Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S4/3 U 294/77
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 1337/80
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Versicherungsschutz für die Rückreise von der Familienwohnung zur Unterkunft am Ort der Tätigkeit entfällt nicht deshalb, weil sie aus privaten Gründen verspätet angetreten worden ist. Ob dem Unternehmer deswegen ein Recht zur fristlosen Kündigung zusteht, ist rechtlich unerheblich.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. September 1980 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger sind die Witwe und die in den Jahren 1962 bis 1976 geborenen Kinder des am 26. Juli 1975 verstorbenen M. T. (T.). Mit der Beklagten streiten sie um die Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der im Jahre 1942 geborene T. war türkischer Staatsangehöriger und arbeitete seit dem 26. Juli 1973 bei der Deutschen Bundesbahn (DB) als Rangierarbeiter, zuletzt bei dem Bahnhof in S ... Dort bewohnte er in einem Bundesbahnwohnheim mit anderen Ausländern ein Mehrbettzimmer. Außerdem war er in S. unter der Anschrift dieses Wohnheimes polizeilich gemeldet. Vom 7. Juni bis zum 19. Juli 1975 hatte T. Urlaub. Die Arbeit sollte er am Montag, dem 21. Juli 1975 wieder aufnehmen. Unter dem 3. März 1977 zeigte die Dienststelle des T. der Beklagten förmlich an, daß dieser auf dem Wege aus seiner türkischen Heimat nach S. in Bulgarien bei einem Verkehrsunfall am 26. Juli 1975 tödlich verunglückt sei. Die Beklagte zog die Unterlagen der Deutschen Eisenbahn Versicherung Sach- und HUK-Versicherungsverein a.G. – DEVK – über die Feststellungen der bulgarischen Polizei bei, wonach nicht T. sondern der ebenfalls tödlich verunglückte M. (M.) der Fahrer war. Auch M. war bei dem Bahnhof S. beschäftigt und hatte ebenfalls Urlaub bis zum 19. Juli 1975 gehabt.
Mit dem an die Klägerin zu 1) adressierten Bescheid vom 2. September 1977 lehnte die Beklagte die Entschädigung des tödlichen Unfalls von T. als Wegeunfall ab, da dieser sich im Unfall Zeitpunkt nicht auf einem versicherten Weg von der Familienwohnung zum Arbeitsort befunden habe. Die Rückfahrt sei von T. aus unbekannten Gründen verspätet angetreten worden, da er nach dem Urlaub bereits am 21. Juli 1975 zum Dienstbeginn hätte erscheinen müssen, aber ausgeblieben sei.
Wegen dieser Verspätung sei der Zusammenhang mit dem versicherten Unternehmen gelöst. Den Bescheid, in dem die Rechtsmittelbelehrung u.a. dahin erteilt worden ist, daß binnen drei Monaten nach der Zustellung Klage erhoben werden könne, sandte die Beklagte am 9. September 1977 an das Türkische Generalkonsulat in Nürnberg sowie in Durchschrift an die Deutsch-Türkische Verbindungsstelle der Berufsgenossenschaft Textil und Bekleidung in Augsburg. Am 7. Dezember 1977 hat das Türkische Generalkonsulat in Nürnberg bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, daß der verspätete Antritt der Rückfahrt von der Familienwohnung in der Türkei zum Arbeitsort auch wegen der großen Entfernung für den Versicherungsschutz unschädlich gewesen sei. Mit Urteil vom 10. September 1980 hat das SG den angefochtenen Bescheid aufgehoben und unter Zulassung der Berufung die Beklagte verurteilt, den Klägern die gesetzlichen Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Die Unfallfahrt habe der unmittelbaren Arbeitsaufnahme bei bestehendem Arbeitsverhältnis dienen sollen, so daß der betriebliche Zusammenhang gegeben gewesen sei. Anhaltspunkte für einen eigenwirtschaftlichen Charakter der Fahrt ergäben sich nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das sozialgerichtliche Urteil verwiesen. Gegen dieses ihr am 22. Oktober 1980 zugestellte Urteil hat die Beklagte schriftlich am 13. November 1980 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt.
Es sind im Berufungsverfahren als Zeugen der Bruder der Klägerin zu 1) A. T. und der Vetter des M. R. M. vernommen worden. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Anlagen zur Sitzungsniederschrift vom 11. März 1981 verwiesen.
Die Beklagte bezieht sich zu ihrer Begründung auf den angefochtenen Bescheid und bringt ergänzend vor: Sie bestreite nicht, daß die Unfallfahrt im Grunde vom Familienwohnort zum Beschäftigungsort als Ziel geführt habe. Der genehmigte Urlaub sei aber am Unfalltag aus privaten Gründen bereits um 7 Tage überschritten gewesen. Auch die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren habe dazu nichts ergeben. Hinderungsgründe seien nicht erkennbar. T. habe gegen die Arbeitsordnung verstoßen. Dieser Verstoß habe u.a. mit fristloser Entlassung geahndet werden können.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. September 1980 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte entscheiden, obwohl die Kläger weder im Termin zur mündlichen Verhandlung anwesend noch vertreten waren. Sie sind in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung darauf hingewiesen worden (§ 110 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Es steht auch nicht der Umstand entgegen, daß in der Ladung keine Beweisaufnahme angekündigt war, eine solche aber erfolgte. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) ist deswegen nicht verletzt, weil der Senat nach erfolgter Beweisaufnahme nicht zu Ungunsten der Kläger entschieden, sondern das angefochtene sozialgerichtliche Urteil bestätigt und damit keine Überraschungsentscheidung getroffen hat (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Anm. 8 zu § 62 SGG mit weiteren Nachweisen).
Zunächst war der Urteilseingang zu berichtigen. Bezüglich der am 15. Mai 1962 geborenen Klägerin zu 2) war zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 7. Dezember 1977 nach § 36 Sozialgesetzbuch – 1. Buch (SGB 1) Handlungsfähigkeit gegeben, so daß für diese die Klägerin zu 1) die Klage nur als deren Prozeßbevollmächtigte erheben konnte (§§ 71 Abs. 2, 73 Abs. 1 und 2 SGG). Dagegen werden die Kläger zu 3) bis 7) als weder handlungsfähige noch volljährige Personen (vgl. Rundschr. des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften in VB 188/79 nebst Anlage) von der Klägerin zu 1) gesetzlich vertreten.
Das Türkische Generalkonsulat ist auch befugt, die Kläger im Berufungsverfahren zu vertreten (Art. 47 a des Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. April 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 13. September 1965 – BGBl. II S. 1169 – i.d.F. des Gesetzes vom 3. Januar 1972 – BGBl. II S. 1 –). Ferner ist entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG nicht die DB passiv legitimiert. Beklagte Partei ist vielmehr die Bundesrepublik Deutschland, da die DB ein Unternehmen des Bundes ist (§ 653 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung – RVO –). Vertreten wird die Bundesrepublik Deutschland durch die eigene nach § 766 Abs. 1 RVO gebildete Bundesbahnausführungsbehörde für Unfallversicherung (vgl. Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 2 und 3 zu § 658 RVO und Anm. 4 und 5 zu § 766 RVO unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 9. August 1973 – 2 RU – 5/72 – in E 36, 111).
Die auch bezüglich der nicht berufungsfähigen Hinterbliebenenleistungen (§ 589 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 RVO i.Verb.m. § 144 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG) nach Zulassung der Berufung durch das SG insgesamt zulässige Berufung ist außerdem frist- und formgerecht eingelegt (§§ 150 Nr. 1, 151 SGG).
Sie ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klageerhebung durch das Türkische Generalkonsulat als zulässig angesehen, da dieses dazu als berufskonsularische Behörde berechtigt ist (Art. 47 a a.a.O.). Die bei dem SG am 7. Dezember 1977 eingegangene Klage ist auch rechtzeitig erhoben. Es kann offenbleiben, ob der angefochtene Bescheid, den Klägern überhaupt und zu welchem Zeitpunkt zugestellt worden ist. Die Frist für die Klageerhebung beträgt bei Inlandszustellung einen Monat und bei Auslandszustellung drei Monate (§ 87 Abs. 1 SGG). Die sich aus den Akten der Beklagten (Bl. 31) ergebende Absendung der, Bescheides am 9. September 1977 an das Türkische Generalkonsulat stellt keine wirksame Zustellung an die Kläger dar, da das Türkische Generalkonsulat kein Zustellungsbevollmächtigter im Sinne von § 8 des Verwaltungszustellungsgesetzes des Bundes ist. Dies folgt auch nicht aus Art. 47 a a.a.O., da diese Vorschrift dem Generalkonsulat lediglich u.a. die Befugnis zur Rechtsmitteleinlegung einräumt. Letztlich kann dies auf sich beruhen, da, wollte man eine Zustellungsbevollmächtigung unterstellen, die Beklagte eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat und daher eine Frist von einem Jahr gelten würde (§ 66 Abs. 2 SGG). Für den Fall der Zustellung im Ausland, und zwar an die Kläger direkt mittels Einschreiben mit Rückschein (Art. 47 a.a.O.) oder über die Deutsch-Türkische Verbindungsstelle ist die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung anzunehmen, da der Bescheid frühestens am 9. September 1977 abgesandt worden ist, die Klage aber binnen der Frist von drei Monaten (§ 87 Abs. 1 Satz 2 SGG) am 7. Dezember 1977 bei dem SG einging.
Der auch sonst statthaften Klage hat das SG mit zutreffenden Erwägungen stattgegeben. Die Kläger haben Anspruch auf die Hinterbliebenenleistungen nach ihrem Ehemann und Vater T., da dieser am 26. Juli 1975 bei einem Arbeitsunfall tödlich verunglückte (§§ 589 Abs. 1, 590, 591, 595, 550 Abs. 3 RVO). Er befand sich zur Unfallzeit auf einem versicherten Weg von der Familienwohnung in der Türkei zum Ort der Tätigkeit in.
Zunächst steht zur Überzeugung des Senats nach den Ermittlungen der Beklagten im Verwaltungs- und Streitverfahren sowie dem glaubhaften Vorbringen der Kläger und dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren fest, daß T. im Unfallzeitpunkt seine Familienwohnung bei seiner Familie, den Klägern, in der Türkei hatte. Die ständige Familienwohnung eines Versicherten liegt dort, wo sich der Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse befindet. Das ist bei einem verheirateten Versicherten in aller Regel der Wohnort seiner Familie (vgl. statt vieler: Lauterbach, a.a.O., Anm. 23 a zu § 550 RVO m.w.Nachw.). Das ist hier der Ort C., Dorf B. K. in dem die Kläger bis auf den Kläger zu 7) am Unfalltag lebten, wie sich aus den Angaben der Deutsch-Türkischen Verbindungsstelle mit Standesregisterauszug sowie der Bescheinigung der Gemeindeverwaltung von B. K. ergibt, die unter dem 18. April 1977 der Beklagten übersandt worden sind. Daraus ist auch ersichtlich, daß T. seine Ehefrau und die gemeinsamen minderjährigen ehelichen Kinder während der Urlaubszeit dort regelmäßig besuchte, wie auch der Zeuge T. bekundete. Dies folgt nicht zuletzt daraus, daß T. dort auch die eheliche Gemeinschaft vollzog. Veranschaulicht wird dies insbesondere durch die Geburt des gemeinsamen und ehelichen Kindes Y. am 14. März 1976, dem Kläger zu 7). Demgegenüber bewohnte T. am Ort der Tätigkeit in S. lediglich eine Unterkunft. Ihm stand in einem Wohnheim der DB nur ein Mehrbettzimmer, das von Ausländern bewohnt wurde, zur Verfügung. Er besaß keine eigene, besonders eingerichtete Wohnung, die auf die Verlegung des Lebensmittelpunktes von der Türkei nach Deutschland schließen lassen könnte. Auch hatte er keine sonstigen Maßnahmen getroffen, die einen solchen Schluß zuließen. Dafür fehlt es an jeglichem Anhaltspunkt. Vielmehr war nach den obigen Feststellungen die innere Verbundenheit mit der Familienwohnung nicht aufgehoben, sondern beibehalten worden. Dies wird von der Beklagten auch nicht angezweifelt.
Ferner ist nach dem Gang des Verwaltungsverfahrens sowie dem Ergebnis der Beweisaufnahme erwiesen, daß T. sich auf der Unfallfahrt als Beifahrer in seinem, von M. gefahrenen Pkw auf dem direkten Weg von der Familienwohnung zum Ort der Tätigkeit in S. befand und dieser der Arbeitsaufnahme dienen sollte. Gegenteilige Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich und werden auch von der Beklagten nicht behauptet. T. stand in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis bei der DB. Sein Urlaub war bereits abgelaufen, da er schon am 21. Juli 1975 mit dem Dienst hätte beginnen sollen. Auch hiervon gehen die Beteiligten übereinstimmend aus. Die Beklagte hat dies im Berufungsverfahren ausdrücklich bestätigt. Sie nimmt lediglich eine Lösung vom versicherten Unternehmen deswegen an, weil T. mit der verspätet angetretenen Rückreise zum Dienstantritt arbeitsvertragliche Pflichten mißachtet habe und die DB daher berechtigt gewesen wäre, ihm fristlos zu kündigen. Damit kann sie jedoch keinen Erfolg haben.
Zwar ist es zutreffend, daß in aller Regel Hin- und Rückwege das gleiche rechtliche Schicksal teilen (vgl. Lauterbach, a.a.O., Anm. 29 zu § 550 RVO). Auch hat das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt entschieden, daß für Fahrten von und nach der Familienwohnung die gleichen Grundsätze gelten, wie sie für sonstige Wege nach und von der Arbeitsstätte entwickelt worden sind. Allerdings gestattet es die Sonderregelung des § 550 Abs. 3 RVO, an den Zeitpunkt der Heimfahrt weniger strenge Anforderungen zu stellen, da es diese Vorschrift ermöglicht, rechtlich die dem persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Beweggründe für die Fahrt weitgehend unberücksichtigt zu lassen, insbesondere wenn es sich – wie hier – um eine weite Entfernung zwischen Unterkunft und dem Ort der Familienwohnung handelt (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 1977 – 8 RU – 34/77 – in SGb 1978, S. 122 mit zustimmender Anm. von Podzun; Urteil vom 9. März 1978 – 2 RU 25/76 – in Rundschr. des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften in VB 81/78 mit jeweils weiteren Nachw. sowie Lauterbach, a.a.O., Anm. 29 zu § 550 RVO). Vorliegend handelt es sich nicht um eine solche Fallgestaltung, bei der die Unterbrechung der angetretenen Fahrt zum Ort der Beschäftigung von der Familienwohnung aus rechtlich von Bedeutung sein könnte. Nach den oben getroffenen und von der Beklagten nicht in Abrede gestellten Feststellungen ist von T. der Weg nach S. direkt von der Familienwohnung angetreten worden. Es ergeben sich auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß sich die Rückreise als eine andere, nämlich eigenwirtschaftliche und mit dem versicherten Unternehmen nicht in rechtlich wesentlichem Zusammenhang stehende Betätigung als von der Familienwohnung darstellt. Das kann insbesondere nicht aus dem Umstand entnommen werden, daß H., wie der Zeuge M. bekundete, noch in Istanbul bei Verwandten für einen Tag hat rasten wollen. Es kann offenbleiben, ob M. seine Verwandten Zusammen mit T. aufsuchte und die Rückfahrt zum Ort der Tätigkeit unterbrach. Diese Unterbrechung führte nicht zur Lösung vom versicherten Unternehmen, da sie – auch im Hinblick auf die Länge des Weges (vgl. die Entfernungsangaben in Meyers Großem Weltatlas, 2. Auflage 1974, S. 75) – als zeitlich geringfügig anzusehen ist. Die von der Familienwohnung verspätet angetretene Rückreise nach S. war vielmehr allein zu dem Zweck begonnen worden, am Ort der Beschäftigung die Arbeit wieder aufzunehmen. Mit zutreffenden Erwägungen hat das SG darauf hingewiesen, daß der in der Verspätung liegende Verstoß gegen die Arbeitsordnung und arbeitsvertraglichen Pflichten für die Frage des Versicherungsschutzes rechtlich ohne Belang ist. Gemäß § 553 RVO haben Hinterbliebene dann keinen Anspruch, wenn der Verletzte den Arbeitsunfall absichtlich verursacht hat. Eine solche Fallgestaltung liegt hier offensichtlich nicht vor. Das gleiche gilt im Hinblick auf § 554 RVO, wonach Leistungen bei einem Arbeitsunfall bei strafbarer Handlung unter gewissen Voraussetzungen versagt, werden können. Der Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten erfüllt weder die Voraussetzungen des § 553 RVO noch des § 554 RVO. Nach den polizeilichen Ermittlungen in Bulgarien ergibt sich auf Grund des Berichts des Allgemeinen Versicherungs-, Unfall und Schadenbearbeitungsbüros J. P. KG vom 8. Februar 1977, daß das Unfallfahrzeug des T. mit fahruntauglichen Reifen ausgerüstet war und hierauf der Unfall zurückzuführen ist. Ferner folgt aus dem Bericht, daß der Fahrer M. nach einem Blutalkoholtest eine Blutalkoholkonzentration von 0,42 Promille hatte. Wegen dieser Umstände kann der Unfallversicherungsschutz nicht versagt werden, wie das SG mit ebenfalls zutreffenden Erwägungen dargetan hat. Beide Umstände sind unter der von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsfigur der sog. selbstgeschaffenen Gefahrenlage zu würdigen. Danach ist der innere betriebliche Zusammenhang dann nicht mehr gegeben, wenn eine solche selbstgeschaffene Gefahr vorliegt und diese die allein rechtlich wesentliche Unfallursache gewesen ist. Nach der Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil vom 11. Dezember 1973 – 2 RU 30/73 – in SozR Nr. 46 zu § 539 EVO), der sich der Senat wiederholt angeschlossen hat (Hess. LSG, Urteil vom 23. Mai 1979 – L 3/U – 108/78 – und 5. November 1980 – L 3/U – 1133/78 –) ist der Begriff der selbstgeschaffenen Gefahr eng auszulegen und nur mit größter Vorsicht anzuwenden. Es kommt darauf an, ob der selbstgeschaffene Gefahrenkreis noch wesentlich der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist und ob trotz der selbstgeschaffenen Gefahr die versicherte Tätigkeit eine wesentliche Bedingung des Unfalls geblieben ist oder ob die selbstgeschaffene Gefahr in so hohem Maße vernunftwidrig war, daß die versicherte Tätigkeit nicht mehr als wesentliche Bedingung für den Unfall anzusehen ist (vgl. Lauterbach, a.a.O., Anm. 52 zu § 548 RVO und Anm. 18 c zu § 550 RVO mit jeweils zahlreichen weiteren Nachw.). Dem SG ist darin zuzustimmen, wenn es ausführt, daß das Fahren mit einem abgenutzten Reifen im allgemeinen nicht dazu führt, daß er platzt und auch zu einem derart schweren Verkehrsunfall führt. Im Vordergrund steht aber, daß T. die Fahrt in seinem Pkw, den M. zur Unfallzeit fuhr, aufgenommen hatte, um die Arbeitsstelle zu erreichen. Anhaltspunkte dafür, daß bei M. infolge der festgestellten Blutalkoholkonzentration von 0,42 Promille Verkehrsuntüchtigkeit vorgelegen hat und dieser Umstand die allein rechtlich wesentliche Unfallursache gewesen ist, ergeben sich nicht, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt der Versicherungsschutz nicht wegen einer besonderen selbstgeschaffenen Gefahrenlage versagt werden kann.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind (§ 160 Abs. 2 SGG). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, da der Senat bei seiner Entscheidung lediglich die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung allgemein anerkannten und hergebrachten Grundsätze zum Versicherungsschutz auf den Wegen zum Ort der Tätigkeit angewandt hat. Er ist, soweit ersichtlich, auch nicht von einer Entscheidung des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abgewichen.
II. Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger sind die Witwe und die in den Jahren 1962 bis 1976 geborenen Kinder des am 26. Juli 1975 verstorbenen M. T. (T.). Mit der Beklagten streiten sie um die Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der im Jahre 1942 geborene T. war türkischer Staatsangehöriger und arbeitete seit dem 26. Juli 1973 bei der Deutschen Bundesbahn (DB) als Rangierarbeiter, zuletzt bei dem Bahnhof in S ... Dort bewohnte er in einem Bundesbahnwohnheim mit anderen Ausländern ein Mehrbettzimmer. Außerdem war er in S. unter der Anschrift dieses Wohnheimes polizeilich gemeldet. Vom 7. Juni bis zum 19. Juli 1975 hatte T. Urlaub. Die Arbeit sollte er am Montag, dem 21. Juli 1975 wieder aufnehmen. Unter dem 3. März 1977 zeigte die Dienststelle des T. der Beklagten förmlich an, daß dieser auf dem Wege aus seiner türkischen Heimat nach S. in Bulgarien bei einem Verkehrsunfall am 26. Juli 1975 tödlich verunglückt sei. Die Beklagte zog die Unterlagen der Deutschen Eisenbahn Versicherung Sach- und HUK-Versicherungsverein a.G. – DEVK – über die Feststellungen der bulgarischen Polizei bei, wonach nicht T. sondern der ebenfalls tödlich verunglückte M. (M.) der Fahrer war. Auch M. war bei dem Bahnhof S. beschäftigt und hatte ebenfalls Urlaub bis zum 19. Juli 1975 gehabt.
Mit dem an die Klägerin zu 1) adressierten Bescheid vom 2. September 1977 lehnte die Beklagte die Entschädigung des tödlichen Unfalls von T. als Wegeunfall ab, da dieser sich im Unfall Zeitpunkt nicht auf einem versicherten Weg von der Familienwohnung zum Arbeitsort befunden habe. Die Rückfahrt sei von T. aus unbekannten Gründen verspätet angetreten worden, da er nach dem Urlaub bereits am 21. Juli 1975 zum Dienstbeginn hätte erscheinen müssen, aber ausgeblieben sei.
Wegen dieser Verspätung sei der Zusammenhang mit dem versicherten Unternehmen gelöst. Den Bescheid, in dem die Rechtsmittelbelehrung u.a. dahin erteilt worden ist, daß binnen drei Monaten nach der Zustellung Klage erhoben werden könne, sandte die Beklagte am 9. September 1977 an das Türkische Generalkonsulat in Nürnberg sowie in Durchschrift an die Deutsch-Türkische Verbindungsstelle der Berufsgenossenschaft Textil und Bekleidung in Augsburg. Am 7. Dezember 1977 hat das Türkische Generalkonsulat in Nürnberg bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, daß der verspätete Antritt der Rückfahrt von der Familienwohnung in der Türkei zum Arbeitsort auch wegen der großen Entfernung für den Versicherungsschutz unschädlich gewesen sei. Mit Urteil vom 10. September 1980 hat das SG den angefochtenen Bescheid aufgehoben und unter Zulassung der Berufung die Beklagte verurteilt, den Klägern die gesetzlichen Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Die Unfallfahrt habe der unmittelbaren Arbeitsaufnahme bei bestehendem Arbeitsverhältnis dienen sollen, so daß der betriebliche Zusammenhang gegeben gewesen sei. Anhaltspunkte für einen eigenwirtschaftlichen Charakter der Fahrt ergäben sich nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das sozialgerichtliche Urteil verwiesen. Gegen dieses ihr am 22. Oktober 1980 zugestellte Urteil hat die Beklagte schriftlich am 13. November 1980 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt.
Es sind im Berufungsverfahren als Zeugen der Bruder der Klägerin zu 1) A. T. und der Vetter des M. R. M. vernommen worden. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Anlagen zur Sitzungsniederschrift vom 11. März 1981 verwiesen.
Die Beklagte bezieht sich zu ihrer Begründung auf den angefochtenen Bescheid und bringt ergänzend vor: Sie bestreite nicht, daß die Unfallfahrt im Grunde vom Familienwohnort zum Beschäftigungsort als Ziel geführt habe. Der genehmigte Urlaub sei aber am Unfalltag aus privaten Gründen bereits um 7 Tage überschritten gewesen. Auch die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren habe dazu nichts ergeben. Hinderungsgründe seien nicht erkennbar. T. habe gegen die Arbeitsordnung verstoßen. Dieser Verstoß habe u.a. mit fristloser Entlassung geahndet werden können.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 10. September 1980 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Unfall- und Streitakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte entscheiden, obwohl die Kläger weder im Termin zur mündlichen Verhandlung anwesend noch vertreten waren. Sie sind in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung darauf hingewiesen worden (§ 110 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Es steht auch nicht der Umstand entgegen, daß in der Ladung keine Beweisaufnahme angekündigt war, eine solche aber erfolgte. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) ist deswegen nicht verletzt, weil der Senat nach erfolgter Beweisaufnahme nicht zu Ungunsten der Kläger entschieden, sondern das angefochtene sozialgerichtliche Urteil bestätigt und damit keine Überraschungsentscheidung getroffen hat (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Anm. 8 zu § 62 SGG mit weiteren Nachweisen).
Zunächst war der Urteilseingang zu berichtigen. Bezüglich der am 15. Mai 1962 geborenen Klägerin zu 2) war zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 7. Dezember 1977 nach § 36 Sozialgesetzbuch – 1. Buch (SGB 1) Handlungsfähigkeit gegeben, so daß für diese die Klägerin zu 1) die Klage nur als deren Prozeßbevollmächtigte erheben konnte (§§ 71 Abs. 2, 73 Abs. 1 und 2 SGG). Dagegen werden die Kläger zu 3) bis 7) als weder handlungsfähige noch volljährige Personen (vgl. Rundschr. des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften in VB 188/79 nebst Anlage) von der Klägerin zu 1) gesetzlich vertreten.
Das Türkische Generalkonsulat ist auch befugt, die Kläger im Berufungsverfahren zu vertreten (Art. 47 a des Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. April 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 13. September 1965 – BGBl. II S. 1169 – i.d.F. des Gesetzes vom 3. Januar 1972 – BGBl. II S. 1 –). Ferner ist entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG nicht die DB passiv legitimiert. Beklagte Partei ist vielmehr die Bundesrepublik Deutschland, da die DB ein Unternehmen des Bundes ist (§ 653 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung – RVO –). Vertreten wird die Bundesrepublik Deutschland durch die eigene nach § 766 Abs. 1 RVO gebildete Bundesbahnausführungsbehörde für Unfallversicherung (vgl. Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 2 und 3 zu § 658 RVO und Anm. 4 und 5 zu § 766 RVO unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 9. August 1973 – 2 RU – 5/72 – in E 36, 111).
Die auch bezüglich der nicht berufungsfähigen Hinterbliebenenleistungen (§ 589 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 RVO i.Verb.m. § 144 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG) nach Zulassung der Berufung durch das SG insgesamt zulässige Berufung ist außerdem frist- und formgerecht eingelegt (§§ 150 Nr. 1, 151 SGG).
Sie ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klageerhebung durch das Türkische Generalkonsulat als zulässig angesehen, da dieses dazu als berufskonsularische Behörde berechtigt ist (Art. 47 a a.a.O.). Die bei dem SG am 7. Dezember 1977 eingegangene Klage ist auch rechtzeitig erhoben. Es kann offenbleiben, ob der angefochtene Bescheid, den Klägern überhaupt und zu welchem Zeitpunkt zugestellt worden ist. Die Frist für die Klageerhebung beträgt bei Inlandszustellung einen Monat und bei Auslandszustellung drei Monate (§ 87 Abs. 1 SGG). Die sich aus den Akten der Beklagten (Bl. 31) ergebende Absendung der, Bescheides am 9. September 1977 an das Türkische Generalkonsulat stellt keine wirksame Zustellung an die Kläger dar, da das Türkische Generalkonsulat kein Zustellungsbevollmächtigter im Sinne von § 8 des Verwaltungszustellungsgesetzes des Bundes ist. Dies folgt auch nicht aus Art. 47 a a.a.O., da diese Vorschrift dem Generalkonsulat lediglich u.a. die Befugnis zur Rechtsmitteleinlegung einräumt. Letztlich kann dies auf sich beruhen, da, wollte man eine Zustellungsbevollmächtigung unterstellen, die Beklagte eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat und daher eine Frist von einem Jahr gelten würde (§ 66 Abs. 2 SGG). Für den Fall der Zustellung im Ausland, und zwar an die Kläger direkt mittels Einschreiben mit Rückschein (Art. 47 a.a.O.) oder über die Deutsch-Türkische Verbindungsstelle ist die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung anzunehmen, da der Bescheid frühestens am 9. September 1977 abgesandt worden ist, die Klage aber binnen der Frist von drei Monaten (§ 87 Abs. 1 Satz 2 SGG) am 7. Dezember 1977 bei dem SG einging.
Der auch sonst statthaften Klage hat das SG mit zutreffenden Erwägungen stattgegeben. Die Kläger haben Anspruch auf die Hinterbliebenenleistungen nach ihrem Ehemann und Vater T., da dieser am 26. Juli 1975 bei einem Arbeitsunfall tödlich verunglückte (§§ 589 Abs. 1, 590, 591, 595, 550 Abs. 3 RVO). Er befand sich zur Unfallzeit auf einem versicherten Weg von der Familienwohnung in der Türkei zum Ort der Tätigkeit in.
Zunächst steht zur Überzeugung des Senats nach den Ermittlungen der Beklagten im Verwaltungs- und Streitverfahren sowie dem glaubhaften Vorbringen der Kläger und dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Berufungsverfahren fest, daß T. im Unfallzeitpunkt seine Familienwohnung bei seiner Familie, den Klägern, in der Türkei hatte. Die ständige Familienwohnung eines Versicherten liegt dort, wo sich der Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse befindet. Das ist bei einem verheirateten Versicherten in aller Regel der Wohnort seiner Familie (vgl. statt vieler: Lauterbach, a.a.O., Anm. 23 a zu § 550 RVO m.w.Nachw.). Das ist hier der Ort C., Dorf B. K. in dem die Kläger bis auf den Kläger zu 7) am Unfalltag lebten, wie sich aus den Angaben der Deutsch-Türkischen Verbindungsstelle mit Standesregisterauszug sowie der Bescheinigung der Gemeindeverwaltung von B. K. ergibt, die unter dem 18. April 1977 der Beklagten übersandt worden sind. Daraus ist auch ersichtlich, daß T. seine Ehefrau und die gemeinsamen minderjährigen ehelichen Kinder während der Urlaubszeit dort regelmäßig besuchte, wie auch der Zeuge T. bekundete. Dies folgt nicht zuletzt daraus, daß T. dort auch die eheliche Gemeinschaft vollzog. Veranschaulicht wird dies insbesondere durch die Geburt des gemeinsamen und ehelichen Kindes Y. am 14. März 1976, dem Kläger zu 7). Demgegenüber bewohnte T. am Ort der Tätigkeit in S. lediglich eine Unterkunft. Ihm stand in einem Wohnheim der DB nur ein Mehrbettzimmer, das von Ausländern bewohnt wurde, zur Verfügung. Er besaß keine eigene, besonders eingerichtete Wohnung, die auf die Verlegung des Lebensmittelpunktes von der Türkei nach Deutschland schließen lassen könnte. Auch hatte er keine sonstigen Maßnahmen getroffen, die einen solchen Schluß zuließen. Dafür fehlt es an jeglichem Anhaltspunkt. Vielmehr war nach den obigen Feststellungen die innere Verbundenheit mit der Familienwohnung nicht aufgehoben, sondern beibehalten worden. Dies wird von der Beklagten auch nicht angezweifelt.
Ferner ist nach dem Gang des Verwaltungsverfahrens sowie dem Ergebnis der Beweisaufnahme erwiesen, daß T. sich auf der Unfallfahrt als Beifahrer in seinem, von M. gefahrenen Pkw auf dem direkten Weg von der Familienwohnung zum Ort der Tätigkeit in S. befand und dieser der Arbeitsaufnahme dienen sollte. Gegenteilige Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich und werden auch von der Beklagten nicht behauptet. T. stand in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis bei der DB. Sein Urlaub war bereits abgelaufen, da er schon am 21. Juli 1975 mit dem Dienst hätte beginnen sollen. Auch hiervon gehen die Beteiligten übereinstimmend aus. Die Beklagte hat dies im Berufungsverfahren ausdrücklich bestätigt. Sie nimmt lediglich eine Lösung vom versicherten Unternehmen deswegen an, weil T. mit der verspätet angetretenen Rückreise zum Dienstantritt arbeitsvertragliche Pflichten mißachtet habe und die DB daher berechtigt gewesen wäre, ihm fristlos zu kündigen. Damit kann sie jedoch keinen Erfolg haben.
Zwar ist es zutreffend, daß in aller Regel Hin- und Rückwege das gleiche rechtliche Schicksal teilen (vgl. Lauterbach, a.a.O., Anm. 29 zu § 550 RVO). Auch hat das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt entschieden, daß für Fahrten von und nach der Familienwohnung die gleichen Grundsätze gelten, wie sie für sonstige Wege nach und von der Arbeitsstätte entwickelt worden sind. Allerdings gestattet es die Sonderregelung des § 550 Abs. 3 RVO, an den Zeitpunkt der Heimfahrt weniger strenge Anforderungen zu stellen, da es diese Vorschrift ermöglicht, rechtlich die dem persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Beweggründe für die Fahrt weitgehend unberücksichtigt zu lassen, insbesondere wenn es sich – wie hier – um eine weite Entfernung zwischen Unterkunft und dem Ort der Familienwohnung handelt (vgl. BSG, Urteil vom 26. Juli 1977 – 8 RU – 34/77 – in SGb 1978, S. 122 mit zustimmender Anm. von Podzun; Urteil vom 9. März 1978 – 2 RU 25/76 – in Rundschr. des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften in VB 81/78 mit jeweils weiteren Nachw. sowie Lauterbach, a.a.O., Anm. 29 zu § 550 RVO). Vorliegend handelt es sich nicht um eine solche Fallgestaltung, bei der die Unterbrechung der angetretenen Fahrt zum Ort der Beschäftigung von der Familienwohnung aus rechtlich von Bedeutung sein könnte. Nach den oben getroffenen und von der Beklagten nicht in Abrede gestellten Feststellungen ist von T. der Weg nach S. direkt von der Familienwohnung angetreten worden. Es ergeben sich auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß sich die Rückreise als eine andere, nämlich eigenwirtschaftliche und mit dem versicherten Unternehmen nicht in rechtlich wesentlichem Zusammenhang stehende Betätigung als von der Familienwohnung darstellt. Das kann insbesondere nicht aus dem Umstand entnommen werden, daß H., wie der Zeuge M. bekundete, noch in Istanbul bei Verwandten für einen Tag hat rasten wollen. Es kann offenbleiben, ob M. seine Verwandten Zusammen mit T. aufsuchte und die Rückfahrt zum Ort der Tätigkeit unterbrach. Diese Unterbrechung führte nicht zur Lösung vom versicherten Unternehmen, da sie – auch im Hinblick auf die Länge des Weges (vgl. die Entfernungsangaben in Meyers Großem Weltatlas, 2. Auflage 1974, S. 75) – als zeitlich geringfügig anzusehen ist. Die von der Familienwohnung verspätet angetretene Rückreise nach S. war vielmehr allein zu dem Zweck begonnen worden, am Ort der Beschäftigung die Arbeit wieder aufzunehmen. Mit zutreffenden Erwägungen hat das SG darauf hingewiesen, daß der in der Verspätung liegende Verstoß gegen die Arbeitsordnung und arbeitsvertraglichen Pflichten für die Frage des Versicherungsschutzes rechtlich ohne Belang ist. Gemäß § 553 RVO haben Hinterbliebene dann keinen Anspruch, wenn der Verletzte den Arbeitsunfall absichtlich verursacht hat. Eine solche Fallgestaltung liegt hier offensichtlich nicht vor. Das gleiche gilt im Hinblick auf § 554 RVO, wonach Leistungen bei einem Arbeitsunfall bei strafbarer Handlung unter gewissen Voraussetzungen versagt, werden können. Der Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten erfüllt weder die Voraussetzungen des § 553 RVO noch des § 554 RVO. Nach den polizeilichen Ermittlungen in Bulgarien ergibt sich auf Grund des Berichts des Allgemeinen Versicherungs-, Unfall und Schadenbearbeitungsbüros J. P. KG vom 8. Februar 1977, daß das Unfallfahrzeug des T. mit fahruntauglichen Reifen ausgerüstet war und hierauf der Unfall zurückzuführen ist. Ferner folgt aus dem Bericht, daß der Fahrer M. nach einem Blutalkoholtest eine Blutalkoholkonzentration von 0,42 Promille hatte. Wegen dieser Umstände kann der Unfallversicherungsschutz nicht versagt werden, wie das SG mit ebenfalls zutreffenden Erwägungen dargetan hat. Beide Umstände sind unter der von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsfigur der sog. selbstgeschaffenen Gefahrenlage zu würdigen. Danach ist der innere betriebliche Zusammenhang dann nicht mehr gegeben, wenn eine solche selbstgeschaffene Gefahr vorliegt und diese die allein rechtlich wesentliche Unfallursache gewesen ist. Nach der Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil vom 11. Dezember 1973 – 2 RU 30/73 – in SozR Nr. 46 zu § 539 EVO), der sich der Senat wiederholt angeschlossen hat (Hess. LSG, Urteil vom 23. Mai 1979 – L 3/U – 108/78 – und 5. November 1980 – L 3/U – 1133/78 –) ist der Begriff der selbstgeschaffenen Gefahr eng auszulegen und nur mit größter Vorsicht anzuwenden. Es kommt darauf an, ob der selbstgeschaffene Gefahrenkreis noch wesentlich der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist und ob trotz der selbstgeschaffenen Gefahr die versicherte Tätigkeit eine wesentliche Bedingung des Unfalls geblieben ist oder ob die selbstgeschaffene Gefahr in so hohem Maße vernunftwidrig war, daß die versicherte Tätigkeit nicht mehr als wesentliche Bedingung für den Unfall anzusehen ist (vgl. Lauterbach, a.a.O., Anm. 52 zu § 548 RVO und Anm. 18 c zu § 550 RVO mit jeweils zahlreichen weiteren Nachw.). Dem SG ist darin zuzustimmen, wenn es ausführt, daß das Fahren mit einem abgenutzten Reifen im allgemeinen nicht dazu führt, daß er platzt und auch zu einem derart schweren Verkehrsunfall führt. Im Vordergrund steht aber, daß T. die Fahrt in seinem Pkw, den M. zur Unfallzeit fuhr, aufgenommen hatte, um die Arbeitsstelle zu erreichen. Anhaltspunkte dafür, daß bei M. infolge der festgestellten Blutalkoholkonzentration von 0,42 Promille Verkehrsuntüchtigkeit vorgelegen hat und dieser Umstand die allein rechtlich wesentliche Unfallursache gewesen ist, ergeben sich nicht, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt der Versicherungsschutz nicht wegen einer besonderen selbstgeschaffenen Gefahrenlage versagt werden kann.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind (§ 160 Abs. 2 SGG). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, da der Senat bei seiner Entscheidung lediglich die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung allgemein anerkannten und hergebrachten Grundsätze zum Versicherungsschutz auf den Wegen zum Ort der Tätigkeit angewandt hat. Er ist, soweit ersichtlich, auch nicht von einer Entscheidung des BSG oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abgewichen.
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