L 1 Kg 1005/79

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 6 Kg 1/79
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 Kg 1005/79
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine Einarbeitungszeit von etwa 6 Wochen für die Tätigkeit in einer bestimmten Firma (hier Flugbegleiterin) erfüllt nicht die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 2 BKGG bezüglich des Vorliegens einer Berufsausbildung.
2. § 9 Abs. 1 BKGG kann im Falle des § 2 Abs. 4 a BKGG insoweit keine Anwendung finden, als sich der Ausschlußtatbestand des § 2 Abs. 4 a BKGG auf den gesamten Monat, in dem auch nur teilweise eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde oder die Verfügbarkeit in dem maßgeblichen Umfange weggefallen ist, bezieht.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 13. Juli 1979 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Auf die Klage wird der Bescheid vom 10. Oktober 1979 aufgehoben.

III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zur Hälfte zu erstatten.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Kindergeld für die Monate Juli und August 1978.

Der Kläger bezog für seine am 29. November 1956 geborene Tochter B. im Februar 1978 und sodann für den Monat Juli 1978 Kindergeld gemäß § 2 Abs. 4 a Bundeskindergeldgesetz – BKGG –. Die Tochter B. hatte in der Zeit von März bis Juli 1978 eine Aushilfsbeschäftigung beim Finanzamt ausgeübt und vom 14. August 1978 an eine Ausbildung als Flugbegleiterin bei der D. L. durchlaufen; hierfür erhielt sie eine sogenannte Ausbildungsbeihilfe in Höhe von 324,– DM brutto für den Monat August 1978. Den Antrag des Klägers, auch für seine Tochter B. Kindergeld für den Monat August 1978 zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6. November 1978 mit der Begründung ab, die Ausbildung als Flugbegleiterin stelle keine die Gewährung von Kindergeld begründende Ausbildung im Sinne des Bundeskindergeldgesetzes dar. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 1978 zurück.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 5. Januar 1979 Klage erhoben. Er hat vorgetragen, für die Ausbildung sei ausdrücklich Ausbildungsbeihilfe gezahlt worden, die den Betrag von 750,– DM monatlich gemäß § 2 Abs. 2 BKGG nicht überstiegen habe.

Das Sozialgericht Darmstadt hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger Kindergeld für die Tochter B. für den Monat August 1978 zu gewähren. Die Berufung hat es zugelassen. Zur Begründung hat es angeführt, es könne dahinstehen, ob eine Berufsausbildung gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 BKGG vorliege, da das Tatbestandsmerkmal der Erwerbstätigkeit und das der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehen gemäß § 2 Abs. 4 a BKGG erst seit dem 14. August 1978 erfüllt worden sei.

Hätten damit die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld bis zum 13. August 1978 vorgelegen, so müsse für den gesamten Monat August 1978 Kindergeld gewährt werden.

Gegen dieses der Beklagten am 9. August 1979 zugestellte Urteil richtet sich ihre mit Schriftsatz vom 31. August 1979, eingegangen beim Hessischen Landessozialgericht am 5. September 1979, eingelegte Berufung.

Mit dem während des Berufungsverfahrens erteilten Bescheid vom 10. Oktober 1979 entzog die Beklagte das Kindergeld gemäß § 22 BKGG für den Monat Juli 1978 und forderte den Betrag von 80,– DM gemäß § 13 Nr. 1 BKGG zurück. Zur Begründung führte sie an, nach den von der Beklagten durchgeführten Ermittlungen habe das Kind B. in der Zeit vom 1. Juli bis 13. August 1978 sich zwecks Sprachstudien in England aufgehalten; die Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit gemäß § 2 Abs. 4 a BKGG habe deshalb im Monat Juli 1978 nicht vorgelegen.

Die Beklagte führt zur Begründung der Berufung an, die Vorschrift des § 9 Abs. 1 BKGG, wonach das Kindergeld vom Beginn des Monats an gewährt werde, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien – gegebenenfalls auch nur an einem Tag des Monats –, sei vorliegend nicht anwendbar. Eine Erwerbstätigkeit gemäß § 2 Abs. 4 BKGG liege nur dann nicht vor, wenn im Kalendermonat eine Tätigkeit gegen Entgelt an keinem Tage oder nur in unwesentlichem Umfange ausgeübt werde. Diese bedeute, daß einerseits unter Ausklammerung der Vorschrift des § 9 Abs. 1 BKGG jeweils auf den Zeitraum von einem Monat abgestellt werden müsse, um feststellen zu können, ob eine Erwerbstätigkeit vorliege, und andererseits unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit eine objektiv feststellbare Grenze zwischen unwesentlichem und wesentlichem Umfang einer Erwerbstätigkeit festgelegt werden müsse. Dem entspreche die Verwaltungspraxis der Beklagten, wenn davon ausgegangen werde, daß nur derjenige Erwerbstätiger im Sinne dieser Vorschrift sei, der mehr als neun Tage oder 63 Stunden monatlich einer Beschäftigung gegen Entgelt nachgehe. Sei demnach die Tochter B. im August 1978 an mehr als neun Tagen erwerbstätig gewesen, habe der Kläger insoweit keinen Anspruch auf Kindergeld. Im übrigen habe die Tochter B. im gesamten Monat August wie auch im Monat Juli der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden, da sie sich in England zwecks Sprachstudien aufgehalten habe.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 13. Juli 1979 aufzuheben und die Klage abzuweisen, auch soweit sie sich gegen den Bescheid vom 10. Oktober 1979 richtet.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und den Bescheid vom 10. Oktober 1979 aufzuheben.

Er ist der Auffassung, die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld seien auch für den Monat August 1978 erfüllt, als seine Tochter B. in der Zeit vom 1. bis 13. August 1978 der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden habe; an einem Intensivsprachkurs habe seine Tochter nur in der Zeit vom 31. Juli bis 10. August 1978 teilgenommen. Die Teilnahme sei dem Arbeitsamt B. mitgeteilt worden. Die am 14. August 1978 aufgenommene Beschäftigung bei der D. L. AG stelle eine Ausbildung dar, da sie der Vorbereitung ihres späteren Berufs gedient habe. Dem entspreche auch, daß sie als Entlohnung "Ausbildungsbeihilfe” erhalten habe.

Gleichfalls sei die Aufhebung der Gewährung von Kindergeld wie die Rückforderung von Leistungen für den Monat Juli 1978 nicht rechtens, da seine Tochter B. im Juli 1978 der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden habe. Im übrigen enthalte der Bescheid vom 10. Oktober 1979 zahlreiche Fehler; so sei etwa die Entziehung für den Monat Juli 1978 – und nicht wie angegeben Juli 1979 – gewollt. Die Zeit der Abwesenheit seiner Tochter wegen des Sprachstudiums erstrecke sich nicht auf den Zeitraum vom 1. Juli bis 13. August 1978, sondern allein auf den Zeitraum vom 31. Juli bis 10. August 1978, wie eine Bescheinigung des Veranstalters belege.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Akteninhalt, insbesondere auf den der Kindergeldakten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie durch Zulassung statthaft (§§ 151, 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –).

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet; das Urteil war aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit Gegenstand des Rechtsstreits die Gewährung von Kindergeld für den Monat August 1978 war.

Die Gewährung von Kindergeld für die Tochter B. kann nicht auf eine "Berufsausbildung” im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 BKGG gestützt werden. Danach werden Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, nur berücksichtigt, wenn sie sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden. Der Begriff der Berufsausbildung wird im Bundeskindergeldgesetz nicht näher geregelt. Berufsausbildung ist die Ausbildung für eine später gegen Entgelt auszuübende Berufstätigkeit. Dahinstehen kann, ob durch den Begriff der Berufsausbildung nur die anerkannten Ausbildungsberufe gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 5 des Ausbildungsplatzförderungsgesetzes vom 7. September 1976 (BGBl. I S. 2658) erfaßt werden sollten. Denn jedenfalls setzt eine Ausbildung voraus, daß sie dem Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten für einen in der Zukunft gegen Entgelt auszuübenden Beruf dient und die Zeit und Arbeitskraft des Auszubildenden überwiegend in Anspruch nimmt. Insoweit haben die Ermittlungen ergeben, daß es sich lediglich um eine Anlernzeit von etwa sechs Wochen handelte, die allein der Aufnahme einer Beschäftigung bei der D. L. AG und keiner Berufsausbildung diente; bestätigt wird dies durch den Unterrichtsplan des von der Tochter des Klägers besuchten Flugbegleitergrundlehrgangs der D. L. AG. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, daß die D. L. AG der Tochter des Klägers "Ausbildungsbeihilfe” gewährte. Vielmehr handelt es sich um eine Anlerntätigkeit, die anschließend vereinbarungsgemäß in ein normales Beschäftigungsverhältnis überging.

Weitergehende Ansprüche kann der Kläger auch nicht aus der Regelung des § 2 Abs. 4 a BKGG herleiten. Kinder, die das 18., aber noch nicht das 23. Lebensjahr vollendet haben, werden danach bei der Kindergeldgewährung auch berücksichtigt, wenn sie u.a. nicht erwerbstätig sind und weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe beziehen und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen. Danach kann die Tochter B. bei der Kindergeldgewährung nicht berücksichtigt werden. Denn sie war während des Monats August 1978 ab 14. August 1978 erwerbstätig und befand sich zudem bis zum 10. August 1978 zur Vorbereitung ihrer Ausbildung als Flugbegleiterin im Ausland. In welchem Umfange eine Erwerbstätigkeit, die der Kindergeldgewährung nicht entgegensteht, ausgeübt werden kann und inwieweit der Verwaltungsregelung der Beklagten, wonach als maßgebliche Grenze eine Beschäftigung von neun Tagen anzunehmen ist, zu folgen ist, kann vorliegend dahinstehen. Während des überwiegenden Teils des Monats August 1978 übte die Tochter B. jedenfalls eine Erwerbstätigkeit – Anlernzeit – aus und stand zudem zusätzlich zehn Tage der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung.

Für die Verfügbarkeit gemäß § 103 Abs. 1 AFG reicht es nicht aus, allein beim Arbeitsamt – noch – als Arbeitsuchender gemeldet zu sein; der Arbeitsvermittlung steht nämlich nur zur Verfügung, wer eine zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausfüllen kann und darf sowie bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann und darf (§ 103 Abs. 1 AFG i.d.F. vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845). Damit wurden während des Monats August 1978 nur während drei Tagen die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld erfüllt, als nur während dieser Zeit keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde und Verfügbarkeit gegeben war. In diesem Falle ist jedoch der Anspruch auf Kindergeld gemäß § 2 Abs. 4 a BKGG ausgeschlossen.

Weitergehende Rechte kann der Kläger auch nicht aus der Regelung des § 9 Abs. 1 BKGG herleiten; danach wird das Kindergeld vom Beginn des Monats an gewährt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Aus dieser Vorschrift wird allgemein abgeleitet, daß die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Kindergeld jeweils nur an einem Tag eines Monate erfüllt sein müssen, um den Anspruch für den gesamten Monat zu begründen. Diese Regelung kann jedoch nicht im Falle des § 2 Abs. 4 a BKGG Anwendung finden. Ist der Anspruch auf Kindergeld gemäß § 2 Abs. 4 a BKGG ausgeschlossen, so bezieht sich der Ausschlußtatbestand auf den gesamten Monat, in dem auch nur teilweise eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde oder die Verfügbarkeit in dem maßgeblichen Umfange weggefallen ist. Würde diese Auslegung nicht befolgt, wäre es ohne weiteres möglich, die Vorschrift des § 2 Abs. 4 a BKGG insoweit zu umgehen, als jeweils an einem Tag eines Monats eine Erwerbstätigkeit nicht ausgeübt würde und an diesem Tage Verfügbarkeit gegeben wäre. Insoweit ist es unzulässig, nur allein auf die Tage der Erwerbstätigkeit bzw. fehlenden Verfügbarkeit abzustellen. Da die Anspruchsvoraussetzungen jedoch während des gesamten Monats August 1978 für die Gewährung von Kindergeld nicht gegeben waren, kann auch kein Anspruch aus § 9 Abs. 1 BKGG hergeleitet werden.

Soweit der Bescheid vom 10. Oktober 1979 streitbefangen ist, war dieser auf die Klage hin aufzuheben. Der Bescheid ist Gegenstand des anhängigen Rechtsstreits geworden (§§ 153, 96 SGG). Der Bescheid vom 10. Oktober 1979 ist zur Regelung desselben Dauerschuldverhältnisses ergangen, das auch der angefochtene Bescheid und Widerspruchsbescheid regelt; er steht zudem im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Kindergeldanspruch für den Monat August 1978, als eine Regelung über den Anspruch des Vormonats getroffen wird. Dahinstehen kann, inwieweit die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld tatsächlich für den Monat Juli 1978 weggefallen sind und die Beklagte deshalb berechtigt war, das Kindergeld gemäß § 22 BKGG zu entziehen und gemäß § 13 Nr. 1 BKGG zurückzufordern. Denn der Bescheid verstößt bereits gegen die Regeln der Anhörung Beteiligter vor Erlaß eines Verwaltungsaktes gemäß § 34 SGB I. Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Eine derartige Äußerungsmöglichkeit hat die Beklagte dem Kläger vor Erlaß des Bescheides nicht eingeräumt; sie hat nicht einmal zu erkennen gegeben, einen Bescheid des getroffenen Inhalts zu erlassen. Eine während des Klageverfahrens unterbliebene Anhörung ist in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat anschließt, auch nicht nachholbar (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juli 1977 – 2 RU 31/77BSGE 44, S. 207; Urteil vom 9. März 1978 – 2 RU 105/77 –).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision hat der Senat zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat.
Rechtskraft
Aus
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