L 1 Kr 283/91

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 10 Kr 1567/89
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Kr 283/91
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) § 6 SGB V bestimmt den Kreis der versicherungsfreien Personen abschließend. Als Ausnahmevorschrift zu § 5 SGB V (Versicherungspflicht) ist diese Norm einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich.
2) Die Witwe eines Beamten ist nicht versicherungsfrei, soweit sie neben der Hinterbliebenenrente noch Arbeitsentgelt aus einer abhängigen Beschäftigung erzielt.
3) Die unterschiedliche Behandlung von Hinterbliebenen, die ihren Rentenanspruch nur von befreiten Personen gemäß § 6 SGB V ableiten und solchen, die daneben einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes.
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 29. November 1990 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Feststellung der Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung.

Die Klägerin ist als Angestellte versicherungspflichtig beschäftigt und bei der Beklagten krankenversichert. Seit August 1985 erhält sie daneben Versorgungsbezüge nach ihrem verstorbenen Ehemann.

Ihren am 23. August 1989 gestellten Antrag auf Feststellung der Versicherungsfreiheit ihrer abhängigen Beschäftigung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. September 1989 ab.

Hiergegen legte die Klägerin am 14. September 1989 Widerspruch ein. Sie habe als Witwe eines Beamten nach beamtenrechtlichen Grundsätzen im Krankheitsfall eine ausreichende Absicherung und sei deshalb ebenso versicherungsfrei wie der Beamte selbst.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. November 1989 zurück. Aufgrund der Beschäftigung als Sekretärin bestehe Versicherungspflicht in der Krankenversicherung. Ferner unterlägen die gezahlten Versorgungsbezüge der Beitragspflicht. Versicherungsfrei seien nur Beamte oder Pensionäre, die bei Krankheit Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge oder auf Beihilfe bzw. Heilfürsorge hätten. Der Gesetzgeber habe Hinterbliebene nicht in den Kreis der versicherungsfreien Personen aufgenommen, so daß diese bei Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung auch krankenversicherungspflichtig würden.

Mit ihrer am 11. Dezember 1989 beim Sozialgericht Darmstadt erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt.

Durch Urteil vom 29. November 1990 hat das Sozialgericht Darmstadt die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß die Gewährung von Witwenversorgung nach den gesetzlichen Bestimmungen kein Befreiungstatbestand für die daneben ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung sei. Kraft Gesetzes bestehe nur für Beamte selbst Versicherungsfreiheit. Diese könnten jetzt auch nicht mehr einer gesetzlichen Krankenversicherung beitreten. Wenn der Gesetzgeber auch die Hinterbliebenen eines Beamten von der Versicherungspflicht hätte befreien wollen, hätte dieser Wille im Gesetz Ausdruck finden müssen.

Gegen dieses dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 20. Februar 1991 zugestellte Urteil richtet sich die mit Schriftsatz vom 18. März 1991 – eingegangen beim Sozialgericht Darmstadt am 19. März 1991 – eingelegte Berufung, mit der sich die Klägerin unter Wiederholung ihres Rechtsstandpunktes gegen die getroffene Entscheidung des Sozialgerichtes wendet. Auch die Witwe eines Beamten müsse wie dieser von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung befreit sein, da beide "versorgungsrechtlich” gleichstünden. Eine enge Auslegung des Gesetzes unter Ausschluß der Hinterbliebenen verstieße deshalb gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 29. November 1990 sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. September 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. November 1989 aufzuheben und festzustellen, daß sie für ihre Beschäftigung als Angestellte wegen des Bezugs von Witwenversorgung nach dem Beamtenversorgungsgesetz in der Krankenversicherung versicherungsfrei ist.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Der Gesetzeswortlaut stehe einer erweiternden Auslegung hinsichtlich des Kreises der versicherungsfreien Personen entgegen. Eine unbeabsichtigte Gesetzeslücke liege nicht vor. Der Gesetzgeber habe ab 1. Januar 1989 die Versicherungsfreiheit der Beamten auch auf daneben ausgeübte Beschäftigungen ausgedehnt, um einem rechtsmißbräuchlichen Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung entgegenzuwirken. Diese Gefahr sei bei Hinterbliebenen nicht gesehen worden. Vielmehr seien eine Vielzahl Hinterbliebener, die erheblich niedrigere Bezüge als Beamte selbst erhielten, zur Vermeidung eines sozialen Abstiegs darauf angewiesen, neben der Rente auch eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen. Wenn der Gesetzgeber diesen Personenkreis deshalb für weiterhin schutzbedürftig gehalten habe, könne hierin keine willkürliche Ungleichbehandlung zu den Beamten oder Pensionären gesehen werden.

Hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die Berufung ist aber sachlich nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt ist zu Recht ergangen, denn die Klägerin unterliegt bei Ausübung ihrer Tätigkeit als angestellte Sekretärin auch der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) sind u.a. Beamte in der Krankenversicherung versicherungsfrei, wenn sie nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge und auf Beihilfe oder Heilfürsorge haben. Das gilt nach Nr. 6 der genannten Vorschrift u.a. für Beamte auch dann, wenn ihnen ein Anspruch auf Ruhegehalt oder ähnliche Bezüge nebst Beihilfeanspruch anerkannt ist.

Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Sie ist weder Beamtin noch gehört sie zu den im übrigen im Gesetz ausdrücklich genannten versicherungsfreien Personen. Hinterbliebene derselben erfaßt der eindeutige Gesetzeswortlaut nicht. Das ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Soweit die Klägerin als Witwe eines Polizisten aber eine Gleichstellung mit den befreiten Beamten im Wege einer erweiternden Gesetzesauslegung erstrebt, konnte diesem Begehren nicht Rechnung getragen werden. Über die im Gesetz vorgenommene abschließende und im Wortlaut klare Aufzählung der von der Versicherungspflicht befreiten Personen können sich Verwaltung und Gerichte nur dann hinwegsetzen, wenn das Gesetz eine unbewußte Lücke enthält, die im Wege der Rechtsfortbildung geschlossen werden müßte. Hierfür ergibt sich aber weder aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift noch aus den Gesetzesmaterialien ein Anhaltspunkt. Danach war mit der ab 1. Januar 1989 geltenden generellen Befreiung von Beamten bzw. Ruhestandsbeamten und ähnlichen Personen mit Anspruch auf Beihilfe/Heilfürsorge beabsichtigt, die Möglichkeit des Zugangs zur gesetzlichen Krankenversicherung über Nebenbeschäftigungen auszuschließen (so ausdrücklich jetzt geregelt in § 6 Abs. 3 SGB V; vgl. auch: Amtliche Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 11/2237, S. 160). In der Vergangenheit war hierdurch teilweise rechtsmißbräuchlich der Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung erlangt worden. Daß der Gesetzgeber diese Gefahr auch bei versorgungsberechtigten Angehörigen gesehen hat, ergibt sich – abgesehen vom Wortlaut des § 6 Abs. 1 SGB V – auch aus der neuen Regelung in § 6 Abs. 2 SGB V, die erst auf Empfehlung des Bundesrates (vgl. Beschlussempfehlung in: BT-Drucksache 11/3480, s. 49) Gesetz geworden ist. Danach sind auch als Rentner (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V) versicherungspflichtige Hinterbliebene u.a. von Beamten versicherungsfrei, wenn sie ihren Rentenanspruch nur aus der Versicherung dieser Personen ableiteten und bei Krankheit Anspruch auf Beihilfe haben. Der Gesetzgeber hat somit durchaus einen bestimmten Personenkreis Hinterbliebener gesehen, denen ebensowenig wie dem Beamten selbst ein Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung eröffnet werden soll. Voraussetzung für diesen Ausschluß ist aber, daß nur ein abgeleiteter Rentenanspruch aus der Versicherung der nach § 6 Abs. 1 SGB V befreiten Personen besteht. Insoweit korrespondiert § 6 Abs. 2 SGB V mit Abs. 1, so daß nicht dem Hinterbliebenen eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung ermöglicht wird, die dem verstorbenen Beamten und den anderen befreiten Personen verschlossen war. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers handelt es sich bei der Möglichkeit einer Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung um eine Vergünstigung, die bestimmten Personengruppen nicht gewährt werden soll. Hierzu gehört die Klägerin wegen der Ausübung einer eigenen versicherungspflichtigen Beschäftigung aber nicht und wird demgemäß auch nicht vom Ausschluß aus der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 6 Abs. 1–3 SGB V erfaßt. Sie bleibt auch nach dem 1. Januar 1989 wie bisher bei Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in der Krankenversicherung pflichtversichert (Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 6 SGB V Rdnr. 112; Schermer, Ersatzkasse 1989, 93, 94). Wenn somit weder Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Gesetzesgeschichte es gebieten, die Klägerin im Wege einer erweiternden Auslegung mit in den Kreis der versicherungsfreien Personen einzubeziehen, muß dieses Ergebnis hingenommen werden, auch wenn die Klägerin persönlich – abweichend von der Regel – die Entscheidung des Gesetzgebers für ihr Verbleiben in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht für richtig hält. Ein Verfassungsverstoß ist mit der unterschiedlichen Behandlung von Hinterbliebenen, die ausschließlich abgeleitete Versorgungsbezüge erhalten und Hinterbliebenen, die neben diesen Versorgungsbezügen entweder über eine eigene Rente verfügen oder – wie hier – einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, nicht zu begründen. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers den Kreis der versicherungspflichtigen und versicherungsfreien Personen zu bestimmen. Sein Gestaltungsermessen wird durch den Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nur insoweit beschränkt, als ihm verwehrt ist, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich oder wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln. Willkür liegt aber nicht schon dann vor, wenn der Gesetzgeber im konkreten Fall unter mehreren Lösungen nicht die vernünftigste, zweckmäßigste oder gerechteste gewählt hat, sondern nur dann, wenn sich ein sachlicher Grund für eine gesetzliche Bestimmung nicht finden läßt (vgl. hierzu BVerfGE 1, 14, 52; 4, 144, 155; 55, 114, 128). Vorliegend beruhen die unterschiedlichen Rechtsfolgen hinsichtlich der Versicherungspflicht und Versicherungsfreiheit offensichtlich auf unterschiedlichen Sachverhalten. Für den Gesetzgeber stand die mißbräuchliche Inanspruchnahme der gesetzlichen Krankenversicherung von Personen, die über eine anderweitige Sicherung im Krankheitsfall verfügen, im Vordergrund seiner Entscheidung. Bei Personen, die diesem Kreis angehören, aber selbst einer Beschäftigung nachgehen, die nach allgemeinen Vorschriften der Versicherungspflicht unterliegt, besteht diese Gefahr aber nicht, auch wenn sie daneben über einen abgeleiteten Rentenanspruch nach einer gemäß § 6 Abs. 1 SGB V befreiten Person verfügen. Es wäre im Gegenteil sogar sachwidrig, versicherungspflichtige Arbeitnehmer, die daneben Versorgungsbezüge erhalten, generell von der gesetzlichen Krankenversicherung auszuschließen. Hinsichtlich der ausgeübten Tätigkeit sind sie wie jeder andere Arbeitnehmer zu behandeln. Da somit sachliche Differenzierungsgründe für die getroffenen unterschiedlichen Regelungen bestehen, teilt der Senat die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin nicht. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht kam deshalb nicht in Betracht.

Auch eine Befreiung von der Krankenversicherungspflicht (§ 8 SGB V) ist vorliegend ausgeschlossen, da die Klägerin keinen der im Gesetz vorgesehenen Befreiungstatbestände erfüllt. Insgesamt mußte deshalb die Berufung der Klägerin erfolglos bleiben und zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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