L 3 U 655/79

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 280/77
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 655/79
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Tätigkeit eines Zahnarztes bringt regelmäßig keine solche dauernde einseitige und extreme Belastung der Hohlhände mit sich, daß sie mit Wahrscheinlichkeit als die Ursache für ein Carpaltunnelsyndrom darstellt.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 12. März 1979 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Entschädigung eines Carpaltunnelsyndroms rechts als Folge einer Berufskrankheit (BX).

Der im Jahre 1900 geborene Kläger zeigte der Beklagten am 6. August 1976 formlos und am 16. September 1976 mit der ärztlichen Anzeige über eine BK förmlich an, daß er seit Dezember 1970 Beschwerden an der rechten Hand habe und es sich um ein Carpaltunnelsyndrom handele. Dieses habe er sich aufgrund seiner Tätigkeit in seiner zahnärztlichen Praxis seit 1923 zugezogen. Es handele sich um eine Drucklähmung des Nervus medianus rechts bzw. um eine Erkrankung des Sehnengleitgewebes, so daß eine BK nach den Nummern 23 und 43 der Anlage 1 der 7. Berufskrankheiten-Verordnung – BKVO – vom 20. Juni 1968 (BGBl. I, 721) vorliege. Außerdem legte der Kläger den Arztbrief des Oberarztes Dr. M. (Psychiatrische und Neurologische Universitätsklinik ) an Chefarzt Dr. M. (Rheumaklinik ) vom 22. Dezember 1970 und dessen ärztliche Bescheinigung vom 16. Dezember 1970 sowie einen röntgenfachärztlichen Bericht des Dr. B. vom 5. März 1975 vor. In diesen ist u.a. auf degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule hingewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf diese Bescheinigungen Bezug genommen. Auch in einem Krankheitsbericht vom 4. Oktober 1976 teilte der Internist Dr. S. (Bad ) mit, daß der Kläger bei der erstmaligen Untersuchung am 19. Juli 1976 unter einer starken Einschränkung der Kopfdrehbewegungen nach beiden Seiten gelitten habe. Die Gewerbeärztin im Hessischen Sozialministerium folgerte am 25. Mai 1977, daß bei dem Kläger das ganze Krankheitsbild eher für ein konstitutionelles Leiden als für eine beruflich erworbene Erkrankung spreche. Die Beklagte holte außerdem den Facharztbericht des Prof. Dr. M. vom 10. August 1977 und das Zusammenhangsgutachten des Handchirurgen Dr. H. (Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik ) vom 30. September 1977 ein. Auch Prof. Dr. M. teilte mit, daß seit 1963 röntgenologisch deutliche degenerative Veränderungen der gesamten Wirbelsäule nachzuweisen seien und der Kläger bereits 1959 über ischialgieforme Schmerzen in den Händen geklagt habe. Dr. H. wartete in seinem Gutachten die operative Spaltung des Carpaltunnels rechts in der BGUK am 12. Juli 1977 aus und wies daraufhin, daß eine deutliche Einengung des Mittelnerven gefunden worden sei. Es habe ein Schwellungszustand des Sehnengleitgewebes bestanden, dessen Ursache polyarthritischer oder rheumatischer Natur sei bzw. auch auf einer unspezifischen Synovitis sogenannter idiopathischer Art beruhen könne. Der Schwellungszustand des Sehnengleitgewebes des Nervus medianus unter dem queren Hohlhandband könne nicht auf die zahnärztliche Tätigkeit zurückgeführt werden, da dieser Nerv gegen Druckeinflüsse von außen gut geschützt sei. Demgegenüber seien erhebliche degenerative Veränderungen im Sinne einer Spondylose an der Halswirbelsäule und dem ersten Brustwirbel festzustellen. Diese erklärten die Nervenreizerscheinungen auch bis ins Wurzelgebiet der peripheren Nerven. Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit dem Bescheid vom 25. November 1977 die Gewährung einer Entschädigung ab, da keine BK vorliege.

Gegen diesen an mit Einschreiben am gleichen Tage abgesandten Bescheid hat der Kläger bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main – SG – am 6. Dezember 1977 Klage erhoben und geltend gemacht, daß das Carpaltunnelsyndrom rechts als Berufskrankheit zu entschädigen sei. Das SG hat mit Urteil vom 12. März 1979 die Klage im wesentlichen aus den Gründen des angefochtenen Bescheides abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.

Gegen dieses am 12. Mai 1979 zugestellte Urteil hat der Kläger durch seinen früheren Prozeßbevollmächtigten bei dem Hessischen Landessozialgericht schriftlich am 1. Juni 1979 Klage erhoben und sein bisheriges Vorbringen wiederholt.

Der zum Termin zur mündlichen Verhandlung geladene, aber ausgebliebene Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 12. März 1979 sowie den Bescheid vom 25. November 1977 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen eines Carpaltunnelsyndroms an beiden Händen als Berufskrankheit seit dem 16. Dezember 1970 Verletztenrente nach einer von dem Gericht noch festzustellenden MdE zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den Bescheid nach wie vor für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungs- und Streitakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden. Er ist auf diese Möglichkeit in der ordnungsmäßig erfolgten Ladung hingewiesen worden (§ 110 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Auch war eine weitere Sachaufklärung, insbesondere durch seine mündliche Anhörung vor dem Senat, nicht erforderlich, so daß auch die Anordnung des persönlichen Erscheinens (§ 111 Abs. 1 SGG) unterbleiben konnte.

Die statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und daher zulässig (§§ 143, 145, 151 SGG).

Sie ist jedoch unbegründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil konnte nicht aufgehoben werden, da das SG diese im Ergebnis zu Recht abgewiesen hat. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Entschädigung wegen einer auf einem Arbeitsunfall beruhenden Gesundheitsstörung oder einer RK (§§ 548, 551 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung – RVO – in Verbindung mit der 7. BKVO).

Zunächst ist aufgrund der von der Beklagten im Verwaltungsverfahren getroffenen medizinischen Feststellungen und dem Vorbringen des Klägers erwiesen, daß dieser unter einem Carpaltunnelsyndrom rechts leidet. Diese Diagnose ist bereits im Dezember 1970 in der Psychiatrischen und Neurologischen Universitätsklinik gestellt worden, wie der Arztbrief des Oberarztes dieser Klinik Dr. M. vom 22. Dezember 1970 an Prof. Dr. M. ergibt. Hiervon gehen die Beteiligten übereinstimmend aus. Diese Erkrankung steht aber weder in ursächlichem Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall, d.h. einem plötzlichen, körperlich schädigenden Ereignis längstens während einer Arbeitsschicht, noch mit einer beruflich bedingten Erkrankung, die wie ein Arbeitsunfall entschädigt werden könnte. Jedenfalls ist insoweit kein ursächlicher Zusammenhang wahrscheinlich. Nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung ist dies nur dann der Fall, wenn bei vernünftiger Abwägung alle für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, daß die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht zu bleiben haben (vgl. BSG, SozR Nr. 20 zu § 542 RVO a.F.; Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 17 zu § 548 RVO).

Der Kläger, der seit 1923 ununterbrochen eine zahnärztliche Praxis bis zu ihrer Aufgabe am 5. August 1976 führte, behauptet kein Arbeitsunfallereignis als Ursache des Carpaltunnelsyndroms. Ein solches ist auch sonst nicht ersichtlich.

Es liegt aber auch keine BK vor. Da die Erkrankung im Dezember 1970 auftrat und festgestellt wurde, ist vorliegend die am 1. Juli 1968 in Kraft getretene 7. BKVO anzuwenden. Hiernach kommen als entschädigungsfähige BK’en die Nummern 23 und 43 der Anlage 1 zu dieser RKVO in Betracht. Nach Nr. 23 werden Drucklähmungen der Nerven als BK entschädigt. Diese werden hauptsächlich durch von außen kommenden anhaltenden oder wiederholt auftretenden Druck verursacht. Auch ständig gleichartige Körperbewegungen können infolge von Überdehnung Drucklähmungen von Nerven hervorrufen, die z.B. in Knochenrinnen, über vorspringende Knochenteile, unter kreuzenden Venen u.ä. verlaufen. Betroffen sind vorwiegend relativ oberflächlich verlaufende motorische Nerven, wozu auch der Nervus medianus gehört. Insoweit muß es sich um Arbeiten mit Druck von Werkzeugen oder ähnlichem gegen die Hohlhand handeln. Drucklähmungen der Nerven sind vorwiegend degenerative (Schädigungen und häufig aufgrund individueller Disposition bzw. konstitutionaler Faktoren verursacht (vgl. das Merkblatt zu Nr. 23 der Anl. 1 zur 7. BKVO, herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in Koetzing/Linthe, Die Berufskrankheiten, 2. Aufl., S. 175 ff.). Mit zutreffenden Erwägungen hat der Handchirurg Dr. in seinem Gutachten vom 30. September 1977, das entgegen der Auffassung des SG unter Verwertung des Operationsbefundes vom 12. Juli 1977 erstattet ist, ausgeführt, daß der ursächliche Zusammenhang des Carpaltunnelsyndroms mit der beruflichen Tätigkeit nicht wahrscheinlich ist. Überwiegende medizinische Gründe sprechen dagegen. In Übereinstimmung mit der Gewerbeärztin Dr. W. hat Dr. H. ausgeführt, daß die Ursache des gefundenen Schwellungszustandes des Sehnengleitgewebes polyarthritischer bzw. rheumatischer Natur ist, wie die Vorgeschichte und die sonst erhobenen klinischen und röntgenologischen Befunde ergeben. Bereits seit 1959 klagte der Kläger über ischialgieforme Beschwerden in den Händen, wie der Bericht des Prof. Dr. M. vom 10. August 1977 ergibt. Dieser sowie die Berichte des Oberarztes Dr. M. und des Dr. B., aber auch das Gutachten des Dr. H. ergeben außerdem, daß der Kläger unter deutlichen spondylotischen degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule leidet. Diese führen zu peripheren Nervenreizungen und erklären das Anschwellen des Sehnennervengleitgewebes. Dem steht gegenüber, daß der Mittelnerv (Nervus medianus) unter dem queren Hohlhandband gegen Druckeinflüsse gut geschützt ist und die Tätigkeit eines Zahnarztes nicht eine ständige einseitige und extreme Belastung der Hohlhand hervorruft (vgl. auch Wagner/Zerlett, Berufskrankheiten, 6. Aufl., Stand August 1979, unter Hinweis auf LSG München vom 23.11.1978, L-S/U – 374/75, zu Nr. 2106 S. 4).

Es liegt aber auch nicht eine BK nach Nr. 43 der Anlage 1 zur 7. BKVO vor. Danach werden Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen oder Muskelsätze, die zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jedweder Erwerbsarbeit gezwungen haben, entschädigt. Nach den hierzu von dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen medizinischen Merkblättern (Kostzing/Linthe a.a.O. S. 231 ff.) können diese Erkrankungen durch einseitige, langandauernde mechanische Beanspruchungen und ungewohnte Arbeiten aller Art bei fehlender oder gestörter Anpassung entstehen. Es handelt sich hierbei u.a. um Periostosen an Sehnenansätzen, bei denen sich ein umschriebener Druckschmerz an dem Muskelursprung bzw. Knochenansatzpunkt sowie eine Infiltration im Bereich des betroffenen Epikondylus und ein Spontanschmerz im erkrankten Gebiet findet. Auch hier gelten die oben zu Nr. 23 der Anlage 1 der 7. BKVO dargelegten Erwägungen für die Verneinung des ursächlichen Zusammenhangs. Es fehlt an einer entsprechenden, extremen, einseitigen Belastung der rechten Hohlhand, wie von Dr. H. nachgewiesen ist. Auch hier stehen dem gegenüber die bestehenden deutlichen Halswirbelsäulendegenerationen. Eine andere Beurteilung rechtfertigt auch nicht das Vorbringen des Klägers in den zuletzt noch eingereichten Schriftsätzen vom 29. und 31. Januar 1980.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 193, 160 SGG.
Rechtskraft
Aus
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