L 5 V 494/70

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 494/70
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Berechnung des Durchschnittseinkommens nach dem Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 9 des Bundesbesoldungsgesetzes setzt bei Landwirten voraus, daß die Meisterprüfung infolge der Schädigungsfolgen abgelegt werden konnte. Zum Nachweis der Wahrscheinlichkeit eines entsprechenden Leistungswillens ist zumindest ein auf die Ablegung der Meisterprüfung gerichteter Versuch erforderlich.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 5. Dezember 1969 insoweit aufgehoben, als dem Kläger Berufsschadensausgleich entsprechend einer Einstufung in die Besoldungsgruppe A 9 anstatt A 7 BBesG zugesprochen worden ist.

Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

Tatbestand:

Der 1926 geborene Kläger ist von Beruf Landwirt. Am 29. Januar 1957 verurteilte das Sozialgericht Fulda den Beklagten zur Zahlung einer Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v.H. wegen Verlustes des linken Oberarmes unter Berücksichtigung des Berufes des Klägers ab 1. November 1954.

Am 25. Mai 1965 beantragte der Kläger die Gewährung von Berufsschadensausgleich. Hierzu gab er an, er habe nach dem Besuch der Volksschule bei seinem Vater, welcher Landwirtschaftsmeister gewesen sei, von 1940 bis 1942 den Landwirtsberuf erlernt und die entsprechende Prüfung abgelegt. Sodann habe er im Winter 1942/43 die landwirtschaftliche Fachschule besucht. An der Teilnahme deren 2. Semesters sei er durch seine Einberufung verhindert worden, ferner später durch seine Schädigungsfolgen an dem von ihm angestrebten Berufsziel des Landwirtschaftsmeisters. Im übrigen habe er von 1946 bis 1960 in der Landwirtschaft seines Vaters mitgearbeitet und sei seit 1960 selbständiger Landwirt. Mit Bescheid vom 9. Mai 1966 lehnte der Beklagte die Gewährung von Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG i.d.F. des 2. Neuordnungsgesetzes (NOG) ab, weil der Kläger einen Einkommensverlust, welcher die erfolgte Rentenerhöhung nach § 30 Abs. 2 BVG von 70 v.H. auf 80 v.H. übersteige, nicht nachgewiesen habe. Dem hiergegen eingelegten Widerspruch, mit welchem der Kläger seine Einstufung als Landwirtschaftsmeister nach Besoldungsgruppe A 9 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) begehrte, half der Beklagte mit Bescheid vom 14. November 1966 nicht ab. Aufgrund von Gutachten des Neurologen Dr. Elster und des Chirurgen Dr. Weissmann vom 2. November 1967 erhöhte der Beklagte mit Bescheid vom 8. Januar 1968 die Rente des Klägers nach § 62 Abs. 1 BVG ab 1. Februar 1967 unter Berücksichtigung des Landwirtsberufs auf 90 v.H. und bezeichnete dabei die Schädigungsfolgen nunmehr als "Oberarmverlust links und Stumpfneurom”.

Mit der Klage, welche sich gegen die Bescheide vom 9. Mai und 14. November 1966 richtete, begehrte der Kläger weiterhin die Gewährung von Berufsschadensausgleich unter Einstufung als Landwirtschaftsmeister. Ein Einkommensverlust in Höhe von über 75,– DM monatlich sei bei ihm als oberarmamputierter Landwirt offenkundig, zumal er ohne die Schädigungsfolgen wie sein Vater das Berufsziel des Landwirtschaftsmeisters erreicht haben würde. Mit Urteil vom 5. Dezember 1969 verurteilte das Sozialgericht Fulda den Beklagten zur Zahlung von Berufsschadensausgleich nach Besoldungsgruppe A 9 BBesG. Der Sinn der abgeschlossenen landwirtschaftlichen Lehre des Klägers sei die weitere Ausbildung zum Landwirtschaftsmeister gewesen. Ggf. hätte er dann durch Ausbildung und Beschäftigung von Lehrlingen rationeller wirtschaften können, was jedoch durch die Schädigungsfolgen verhindert worden sei.

Gegen dieses ihm am 21. Mai 1970 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 5. Juni 1970 Berufung eingelegt. Mit ihr hat er den Ausbildungsgang des Landwirtschaftsmeisters geschildert, wozu der Kläger noch das zweite Semester der Landwirtschaftsschule und eine dreijährige Arbeitsgemeinschaft bei dieser Schule zu absolvieren gehabt hätte. Hieran sei er nicht durch seine Schädigungsfolgen gehindert gewesen. Nach einer amtlichen Auskunft werde die Meisterprüfung von selbständigen Landwirten relativ selten abgelegt.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 5. Dezember 1969 insoweit aufzuheben, als Berufsschadensausgleich entsprechend einer Einstufung in die Besoldungsgruppe A 9 BBesG anstatt A 7 zugesprochen worden ist.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er macht geltend, für ihn seien die zusätzlichen Belastungen einer Meisterausbildung neben seinen Schädigungsfolgen nicht tragbar gewesen. Da er die Ausbildung bereits begonnen gehabt habe, sei auch deren Abschluß ohne Eintritt der Schädigungsfolgen hinreichend wahrscheinlich. An seiner restlichen Ausbildung sei er durch mehrere Umstände verhindert gewesen, so vor allem durch die mit der Leistung von Hand- und Spanndiensten verbundene Flurbereinigung von 1954 bis 1960 sowie bezüglich des Besuchs des zweiten Semesters der Landwirtschaftsschule durch die Verkehrsverhältnisse in der Nachkriegszeit, wobei er auch unter winterlichen Witterungsbedingungen jeden Morgen einen 15 km entfernten Bahnhof hätte erreichen müssen, um mit der Bahn zur Landwirtschaftsschule zu fahren.

Der Senat hat eine Auskunft des Landwirtschaftsamts Lauterbach vom 17. Mai 1972 und die "Bestimmungen über die praktische Ausbildung zum Landwirt 1953” beigezogen sowie in der mündlichen Verhandlung vom 29. Mai 1972 den Kläger angehört.

Auf das Ergebnis dieser Anhörung sowie auf den weiteren Inhalt der Gerichts- und Versorgungsakten, welcher zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde, wird im einzelnen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten, ist zulässig; sie ist insbesondere nach § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegt und nach § 143 SGG statthaft.

Die Berufung ist auch begründet. Streitig ist nunmehr nur noch, ob das Sozialgericht den Beklagten zu Recht verurteilt hat, bei der Berechnung des dem Kläger zu gewährenden Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG als Durchschnittseinkommen von dem Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 9 statt A 7 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) auszugehen; nur insoweit hat der Beklagte das vorinstanzliche Urteil angefochten.

Insofern vermag der Senat der Auffassung des Sozialgerichts nicht beizupflichten, der Kläger sei durch seine Schädigungsfolgen an der weiteren Ausbildung zum Landwirtschaftsmeister gehindert worden und deshalb nach § 5 Abs. 1 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG in die Besoldungsgruppe A 9 BBesG einzustufen. Das Sozialgericht hat sich zur Begründung seiner entsprechenden Meinung nur auf die allgemeine Redewendung beschränkt, dem Kläger seien für diese Ausbildung durch "die erlittenen Schädigungen unübersteigbare Schwierigkeiten errichtet” worden. Irgendwelche konkreten Umstände, die eine solche echte schädigungsbedingte Verhinderung darstellen könnten, hat aber weder das Sozialgericht angegeben, noch sind sie in ausreichendem zeitlichen und sachlichen Umfang ersichtlich.

Nachdem der Kläger schon früher die Landwirtschaftsgehilfenprüfung abgelegt und die Unterklasse der Landwirtschaftsschule besucht hatte, hätte er trotz des Armverlustes nach wieder eingetretener Normalisierung der Verkehrsverhältnisse, soweit dies für ihn überhaupt erforderlich war, noch die Oberklasse dieser Schule absolvieren können. Er hätte, wenn er gewollt hätte, zumindest den zumutbaren Versuch unternehmen können, die Meisterqualifikation zu erlangen. Ein solcher ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats sogar grundsätzlich erforderlich, um den Leistungs- und Ausbildungswillen im Sinne des § 30 Abs. 4 BVG sowie des § 2 der dazu ergangenen Durchführungsverordnungen zu dokumentieren. Er wäre hier umso notwendiger gewesen, als nach der Auskunft des Landwirtschaftsamts Lauterbach zwischen 1952 bis 1962 im dortigen Kreis nur ein ganz geringer Teil der selbständigen Landwirte – nämlich nur 33 Landwirte – die Meisterprüfung abgelegt hat. Durch eine Altersgrenze wäre der Kläger hieran sicher nicht gehindert gewesen und hat dies auch nicht behauptet; den elterlichen Hof hatte er bis 1960 noch nicht übernommen. Auch die jahreszeitlich durch Witterungseinflüsse zeitweise erschwerten Verkehrsbedingungen hätten damals für den Kläger als linksseitig Armamputierten im Vergleich zu einem Gesunden keine echte Verhinderung am Schulbesuch bedeutet, wenn man dabei noch berücksichtigt, daß er auch zeitweise am Schulort hätte wohnen können und die Entfernung von seinem Wohnort Salz zu dem nächsten Bahnhof Wettges nur ca. 3 bis 4 km betrug (vgl. z.B. Ravenstein Bezirkskarte 106 Hessen). Daß der Kläger seinerzeit sogar noch neben der Leistung von Hand- und Spanndiensten zu zusätzlichen Anstrengungen durchaus imstande war, ergibt sich auch daraus, daß er nach seinen eigenen Angaben vor dem Senat von 1954 bis 1960 abwechselnd mit einem anderen Landwirt die Milch von Salz nach Unterreichenbach gefahren hat.

Gleiches gilt im Ergebnis für die der Meisterprüfung vorausgehende Teilnahme an der dreijährigen Arbeitsgemeinschaft der Landwirtschaftsschule. Auch an der Teilnahme an diesem Ausbildungsabschnitt wäre der Kläger jedenfalls nicht durch seinen linksseitigen Armverlust gehindert gewesen, da es sich hierbei neben dem Besuch von drei Lehrgängen im wesentlichen nur um eintägige Schulungen im Abstand von 4 bis 6 Wochen handelte, wie der Kläger nicht bestreitet. Somit liegen im übrigen auch die Voraussetzungen des Rundschreibens des Bundesministers für Arbeit vom 30. September 1968 (abgedruckt bei Thannheiser-Wende-Zech, Teil V, Seite 1309) offensichtlich nicht vor.

Nach alledem war der Berufung des Beklagten, wie geschehen, stattzugeben, ohne daß es noch einer weiteren Sachaufklärung bedurft hätte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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