklagten, die gemäß § 160 ZPO i.V.m. § 122 SGG in das Protokoll hätte aufgenommen werden müssen, haben weder die Beigeladene noch der Kläger behauptet. Eine solche Verzichtserklärung ist auch nicht zu Protokoll festgestellt worden.
II.
Ebenfalls zu Unrecht hat das SG die Beklagte zur Leistung an die Beigeladene verurteilt.
Die von der Beigeladenen nach dem Beiladungsabschluß des SG vom 23. Dezember 1974 in dem Rechtsstreit des Klägers gegen die Beklagte geltend gemachte eigenen Klageansprüche gegen die Beklagte sind unzulässig. § 75 SGG räumt einem Beigeladenen nicht das Recht ein, eigene Klageansprüche geltend zu machen. Zwar hat das SGG als Ausnahmevorschrift von den allgemeinen Prozeßregeln in § 75 Abs. 5 SGG die Möglichkeit eingeräumt, unter bestimmten Voraussetzungen einen Versicherungsträger oder ein Land, die nicht Beklagte sind, nach Beiladung zu verurteilen. Daraus läßt sich aber nicht in Erweiterung dieser Ausnahmevorschrift schließen, daß umgekehrt der Beigeladene als solcher – ohne eine prozeßrechtlich einwandfreie eigene Klageerhebung – berechtigt sein soll, einen eigenen Klageanspruch geltend zu machen (vgl. BSG, Urteil vom 11.7.1974 – 4 RJ 339/73).
Im übrigen ist – wie oben dargelegt – die Beklagte auch materiell-rechtlich nicht verpflichtet, das Ereignis am 28. März 1956 zu entschädigen.
Es waren daher das angefochtene Urteil in vollem Umfang aufzuheben und die Klagen des Klägers sowie der Beigeladenen abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 Abs. 2 SGG.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger im Jahre 1956 einen Arbeitsunfall erlitten hat und ob gegebenenfalls sein Anspruch auf Unfallentschädigung sowie der Kostenerstattungsanspruch der Beigeladenen gegen die Beklagte gemäß § 1546 Reichsversicherungsordnung alter Fassung – RVO a.F. – ausgeschlossen sind.
Der im Jahre 1939 geborene Kläger erlernte von 1954 bis 1958 den Beruf eines Karosseriebauers bei der Firma A. – Fahrzeugbau. Inhaber H. A., in S. D. In der Zeit vom 29. März 1956 bis zum 9. April 1956 stand er wegen einer Verletzung an der rechten Hand bei dem prakt. Arzt Dr. H. in B. in Behandlung. Die ärztliche Diagnose lautete: Distorsion rechtes Handgelenk. Eine Röntgenuntersuchung wurde nicht veranlaßt. Der Lehrherr des Klägers meldete keinen Arbeitsunfall. Auch der zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkasse wurde kein Arbeitsunfall und keine Arbeitsunfähigkeit des Klägers gemeldet.
Am 30. Juni 1969 ließ sich der Kläger wegen Beschwerden im rechten Handgelenk fachchirurgisch behandeln. Zur Anamnese gab er an, er habe seit 6 Wochen Schmerzen im rechten Handgelenk. Die Röntgenaufnahme des rechten Handgelenks zeigte eine abgedeckelte Handwurzel-Kahnbein-Pseudarthrose mit einer deutlichen Spaltbildung und reaktiven arthrotischen Verbindung. Die Röntgenaufnahme des rechten Handwurzel-Kahnbeines vom 14. November 1970 in drei Ebenen ließen neben der bereits abgedeckelten Kahnbein-Pseudoarthrose auf der Grenze vom mittleren zum körperfernen Drittel eine etwa linsengroße Zystenbildung erkennen. Während einer stationären Behandlung des Klägers in der Chirurgischen Universitätsklinik in F. vom 21. Juni bis zum 2. Juli 1971 wegen Zustandes nach einer alten Navicularis-Fraktur rechts und Navicularis-Pseudoarthrose rechts wurde bei dem Kläger am 24. Juni operativ eine "Matti-Plastik des rechten os naviculare mit spongiosa aus dem rechten Beckenkamm” durchgeführt.
Unter dem 10. November 1971, bei der Beklagten eingegangen am 12. November 1971, meldete der Kläger der Beklagten erstmals die Handverletzung aus dem Jahre 1956 und trug dazu vor, es habe sich um einen Arbeitsunfall in seinem damaligen Lehrbetrieb gehandelt. Er sei über eine Türschwelle gestolpert und auf die Hände gefallen. Den Sturz habe er hauptsächlich mit der rechten Hand abgefangen. Nach ambulanter Behandlung durch Dr. H. sei er wieder gesund geschrieben worden. Die seit 1969 festgestellte Handwurzel-Kahnbein-Pseudoarthrose und die sich daran anschließenden Behandlungen seien Unfallfolgen.
Die von der Beklagten daraufhin angestellten eigenen Ermittlungen führten nicht zu dem einwandfreien Nachweis eines Arbeitsunfalls im März 1956. Insbesondere gelang es der Beklagten nicht, den von dem Kläger als Zeugen benannten W. G. zu ermitteln. Daraufhin lehnte es die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. Oktober 1972 ab, Unfallentschädigung aus Anlaß des vom Kläger benannten Ereignisses zu gewähren. Es sei nicht mehr festzustellen, ob, wann und wo ein als Arbeitsunfall zu wertendes Ereignis stattgefunden habe, das die Falschgelenkbildung des rechten Kahnbeins herbeigeführt haben könnte. Außerdem machte die Beklagte geltend, der erhobene Anspruch sei gemäß § 154 RVO a.F. ausgeschlossen, da die Anmeldefrist von 2 Jahren nach dem Unfall verstrichen sei.
Mit der dagegen vor dem Sozialgericht Frankfurt a.M. (SG) erhobenen Klage – die Klageschrift war am 6. November 1972 bei der Beklagten eingegangen – hat der Kläger vorgetragen, er habe den Unfall am Vormittag des 28. März 1956 im Betrieb der Firma A. erlitten. Die stark angeschwollene Hand habe er sowohl dem Gesellen Geisler als auch dem Juniorchef H. A. gezeigt.
Der als Zeuge gerichtlich vernommene W. G. hat vor dem SG ausgesagt, er erinnere sich an die Lehrzeit des Klägers und wisse, daß dieser sich damals eine Handverletzung zugezogen habe. Er habe den Unfallhergang nicht gesehen, sondern der Kläger habe ihm damals von der Verletzung berichtet und gesagt, es sei bei der Arbeit geschehen. Der Kläger sei nachher auch krank geschrieben gewesen, soweit er sich erinnern könne, über eine Woche lang. In einem schriftlichen Aktengutachten vom 1. Juni 1974 hat die Fachärztin für Radiologie R. ausgeführt, die Pseudarthrose des rechten Kahnbeins sei mit großer Wahrscheinlichkeit Folge der Verletzung des rechten Handgelenks vom März 1956. Zwar sei mangels einer damaligen Röntgenuntersuchung eine Navicularfraktur nicht nachgewiesen, aber die Beschwerden seit dieser Zeit sprächen dafür, daß es damals zu einer Verletzung gekommen sei, die keine Ausheilung erfahren habe. Aus den erst seit 1969 vorhandenen Röntgenaufnahmen der Pseudarthrose lasse sich allerdings deren Alter nicht nachweisen. Eine Pseudarthrose sei nach 1–2 Jahren voll ausgebildet und abgewickelt. Darnach erfahre sie keine röntgenologisch erfaßbaren Veränderungen mehr (Gutachtensnachtrag vom 15. Oktober 1974).
Das SG hat die Allgemeine Ortskrankenkasse Frankfurt a.M. zu dem Rechtsstreit beigeladen, weil über den Klageanspruch und den Anspruch der Beigeladenen gegen die Beklagte auf Erstattung der Kosten für Krankenhilfe wegen der Pseudarthrose des Klägers nur einheitlich entschieden werden könne. Die Beigeladene hat ihre zur Erstattung geltend gemachten Kosten für Krankengeld, Krankenhauskosten und Nebenkosten auf 7.150,50 DM beziffert.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, der behauptete Arbeitsunfall sei nicht nachgewiesen. Im übrigen hat sie sich auf den Anspruchsausschluß nach § 1546 RVO A.F. berufen.
Mit Urteil vom 15. Mai 1975 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen der Handwurzelverletzung aus dem Jahre 1956 die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren und an die Beigeladene 7.170,50 DM zu zahlen. Es hat aufgrund der Beweisaufnahme und den Angaben des Klägers dem Arbeitsunfall im März 1956 für nachgewiesen gehalten und die Handwurzel-Kahnbein-Pseudarthrose rechts und ihre Behandlung als Unfallfolge gewertet. Auf die weder im Sitzungsprotokoll noch im Urteilstatbestand erwähnte Frage des Anspruchsausschlusses nach § 1546 RVO a.F. ist es nicht eingegangen.
Gegen das ihr am 24. Juni 1975 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. Juli 1975 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt.
Über die Behauptung des Klägers zum Unfallhergang und zur Information seines damaligen Juniorchefs hat der Senat Beweis erhoben durch Vernehmung der L. H., der ehemaligen Wirtin des Klägers, und des H. A. von der Fa. H. A. Fahrzeugbau in S. als Zeugen auf dem Wege der Rechtshilfe.
Die Zeugin H. hat die damalige Handverletzung bestätigt und ausgesagt, der Kläger habe sie damals auf einen Betriebsunfall zurückgeführt, den er sofort seinem Chef gemeldet habe. Der Zeuge A. hat sich an den Kläger erinnern können, aber angegeben, mangels weiterer Erinnerung könne er die Beweisfragen weder bejahen noch verneinen.
Die Beklagte macht geltend: Der umstrittene Anspruch auf Unfallentschädigung sei gemäß § 1546 RVO a.F. ausgeschlossen. Sie habe sich darauf bereits schriftsätzlich in der ersten Instanz berufen und ihre diesbezüglichen Rechte auch zu keiner Zeit – auch nicht in der mündlichen Verhandlung am 5. Mai 1975 vor dem SG – aufgegeben. Der Anspruch sei auch materiell-rechtlich unbegründet. Sie bestreite, daß sich im März 1956 ein Arbeitsunfall ereignet habe und daß die erstmals 1969, festgestellte Kahnbein-Pseudarthrose Folge dieses behaupteten Arbeitsunfalls sei. Weder die Aussagen der Zeugen G. und H., die den Unfall nicht gesehen hätten, noch das Aktengutachten der Röntgenologin R., die das Alter der Pseudarthrose nicht angeben könne, erbrächten den Nachweis für die Behauptungen des Klägers, letzteres als ausschlaggebenden Beweis anzusehen, sei ein Verfahrensfehler. Stattdessen sei vielmehr aus den Tatsachen, daß der Unfall von dem Betriebsunternehmer nicht gemeldet und auch die zuständige Allgemeine Ortskrankenkasse weder den Unfall noch eine vom Kläger behauptete Arbeitsunfähigkeit verzeichnet habe, zu schließen, daß der geltend gemachte Arbeitsunfall zumindest nicht nachzuweisen sei. Der damalige Betriebsunternehmer H. A. sei Obermeister der Innung gewesen und habe selbst Bagatellunfälle stets gemeldet.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 5. Mai 1975 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Zum Beweis für seine Behauptungen über den Arbeitsunfall am 28. März 1956 beruft er sich auf das Zeugnis des H. A. aus S.
Die Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auch sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie meint: Der Arbeitsunfall des Klägers im März 1956 sei durch das Beweisergebnis in der ersten und zweiten Instanz nachgewiesen. Außerdem habe sie einen ehemaligen Arbeitskollegen des Klägers ausfindig gemacht, der bestätigen könne, den Kläger im März 1956 mit einem Verband an der rechten Hand an seinem Arbeitsplatz gesehen zu haben. Allerdings könne er sich an den Hergang des Unfalls nicht mehr erinnern. Im übrigen habe ihr die Allgemeine Ortskrankenkasse S. mitgeteilt, daß der Betriebsunternehmer H. A. noch mehr Arbeitsunfälle nicht gemeldet habe. Auf § 1546 RVO a.F. könne sich die Beklagte nicht mehr berufen, weil diese Vorschrift aufgehoben worden sei. Falls sie aber im Vorliegenden Fall doch anzuwenden sei, dann müsse zugunsten des Klägers berücksichtigt werden, daß der Ausnahmetatbestand des § 1547 RVO a.F. erfüllt sei. Der Vertreter der Beklagten habe im übrigen in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 5. Mai 1975 zu erkennen gegeben, daß dem § 1546 RVO a.F. keine Bedeutung mehr beizumessen sei. Dadurch habe die Beklagte das Recht verwirkt, sich jetzt noch auf § 1546 RVO a.F. zu berufen.
Im einzelnen wird auf die Gerichts- und Unfallakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist statthaft und somit zulässig. Der Berufungsausschließungsgrund des § 145 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – liegt nicht vor, weil das SG – ohne auf § 1546 RVO a.F. einzugehen – aus materiell-rechtlichen Gründen Unfallentschädigung zugesprochen hat (vgl. BSG, Urt. v. 26.6.1973 – 8/2 RU 177/70) und darüber hinaus auch deswegen, weil gegenüber dem Ausschlußgrund des § 1546 RVO a.F. ein Ausnahmefall des § 1547 RVO a.F. geltend gemacht wird. An dem vorliegenden Rechtsstreit läßt sich entgegen der Ansicht von Zeihe (Soziale Gesetzgebung und Praxis, 4. Auflage, Stand 31.5.1976, Anm. 4 b zu § 145 Nr. 1 SGG) aufzeigen, daß dem einschränkenden Bedingungssatz des § 145 Nr. 1 SGG auch heute noch Bedeutung zukommt. Da für Arbeitsunfälle, wie in dem vorliegenden Fall, die sich vor dem Inkrafttreten des UVNG ereignet haben, gemäß Artikel 4 §§ 1 und 2 UVNG nicht der am 1. Juli 1963 in Kraft getretene § 1546 RVO n.F., sondern noch § 1546 RVO a.F. gilt (vgl. das Urteil des Senats vom 18.11.1971 – L-3/U-280/68), ist zugleich auch § 1547 RVO a.F. anzuwenden mit der Folge, daß bei dessen Geltendmachung die Berufung nach § 145 Nr. 1 SGG nach wie vor nicht ausgeschlossen ist (vgl. BSG, Urteil vom 26.6.1973 – 8/2 RU 177/70).
Die Berufung ist auch begründet.
I.
Zu Unrecht hat das SG die Beklagte dem Grunde nach zur Leistung an den Kläger verurteilt.
Der angefochtene Bescheid, gegen den sich die zulässigen Klageansprüche des Klägers richten, ist rechtlich nicht zu beanstanden. In rechtmäßiger Weise beruft sich die Beklagte darauf, daß Entschädigungsansprüche (§ 547 RVO) wegen des vom Kläger als Arbeitsunfall behaupteten Ereignisses am 28. März 1956 in jeder Hinsicht gemäß § 1546 RVO a.F. ausgeschlossen sind, weil die Anmeldefrist von zwei Jahren versäumt worden ist. Das gilt insbesondere auch für Ansprüche auf Heilbehandlung, stationäre Behandlung und Übergangsgeld (§§ 557, 559 und 560 RVO), deren Gewährung die Feststellung der Folgen des Arbeitsunfalls umfaßten, unabhängig davon, ob der Kläger im Berufungsverfahren den Klageanspruch auf Verletztenrente zurücknimmt oder nicht.
Nach § 1546 RVO a.F. ist dann, wenn die Unfallentschädigung nicht von Amts wegen festgestellt wird, der Anspruch zur Vermeidung des Ausschlusses spätestens 2 Jahre nach dem Unfall bei dem Versicherungsträger anzumelden. Danach ist die Anmeldefrist für den Unfall am 28. März 1956 versäumt worden. Die am 12. November 1971 bei der Beklagten eingegangene Anmeldung der Entschädigungsansprüche hat auch nicht wenigstens die weitere Ausschlußfrist in § 1547 Abs. 2 RVO a.F. gewahrt, nach dem für den Fall, daß eine neue Unfallfolge oder eine wesentliche Verschlimmerung der Unfallfolgen erst später bemerkbar geworden ist, der Anspruch binnen 3 Monaten nach diesem späteren Zeitpunkt angemeldet werden muß. Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, daß dieser spätere Zeitpunkt bereits in das Jahr 1969 fällt, in dem die Gesundheitsstörungen der rechten Hand des Klägers fachchirurgisch diagnostiziert und behandelt worden sind.
Die Geltendmachung des Anspruchsausschlusses ist auch nicht rechtsmißbräuchlich. Entscheidend ist vor allem, daß der Gesetzgeber des § 1546 RVO a.F. neben dem Rechtsinstitut der Verjährung des Anspruchs auf die einzelnen Leistungen eine besondere Anmeldefrist für erforderlich gehalten hat, deren Versäumung den Entschädigungsanspruch selbst materiell-rechtlich ausschließt. Die Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 23.6.1959 – 2 RU 121/54 – in BSGE 10, 88 mit weiteren Nachweisen) hat diese Vorschrift allerdings nach ihrem Zweck dahin ausgelegt, daß in einzelnen eindeutigen Fällen die Berufung auf den Fristablauf rechtsmißbräuchlich sein kann. An die Voraussetzungen für die Annahme eines solchen Rechtsmißbrauchs sind strenge Voraussetzungen zu stellen. § 1546 RVO a.F. soll den Versicherungsträger dagegen schützen, daß er Ansprüche befriedigen muß, deren Grundlagen infolge Zeitablaufs nur noch unvollständig aufgeklärt werden können. Es wird die Möglichkeit berücksichtigt, daß sich diese Ansprüche unter Umständen als unberechtigt erwiesen hätten, wenn die erforderlichen Ermittlungen in der ersten Zeit nach dem behaupteten Unfallereignis durchgeführt worden wären. Dagegen umfaßt der Zweck dieser Vorschrift nicht auch das Recht des Versicherungsträgers, die Geltendmachung offensichtlich berechtigter Ansprüche von vornherein unmöglich zu machen. Daraus folgt, daß nur dann, wenn die sachliche Berechtigung des verspätet geltend gemachten Anspruchs außer jedem vernünftigen Zweifel steht, die Berufung auf den Fristablauf rechtsmißbräuchlich sein kann.
Tatsächlich ist bereits die Grundvoraussetzung der Entschädigungsansprüche des Klägers, nämlich das Vorliegen eines Arbeitsunfalls (§ 548 RVO), selbst nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (Verwaltungsverfahren, 1. und 2. Rechtszug) nach, wie vor zweifelhaft. Obwohl das Vorliegen eines Arbeitsunfalls voll nachgewiesen sein muß, gibt es hierfür keinen Beweis durch unbeteiligte Augenzeugen oder sonstige Beweismittel. Der Unfallhergang ist bisher nur von dem Kläger selbst geschildert worden. Die Zeugen G. und H. kennen ihn nur von Berichten des Klägers und der von der Beigeladenen angebotene Zeuge Ga. kann sich nach seinen eigenen Erklärungen gegenüber der Beklagten an den Unfallhergang ebenfalls nicht mehr erinnern. Demgegenüber stehen die Tatsachen, daß der Unfall weder der Beklagten noch der zuständigen Krankenkasse als Arbeitsunfall gemeldet worden ist und auch der behandelnde Kassenarzt Dr. H. sich nicht veranlaßt gesehen hat, auf eine Meldung des Unfalls als Arbeitsunfall hinzuwirken. Schließlich ist das Gutachten der Röntgenologin R. – abgesehen von der Frage der Richtigkeit ihrer Schlußfolgerungen – in keiner Weise geeignet, den Zeitpunkt der Erstverletzung oder gar einen Arbeitsunfall zu beweisen. Danach bleibt der begründete Zweifel bestehen, daß sich der Kläger die Handverletzung nicht bei einem Arbeitsunfall während einer nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherten Tätigkeit zugezogen hat. Die Beklagte kann sich nach den von ihr angestellten umfangreichen Ermittlungen ohne Rechtsmißbrauch auf den Fristablauf des § 1546 RVO a.F. berufen. Die gerichtlichen Beweiserhebungen haben bestätigt, daß die Ermittlungen der Beklagten ausreichend gewesen sind.
Angesichts dessen war eine Vernehmung des von der Beigeladenen als Zeugen angebotenen W. Ga. nicht mehr geboten. Dieser ehemalige Arbeitskollege des Klägers hat selbst erklärt, er könne sich an den Unfallhergang nicht mehr erinnern. Der Kläger und die Beigeladene haben auch keine weiteren Tatsachen in das Wissen dieses Mannes gestellt, die einen Arbeitsunfall beweisen können. Der Senat stimmt mit dem Bundessozialgericht darin überein, daß es unter den Voraussetzungen des § 1546 RVO a.F. grundsätzlich nicht Aufgabe das Gerichts ist, erst durch umfangreiche Ermittlungen über die vom Versicherungsträger bestrittenen Anspruchsvoraussetzungen Beweis zu erheben und dann je nach dem Ergebnis der Beweiswürdigung den Anspruch für begründet und die Berufung auf den Ausschluß für mißbräuchlich oder den Anspruch für unbegründet und die Berufung auf den Ausschluß für berechtigt zu erklären (BSG, Urteil v. 23.6.1959 – 2 RU 21/54 a.a.O.).
Die Beklagte hat ihre Rechte aus § 1546 RVO a.F. auch nicht verwirkt. Sie hat sich seit ihrem angefochtenen Bescheid stets auf den Fristablauf berufen. Die Behauptung, der Vertreter der Beklagten habe sich in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 5. Mai 1975 nicht mehr auf § 1546 RVO a.F. berufen, vermag angesichts der vorausgegangenen Schriftsätze der Beklagten keine Verwirkung ihres Rechts zu begründen. Eine rechtswirksame förmliche Verzichtserklärung des Vertreters der Beklagten, die gemäß § 160 ZPO i.V.m. § 122 SGG in das Protokoll hätte aufgenommen werden müssen, haben weder die Beigeladene noch der Kläger behauptet. Eine solche Verzichtserklärung ist auch nicht zu Protokoll festgestellt worden.
II.
Ebenfalls zu Unrecht hat das SG die Beklagte zur Leistung an die Beigeladene verurteilt.
Die von der Beigeladenen nach dem Beiladungsabschluß des SG vom 23. Dezember 1974 in dem Rechtsstreit des Klägers gegen die Beklagte geltend gemachte eigenen Klageansprüche gegen die Beklagte sind unzulässig. § 75 SGG räumt einem Beigeladenen nicht das Recht ein, eigene Klageansprüche geltend zu machen. Zwar hat das SGG als Ausnahmevorschrift von den allgemeinen Prozeßregeln in § 75 Abs. 5 SGG die Möglichkeit eingeräumt, unter bestimmten Voraussetzungen einen Versicherungsträger oder ein Land, die nicht Beklagte sind, nach Beiladung zu verurteilen. Daraus läßt sich aber nicht in Erweiterung dieser Ausnahmevorschrift schließen, daß umgekehrt der Beigeladene als solcher – ohne eine prozeßrechtlich einwandfreie eigene Klageerhebung – berechtigt sein soll, einen eigenen Klageanspruch geltend zu machen (vgl. BSG, Urteil vom 11.7.1974 – 4 RJ 339/73).
Im übrigen ist – wie oben dargelegt – die Beklagte auch materiell-rechtlich nicht verpflichtet, das Ereignis am 28. März 1956 zu entschädigen.
Es waren daher das angefochtene Urteil in vollem Umfang aufzuheben und die Klagen des Klägers sowie der Beigeladenen abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision aus § 160 Abs. 2 SGG.
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