L 1/8 Kr 1424/88

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 10 Kr 106/88
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1/8 Kr 1424/88
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Anspruch auf Mutterschaftsgeld besteht auch aus einem Arbeitsverhältnis, dessen Hauptpflichten wegen einer Beurlaubung nach § 50 Abs. 2 BAT ruhen.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 8. November 1988 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen Aufwendungen des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Mutterschaftsgeld.

Die 1954 geborene Klägerin ist seit 1. August 1971 Verwaltungsangestellte bei der Stadt K. Anläßlich der Geburt ihres ersten Kindes war sie vom 1. Juli 1984 bis 30. Juni 1987 beurlaubt. Im Anschluß daran nahm sie ihre Beschäftigung bei der Stadt K. ab 1. Juli 1987 wieder auf. Da die Klägerin zu diesem Zeitpunkt erneut schwanger war und der ärztlich bescheinigte Geburtstermin voraussichtlich am 25. September 1987 sein sollte, beendete die Klägerin mit Beginn der Mutterschutzfrist am 13. August 1987 ihre Arbeitstätigkeit.

Am 14. Juli 1987 beantragte die Klägerin bei der Beigeladenen die Bewilligung von Mutterschaftsgeld. Diese gab den Vorgang zuständigkeitshalber an die Beklagte weiter.

Mit Bescheid vom 24. September 1987 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die Klägerin tatsächlich nur vom 1. Juli 1987 bis 13. August 1987 Arbeitsleistungen erbracht habe. Nach den gesetzlichen Bestimmungen müsse aber neben dem Bestehen eines Arbeitsverhältnisses bei Beginn der Schutzfrist in der Zeit zwischen dem 10. und dem 4. Monat, einschließlich dieser Monate, vor der Entbindung für mindestens 12 Wochen Versicherungspflicht oder ein Arbeitsverhältnis bestanden haben. Diese Voraussetzungen lägen bei einem ruhenden Arbeitsverhältnis nicht vor, da für die Klägerin hieraus weder Rechte noch Pflichten bestanden hätten. Der Arbeitgeber sei nach Ablauf der Ruhenszeit nur zur Wiederbeschäftigung verpflichtet gewesen.

Hiergegen legte die Klägerin mit am 6. Oktober 1987 eingegangenem Schreiben Widerspruch ein, da es nach dem Wortlaut der gesetzlichen Anspruchsnorm nur auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, nicht aber darauf ankomme, ob dieses tatsächlich durch Arbeitsleistung ausgefüllt werde oder ruhe. Etwas anderes könne nur bei mißbräuchlicher Inanspruchnahme des Mutterschaftsgeldes gelten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 1988 zurück. Ausgehend vom Entbindungstag am 4. Oktober 1987 sei die Klägerin in der maßgeblichen Rahmenfrist vom 4. Dezember 1986 bis 3. Juli 1987 nicht krankenversicherungspflichtig gewesen und habe auch nicht in einem Arbeitsverhältnis im Sinne des § 200 RVO gestanden, da die gegenseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis für die Zeit der Beurlaubung suspendiert gewesen seien. Bei Einführung der gesetzlichen Bestimmung sei der Anspruch zum Schutz vor ungerechtfertigtem Bezug des hohen Mutterschaftsgeldes davon abhängig gemacht worden, daß zwischen dem 10. und dem 4. Monat vor der Entbindung in gewissem Umfang entweder ein Arbeitsverhältnis oder Versicherungspflicht in der Krankenversicherung bestanden habe. Die Aufnahme von Versicherungspflichtigen Beschäftigungen während der Schwangerschaft habe verhindert werden sollen. Das Bundessozialgericht habe in seinem Urteil vom 22. Februar 1982, Az. 3 RK 61/69 entschieden, daß nur ein Arbeitsverhältnis, das vom Beschäftigungsverbot des Mutterschutzgesetzes betroffen werden könne, einen Anspruch auf Mutterschaftsgeld begründen könne. Durch die Beurlaubung habe sich die Klägerin hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Absicherung so weit von ihrem Arbeitsverhältnis entfernt, daß sie zu dem Personenkreis gezählt werden müsse, der von vornherein vom Bezug des Mutterschaftsgeldes ausgeschlossen werden solle.

Auf die am 2. Februar 1988 beim Sozialgericht Kassel erhobene Klage hat das Sozialgericht die Beklagte durch Urteil vom 8. November 1988 verurteilt, der Klägerin Mutterschaftsgeld zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, daß das wegen der Beurlaubung ruhende Arbeitsverhältnis der Zahlung von Mutterschaftsgeld nicht entgegenstehe.

Gegen dieses der Beklagten am 29. November 1988 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil richtet sich die mit Schriftsatz vom 9. Dezember 1988 – eingegangen beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt am 19. Dezember 1988 – eingelegte Berufung, mit der die Beklagte die Aufhebung des Urteils und Abweisung der Klage begehrt. Zur Begründung wiederholt sie im wesentlichen ihren Vortrag aus dem Klageverfahren. Sie vertritt die Auffassung, daß ein Arbeitsverhältnis im Sinne des § 200 RVO nicht in dem gesetzlich erforderlichen Umfang bestanden habe. Das Sozialgericht habe sich allein an einem rein formalen Begriff des Arbeitsverhältnisses orientiert, ohne zu berücksichtigen, daß das Mutterschaftsgeld eine Entgeltersatzleistung sei. Wenn aber durch langjährige Beurlaubung eine Lösung von der Erwerbstätigkeit eingetreten sei, könne das Mutterschaftsgeld nicht mehr Ausgleich für den erlittenen Verdienstausfall sein. Die Versichertengemeinschaft habe Anspruch auf eine durchschaubare Wagniseinschätzung, die bei häufigen und längeren Unterbrechungen der beruflichen Tätigkeit nicht mehr gegeben sei. Deshalb werde im Bereich des Arbeitsrechts heute die Zeit der beruflichen Untätigkeit (z.B. nach den §§ 19, 20 BAT) nicht mehr als Dienst- und Beschäftigungszeit anerkannt. Im Tarifvertrag über die Absicherung eines Teiles eines 13. Monatsgehalts sei zwischen dem Verband metallindustrieller Arbeitgeberverbände Nordrhein-Westfalens e.V. und der IG Metall eine anteilige Kürzung der Sonderzahlung vereinbart worden.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 8. November 1988 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Sie bejaht den Anspruch der Klägerin auf Mutterschaftsgeld mit der Begründung, auch ein ruhendes Arbeitsverhältnis sei als Arbeitsverhältnis im Sinne des § 200 RVO zu werten. Zwar seien infolge der Beurlaubung die gegenseitigen Hauptpflichten der Vertragsparteien suspendiert. Dies ändere aber am Weiterbestehen des Arbeitsverhältnisses nichts. Mit den ab 1. Januar 1969 ins Gesetz eingeführten zeitlichen Voraussetzungen habe ein ungerechtfertigter Bezug von Mutterschaftsgeld, insbesondere durch die Aufnahme einer Versicherungspflichtigen Tätigkeit während der Schwangerschaft, verhindert werden sollen. Hier habe jedoch die Klägerin nach dreijähriger Beurlaubung wie vereinbart ihre Tätigkeit wieder aufgenommen. Eine Lösung aus dem Arbeitsverhältnis sei somit nicht erfolgt, so daß es auch gerechtfertigt sei, während des Beschäftigungsverbotes Mutterschaftsgeld als Ersatz für ausfallendes Arbeitsentgelt zu zahlen.

Hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten der Beklagten und der Beigeladenen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz –SGG–).

Die Berufung ist jedoch sachlich nicht begründet.

Das Urteil des Sozialgerichts Kassel ist im Ergebnis zu Recht ergangen, denn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Mutterschaftsgeld liegen – entgegen der Auffassung der Beklagten – vor. Auch ein infolge von Beurlaubung ruhendes Arbeitsverhältnis löst den Anspruch auf Zahlung von Mutterschaftsgeld aus.

Nach § 200 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) erhalten Versicherte, die bei Beginn der Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 des Mutterschutzgesetzes in einem Arbeitsverhältnis stehen oder in Heimarbeit beschäftigt sind oder deren Arbeitsverhältnis während ihrer Schwangerschaft vom Arbeitgeber zulässig aufgelöst worden ist, Mutterschaftsgeld. Voraussetzung ist, daß in der Zeit zwischen dem 10. und 4. Monat einschließlich dieser Monate vor der Entbindung ("Rahmenfrist”) für mindestens 12 Wochen Versicherungspflicht oder ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Diese Voraussetzungen sind hier in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gegeben. Bis zum Beginn der gesetzlichen Mutterschutzfrist 6 Wochen vor der erwarteten Geburt des Kindes am 14. August 1987 (vgl. § 3 Abs. 2 Mutterschutzgesetz –MuSchG–) arbeitete die Klägerin als Verwaltungsangestellte bei der Stadt K ... Durch die Wiederaufnahme der Beschäftigung am 1. Juli 1987 nach dem Ende einer Beurlaubung wegen der Geburt und Erziehung eines Kindes ab 1. Juli 1984 war sie auch bei der Beklagten pflichtversichert, die somit für den geltend gemachten Anspruch zuständiger Versicherungsträger ist (§ 13 Abs. 1 und 2 MuSchG). Zwar erfüllt die Klägerin nicht die genannte Vorversicherungszeit zwischen dem 10. und dem 4. Monat vor der Entbindung, denn sie war nur vom 1. Juli 1987 bis 13. August 1987 versicherungspflichtig beschäftigt. Nach dem Wortlaut des § 200 Abs. 1 RVO ist aber für die Erfüllung des Leistungsanspruchs auch das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses in diesem Zeitraum ausreichend. Beide Fallvarianten stehen somit – verbunden durch das Wort "oder” – selbständig nebeneinander.

Während § 200 Abs. 1 Satz 2 1. Fall RVO an das Bestehen der Versicherungspflicht in der Vorversicherungszeit anknüpft und die Erbringung tatsächlicher Arbeitsleistungen voraussetzt, läßt – hierzu im Gegensatz – der 2. Fall das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses in der Zeit zwischen dem 10. und 4. Monat vor der Entbindung ausreichen. Die Auslegung des Begriffs des Arbeitsverhältnisses richtet sich, wie schon der direkten Verweisung auf § 3 Abs. 2 MuSchG zu entnehmen ist, nach dem Mutterschaftsgesetz und damit nach dem Arbeitsrecht (Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, Bd. 2, Stand: 1/1986, § 200 RVO Anm. 3 c). Der Begriff des Arbeitsverhältnisses in § 200 RVO ist mit dem des § 1 MuSchG identisch (Krauskopf, Krankenversicherung, Stand: 5/1988, § 200 RVO, Anm. 1.4.). Hingegen ist der Begriff des "Beschäftigungsverhältnisses” wegen der typischerweise hieran anknüpfenden Sozialversicherungspflicht (z.B. in § 165 Abs. 2 RVO) bewußt nicht in das Gesetz übernommen worden, obwohl dies zunächst im Ausschuß für Sozialpolitik des Bundestages erwogen worden ist (Bulla/Buchner, Mutterschutzgesetz, 5. Aufl. 1981, § 1 Rdnr. 7; BSG SozR 7830 § 13 MuSchG Nr. 3 (S. 9); zur Abgrenzung von Arbeitsverhältnis und Beschäftigungsverhältnis: Gitter, Festschrift für Wannagat, S. 141 ff.). Danach ist unter einem Arbeitsverhältnis ein privatrechtliches, verträglich begründetes Dauerschuldverhältnis zu verstehen, das eine Arbeitnehmerin im Dienste eines anderen zur Leistung fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet (Bulla/Buchner, a.a.O., Rdnr. 9).

Zwischen der Klägerin und der Stadt Kassel besteht seit 1971 unstreitig ein Arbeitsverhältnis in diesem Sinne, dessen Hauptpflichten (Lohnzahlung und Arbeitsleistung) für die Zeit der Beurlaubung vom 1. Juli 1984 bis 30. Juni 1987 suspendiert waren. Sofern ein Vertragsverhältnis als solches aber rechtlich weiterbesteht, sind arbeitsrechtlich Unterbrechungen der Beschäftigung z.B. infolge Krankheit oder Urlaub und Beurlaubung unschädlich, selbst wenn sie von längerer Dauer sind (Bulla/Buchner, a.a.O., Rdnrn. 21, 32, 46; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, Stand: 3/1988, S. 412 g I; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Mutterschutzgesetz, 5. Aufl. 1986, § 13 Rdnr. 18; Schmatz/Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl. Stand: 5/1989 § 200 RVO S. 307, 314). Dieser Rechtsauffassung folgen im Ergebnis auch die Spitzenverbände der Krankenkassen (Besprechungsergebnis vom 14. Dezember 1987, in: DOK 1988, S. 241; Volbers, SdL 1988, S. 459). Dabei ist es nach Auffassung des Senats unerheblich, ob der Anspruch während eines noch nicht beendeten Erziehungsurlaubs oder während der Zeit einer Beurlaubung nach dem BAT entsteht, denn in beiden Fällen hat mangels Beschäftigungsverhältnisses eine Versicherungspflicht während der Vorversicherungszeit nicht bestanden. Nur bei einer so verstandenen arbeitsrechtlichen Auslegung des Begriffs "Arbeitsverhältnis” ergibt auch der im Gesetzestext sprachlich zum Ausdruck gebrachte Gegensatz zwischen beiden Fallvarianten ("Versicherungspflicht oder Arbeitsverhältnis”) einen Sinn. Bei der von der Beklagten vertretenen Auslegung des Arbeitsverhältnisses im Sinne eines Beschäftigungsverhältnisses liefe hingegen die 2. Variante leer und wäre überflüssig. Wenn Versicherungspflicht besteht, besteht zumindest auch ein faktisches Arbeitsverhältnis. Schließlich können auch solche Arbeitnehmerinnen, deren Arbeitsentgelt aus dem Arbeitsverhältnis über der Versicherungspflichtgrenze liegt, nicht mit der 2. Alternative des § 200 Abs. 1 RVO gemeint sein, denn ihr Anspruch auf Mutterschaftsgeld folgt nicht aus der RVO, sondern aus § 13 Abs. 2 MuSchG.

Der mit der Gewährung von Mutterschaftsgeld verfolgten gesetzlichen Zweckbestimmung widerspricht es nicht, ein durch Beurlaubung ruhendes Arbeitsverhältnis in den gesetzlichen Schutzbereich mit einzubeziehen. Eine enge Auslegung des Begriffs im Sinne eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ist nicht geboten.

Der Gesetzgeber wollte mit der Einfügung der Vorversicherungszeit den Schutz vor ungerechtfertigtem Bezug von Mutterschaftsgeld, z.B. durch Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung während der Schwangerschaft, sicherstellen (Bulla/Buchner, a.a.O., § 13 Rdnr. 44; BT – Drucks. IV/3652, S. 9). Eine rechtsmißbräuchliche Inanspruchnahme von Mutterschaftsgeld ist aber gerade im Falle einer zeitlich beschränkten Beurlaubung zum Zwecke der Kindererziehung nicht feststellbar, weil die Klägerin durch ihre Vereinbarung mit dem Arbeitgeber deutlich gemacht hat, daß sie gerade nicht aus dem Arbeitsleben ausscheiden, sondern nur zeitlich beschränkt mit der Erbringung von Arbeitsleistungen aussetzen wollte. Ihren Fortsetzungswillen hat sie durch Wiederaufnahme der Arbeit nach dem vereinbarten Ende der Beurlaubung bewiesen. Auch in einem solchen Fall ist die Betroffene aber ebenso schutzwürdig wie eine Arbeitnehmerin, die tatsächlich in der Zeit zwischen dem 10. und 4. Monat vor der Entbindung gearbeitet hat. Auch die in der Zeit vor Beginn der Mutter Schutzfrist überwiegend beurlaubte Mutter erleidet nämlich – wie die Klägerin – einen durch Mutterschaftsgeld auszugleichenden Verdienstausfall, da sie wegen der Beschäftigungsverbote des Mutterschutzgesetzes nicht wie ursprünglich geplant arbeiten und Entgelt verdienen kann. Daß die Klägerin für die Zeit der Beurlaubung freiwillig auf Arbeitsverdienst verzichtet hat, kann ihr nicht zum Nachteil gereichen, denn sie ist tatsächlich zum vereinbarten Termin an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt und war sodann wegen der Mutterschutzfristen an der weiteren Ausübung einer entgeltlichen Tätigkeit gehindert. Das in diesem Zusammenhang von der Beklagten herangezogene Urteil des Bundessozialgerichts vom 22. Februar 1972 (3 RK 61/69 zur beschränkten Anwendbarkeit des § 200 RVO auf Arbeitsverhältnisse im Inland) ergibt nichts Gegenteiliges und ist ebenso wie die bisher veröffentlichten Entscheidungen des Bundessozialgerichts zu § 200 RVO für die Entscheidung dieses Rechtsstreits nicht einschlägig.

Die vermehrt auftretenden Arbeitsunterbrechungen zur Betreuung und Erziehung von Kindern sind Ergebnis eines gesellschaftlichen Wandels, dem auch der Gesetzgeber durch Einführung des Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz vom 6. Dezember 1985, BGBl. I, S. 2154) Rechnung getragen hat. Wenn der Gesetzgeber deswegen ein verändertes Verständnis des "Arbeitsverhältnisses” im Sinne des § 200 RVO gewollt hätte, hätte es nahegelegen, dies anläßlich der in den letzten Jahren erfolgten Neuregelungen deutlich zu machen und ausdrücklich anzuordnen. Daß er dies jedoch unterlassen hat, belegt, daß Frauen wie die Klägerin noch dem Arbeitsleben als Arbeitnehmerin angehören und den umfassenden Schutz des Mutterschutzgesetzes und des § 200 RVO auch bei einem ruhenden Arbeitsverhältnis genießen. Der Senat vermag sich dem Einwand der Beklagten, daß durch Zeiten der Arbeitsunterbrechung und anschließendem Mutterschaftsgeldbezug eine solide und durchschaubare Wagniseinschätzung für die Beitragszahler verhindert werde, nicht anzuschließen. Sie muß in ihrer wirtschaftlichen Kalkulation damit rechnen, daß bei einem fortgesetzten Arbeitsverhältnis Ansprüche nach § 200 RVO entstehen können. Dieses Versicherungsrisiko, tritt auch nicht plötzlich ein, sondern kann angesichts der zeitlich beschränkten Möglichkeiten der Arbeitsunterbrechung in die Planung mit einbezogen werden.

Die von der Beklagten zur Begründung ihrer Auffassung herangezogenen Bestimmungen für den Fall der Beurlaubung in Tarifverträgen sind für die Auslegung des § 200 Abs. 1 RVO ungeeignet. Sie belegen nur, daß auch die Tarifvertragsparteien den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung tragen und Regelungen für Zeiten der Arbeitsunterbrechung treffen. Die genannte tarifvertragliche Regelung über die anteilige Kürzung einer gewährten Sonderzahlung bestätigt im Gegenteil, daß trotz suspendierter Hauptpflichten die aus dem Arbeitsverhältnis sich ergebenden Fürsorge und Treuepflichten weiterbestehen und deshalb grundsätzlich auch beurlaubte Arbeitnehmer Anspruch auf betriebliche Sonderzahlungen – abgesehen von Anwesenheitsprämien – haben können (hierzu: Wiegand, Kommentar zum Bundeserziehungsgeldgesetz, § 15 Rdnr. 9).

Da weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung eine Versagung von Mutterschaftsgeld an die Klägerin rechtfertigen, mußte die Berufung der Beklagten erfolglos bleiben und zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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